Barnabas’ Büro, Stützpunkt der Raumflotte,
High Tortuga
E igentlich war es nicht sein Büro, aber Barnabas hatte es dennoch schon vor langer Zeit für sich beansprucht und sogar sein Namensschild an der Tür angebracht. Nur um ihn zu ärgern hatte Tabitha daraufhin den freien Raum am Ende des Korridors für sich in Beschlag genommen, aber sie hatte ihn nie benutzt.
Wer es findet, darf es behalten.
Barnabas genoss die Einsamkeit in diesem Raum, den er seinem Büro auf der Meredith Reynolds nachgestaltet hatte. Angesichts Shinigamis Bemühungen fühlte er sich auf dem Schiff nie wirklich allein. Aber hier hatte er dieses Büro gefunden und der leere, unterirdische Teil des Stützpunktes, in dem es sich befand, war das, was für ihn auf High Tortuga einem ruhigen Ort am nächsten kam.
Er war mit den Geschehnissen, die sich auf dem Stützpunkt abspielten, nicht ganz auf dem Laufenden, da er in den letzten Jahren alle Hände voll mit der Zähmung von Shinigami zu tun gehabt hatte.
Aber vielleicht war es an der Zeit, sich wieder zu informieren, was hier alles vorging. Denn Barnabas ahnte, dass Bethany Anne einen Plan im Hinterkopf hatte. Er konnte keinen anderen Grund erkennen, warum sie ansonsten Ressourcen für die Verdoppelung der Verteidigung einsetzen sollte.
Als hätte eine Intervention des Karmas das Objekt von Barnabas’ Gedanken zu ihm gelockt, betrat Bethany Anne in dem Moment sein Büro und nahm in dem dunklen, ledernen Ohrensessel gegenüber dem Schreibtisch Platz.
»Wie läuft denn alles so, Onkel Barnabas?« Sie schlug ein Bein über das andere und lehnte sich in die bequeme Polsterung des Stuhls zurück. »Tabitha hat mir erzählt, dass du heute bei ihr und Baby Todd vorbeigeschaut hast.«
Barnabas errötete voller Entzücken. »Das habe ich in der Tat. Es ist immer eine Freude, ein neues Familienmitglied zu begrüßen.« Sein begeistertes Lächeln verschwand jedoch rasch und wich einem wissenden Blick. »Aber deshalb bist du in Wirklichkeit nicht hier, oder?«
Daraufhin warf Bethany Anne ihm ein schiefes Lächeln zu. »Wie immer kommst du gleich zur Sache. Deine Erfolge an der Gerechtigkeitsfront sind nicht unbemerkt geblieben.« Sie neigte schmunzelnd den Kopf leicht zur Seite. »Du leistest bisher großartige Arbeit beim Aufräumen des ganzen Sektors und du weißt sicher auch, wie sehr ich deine Bemühungen schätze.«
Der alte Vampir zog eine Augenbraue hoch, denn er wusste genau, was jetzt kommen würde. Und richtig! Wie erwartet schenkte Bethany Anne ihm dieses entwaffnende Lächeln. Dieses mit einer Millionen Watt stark strahlende Lächeln, zu dem niemand nein sagen konnte, weil man einfach wusste , dass dieses Lächeln auf ihrem Vertrauen in einen beruhte, die Aufgabe zu erfüllen, die sie gerade im Sinn hatte. »Welchen Dienst ich meiner Königin auch immer erweisen kann, ich würde mich freuen, ihn zu leisten«, antwortete er förmlich.
Erstaunlicherweise wurde Bethany Annes Lächeln noch strahlender. »Großartig! Dies wird dir auch gefallen, da bin ich mir ganz sicher. Wie wäre es, wenn du deinen Tätigkeitsbereich für eine Weile einschränken würdest? Zum Beispiel auf diesen Planeten?«
Der ehemalige Ranger verschränkte die Hände vor sich auf dem Schreibtisch. Das hörte sich nach etwas an, gegen das er überhaupt nichts einzuwenden hatte. »Weil du die Absicht hegst, in Kürze loszuziehen und die Ooken zu bekämpfen.«
Bethany Anne nickte und trommelte mit den Fingern auf der Stuhllehne. »Du hast es fast auf den Nagel getroffen. Fast. Die Ooken bereiten sich vor loszuschlagen.«
Barnabas legte den Kopf leicht zu Seite. »Aber du bist auf sie vorbereitet.« Es war erneut eine Feststellung, keine Frage.
Sie grinste breit. »Aber natürlich bin ich das. Die Zeit des Wundenleckens ist vorbei. Ich habe alle meine Figuren auf dem Schachbrett aufgestellt und sie spielen Dame in der Kinderliga.«
Er lachte leise bei ihrer Beschreibung. »Wann wirst du abreisen?«
»Schon sehr bald, denke ich«, erwiderte sie lebhaft. »Bei meiner Besprechung morgen Abend mit dem Admiral erwarte ich die Bestätigung, dass die Flotte voll einsatzfähig ist. Alexis und Gabriel werden heute aus den Vid-Docs entlassen und das kommt keinen Tag zu früh. Auch wenn ich sehr viel Zeit mit ihnen dort drin verbracht habe, stellen die neun Jahre eine verdammt lange Spanne dar, in der wir als Familie getrennt waren. Sobald sie sich ganz erholt haben, können wir loslegen.«
Abwesend streckte und ballte Barnabas abwechselnd seine Finger, während er über diese Informationen nachdachte. »Du willst also, dass ich während deiner Abwesenheit auf diesen Planeten aufpasse, richtig? Aber was ist mit Devon?«
Bethany Anne winkte eher unbekümmert ab. »Die Phase drei ist vollständig abgeschlossen. Devon hat begonnen, ganz selbstständig mit dem Rest zurechtzukommen und sämtliche Verteidigungsanlagen sind in Betrieb. Weiterhin ist der Guardian fertiggestellt und voll einsatzfähig. Dieser Teil der Sperrzone ist abgeschlossen und sämtliche Aufzeichnungen über die Position von High Tortuga sind ausgelöscht und durch die Koordinaten von Devon ersetzt worden.«
Anerkennend nickend ließ Barnabas die Hände sinken und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Eine außerordentlich beeindruckende Leistung.«
»Ja, und zwar geht das alles auf ADAMs Kappe«, stellte Bethany Anne klar. »Ich werde sicher nicht so tun, als würde ich überhaupt verstehen, wie er das hinbekommen hat oder was dazu nötig war. Solange es funktioniert, bin ich zufrieden.« Sie verzog ihren Mund zu einem triumphierenden Lächeln. »Wenn er einmal ganz fertig ist, werden sogar nicht einmal mehr die unbedeutendsten unabhängigen Schiffskommandanten mit intakten Karten entkommen.« Sie erhob sich, ungeduldig darauf bedacht, zu gehen. »Ich muss jetzt in die Vid-Doc-Suite, aber ich kann dir bis morgen Zeit einräumen, darüber nachzudenken. Wenn du den Auftrag nicht übernehmen willst, kann ich andere Vorkehrungen treffen.«
Kopfschüttelnd zuckte Barnabas mit den Schultern. »Ich kann dir auch gleich jetzt meine Antwort geben. Kein Problem, ich bleibe gerne zurück. Ich genieße meine Arbeit hier. Es ist regelrecht therapeutisch.«
Bethany Anne zog spöttisch eine Augenbraue hoch. »Weißt du, es gibt tatsächlich einige Möglichkeiten, sich zu entspannen, ohne dabei andere über die Klinge springen zu lassen. Du könntest ein bisschen mehr Schach spielen. Ich habe gehört, dass das für die Psyche gut sein soll.«
Damit zwinkerte sie ihm schelmisch zu und wechselte in das Aetherische, während ein verärgerter Barnabas an seinem Schreibtisch empört nach Luft schnappte.
Vid-Doc-Suite, Michaels Büroräume,
Stützpunkt der Raumflotte, High Tortuga
Michael schritt unruhig im Raum umher, um seine überschüssige Energie abzubauen. Die Kinder würden die Vid-Docs bald verlassen, aber für ihn konnte es nicht früh genug sein.
Eve wandte sich seufzend von der Konsole ab, auf der sie die Vid-Docs überwachte und warf ihm einen strengen Blick zu. »Solche sich wiederholenden Bewegungsabläufe führen nur dazu, dass sich die Zeitwahrnehmung verändert, sodass man mehr davon erlebt.«
Er hielt mitten im Schritt inne und zog amüsiert eine Augenbraue hoch. »Du meinst, das Wasser in einem Topf, der beobachtet wird, kocht nie?«
Die Androidin neigte den Kopf. »Egal wie du es nennst, es bleibt doch eine Rose.« Sie schnaubte leise und wandte sich wieder der Konsole zu.
In dem Moment erschien Bethany Anne im Transferbereich. Sie kam eilig aus der Nische heraus und lief zum Wandbildschirm hinüber, auf dem Addix sichtbar war, die geduldig in der Spielversion des Vid-Doc-Raums wartete. Bethany Anne schaute sich rasch in dem hinter der Ixtali gezeigtem Zimmer um und entdeckte praktisch sofort Alexis und Gabriel, die mit dem Rücken an der Wand gelehnt saßen und sich leise unterhielten. »Bin ich zu spät dran?«
»Keine Sorge. Du bist pünktlich eingetroffen«, versicherte Eve ihr. Dann wies sie Addix, Alexis und Gabriel an, in ihre Vid-Docs zu steigen. »Das ist im Grunde genommen nicht notwendig, aber es wird dazu beitragen, dass ihr euch nicht desorientiert fühlt, wenn ihr gleich aufwacht.«
Die Vid-Docs auf beiden Seiten leuchteten auf und der Bildschirm wurde dunkel, als alle drei in den Verjüngungszyklus eintraten.
Bethany Anne und Michael traten gleichzeitig vor, um sich neben den Vid-Docs der Zwillinge zu stellen.
»Eine Minute«, erklärte Eve leise.
Dann erloschen die Beleuchtungen der Vid-Docs und die milchige Tönung des Fensters im Deckel klarte auf, um den Blick auf die Insassen freizugeben.
Michaels Gehirn versuchte, ihn zu täuschen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, Alexis und Gabriel als die Fünfjährigen zu sehen, die sie gewesen waren, als sie in die Vid-Docs gegangen waren.
Aber natürlich hatten seine Kinder jetzt die Körper, die zu ihrem Bewusstsein passten … und verfügten nun auch über die Erfahrung der Jahre, die sie im Spiel gelebt hatten, um mit ihren weiterentwickelten Körpern mitzuhalten. Selbstverständlich hatte er in den letzten Monaten so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbracht, während sie heranwuchsen und dennoch war es jedes Mal ein wenig erschreckend, die tiefgreifenden Veränderung mitzuerleben. Wenn er sie nicht regelmäßig besucht hätte, wäre es ihm schwergefallen, sie auf Anhieb wiederzuerkennen.
Bethany Anne holte tief Luft, als die Vid-Docs ihre Entriegelungssequenzen begannen. »Meine Babies! «
»Dir ist doch hoffentlich klar, dass unser Sohn jetzt größer ist als du, nicht wahr?«, wies Michael sie schmunzelnd zurecht. »Obwohl mir zwar durchaus bewusst ist, dass du unsere Kinder immer noch problemlos auf der Hüfte tragen könntest, so kann ich mir allerdings wirklich nicht vorstellen, dass Gabriel gerne in dieser Weise umsorgt werden möchte. Und seine Schwester noch viel weniger.«
Seine Frau wies jedoch Michaels vernünftige Argumente mit einem ungeduldigen Winken zurück. »Es ist mir völlig egal, wie groß sie werden. Sie sind und bleiben meine Babys . Das ist das Einzige, was zählt.«
Michael schmunzelte noch immer über das weiche Herz seiner Frau, wenn es um ihre Kinder ging, als die Deckel der Vid-Docs schließlich aufschnappten.
Alexis war die erste, die erwachte, gefolgt von ihrem Bruder und zuletzt Addix. Bethany Anne, Michael und Eve halfen ihnen aus den Geräten zu steigen.
Während Addix den Vorteil besaß, vierbeinig zu sein und so weniger Probleme bekam, im Gleichgewicht zu bleiben, hielten sich Alexis und Gabriel vorerst an ihren Eltern fest. Obwohl ihr Muskeltonus in Ordnung war, fühlten sich ihre Beine recht wackelig an, was eigentlich auch kein Wunder war, nachdem sie neun Jahre gealtert und dabei stark gewachsen waren.
Bethany Anne untersuchte sie genau, während Eve sich um Addix kümmerte. »Wie geht es euch beiden? Habt ihr Schmerzen oder ist euch schwindelig?«
»Nein, es geht mir gut«, beruhigte Gabriel sie. »Aber ich kann nicht glauben, dass das wirklich meine Beine sind.« Er bohrte sich die Finger in seinen Oberschenkel und schaute Eve verwirrt an. »Warum fühlen sie sich so komisch an?«
»Der Vid-Doc ist eigentlich nicht für das vorgesehen, wozu wir ihn eingesetzt haben. Daher waren die Entwicklung neuer Nervenbahnen in euren Gehirnen und das Wachstum eurer Körper also zwei getrennte Prozesse«, erklärte Eve.
»Warum können wir dann überhaupt stehen?«, erkundigte sich Alexis verblüfft. »Ohne die Bewegung, die zur Entwicklung unserer Muskulatur nötig ist, müssten wir uns eigentlich so hilflos wie Fische auf dem Boden herumschnellen.« Sie blickte an sich herunter. »Aber ich fühle mich gut. Vielleicht etwas schwach, aber gut.«
Eve gestikulierte mit den Händen, als sie antwortete. »Wir haben schwache elektrische Impulse verwendet, um eure Bewegungen im Spiel mit euren Körpern zu synchronisieren. Die Verbindungen sind im Moment noch etwas schwach ausgeprägt, aber ihr beide seid stark und eure Körper sind halbwegs aktiviert. Außerdem sind eure Nanozyten jetzt voll funktionsfähig. Ich vermute, dass ihr in kürzester Zeit wieder bei bester Gesundheit sein werdet.«
Ungeduldig wandte Alexis sich an ihre Eltern. »Wann können wir Tante Tabbie und das Baby sehen?« Sie hielt einen Moment inne. »Dessen Namen mir absolut unbekannt ist«, setzte sie in einem dumpfen, monotonen Tonfall hinzu und blickte unbehaglich zur Seite.
Gabriel lachte. »Du bist die schlechteste Lügnerin aller Zeiten.« Er schnappte nach Luft, als ihn ihr Ellbogen schmerzhaft in seine Rippen traf.
Pssst!
Ihre Eltern tauschten einen amüsierten Blick aus.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass du besser lügen kannst als das«, stichelte Michael spöttisch.
Bethany Anne verdrehte die Augen. »Wir essen später mit Tabitha und Peter zu Abend«, erklärte sie den Zwillingen. »Dann könnt ihr auch Todd sehen, wenn er wach ist. Aber zuerst gehen wir nach Hause, denn da habe ich eine Überraschung für euch beide.«
Wie vorhergesehen dauerte es nicht lange bis die Zwillinge ihre Beine wieder voll benutzen konnten.
Lächelnd rief Bethany Anne die beiden Kinder zurück, die bereits zur Tür unterwegs waren, und streckte ihnen auffordernd die Hände entgegen. »Da draußen geht es viel lauter zu, als ihr es gewohnt seid. Ihr dürft heute in Mamas Taxi mitfahren.«
Die Zwillinge kicherten über ihren blöden Scherz. Bethany Anne ergriff ihre Hände und zog sie in das Aetherische. Einen Augenblick später erschien auch Michael neben ihnen im Nebel.
Ich nehme an, das wird auch für mich eine Überraschung sein, oder? , erkundigte sich Michael etwas zu beiläufig, während Bethany Anne ihnen den Weg zu ihrem Quartier führte.
Aber natürlich , entgegnete Bethany Anne in einem Tonfall, der andeutete, dass sie ein wenig beleidigt war, dass er überhaupt fragen musste. Ich habe ihr Zimmer renoviert.
Michaels zusammengepresster Mund bildete eine gerade Linie. Ich dachte, wir wären mit dem Renovieren fertig?
Sie starrte ihren Mann ungläubig an. Du warst nicht mehr in ihrem Zimmer, seit sie in den Vid-Doc gegangen sind, oder?
Ähm, nein? , antwortete Michael leicht verwirrt. Die Kinder haben es nicht benutzt, also gab es auch keinen Grund, dort hineinzugehen.
Alexis hörte das stille Gespräch zwischen ihren Eltern mit und wies ihren Bruder darauf hin.
Er kicherte. »Oh-oh, Papa hat den Blick aufgesetzt, den er immer bekommt, wenn Mama einkaufen war.«
»Ja, aber Mama trägt den Gesichtsausdruck, der jedem verrät, dass sie gewonnen hat.« Das Mädchen kicherte schadenfroh. »Hey, Mama. Heißt das, dass du jetzt deine Schuhe mit mir teilst, wo ich ganz erwachsen bin?«
Bethany Anne kniff die Augen zusammen und warf ihrer Tochter einen strengen Blick zu und hob einen Finger. »Erstens: Du wirst noch lange nicht ›erwachsen‹ sein.« Sie hielt einen zweiten Finger hoch. »Zweitens würde ich dir zwar jederzeit mein Imperium überlassen, wenn ich es denn noch hätte, aber solltest du jemals meine Schuhe ohne Erlaubnis anfassen, werden wir ein paar sehr ernste Wörtchen miteinander wechseln.« Sie zog eine Augenbraue hoch und lächelte ihre Tochter an. »Außerdem, möchtest du nicht lieber langsam anfangen, dir eine eigene Kollektion aufzubauen, jetzt, wo du aus deiner Phase mit der Vorliebe für Atmoanzüge heraus bist?«
Voller Freude leuchteten Alexis’ Augen auf und sie klatschte begeistert in die Hände. »Oh, Mama, du hast ja keine Ahnung, wie gerne ich das machen würde!«
Dagegen stöhnte ihr Vater zur gleichen Zeit wie Gabriel auf.
»Oh, großer Gott, nein «, entfuhr es Michael unwillkürlich.
»Es ist schon schlimm genug, dass Mama besessen ist. Nicht auch noch du!«, vervollständigte Gabriel den entsetzten Ausruf ihres Vaters.
Bethany Anne und Alexis warfen ihnen ein absolut identisches Grinsen zu und gingen Arm in Arm davon, um eifrig über die Schwierigkeiten zu diskutieren, einen Schuhdesigner zu finden, der wirklich begriff, dass ›Killerheels‹ genau das bedeuten sollten.
Michael und Gabriel tauschten einen Blick aus, der verzweifelten Männern überall gemein war, egal welcher Spezies sie angehörten und in welchem System man sich auch immer gerade befand.
Mit Ausnahme des Systems von Sardis, aber es herrschte allgemeine Einigkeit darüber, dass die universellen Gesetze von Beziehungen an dieser Gruppe völlig vorbeigegangen waren.
»Wo wollen sie all diese Schuhe nur unterbringen?«, fragte sich Gabriel laut.
Michael zuckte mit den Schultern und klopfte Gabriel auf den Rücken, als sie weitergingen. »Ich habe keine Ahnung, mein Sohn. Aber wundere dich nicht, wenn deine Mutter beschließt, dass sie dringend etwas zusätzlichen Stauraum braucht und ein Teil des Stützpunktes daraufhin plötzlich hinter einer Wand verschwindet.«
Er nickte düster. »Ich würde nicht einmal blinzeln. Ich kenne doch meine Mutter.«
Sein Vater lachte noch immer leise, als Bethany Anne und Alexis vor ihnen anhielten. »Sieht ganz wie unsere Haltestelle aus.«
Gabriel seufzte auf. »Das war lahm , Papa.«
Anklagend hob Michael die Hände und wies mit dem Finger auf ihn. »Wie bitte? Du fandest es doch lustig, als deine Mutter einen ähnlichen Witz gemacht hat.«
»Ja«, erwiderte sein Sohn langsam. »Weil es eben Mama ist, und sie ist lustig, auch wenn wir nicht verstehen, wovon sie spricht.«
Sein Vater zog leicht empört eine Augenbraue hoch, als Gabriel wegging. »Und es ist nicht lustig, wenn ich einen Witz mache?«
Der Junge drehte sich wieder zu ihm um und kopierte lässig das Achselzucken seines Vaters. »Nun, wenn du kein Problem damit hast, es offen zuzugeben …«
Dann sah Michael das plötzliche Aufblitzen von Panik in Gabriels Gesicht, als dieser realisierte, was er da gerade von sich gegeben hatte. Er lachte amüsiert auf. »Du hast viel zu viel Zeit mit Tabitha verbracht.«
Gabriels nervöses Grinsen verschwand. Seine Verwirrung über die Reaktion seines Vaters war mehr als genug, um Michael zufriedenzustellen.
Ich liebe es, dich dabei zu beobachten, wie du eine Bindung zu den Kindern aufbaust , erklärte Bethany Anne trocken und ein Hauch eines Lachens durchzog ihre geistige Stimme.
Natürlich, meine Liebe , stimmte Michael gutgelaunt zu. Und wie könnte ich mich den Kindern besser öffnen, als sie meinen legendären Sinn für Humor sehen zu lassen?
Du meinst legendär im Sinne so wie Bigfoot legendär ist, oder? , stichelte Bethany Anne boshaft.
TOM sagt, dass es Außerirdische gab, die genau wie Bigfoot aussahen und gelegentlich auf Planeten gestrandet sind. Ihre Technologie war nicht sehr fortschrittlich. Daher ist es durchaus denkbar, dass Bigfoot lediglich ein armer gestrandeter Alien war und daher legendär im Sinne von ›nicht existent‹ eben nicht zutreffend ist.
Ich habe mich dir gegenüber immer nur nett verhalten, Michael. Warum versuchst du mich jetzt so aufs Kreuz zu legen? Habe ich etwa jemals angedeutet, dass ich möchte, dass meine Worte in einem Streit zwischen dir und Bethany Anne verwendet werden?
Warum mischst du dich dann ein?
Das Aetherische bewirkt, dass ihr eure mentalen Muskeln anders anspannt. Es ist, als ob die Wände zwischen uns zu dünn sind, wenn ihr redet.
Hm , war alles, was Bethany Anne darauf erwiderte.
Sie griff nach Alexis’ und Gabriels Händen und die Familie verließ das Aetherische und kam gemeinsam im Transferraum ihres Hauses heraus.
Bethany Anne war als Erste an der Tür. »Okay, jetzt haltet euch die Augen zu und folgt einfach nur meiner Stimme.«
Die Zwillinge taten, wie ihnen geheißen. Vor ihnen ging Bethany Anne langsam rückwärts den Korridor entlang in Richtung des Zimmers der Zwillinge. »Hier entlang, weitergehen. Gabriel, mach einen Schritt nach links, sonst stößt du mit dem Tisch zusammen.«
Alexis spreizte ihre Finger ein wenig und warf Bethany Anne einen Blick zu. »Befindet sich die Überraschung in unserem Zimmer?«
»Mmhmm«, entgegnete Bethany Anne unverbindlich. Sie gestikulierte Alexis zu, ihre Augen wieder zu bedecken. »Ich öffne jetzt die Tür, nicht gucken!«
Sie führte Alexis und Gabriel in ihr Zimmer. Das Zimmer war nun etwas größer, eher für Teenager als für kleine Kinder geeignet, und ihre Schlaf-Pods waren durch Trennwände im japanischen Stil vom Hauptraum abgetrennt, sodass jeweils einer in seiner Zimmerecke stand. »Bleibt genau hier stehen. Jetzt könnt ihr eure Augen aufmachen.«
Das Mädchen ließ die Hände sinken, lief zu ihrem Schlaf-Pod und quietschte begeistert. »Es ist alles genauso wie in unserem Zimmer im Stützpunktszenario!«
Neugierig ging ihr Bruder im ganzen Raum umher und überprüfte alles. »Mama, wie hast du nur sämtliche Details richtig hinbekommen?« Er schloss die Schublade, die er gerade geöffnet hatte, und schaute in den Schrank.
Lächelnd tippte sich Bethany Anne mit einem Finger an die Nase. »Streng geheime Mutter-Magie.«
Michael unterdrückte ein Kichern, denn er wusste genau, dass Eve eine detaillierte Blaupause für jedes Szenario besaß. »Wir lassen euch beide jetzt allein, damit ihr euch in Ruhe für das Abendessen fertig machen könnt.«
Wohnung der Familie Thomas, QBBS Helena, QT2
»Hast du gerade eben gesagt, dass deine Mutter zu Besuch kommt?« Admiral Thomas legte seinen Stylus auf dem Frühstückstisch neben seinem Tablet ab. Der Terminkalender konnte einen Augenblick warten. »Ist jetzt wirklich der beste Zeitpunkt, Schatz? Du hast schon eine ganze Menge um die Ohren, denn die Raumstation füllt sich mit Bewohnern und jeden Moment wird uns auch noch ein Krieg ins Haus stehen. Hast du nicht schon genug damit zu tun, ohne dir noch zusätzliche Aufregung darüber aufzuladen, dass Helena für längere Zeit hier ist?«
Giselle sah von ihren eigenen Vorbereitungen für die kommende Woche auf und ihre Verärgerung war deutlich zu hören, als sie antwortete. »War das etwa das Einzige, was du von dem Ganzen, was ich gerade gesagt habe, verstanden hast? Unsere Situation ist genau der Grund, warum ich mich deswegen nicht aus der Ruhe bringen lasse. Mutter kommt, um mir bei den häuslichen Dingen zu helfen. Das ist die perfekte Lösung für unser Kinderbetreuungsproblem.«
Der Admiral zog skeptisch eine Augenbraue hoch, während er über die Tasse blickte, die er gerade in die Hand genommen hatte. »Wir hätten keine Kinderbetreuungsprobleme, wenn du dich nur mit weniger zufriedengeben würdest als mit Mary Poppins’ kompetenterer Kollegin«, widersprach er ihrem Argument. »Ich habe es nur gesagt, weil ich mich um dein Wohlbefinden sorge. Helena hat eben so eine Art, einem unter die Haut zu gehen, ob sie es nun beabsichtigt oder nicht.«
Das Lächeln seiner Frau sah leicht angespannt aus. »Ja, schön, aber das war, bevor sie Enkelkinder hatte, auf die sie sich konzentrieren konnte. Dies ist der perfekte Zeitpunkt, um das alles hinter uns zu lassen.« Sie wedelte nachdrücklich mit einer Hand. »Sieh doch nur, was wir in nur wenigen Monaten erreicht haben.«
Admiral Thomas war sich absolut nicht sicher, ob seine Frau nun die fertiggestellten Verteidigungsanlagen oder ihren neugeborenen Sohn meinte, der in seiner Wiege auf der anderen Seite des Raumes lag. Trotzdem hütete er sich nachzufragen. »Du hast ja recht, Liebling. Ich werde mich auf ihre Ankunft freuen.« Er erwiderte das Lächeln seiner Frau – ohne hinzuzufügen, dass seine Vorfreude der Art von Vorfreude glich, die Leute am Abend vor ihrer Hinrichtung verspüren – und verputzte rasch die letzten Bissen seines Frühstücks.
Ein leises Piepen ertönte aus dem Lautsprecher und CEREBRO meldete sich. »Admiral, dein Transport ist eingetroffen.«
Erleichtert seufzte er im Stillen, wechselte schnell das Thema und stand auf, um seinen Teller in die Küche zu bringen. »Ich hatte gehofft, dass die Kinder aufwachen, bevor ich gehen muss.«
Giselle erhob sich ebenfalls und begann ihm bei dem Abräumen des Tisches zu helfen. »Morgens sind sie immer die reinsten Monster. Betrachte es als ein glückliches Entkommen.«
»Niemals«, schwor er lächelnd.
Seine Frau lachte. »Mal sehen, ob du das immer noch sagst, wenn das Baby schreit, die Zwillinge sich darum streiten, wer jetzt den blauen Buntstift essen darf, und du noch nicht einmal einen Kaffee getrunken hast. Du solltest dich besser auf den Weg machen, Herr Admiral«, neckte sie und hob sich auf Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken, während sie ihm den Teller aus der Hand nahm. »Viel Glück heute.«
»Du könntest meinen zweiten Vornamen benutzen.«
Sie warf ihm einen spitzen Blick zu. »Oder ich könnte deinen ersten Vornamen nehmen, da keiner der gigantischen Versager unter meinen Ex-Freunden so geheißen hat.«
Admiral Thomas zuckte mit den Schultern. »Dann nenn mich halt eben ›Herr Admiral‹.«
Giselle kicherte. »Ganz wie du meinst, Barty-Schatz.«
Er drehte seinen Kopf in letzter Sekunde blitzschnell, um ihren letzten Abschiedskuss mit seinen Lippen aufzufangen und überließ Giselle dann seinen Teller, um noch rasch sein Tablet in seine Aktentasche zu packen, die auf der Anrichte neben der Aufzugtür wartete.
Dieser Aufzug brachte ihn direkt zu der öffentlichen Halle, einer der Vorteile der Position seiner Frau als Stationsmanagerin, und dort stieg er in den auf ihn wartenden Transporter ein. Es handelte sich um einen der automatischen Buggys, die für die Fortbewegung auf der Station gebaut worden waren, als sie sich noch im Rohbau befand. Unter den Bewohnern der Raumstation hatte sich die Bezeichnung ›Streuner‹ für sie eingebürgert, weil man sie überall fand.
Der Buggy fuhr direkt los, denn sein Ziel war vorprogrammiert. Die morgendliche Betriebsamkeit war ermutigend.
Admiral Thomas hätte nie gedacht, dass er einmal froh sein würde, wieder am Berufsverkehr teilzunehmen, aber hier stand er zufrieden lächelnd in einer Schlange hinter drei anderen Streunern, die darauf warteten, die Umleitung um den zentralen Hauptplatz zu benutzen.
Die Leute lebten sich langsam ein.
Sein Blick schweifte kurz über die Barrieren, welche die gesamte Mitte des Platzes absperrten, wo die letzten Vorbereitungen für die bevorstehende Zeremonie liefen.
Die Zeremonie könnte sich ganz schnell als ein zweischneidiges Schwert erweisen. Er war jedenfalls sehr dankbar, dass Bethany Anne die Rede halten würde.
Da es sich zum einen um eine Feier zum Abschluss der Bauarbeiten und zum anderen um eine Gedenkfeier für die Leute handelte, die bei den ersten Zusammenstößen des sich abzeichnenden Krieges ums Leben gekommen waren, rechnete er fest damit, dass die Emotionen hochkochen würden.
Was sie brauchten, war ein Ventil für die Anspannung und nicht eine ständige Erhöhung des Drucks an Bord der Station bis zu dem Punkt, an dem die Moral beeinträchtigt wurde.
Das war das Letzte, was er wollte.
Als sein Streuner in die Umsteigestation einfuhr, beschloss er, mit Giselle zu sprechen, um für etwas Unterhaltung zu sorgen.
Der Transporter passierte die Abzweigungen zu den öffentlichen Verkehrsmitteln und nahm den Weg zu den für das Militärpersonal reservierten Linien. Auch hier warteten Streuner in einer Schlange, aber sein Rang erlaubte es ihm, sie zu überholen und die Expresslinie zu benutzen.
Jetzt kam der Lieblingsteil des Arbeitsweges. Er lehnte sich bequem zurück und wartete darauf, dass sein Gefährt sich auf die Magnetschiene setzte.
Der Streuner bewegte sich auf die runde Tür zu und legte beträchtlich an Geschwindigkeit zu, sobald er die Räder eingefahren hatte.
Die Tür öffnete sich spiralförmig und Admiral Thomas atmete tief ein, wie er es immer tat, wenn der Streuner die Schiene hinunter in den offenen Raum schoss.
Zumindest schien es so zu sein. In Wirklichkeit wurde hier die Chamäleontechnologie, die sie im Kampf gegen die madenähnlichen Außerirdischen erbeutet hatten, dazu benutzt, Tunnel für die Schienenbahn zu schaffen, die von außen den leeren Raum widerspiegelten, während sie von innen völlig transparent erschienen.
An beiden Enden der Transfertunnel waren Verteidigungswaffen angebracht, von denen die kleinsten die Größe von zwei oder drei großen Menschen hatten, um alles auszuschalten, was die Integrität der Tunnel bedrohte.
Das war aber noch nicht alles, wofür die Technologie eingesetzt wurde. Der Admiral runzelte flüchtig die Stirn, als er sich kurz an das neue Schiff des Shinigami- Typs erinnerte, mit dem Bethany Anne ihn überrascht hatte.
Aber einen Augenblick später kam auch schon die majestätische Werft in Sicht und seine Verärgerung verflog, als er all die Schiffe sah, die er nun als Gegenleistung dafür ansah, dass er nicht zu viel Stunk wegen der Izanami gemacht hatte. Qui’nan war ein absolutes Genie und es war ihm egal, wen er mit der Wiederholung dieser Feststellung alles langweilte.
Nach Michaels Besuch hatte die Yollin-Architektin das Design der Werft vorsichtshalber und unaufgefordert so abgeändert, dass nun eine kontinuierliche Produktion möglich war … nur für den Fall, dass Bethany Anne jemals hier auftauchen und ihnen einen unmöglichen Auftrag erteilen würde.
Seit diesem Besuch hatten sie sechzehn neue Schiffe verschiedener Klassen gebaut, allesamt wertvolle Ergänzungen der Flotte und kein einziges Schiff darunter, das fähig war zu verschwinden.
Es waren keine wirklichen Großkampfschiffe, abgesehen von der Größe, und obwohl sie alle mit einer Version der Plasma-Waffen der Ooken ausgestattet waren, die aetherische Energie anstelle von Plasma verwendeten, unterschieden sie sich ansonsten in ihrer Ausstattung.
Admiral Thomas entdeckte die Ulysses und die Atlas , die sogenannten ›Weltenkiller‹-Schiffe der Ballista-Klasse, an ihrem Liegeplatz. Das Heck der Grieving Widow war gerade noch an der Biegung der Werft zu sehen.
Das waren noch nicht alle. Die Schiffe der Begleitflotte waren ebenfalls aufgestockt worden. Die kleineren Kampfschiffe waren mit verbesserten Waffensystemen und Schilden ausgestattet worden und zu deren Unterstützung hatten sie noch weitere der EI-kontrollierten Wachschiffe gebaut.
Er hatte ein Team, das kurz davor stand, eine Möglichkeit auszutüfteln, wie man die gigantischen Plasmawaffen, die sie von den Ooken gestohlen und verbessert hatten, so weit verkleinern konnte, dass man sie auf jedem Schiff installieren konnte.
Es war ein guter Anfang.
Der Streuner erreichte die Umsteigestation der Werft. Admiral Thomas wartete geduldig, bis der Buggy vollständig zum Stehen kam und lief dann in Richtung von Qui’nans Bibliothek, in der sie um diese Tageszeit normalerweise anzutreffen war.
Er ging mit beschwingt federnden Schritten vorwärts. Die Ooken mochten noch in der Überzahl sein, aber er hatte die Anfänge der Flotte seiner Träume beisammen.
Wenn er erst einmal fertig war, würden sie keinen verdammten Tentakel mehr auf den Boden bekommen.