20. Kapitel

 

22. September, morgens halb neun in Straubing

 

Als ich unser Büro betrete werde ich euphorisch von meinen Kollegen begrüßt. Offensichtlich haben sie gute Nachrichten, und ich kann es kaum erwarten sie zu hören.

„Du hast das Beste verpasst“, sagt Simone geheimnisvoll.

„Habt ihr den Mörder?“, frage ich neugierig.

„Noch nicht, aber wir wissen, wer es war und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie hinter Gitter sitzt“, antwortet Hansi zufrieden.

Ich sehe ihn fragend an.

„Jetzt sag schon!“, fordere ich ungeduldig.

„Melinda hat sich für heute Vormittag ein One-Way-Flugticket nach Thailand gekauft. Die Kollegen sind schon informiert und werden sie am Flughafen abfangen“, erklärt Simone.

„Wir müssen nur noch warten“, grinst Hansi zufrieden. „Möchte noch jemand einen Kaffee?“

Überrascht sehe ich ihn an. Für gewöhnlich ist Hansi nicht der fürsorgliche Typ, der den Kaffeelieferanten für andere spielt. Offensichtlich sorgt die Aussicht auf die Festnahme der Täterin für extrem gute Laune bei ihm.

„Ich nehme einen“ nicke ich ihm zu.

Gerade als Hansi das Büro verlassen möchte, klingelt das Telefon. Simone wirft einen Blick auf das Display.

„Das sind die Kollegen vom Münchner Flughafen“, sagt sie.

Sie nimmt das Gespräch an und vermutlich um uns zu ärgern und auf die Folter zu spannen, drückt sie nicht auf den Lautsprecherknopf. Hansi bricht sein Vorhaben des Kaffeeholens ab und geht zurück zu seinem Schreibtisch. Wir beide sehen sie neugierig an und versuchen etwas aus dem Gespräch herauszuhören. Leider bleibt Simones Miene undurchsichtig und mehr als ein paar zustimmende Laute gibt sie auch nicht von sich. Nach einer Weile bedankt sie sich und beendet das Gespräch. Als sie den Hörer auflegt, sieht sie uns grinsend an.

„Willst du uns noch lange auf die Folter spannen, oder endlich erzählen, ob die Kollegen erfolgreich waren?“, frage ich und sehe sie vorwurfsvoll an.

„Sie waren erfolgreich“, antwortet Simone zufrieden. „Sie waren sogar sehr erfolgreich und Melinda hat auch schon ein Geständnis abgelegt.“

„Einfach so?“, fragt Hansi überrascht.

„Na ja, sie haben die Tatwaffe gefunden und sie ihr vor die Nase gehalten, da hatte sie wohl keine andere Wahl, als alles zu gestehen“, antwortet Simone mit einem zufriedenen Schulterzucken.

„Sie haben die Tatwaffe bei ihr gefunden?“, frage ich ungläubig. „Dann hat sie den Schuss selbst abgefeuert?“

„Wir haben herausgefunden, dass sie uns angelogen hat, was ihre Schießkünste angeht. Sie hatte regelmäßig an Wettkämpfen teilgenommen und diese fast immer gewonnen“, erwidert sie.

„Wo hat sie die Tatwaffe versteckt?“, hakt Hansi nach.

Simone lacht auf und zieht anerkennend ihre Augenbrauen in die Stirn.

„Tatsächlich hatte sie ein verdammt gutes Versteck. In ihrem Auto unter dem Rücksitz, hatte sie extra ein Fach eingebaut, in dem sie die Waffe versteckte. Die Kollegen in München haben das Auto fast komplett auseinandergebaut, bis sie das Gewehr finden konnten.“

„Aber sie hatte doch gar keine Waffenbesitzkarte mehr“, werfe ich stirnrunzelnd ein.

„Die Waffe ist auch nicht registriert“, entgegnet Simone.

„Wer hätte das gedacht“, murmle ich nachdenklich.

Natürlich ist mir der Gedanke gekommen, dass es solche Waffen gibt, doch zu erfahren, dass tatsächlich ein Menschenleben damit genommen wurde, macht mich sprachlos. Warum hatte diese Frau eine solche Waffe?

Wann hatte sie den Gedanken gefasst, damit einen Mord zu begehen?

Erst als sie Geldprobleme hatte und sie von der Erbschaft erfuhr, oder schon als sie sich dazu entschloss die Waffe zu behalten, oder sie gar erst zu beschaffen? Die meisten nicht registrierten Waffen werden innerhalb der Familie weitervererbt. Natürlich gibt es auch solche, die absichtlich beschafft werden, um damit ein Verbrechen zu begehen. Ob wir jemals erfahren, wie Melinda an das Gewehr gekommen ist?

„Und sie hat den Mord tatsächlich nur begangen, weil sie hoffte einen Teil der Erbschaft von ihrer Freundin zu erhalten?“, fragt Hansi.

„Sie ist davon ausgegangen, dass Frau Winterfeld als Verwalterin der Erbschaft ihr das Geld leihen würde. Offensichtlich hat Melinda mehrere Tausend Euro Schulden angehäuft.“

Simone schüttelt bei ihrer Aussage seufzend den Kopf.

„Eins der meisten Mordmotive, neben Eifersucht“, brumme ich.

„Warum töten Menschen immer wieder für Geld?“, fragt Hansi betrübt.

„Das war schon immer so und das wird immer so bleiben“, antworte ich.

Leider ist das Leben nicht gerecht, das wurde mir während meiner Dienstzeit immer wieder schmerzlich bewusst.

„Zumindest ist der Mordfall aufgeklärt“, murmelt Hansi.

„Das arme Mädchen“, seufzt Simone. „Sie muss nicht nur den Tod ihres Vaters verkraften, sondern auch noch die Tatsache, dass eine ihr sehr vertraute Person den Mord begangen hat.“

„Das wird nicht leicht für die Kleine und auch ihre Mutter wird das erst einmal verarbeiten müssen“, stimme ich ihr zu.

„Aber zumindest können sie irgendwann leichter damit abschließen, weil sie wissen, wer Herrn Kramer umgebracht hat. Es wäre viel schlimmer, wenn sie im Ungewissen bleiben müssten.“

Ich nicke bei Hansis Worten.

„Wenn sie nicht versucht hätte zu fliehen, indem sie den Flug gebucht hat, hätten wir sie vielleicht nie der Tat überführen können“, murmle ich nachdenklich.

„Wir hätten sie schon überführt. Spätestens wenn wir rausgefunden hätten, dass sie eine so gute Schützin ist, wären wir ihr auf die Spur gekommen“, entgegnet Simone. „Aber die Sache, wie sie ihr Gewehr versteckt hat, war wirklich schlau.“

Simone zieht anerkennend ihre Augenbrauen in die Stirn.

„Jetzt bist du auch noch von ihr beeindruckt?“, fragt Hansi.

„Ihr müsst zugeben, dass der Schuss auf diese Entfernung für eine Sportschützin wirklich außergewöhnlich präzise war. Nicht zu vergessen, dass ihr Opfer auf dem Fahrrad auch noch in Bewegung war. Dann das außergewöhnliche Versteck für die Tatwaffe…“

Es gefällt mir nicht, dass die Mörderin auch noch Anerkennung für ihre Tat erntet, auch wenn ich zugeben muss, dass Simone mit ihrer Aussage richtig liegt. Dennoch hat die Frau ihre Talente für einen Mord genutzt und das ist alles andere als Anerkennung wert.

„Einigen wir uns darauf, dass die Frau es verdient hat hinter Gittern zu landen“, schlägt Hansi vor.

Zustimmendes Schweigen breitet sich aus und Simone seufzt leise.

„Was ist jetzt eigentlich mit dem versprochenen Kaffee?“, frage ich Hansi nach einer Weile.

Er stößt seufzend den Atem aus und für einen Moment glaube ich, dass er sein Angebot von vorhin zurückzieht. Doch dann erhebt er sich und macht sich auf den Weg. Wenn er wieder da ist können wir auf einen weiteren gelösten Fall anstoßen. Auch wenn es nur mit Kaffee ist.

 

ENDE