„Nein!“, schrie Elenna.
Tom nahm einen Fischspeer und warf ihn mit aller Kraft.
„Halt dich daran fest!“, rief er Leo zu.
Der Speer bohrte sich in dem Moment in die Schiffswand, als Leo von der Planke stürzte. Mit baumelnden Beinen klammerte sich der alte Mann am Speergriff fest. Die Piraten fluchten lautstark.
Brüllend erhob sich Serpentix aus dem Meer und reckte sich zu Elennas Onkel hoch. Leo zog die Beine an. Die Kiefer des Biests schnappten zusammen und verfehlten ihn nur ganz knapp.
„Ich muss das Biest überwältigen, bevor es Leo erwischt“, dachte Tom.
Tom stieß sich mit einem Fuß vom Rand des Fischerboots ab und sprang. Er landete hinter dem stachelbesetzten Kopf auf dem Körper des Biests. Beinahe wäre er an den glatten Schuppen abgerutscht, aber er erwischte gerade noch eine der Flossen und hielt sich daran fest. Die Beine drückte er eng um Serpentix’ Seiten und saß dadurch auf ihm wie auf einem wilden Pferd. Serpentix brüllte vor Wut.
Das Biest drosch auf das Wasser ein und versuchte, Tom abzuschütteln. Toms Arme schmerzten, aber es gelang ihm, sein Schwert zu ziehen. Mit der flachen Klinge hieb er auf Serpentix’ Kopf ein. Der Schlag war so heftig, dass Serpentix kurz etwas benommen war.
Durch die Gischt und das aufgewühlte Wasser sah Tom Elenna, die mit dem Fischerboot auf das Piratenschiff zuruderte. Die Piraten warfen Dolche nach Toms Freundin. Sie duckte sich weg, sodass die Klingen sich in die Bootswand bohrten oder harmlos ins Wasser zischten.
„Onkel Leo!“, rief sie, als sie das Boot unter ihn gesteuert hatte. „Hier unten!“
Ihr Onkel ließ den Fischspeer los und ließ sich in das Boot fallen. Serpentix peitschte mit dem Schwanzende gegen das kleine Boot und riss eine Schiffsplanke ab. Tom wollte eigentlich lieber gegen Sanpao kämpfen, aber der Piratenkönig musste warten.
„Kämpf mit mir!“, rief er dem Biest zu.
Serpentix buckelte und zuckte unter Tom und spannte seine Muskeln an. Mit seinem Schlangenkopf wandte er sich zu ihm um.
„Ertränke ihn!“, brüllte Sanpao.
Serpentix brüllte und schraubte sich noch höher aus dem Wasser, dann ließ er sich fallen und tauchte unter die Oberfläche. Tom hatte noch rechtzeitig tief Luft holen können. Wasser strömte durch seine Kleider und Haare. Seine Knöchel wurden weiß, weil er sich so fest an Serpentix klammerte. Das Biest drehte sich um seine eigene Achse und tauchte immer tiefer hinab. Das Wasser wurde kälter und es wurde dunkel. Der Druck in Toms Ohren war so stark, dass er das Gefühl hatte, sein Kopf würde gleich platzen. Trotzdem hielt er sich weiter an der Flosse fest. Er schloss die Augen und rief nach den Kräften von Seprons Zahn, von dem ein Stück in seinem Schild steckte. Als die Magie zu wirken begann, hörte das Brennen in seinen Lungen sofort auf.
Er öffnete die Augen. Die Schuppen auf dem Körper des Biests hatten doch nicht überall die gleiche Farbe. Auf dem Rücken waren sie etwas dunkler und bildeten einen Streifen vom Kopf bis zur Schwanzspitze, der etwa so breit war wie Toms Hand.
Serpentix schüttelte sich heftig und Tom verlor den Halt. Das Biest tauchte in die tiefe Schwärze ab und Tom schwamm zur Oberfläche hoch. Links von ihm sah er die Unterseite des Piratenschiffs. Mit kräftigen Schwimmzügen beförderte er sich aus dem Wasser und holte tief Luft.
Er hörte Sanpao fluchen und sah, wie sich der Piratenkönig über die Reling beugte. Er hielt etwas Glänzendes in seiner Hand und warf es nach Tom.
Tom tauchte und hörte, wie der Pfeil sich in seinen Schild bohrte, den er auf dem Rücken trug. Noch mehr Pfeile zischten ins Wasser. Einer schoss durch seinen Ärmel und kratzte ihm den Arm auf. Tom biss die Zähne zusammen und Luftblasen wichen aus seinem Mund. Blut vermischte sich mit dem Wasser.
„Ich darf nicht aufgeben!“, dachte Tom. Er schwamm zu dem kleinen Fischerboot und tauchte seitlich davon auf.
„Gib mir deine Hand“, sagte er.
Elenna beugte sich vor und half ihm an Bord.
„Ich dachte schon, Sanpao hätte dich erwischt“, sagte sie.
Ihr Onkel saß auf der Bank und starrte ängstlich zu Sanpaos Schiff hinüber, das nur zwanzig Schritte entfernt war.
„Feigling!“, brüllte Sanpao. „Wäre es nicht schön, wenn du die Kräfte deines Juwelengürtels benutzen könntest, Held von Avantia?“
Sanpao schob seine Tunika zur Seite. Tom keuchte auf. Der Piratenkönig trug Toms Gürtel um den Bauch. In Toms Brust bildete sich vor Wut und Bestürzung ein Knoten.
„Der gehört mir!“, rief er. „Ich habe die Juwelen bei einem fairen Kampf gewonnen.“
„Und ich habe sie mithilfe der Magie gestohlen“, brüllte Sanpao. Elenna sah Tom mit einem verzweifelten Ausdruck an.
„Aduro muss ihm den Gürtel gegeben haben“, sagte sie.
Sanpao legte die Hand auf den bernsteinfarbenen Juwel. „Er versucht, mit einem Biest zu sprechen“, dachte Tom.
„Männer, an die Waffen!“, brüllte Sanpao. „Es wird Zeit, diese erbärmlichen Landratten an die Fische zu verfüttern.“