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LONDON, 2017
I ch stecke in Schwierigkeiten.
DI Crofts Meinung über mich steht bereits fest, aber sie irrt sich. Das Einzige, dessen ich mich schuldig gemacht habe, ist Betrug, Betrug in der Kategorie Beziehung. Wir tun alle ab und zu so, als würden wir etwas oder jemanden lieben, obwohl es nicht stimmt: ein unerbetenes Geschenk, die neue Frisur einer Freundin, einen Ehemann. Wir sind darin so gut, dass wir uns sogar selbst betrügen können. Das geschieht eher aus Bequemlichkeit als aus bösem Willen; das Eingeständnis, dass die Liebe vorbei ist, würde Handeln erfordern. Beziehungsbetrug hat sich heutzutage eingebürgert.
Sobald die Detectives gegangen sind, verriegle ich die Haustür. Ich sehne mich danach, die ganze Welt auszusperren. Vermutlich kann ich jetzt auch die Polizei auf die Liste all jener setzen, die mich zu kennen glauben. Sie befinden sich in bester Gesellschaft mit der Presse, den Fans und meinen sogenannten Freunden. Aber sie kennen mich nicht . Sie kennen nur die Version von mir, die ich ihnen zeige. Die Räder meines Verstandes drehen sich weiter in die falsche Richtung, stecken im Rückwärtsgang fest, und ich durchlebe wieder jene Nacht und muss mich an Dinge erinnern, an die ich mich nicht erinnern will. Wir hatten in dem Restaurant einen Streit. Damit hat Croft recht. Ich versuchte verzweifelt, Ben davon zu überzeugen, dass ich keine Affäre hatte, aber er wurde immer wütender.
Erfolgreiche Schauspielerinnen sind entweder schön oder talentiert …
Je mehr er trank, desto schlimmer wurde es.
Auf dich trifft keins von beidem zu …
Er wollte mir weh tun, eine Reaktion provozieren.
Ich frage mich, wen du diesmal gefickt hast, um die Rolle zu kriegen …
Beides gelang ihm.
Ich wollte ihn nicht schlagen. Mir ist klar, dass ich das nicht hätte tun dürfen, und ich schäme mich zutiefst dafür. Aber ich habe schon mein ganzes Leben lang geglaubt, nicht gut genug zu sein, und meine Minderwertigkeitsgefühle hallten in seinen Grausamkeiten so laut und ausdauernd wider, bis etwas in mir riss. Ich hatte noch nie das Gefühl, in etwas richtig gut zu sein, sosehr ich mich auch anstrenge. Und wenn mein Ehemann das erkennt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis alle anderen es ebenfalls erkennen.
Meine Reaktion beschränkte sich nicht aufs Körperliche. Ich sagte ihm, dass ich die Scheidung wollte, weil ich ihm auch weh tun wollte. Hätte er mir nur das Kind gegönnt, das ich mir so dringend wünschte, ich hätte im Handumdrehen die Karriere, von der er behauptete, sie würde zwischen uns stehen, an den Nagel gehängt. Aber seine Antwort blieb immer dieselbe: Nein. Er traute mir kein Stück über den Weg. Manchmal vergingen Wochen oder sogar Monate ohne jede Intimität, als könnte mich schon eine einzige Berührung versehentlich schwängern. Ich bin inzwischen so einsam, dass es körperlich weh tut.
Ich werde nie vergessen, was er sagte, als ich das Restaurant verließ, oder seinen Gesichtsausdruck, als ich mich noch mal zu ihm umdrehte. Ich glaube nicht, dass nur der Alkohol aus ihm sprach. Er meinte es ernst.
Wenn du mich verlässt, mach ich dich fertig.
Ich gehe nach oben, ziehe mir die Laufsachen aus und stelle mich unter die Dusche. Das Wasser ist zu heiß, aber ich mache mir nicht die Mühe, die Temperatur zu regulieren. Ich lasse mir die Haut verbrühen, als wäre ich der Meinung, ich hätte den Schmerz verdient. Dann gehe ich ins Schlafzimmer, um mich für die Arbeit fertig zu machen. Langsam öffne ich den Kleiderschrank, als könnte sich etwas Furchtbares darin verstecken. Tut es auch. Ich gehe in die Hocke, nehme die Schuhschachtel heraus, die ich auf dem Dachboden gefunden habe, und setze mich damit aufs Bett. Eine Weile starre ich stumm den Inhalt der Kiste an, als könnte ich mir daran die Finger verbrennen. Dann nehme ich vorsichtig den Stapel alter Postkarten heraus und breite sie auf der Bettdecke aus. Es müssen mehr als fünfzig Stück sein. Spinnengleiche Tintenstriche zieren jede einzelne Karte. Sie sind alle identisch: dieselben Wörter, geschrieben in derselben femininen Handschrift:
Ich weiß, wer du bist.
Ich dachte, wir hätten sie alle weggeworfen. Ich weiß keinen Grund, weshalb Ben sie hätte aufheben sollen. Als Beweismittel wahrscheinlich … für den Fall, dass die Stalkerin jemals wiederkäme.
Ich lege die Postkarten in die Schachtel zurück und schiebe sie unter das Bett. Die Wahrheit vor sich selbst zu verstecken ist dasselbe Spiel, wie sie vor anderen zu verstecken, nur mit strengeren Spielregeln.
Sobald ich angezogen bin, gehe ich zurück nach unten und starre den riesigen Blumenstrauß auf dem Küchentisch mit der winzigen Karte darin an. Sorry. Ich greife nach dem Strauß, muss dazu beide Hände nehmen. Mein Fuß tritt auf das große Metallpedal des Mülleimers, und gehorsam klappt der Deckel hoch, bereit, meinen Müll zu schlucken, aber auch mir seinen zu präsentieren. Meine Hände schweben über dem Abfall, während mein Gehirn versucht zu übersetzen, was meine Augen registrieren: zwei leere schwarze Plastikflaschen, die ich noch nie gesehen habe. Ich nehme eine heraus und lese das Etikett. Brenngel? Wir haben gar keinen Grill. Ich werfe die Flasche zurück in den Eimer und stopfe die Blumen obendrauf, bis ein Durcheinander aus Blüten und Dornen alles andere unter sich begräbt.