Kapitel 4

Die Kuppel, Stützpunkt der Raumflotte, High Tortuga

B ethany Anne führte Alexis und Gabriel den Korridor entlang in den Hauptraum.

»Das ist unser Klassenzimmer!«, rief Alexis aufgeregt aus. »Aber … wo ist denn die Tür zum Garten …?«

»Die gibt es in Wirklichkeit nicht«, erinnerte Bethany Anne ihre Tochter sanft. Genau deshalb hatte sie darauf bestanden, im Stützpunktszenario des Spiels so viel Realität wie möglich zu zeigen. »Der Eingang wurde abgeriegelt und verdeckt. Man kann jetzt nur noch über das Aetherische hierhergelangen.«

Gabriel musterte die Kuppel misstrauisch. »Warum das, Mama? Ist es nicht sicher, hier unten zu sein?«

Bethany Anne schüttelte den Kopf. »Es ist sicher, aber der alte Eingang musste bewacht werden. Außerdem möchte ich nicht, dass jemand, der sich nicht gegen das verteidigen kann, was hier vorgeht, aus Versehen hier herein stolpert und getötet wird.«

»Getötet wird?«, hakte Alexis mit weit aufgerissenen Augen nach. »Was machen wir dann hier drin?«

Bethany Anne lächelte ihre Kinder an. »Ihr wollt doch euren Vater und mich begleiten, wenn wir von hier abreisen, oder? Dann müsst ihr eben Magie lernen.«

Das ist keine Magie , schimpfte TOM genervt.

Pssst! Ich bin dabei, eine Geschichte zu erzählen!

TOM schniefte hochmütig. Ich bitte um Entschuldigung. Bitte mach weiter.

Zwing mich nicht, zu dir da reinzukommen.

Verwirrt runzelte das Mädchen die Stirn. »Aber wir befinden uns nicht in dem Spiel, Mama. Wir müssen daher Technologie benutzen, keine Magie.«

Bethany Anne winkte lässig mit einer Hand und drei Stühle und ein Tisch stiegen aus dem Boden auf.

Beide Kinder waren erstaunt.

Ihre Mutter wies sie mit einer Geste an, dass sie sich setzen sollten. »Vor sehr langer Zeit schrieb jemand etwas, das mir zu denken gab. Er sagte: ›Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.‹«

Alexis nickte eifrig. »Das war Arthur C. Clarke, Mama. Ich habe seine Werke vor einem Jahr gelesen. Aber das ist ein Roman . Es kann hier nicht zutreffen.«

Bethany Anne legte den Kopf zur Seite. »Kann es nicht?«

Gabriel riss sich aus seinen Gedanken. »Wenn man es genauer bedenkt, ist das gar nicht so weit hergeholt. Ich erinnere mich, dass ich dachte, das Aetherische bestehe aus Magie, als ich jünger war.«

»Du willst also damit sagen«, Alexis überlegte lange, um sicherzugehen, dass sie es richtig formulierte, »dass wir bei jemanden, der nichts über das Aetherische weiß und keinen Zugang zu fortschrittlicher Technologie hat, den Eindruck erwecken würden, wir würden Magie benutzen?«

»Süße«, Bethany Anne schüttelte bedauernd den Kopf, presste die Lippen zusammen und ein trauriger Ausdruck zeichnete sich kurz auf ihrem Gesicht ab, »für so jemanden würden wir wie Götter erscheinen.«

Ihre Tochter seufzte. »Das klingt lästig. Und du willst kein Gott sein, Mama. Das hast du schon immer völlig klargestellt.«

Aber Gabriel schnaubte abfällig. »Mama wollte ebenfalls keine Kaiserin sein, und auch das hat sie schon immer ganz klar betont.«

Amüsiert zuckten Bethany Annes Mundwinkel leicht. »Das stimmt wohl, aber Pflicht und Verantwortung sind zwei Dinge, die über den persönlichen Gefühlen eines jeden Anführers stehen, der nur das geringste Bisschen taugt.« Sie lehnte sich in das weiche Leder der Stuhllehne zurück und winkte abweisend mit einer Hand. »Zum Glück habe ich das alles jetzt hinter mir.«

Alexis neigte verwirrt den Kopf in Richtung ihrer Mutter. »Aber du baust doch schon wieder. Willst du diesen Krieg, in den wir bald geraten werden, überhaupt?«

Unschlüssig tippte Bethany Anne mit den Fingern auf den Tisch, während sie überlegte, wie viel von der Wahrheit sie ihren Kindern mitteilen sollte.

Einerseits war die Wahrheit etwas, das Alexis und Gabriel im Laufe der Zeit so oder so selbst herausfinden würden. Aber andererseits glaubte sie nicht, dass es ihnen auf Dauer guttun würde, wenn sie die Situation ihnen gegenüber beschönigte.

»Mama?«, drängte Gabriel ungeduldig.

Bethany Anne hörte mit dem Klopfen auf und sah ihren Kindern in die Augen. »Führung ist scheiße«, erklärte sie ihnen offen. »Es bedeutet, dass man unablässig unendlich viel von sich selbst gibt, ohne Rast und ohne Pause, und dass man keine andere Wahl hat, als es zu ertragen … oder unter der Last der Verantwortung zu zerbrechen.«

»Aber.« Sie hob einen Finger, ehe Alexis sie unterbrechen konnte. »Es gibt keine ehrenvollere Berufung, als andere zu beschützen. Es gibt nichts Lohnenderes, als das Wissen, dass Leute leben, weil man gehandelt hat.« Sie legte ihre Hände flach auf den Tisch.

»Warst du deshalb Polizistin, bevor du Papa kennengelernt hast?« Gabriel, der völlig fasziniert von den Worten seiner Mutter war, stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch auf und beugte sich eifrig zu ihr vor. »Weil es ehrenhaft war?«

Bethany Anne lachte und winkte ihrem Sohn mit einer Hand zu. »Ach, Schatz. Ehre war mir damals völlig egal. Ich war auch keine Polizistin, aber mir ging es um dasselbe, was mir schon immer wichtig war … Gerechtigkeit für diejenigen zu erreichen, die sie selbst nicht erlangen können. Jedes Mal, wenn es bedeutete, eine größere Rolle und mehr Verantwortung zu übernehmen, tat ich es gerne, weil ich wusste, dass ich einem größeren Zweck diente.«

»So ähnlich wie damals, als Tante Addix diese Idioten umbrachte, die uns entführt hatten«, ließ sich Alexis vernehmen. »Sie war nicht glücklich darüber, aber sie war froh, dass sie niemanden mehr entführen würden.«

Bethany Anne stand auf und gab den Zwillingen ein Zeichen, es ihr gleichzutun. »Ich glaube nicht, dass wir in nächster Zeit jemanden hinrichten werden.« Sie verdrehte die Augen, als sie die Enttäuschung in den Gesichtern der Zwillinge sah, aber auch deren große Erleichterung. »Dies hier ist kein Spiel. Ich weiß, dass es euch bereits klar ist, aber ich hoffe auch, dass ihr beide versteht, wofür euer Vater und ich euch ausbilden.«

»Das tun wir«, versicherte Alexis ihrer Mutter. »Ihr wollt, dass wir in Sicherheit sind.«

Ihr Bruder nickte feierlich. »Und wenn wir bereit sind, werden wir auch andere beschützen.«

»Wenn ihr soweit seid«, wiederholte Bethany Anne langsam. Sie gestikulierte mit der Hand, sodass die Möbel verschwanden und durch einen weiten Kreis von annähernd humanoiden Gestalten ersetzt wurden. »Zeit für eure Lektion, meine Lieben.«

»Was haben wir heute für eine Stunde?« Alexis hüpfte hinüber, um die nebligen Kreationen zu begutachten. »Die hast du geschaffen ? Aus aetherischer Energie?« Sie drehte sich wieder zu ihrer Mutter um und die Hoffnung stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Werden wir lernen, die ebenfalls zu erschaffen? Ist das unsere Lektion?«

Bethany Anne schüttelte den Kopf und deutete auf die leere Matte. »Die sind nur für den Test nach eurer Lektion. Nehmt eure Meditationspositionen ein. Wir kehren als erstes gleich wieder zu den Grundlagen zurück.«

Genervt stöhnte Alexis auf, als sie ihrem Bruder auf die Matte folgte. »Grundlagen? Aber warum?«

Mit einem leicht herausfordernden Ausdruck zog Bethany Anne eine Augenbraue hoch. »Mach eine Energiekugel.«

Das Mädchen runzelte die Stirn, tat aber, worum ihre Mutter sie bat. Sie öffnete ihre Hand mit der Handfläche nach oben und setzte ihre Willenskraft ein, damit sich die aetherische Energie manifestierte. Jedoch funkelte die Energie nur kurz auf und erlosch dann. »Was ist denn jetzt los?«, beschwerte sich Alexis entgeistert. »Wo ist meine … oh … Es ist, als müssten wir die Verbindung zu unseren Körpern wieder aufbauen.«

Ihr Bruder probierte stirnrunzelnd seine eigene Verbindung zum Aetherischen aus und erhielt das gleiche Ergebnis. »Sie ist da. Sie ist nur total schwach, ganz so als ob wir sie nicht trainiert hätten. Aber das haben wir!«

Bethany Anne setzte sich in den Schneidersitz und stützte ihre Hände mit den Handflächen nach oben auf ihre Knie. »Dann lasst uns eure Körper daran erinnern. Fühlt ihr euch beide entspannt?« Sie schaute von Alexis zu Gabriel, die ihr in gleicher Haltung gegenüber auf der Matte saßen.

Die Zwillinge nickten zum Zeichen, dass dies zutraf. Sie hatten bereits diesen entrückten Blick, aber Bethany Anne war da, um ihre Kinder zu führen.

Bethany Anne atmete gemessen aus und senkte ihre Stimme zu einem beruhigenden Ton. »Dann lasst uns beginnen. Atmet ein und aus. Ihr habt das schon viele tausend Male zuvor getan. Spürt die Liebe, die euch umgibt, und erlaubt ihr, euch in dieser Realität zu verankern. Findet jetzt eure Verbindung zum Aetherischen.«

Sie hielt kurz inne, um ihnen ein Weilchen Zeit zu geben, die Emotionen zu spüren, die sie aussandte. So wie die Kinder ihr Anker in dieser Realität gewesen waren, als sie begann, auf diese Weise mit dem Aetherischen zu arbeiten, so war sie nun der ihre. Mittlerweile war sie immun gegen die dieser Dimension innewohnenden Versuchung und niemand sonst würde heute zufällig das Aetherische aufsuchen.

Sie fühlte deutlich, wie die Energie im Raum langsam, aber beständig anstieg.

Alexis öffnete die Augen, und Gabriel tat es ihr eine knappe Sekunde später gleich.

Bethany Anne hielt ihre gesamte Aufmerksamkeit auf die Zwillinge gerichtet, jederzeit bereit, ihren Kontakt zu unterbrechen, wenn es so aussah, als würden sie auch nur für einen Augenblick die Kontrolle verlieren. »Sehr gut. Und jetzt lasst uns einige der verschiedenen energetischen Formen erschaffen.«

»Ich glaube, ich kann jetzt einen Energieball machen, Mama«, schlug Alexis sofort vor.

Bethany Anne stand geschmeidig auf. »Wir werden mit der Verteidigung beginnen. Setzt euch mit einem Abstand von zwei Metern mit dem Gesicht zueinander in der Mitte der Matte.«

Die Zwillinge nahmen die gewünschte Positionen ein.

»Was nun?«, erkundigte sich Gabriel neugierig.

Bethany Anne trat ein paar Schritte zurück und winkte mit dem Finger im Kreis, woraufhin eine Barriere rings um die Kinder herum erschien. »Ihr dürft Schutzschildkrieg spielen. Der Beste von fünf Versuchen gewinnt.«

Alexis und Gabriel johlten vor Freude.

Bethany Anne grinste und hielt drei Finger hoch. »Ihr beginnt auf mein Kommando. Es gibt einen Bonuspunkt für denjenigen, dem es als ersten gelingt, einen vollen Schutzschild aufzubauen.« Die Zwillinge nickten eifrig. »Also gut. Drei, zwei, eins! «

Alexis und Gabriel funkelten sich finster an, wie Geschwister es eben tun und das Energieniveau in der Kuppel stieg schlagartig an, als sich Streifen aetherischer Energie bildeten.

Die Energie verfestigte sich um die Zwillinge, die in der Mitte ihrer durchsichtigen Blasen standen und bereit waren zu spielen.

»Du weißt, dass ich das viel besser kann«, brüstete sich Alexis. »Du wirst immer so schnell wütend und lässt dann deinen Schild fallen.« Sie gestikulierte mit den Händen und ihr Schild rollte auf den von Gabriel zu.

Gabriel streckte seiner Schwester die Zunge heraus und machte eine entsprechende Bewegung, um seine Schutzblase ebenfalls ins Rollen zu bringen. »Das denkst aber auch nur du. Ich habe gerade den Punkt für den Schild gewonnen. Jetzt kann mich niemand mehr aufhalten.«

Bethany Anne zuckte leicht zusammen, als Alexis ihren Schild mit voller Gewalt gegen den von Gabriel rammte. Ihre Kinder hielten sich nicht zurück, wenn es um Wettkämpfe ging. Der Kampf ging verbissen hin und her, bis der Spielstand vier zu vier war und ihre Schilde zu flackern begannen.

Sie presste kurz die Lippen aufeinander, dann klatschte sie in die Hände. »Letzte Runde, der Gewinner bekommt alles. Danach legen wir eine Pause für das Mittagessen ein, bevor wir zur nächsten Übung übergehen.«

Gabriel verlor bei der Erwähnung des Essens für einen winzigen Moment seine Konzentration und Alexis gelang es daher seinen Schild gegen die Barriere zu schmettern.

Ihr Bruder versuchte, sich zu erholen, aber seine Konzentration war völlig weg. Er fiel auf die Matte, als seine Blase verschwand. »Mama! Warum musstest du auch unbedingt das Mittagessen erwähnen?«

Alexis verlor das Gleichgewicht und verlor auch die Kontrolle über ihren Schild. »Na schön, wir nennen es unentschieden.« Sie streckte Gabriel die Zunge heraus und half ihm dann auf, bevor sie zu Bethany Anne hinübergingen. »Was gibt es denn heute Leckeres zum Mittagessen?«

Private Wohnräume, das Hexagon, Erste Stadt, Devon

Sabine entspannte sich gemütlich auf der Couch und sah sich die Buchhaltung an, als Ricole plötzlich krachend durch das Fenster geflogen kam, von dem man die Veranstaltungsarena überblicken konnte. »Was zum Teufel …? «

Sie ließ ihren Datenblock fallen und war im Nu an Ricoles Seite. Die Noel-ni stöhnte auf, als Sabine sie vorsichtig umdrehte. »Geht es dir gut? Was ist denn passiert?«

Ricole schnappte nach Luft, hob eine zittrige Hand und zeigte auf das zersplitterte Fenster. »Eine Yollin. Ist nur ein Kind.«

Ihre Freundin sprang auf, stürmte ins Büro und von dort aus auf den Balkon. Eine Yollin der vierbeinigen Sorte lief unten auf und ab, ihre Mandibeln bewegten sich schnell.

Die Frau schätzte, dass nichts von dem, was die Yollin vor sich hinmurmelte, angenehm war. »Du, da unten … Yollin«, rief sie nach unten. »Wie heißt du, und warum zur Hölle hast du eigentlich gedacht, es wäre eine gute Idee, meine Freundin durch ein Fenster zu schleudern?«

Als die Yollin aufblickte, sah Sabine, dass die Frau noch nicht ganz erwachsen war. Außerdem fehlte ihr laut ihrer EI, Winstanley, eine Übersetzungssoftware. Aber du kannst meine Worte für sie übersetzen, oder?

Das kann ich, aber es wird nicht besonders schön klingen. .

Tu einfach, was dir möglich ist , wies Sabine die EI ungeduldig an. Sie wiederholte das, was sie gesagt hatte und versuchte, das Sprechen nicht zu vergessen, als alles, was aus ihrem Mund kam, eine Reihe von seltsam rhythmischen Klicks war.

»Mein Name ist K’aia«, antwortete die Yollin unwirsch. »Ich habe gehört, dass ihr die Kämpfer hier gut behandelt. Mit wem muss ich hier sprechen, um ein paar Kämpfe zu bekommen?«

Sabine grinste sarkastisch und deutete mit einen Daumen über ihre Schulter. »Du hast sie gerade durch das Fenster da geschmissen.«

»Ach, schöne Scheiße.« K’aia schloss die Augen und seufzte. »Gib mir Kraft.« Sie schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern, bevor sie wieder zu Sabine aufsah. »Ich nehme nicht an, dass meine aufrichtige Entschuldigung das wieder wettmachen wird?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Sabine amüsiert. »Das hängt ganz davon ab, warum du Ricole durch das Fenster geworfen hast. Sie kann zugeben, wenn sie sich geirrt hat.«

K’aia hob stolz ihr Kinn. »Sie dachte, sie könnte mich in einem Kampf besiegen. Und sie hat sich geirrt. Also, wann kann ich anfangen, Geld zu verdienen? Ich muss mir ein Ticket kaufen.«

Da Sabine gerade ein Stöhnen aus den Privaträumen hinter sich hörte, hob sie um Geduld bittend einen Finger. »Warte einen Moment hier.« Sie kehrte in den Wohnbereich zurück, um nach Ricole zu sehen.

Die Noel-ni hielt ihren Arm über einen Stapel Papiertücher in der Spüle und zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie eine winzige Glasscherbe aus ihrem Ellenbogen zupfte und auf das Papier darunter fallen ließ.

Sabine beugte sich über Ricoles Schulter, um sich die Sauerei in der Spüle anzusehen. »Kann ich dir irgendwie helfen?«, erkundigte sie sich und zog angesichts der blutigen Scherben unwillkürlich eine Grimasse.

»Mir geht’s gut«, brummte Ricole mürrisch. »Aber sobald ich hier fertig bin, werde ich diesem verfluchten Balg einen Schlag auf den Kopf verpassen, der sich gewaschen hat.« Sie ächzte und eine etwas größere Glasscherbe landete in der Spüle.

Sabine runzelte die Stirn und lehnte sich gegen die Insel. »Geh erst mal schonend mit ihr um, ja? Ich glaube, sie ist eine Ausreißerin. Sie hat erwähnt, dass sie eine Fahrkarte kaufen will.«

Ricole starrte Sabine genervt an und seufzte tief auf. »Na schööön , ich hebe es mir für später auf. Wir wollen doch nicht, dass sie wegläuft.«

»Was sollen wir mit ihr anfangen?«, fragte Sabine. »Ich fühle mich nicht wohl dabei, sie in den Ring zu schicken. Was ist, wenn sie sich verletzt?«

Die Noel-ni verdrehte ihre Augen und winkte Sabine vielsagend mit ihren verletzten Gliedmaßen zu. »Geh und halte eine Minute lang einen Trainingskampf mit ihr ab. Dann weißt du auch, dass sie bestimmt nicht in Gefahr ist verletzt zu werden.«

Ein Lächeln unterdrückend schüttelte Sabine den Kopf. »Nein, danke. Ich werde noch ein bisschen mit ihr reden und sehen, was ich herausfinden kann. Sie sollte bei ihrer Familie sein, sofern sie denn eine hat.« Sie ließ Ricole an der Spüle stehen und ging auf die Tür zum Treppenhaus zu.

»Finde heraus, ob sie etwas als Schauspielerin taugt«, rief Ricole ihr nach. »Shasta hat gestern gekündigt.«

Sabine ging die Treppe hinunter und durch die Tür, die das Geschäft von ihren Wohnräumen trennte. K’aia hielt sich nicht in der Arena auf, als sie dort ankam.

Automatisch tippte sie auf ihr Hologerät am Handgelenk, um die Aufzeichnungen der Sicherheitskameras aufzurufen und erinnerte sich dann daran, dass sie die EI hatten. »Winstanley, wo ist die weibliche Yollin, die vorhin hier war?«

Die EI antwortete fast sofort. »Sie befindet sich derzeit in der inneren Trainingshalle. Ich rate zur Vorsicht, Sabine. Sie ist bewaffnet.«

»Ich denke, ich komme schon zurecht.« Sabine ging um den Ring herum und die Rampe auf der anderen Seite hinauf, die zum Bereich der Kämpfer führte. Der Umkleidebereich war leer, aber Sabine hörte auf eine Übung hinweisendes, rhythmisches Grunzen aus dem Trainingsbereich dahinter.

K’aia war tatsächlich mit zwei Schwertern bewaffnet.

Sabine blieb an der Tür stehen und sah der vierbeinigen Yollin zu, wie sie eine Kata durchführte. Es überraschte sie, dass ihr einige der Techniken erstaunlich vertraut vorkamen, während andere … nun ja, ihr völlig fremd waren.

Die Yollin entdeckte Sabine und blieb abrupt stehen, wobei sie die Arme zur Seite sinken ließ. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus. Ich habe die Schwerter gesehen und …«

Aber Sabine winkte ihre Entschuldigung ab. »Das ist kein Problem. Du hast einen interessanten Stil, bei dem du Techniken aus verschiedenen Welten auf eine verblüffende Weise miteinander kombinierst. Wer hat dich ausgebildet?«

Als Antwort schnappten K’aias Mandibeln recht hochmütig zusammen. »Ich habe mich selbst trainiert.«

Nachdenklich kniff Sabine die Augen zusammen. Sie hatte erkannt, dass einige der Schritte in der Kata aus Bethany Annes Repertoire stammten und angepasst worden waren. Die Geschichte der jungen Yollin könnte sich als etwas komplizierter erweisen, als sie ursprünglich vermutet hatte.

»Woher kommst du, K’aia?«, erkundigte sie sich sanft. »Wie bist du dazu gekommen, diese Bewegungen von Bethany Anne zu lernen?«

K’aia warf Sabine einen verblüfften Blick zu, denn sie hörte die Vertrautheit in der Art, wie diese Frau über ihre Kaiserin sprach. »Woher weißt du das?«

Sabine lächelte. »Wenn du Bethany Anne kennst, dann musst du auch Michael kennengelernt haben, oder? Ich vermute mal, dass sie dir geholfen haben, so wie sie es auch in meinem Fall einmal getan haben.«

Die Yollin kniff die Augen zusammen. »Es stimmt, ich war Sklavin in einer Mine in der Nähe von Seestadt, bis ich entkam. Die Kaiserin hat den Rest der Sklaven befreit und ich habe mich auf den Weg gemacht, um meine Familie zu suchen.« Sie wandte den Blick ab.

Die menschliche Frau nickte verstehend und las zwischen den Zeilen. »Aber du hast sie nicht gefunden«, beendete sie leise. Das war eine traurige Situation, die sich auf diesem Planeten viel zu oft ereignet hatte, bevor Bethany Anne auftauchte und der Sklaverei ein Ende setzte.

Aber K’aia schüttelte den Kopf. »Oh, nein. Ich habe sie gefunden, aber sie hatten dieses Leben schon lange verlassen. Daher habe ich beschlossen, meine Kaiserin zu suchen und ihr zu dienen, was auch immer sie vorhat.« Sie zuckte mit den Schultern. »Das Problem besteht nur darin, dass man Geld braucht, um zu reisen, und deswegen bin ich hier. Wird die Noel-ni mir verzeihen und mir erlauben, zu kämpfen?«

»Ich glaube nicht, dass dies ein Problem sein wird«, versicherte Sabine der jungen Yollin. »Ich sehe ja, dass du eine hervorragende Kämpferin bist, aber du bist noch zu jung, um in der Liga der Erwachsenen zu kämpfen.«

K’aias Schultern sanken enttäuscht. »Du wirst mich nicht kämpfen lassen, oder?« Dann riss sie sich aber deutlich sichtbar wieder zusammen, ging zu der Bank hinüber, auf der sie ihre Sachen deponiert hatte und legte dort die Schwerter ab, um ihren Rucksack aufzunehmen. »Es tut mir leid, dass ich deine Zeit verschwendet habe. Ich werde hier verschwinden.«

Sabine schüttelte den Kopf. »Jetzt warte doch mal«, rief sie K’aia drängend hinterher, als die junge Frau gehen wollte. »Wenn deine Geschichte stimmt, besorge ich dir eine Passage nach High Tortuga.«

Die Yollin hielt an der Tür zur Umkleidekabine inne und drehte sich wieder zu Sabine um. »High Tortuga. Das ist der Ort, an dem sich meine Kaiserin aufhält?«

Sabine nickte. »Ja. Nur … geh da nicht wieder allein raus. Lass uns dir helfen.«

Aber K’aia hob nur eine Hand zum Abschied, als sie sich zum Gehen wandte. »Das hast du gerade getan. Ich weiß jetzt, wo ich hin muss. Danke, Lady.«

»Mein Name ist Sabine.« Sie lief dem Mädchen hinterher und holte sie ein, ehe sie den Eingang der Arena erreichten. »Und ich will dir wirklich helfen.«

Die Yollin lief stur weiter. »Ich brauche die Hilfe nicht. Ich kann einfach arbeiten, um mir die Passage auf irgendeinem Schiff zu verdienen, das nach High Tortuga fliegt.«

Sabine seufzte innerlich und folgte ihr in die Arena. Sie legte eine Hand auf den Arm der Yollin, um sie am Weitergehen zu hindern. »Das wird dich nicht dorthin bringen. Die Reisen nach High Tortuga sind stark eingeschränkt.«

Dieser Einwand funktionierte. K’aia hielt inne, drehte sich um und musterte die menschliche Frau gründlich. »Wie komme ich denn dann dorthin?«

Einladend wies Sabine mit einer Hand in Richtung der Tür, die zu den Wohnräumen führte. »Du bekommst eine Dusche sowie eine anständige Mahlzeit, während ich deine Geschichte bestätige, was nur eine reine Routineangelegenheit ist und danach buche ich dich auf den nächsten Transport.«

Aber K’aia kniff nur skeptisch die Augen zusammen. »Warum solltest du so etwas tun?«

Angesichts des Misstrauens in K’aias Frage brach Sabine fast das Herz. »Weil auch ich einmal jung und allein war, genau wie du. Du bist nicht einmal die einzige ehemalige Sklavin. Demon hatte es sogar noch schlimmer getroffen, bevor wir sie gerettet haben.«

Die Yollin riss entsetzt die Augen auf, als Winstanleys Übersetzung das Ziel verfehlte. »Du hältst dir eine Grabenbestie? «

Sabine runzelte verwundert die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ähm, nein?« Dann musste sie kichern, als ihr klar wurde, was das Missverständnis verursachte. »Demon ist eine Katze , eine Spezies von der Erde. Du wirst die anderen kennenlernen, die alle ihre eigene Geschichte haben. Wenn wir helfen können, ist es nicht nur unsere Pflicht. Es ist uns eine Freude, den Leuten Möglichkeiten zu geben, wo ihnen zuvor keine offenstanden.«

Sie glaubte, K’aia einlenken zu sehen. »Was meinst du dazu? Wirst du unsere Hilfe zulassen?«

Zu ihrer großen Enttäuschung schüttelte die Yollin jedoch abweisend den Kopf. »Mir geht es gut, danke.«

Sabine versuchte nicht weiter, sie am Gehen zu hindern.

Sie machte jedoch einen Zug, der Michaels Liebe würdig war, sobald die junge Außerirdische sich außerhalb der Hörweite befand. »Winstanley, setz eine Überwachungsdrohne auf sie an. Ich will wissen, ob sie in Schwierigkeiten gerät.«

Kommunikationszentrum der SSE-Flotte,
Stützpunkt der Raumflotte, High Tortuga

Die Begleitschiffe der Flotten umkreisten die vorher vereinbarten Koordinaten und warteten angespannt darauf, zu erfahren, ob die SSE-Schiffe, nach denen sie hier Ausschau hielten, es ohne Verfolger aus dem Ooken-System zurückschaffen würden.

Das erste Tor öffnete sich und alle im Raum hielten kollektiv den Atem an, als die Scoutschiffe der III. Generation in das System einflogen.

Allein.

Bethany Anne ließ erleichtert die Lehne des Stuhls los, an dem sie sich festhielt. »Scout-Flotte, wie schön, dass ihr alle wieder heil zu Hause seid.«

Mirabelles mit Rauschen unterlegte Stimme kam über den Lautsprecher. »Nicht ganz unversehrt, meine Königin. Diese schleimigen Arschkriecher haben Lorelei wieder einmal erwischt.«

Bethany Anne ließ den Kopf hängen. »Das kann ich mir vorstellen. Sie ist verdammt heldenhaft. Habt ihr es geschafft, sie zu bergen?«

Ein weiteres Sprungtor öffnete sich und spuckte drei SSE-Schiffe sowie einen Hagel kinetischer Geschosse aus. Das Tor schnappte glücklicherweise zu, bevor die Verfolger ihnen ins System folgen konnten und die beiden ersten EI-kontrollierten Scouts schleppten mühsam das dritte Schiff hinter sich her in Richtung des nächsten Großkampfschiffs.

Alle drei Schiffe waren fast bis zur Unkenntlichkeit beschädigt.

Bethany Anne gab ADAM die mentale Anweisung, sie zu überprüfen. Es würde nicht gut sein, ein trojanisches Pferd hier hereinzulassen.

>>Sehr richtig. Aber diese drei Schiffe sind sauber.<<

Das führende Schiff öffnete eine Verbindung zur Kommunikationszentrale. »Hier ist die SSE Savannah . Es ist uns gelungen, Lorelei zu bergen, aber es sieht nicht gut für sie aus.«

»Kommt herein«, forderte Bethany Anne die Flotte auf. »Wir bekommen sie im Handumdrehen wieder so gut wie neu hin.« Sie nickte den SSE-Technikern zu und verließ die Zentrale, um sich der nächsten Aufgabe zu widmen, die an diesem Tag auf ihrer Liste stand.

Bethany Anne freute sich nicht gerade auf das, was als Nächstes kam, also beschloss sie, zu Fuß zu gehen und wenigstens noch ein paar Minuten Normalität zu genießen, bevor die Kacke am Dampfen war.

ADAM meldete sich zu Wort, als sie den von der Kommunikationszentrale wegführenden Korridor halbwegs hinter sich hatte. >>Ich habe den Bericht der Flotte erhalten, wenn du dich jetzt damit beschäftigen möchtest.<<

Ist das so offensichtlich, dass ich eine Ablenkung brauche? Bethany Anne bemühte sich etwas von der Anspannung aus ihrem Körper zu zwingen. Schön, dann leg los. Was gibt es Neues von der SSE-Flotte?

>>Das Geschwader der III. Generation hat die Position einer sechsten Splitterwelt bestätigt und sie haben wie geplant die jüngsten Nachrichten des Geschwaders der II. Generation am vereinbarten Übergabeort abgeholt. Sie haben alle von dir angeforderten Informationen über die ersten drei Planeten erhalten. Ich übersetze sie gerade jetzt für dich.<<

Bethany Anne wollte nicht warten, bis ADAM sämtliche Daten ausgewertet hatte. Erzähl mir erst einmal nur das Wichtigste. Was ist da draußen los? Ist es so, wie wir vermutet haben?

>>Das ist es<< , bestätigte ADAM schlicht und überspielte ihr gleichzeitig die konkreten Daten auf ihr internes HUD. >>Die Ooken haben ebenfalls ihre Flotte ausgebaut … und sie sind offenbar bereit, in Kürze loszuschlagen.<<

Bethany Anne tippte sich nachdenklich mit dem Finger gegen die Lippen, als sie ADAMs Bericht überprüfte. Es war genau so, wie sie es angenommen hatte. Du hast recht. Sie könnten schon in ein paar Wochen für den Angriff vorbereitet sein.

>>Es könnte sich aber auch genauso gut noch immer um Monate handeln<< , konterte ADAM sachlich. >>Wir wissen es nicht mit Sicherheit.<<

Du hast die Nachrichten gesehen, die die Scouts abgefangen haben. Sie lechzen nach Blut für die Kolonie, die sie verloren haben. Bethany Anne ballte ihre Hände zu Fäusten. Was sie ihrer Familie zumuten musste, um sie alle zu schützen, brachte sie innerlich um. Wenn wir nichts unternehmen, können die Ooken im Sektor überall Chaos verbreiten, wohin sie ihre verdammten Schiffe auch steuern mögen.

ADAM sprach langsam, er war sich bereits sicher zu wissen wie die Antwort ausfallen würde, aber er wollte es von Bethany Anne hören. >>Was willst du also dagegen tun?<<

Bethany Anne wusste, dass es keinen anderen Ausweg gab. Da gibt es nur eins , gab sie zähneknirschend zu. Den Arsch zusammenkneifen und aufhören zu vermeiden, was getan werden muss, nur weil wir es hier gerade so gemütlich haben.

Wir ziehen in den Krieg.