Kapitel 6

Büro des Managements der Raumstation,
QBBS Helena, QT2-System

G iselle Foxton-Thomas betrat ihr Büro mit energischen Schritten und winkte mit einer Hand über ihren Schreibtisch, um den Holo-Bildschirm zu aktivieren. »Verbinde mich mit meiner Mutter«, befahl sie, wobei sie innerlich kaum etwas von der Selbstsicherheit spürte, die sie in ihrem Tonfall hörte.

Wenige Augenblicke später erschien Helena Foxton auf dem Holo-Bildschirm. Giselle strich nervös ihre dunkelblaue Bluse glatt, während sie darauf wartete, dass sich die Verbindung stabilisierte. »Wie geht es dir, Mutter?«

Helenas Augen funkelten vor Freude. »Umso besser, da ich dich jetzt sehe, meine Liebe. Na, Hasilein, freust du dich schon auf meine Ankunft?«

Ihre Tochter unterdrückte den in ihr aufsteigenden Drang, bei ihrem Spitznamen aus Kindertagen eine Grimasse zu schneiden. »Deswegen rufe ich ja an, Mutter. Heute am frühen Nachmittag wurde verkündet, dass wir uns offiziell im Krieg befinden. Die Königin befindet sich bereits auf dem Weg hierher, um das Kommando über die Flotte zu übernehmen. Ich denke, es dürfte sicherer für dich sein, wenn du im Gebiet der Föderation bleibst.«

Helena schnaubte elegant. »Das glaube ich nicht, Hasilein. Du vergisst, dass ich in den letzten Jahren des Leath-Krieges Journalistin war. Du hast doch bestimmt Holovideos von einigen der absoluten Dreckslöcher gesehen, in denen ich mich aufgehalten habe. Daher werde ich mit der im Vergleich bestimmt geradezu luxuriösen Ausstattung einer Kampfstation der Königin ohne jeden Zweifel hervorragend zurechtkommen.«

Giselle lächelte. »Gute alte Mutter. Ich kann mich immer auf dich verlassen.«

»Nicht ganz so alt«, entgegnete ihre Mutter gespielt beleidigt. »Ich habe mich erst vor fünfzehn Jahren einer Verjüngungskur unterzogen. Daher bin ich praktisch ein junger Hüpfer.« Helena zog eine perfekt gezupfte Augenbraue in die Höhe. »Aber ich bin mir sicher, du hast mehr als genug zu tun, ohne ein endloses Gespräch über Nebensächlichkeiten mit mir führen zu müssen.«

Amüsiert verzogen sich Giselles Mundwinkel kurz. »Das hätte ich jetzt nicht so drastisch ausgedrückt, aber du bist ja schon immer gleich zur Sache gekommen.«

Helena hob ihr Kinn an. »Na, das will ich doch hoffen. Aber mach du weiter mit deinem Tag, Hasilein. Wir sehen uns ja in aller Kürze persönlich.«

»Ich liebe dich, Mutter«, rief Giselle noch, als Helena die Verbindung auch bereits unterbrach. Sie lächelte kopfschüttelnd vor sich hin und rief ihre Tastatur mit einer Handbewegung auf.

Ein Teil ihrer Gedanken verweilte allerdings bei ihrer Mutter, während sie sich durch die nicht enden wollenden Verwaltungsaufgaben für die Raumstation arbeitete. Bei den meisten handelte es sich allerdings nur um Kleinigkeiten und Routinesachen, die sie an den zuständigen Manager oder Verwaltungsangestellten weiterleitete, damit er oder sie diese erledigte. Was übrigblieb, waren die Probleme, die niemand sonst lösen konnte.

Das heißt, niemand außer ihr. Giselle genoss die Herausforderungen, die auf ihren Schreibtisch landeten. Ihre Arbeit verschaffte ihrem scharfen Verstand die nötige Abwechslung, die es ihr erleichterte, überwiegend zu Hause bei den Kindern zu sein. Sie liebte ihre Familie über alles, aber drei Kinder unter fünf Jahren und ein Ehemann, der sich (zu Recht) in erster Linie um sein Kommando kümmerte, boten nur eine begrenzte geistige Stimulation.

Mit ihrem Job und den Anforderungen, die die Betreuung der Kinder mit sich brachte, würde es hier ziemlich einsam werden, wenn ihr Mann mit Bethany Anne abreiste.

Vielleicht war es noch nicht zu spät, sich mit ihrer Mutter näher anzufreunden.

Drei Enkelkinder und eine Raumstation, die nach ihr benannt ist, sollten doch wenigstens teilweise den Grundstein dafür legen.

Innenhof des Stützpunktes der Raumflotte,
High Tortuga

Bethany Anne kam endlich zu Hause an und legte die letzten paar Schritte über den sanft beleuchteten Innenhof zu Fuß zurück, anstatt wieder durch das Aetherische zu schlüpfen.

Sie befürchtete, vielleicht doch das Abendessen verpasst zu haben, bis sie die Haustür öffnete und den köstlichen Duft des Gulaschs roch. »Ich bin zu Hause!«, rief sie fröhlich.

»Wissen wir doch!«, ertönte es aus dem Wohnbereich.

»Ich weiß , dass ihr es wisst«, beendete sie das übliche kleine Ritual mit einem zufriedenen Lächeln und durchquerte das Wohnzimmer, um die Personen, die ihre Welt bildeten, auf der Küchenseite des Inselmoduls versammelt vorzufinden.

Michael drehte sich zu Bethany Anne um und alles, was er zu sagen hatte, stand deutlich in seinen Augen geschrieben. »Schön, dass du zu Hause bist.«

Bethany Anne warf ihm eine Kusshand zu und breitete dann ihre Arme aus. »Es ist gut, wieder zu Hause zu sein . Was muss ich jetzt tun, um hier in der Gegend etwas Liebe zu bekommen?« Ihr Magen gab ein lautes Knurren von sich.

Sie schnupperte verzückt, während sie je einen Arm um die Zwillinge schlang. »Und etwas von dem zu essen, was hier so köstlich duftet?«

»Ich stehe ganz auf Mamas Seite«, stimmte Gabriel sofort zu.

Bei der Äußerung ihres Bruders verdrehte Alexis stöhnend die Augen. »Das ist nicht überraschend. Du stehst immer auf der Seite von demjenigen, der das Essen hat.«

Ihr Vater lachte unterdrückt. »Ich habe das Essen. Und wir essen, sobald wir einen geeigneten Platz zum Sitzen haben.« Vielsagend wedelte er mit dem Löffel erst in Richtung der Zwillinge, dann zum Tisch. »Lasst eure Mutter mal hier heran. Ihr könnt euch in der Zwischenzeit schon mal nützlich machen, während ihr wartet.«

Alexis und Gabriel machten sich sofort daran, den Tisch zu decken, während Bethany Anne um die Insel herum in die Küche ging und vier tiefe Suppenschalen aus dem unteren Schrank holte.

Sie reihte sie neben dem Herd auf dem Tresen auf, damit Michael sie füllen konnte. Das Warten ist endlich vorbei. Ich habe den Wochenbericht von QT2 erhalten und wir sind bereit.

Michael nickte einmal kurz und nachdrücklich. Dann ist es für dich jetzt auch an der Zeit, endgültig eine Entscheidung zu treffen, Bethany Anne. Du kennst meine Meinung, aber wir müssen uns in der Frage einig sein.

Mit einem durchdringenden Blick hielt Bethany Anne ihn von seinen nächsten Bemerkungen ab. Ich habe meinen Entschluss gefasst. Alexis und Gabriel werden uns begleiten, vorausgesetzt, sie wollen es wirklich und verstehen auch, worum sie da genau bitten mit allen Konsequenzen.

Verständnisvoll nickte Michael erneut und wandte sich der nächsten Schale zu. Ich würde auch darauf bestehen, dass sie ihre Ausbildung fortsetzen. Sie haben noch immer eine Menge zu lernen.

Sie nahm zwei der Schalen und ging auf den Tisch zu. Ja, natürlich. Dazu wollte ich noch kommen. Ich fliege morgen früh zur Raumstation QT2. Ich möchte, dass du mit Alexis und Gabriel die Vorbereitungen triffst und ihr dann dort zu mir stoßt, bevor die Flotte abfliegt.

Michael drehte sich um, um seine Schöpfkelle in die Spüle zu werfen und folgte ihr mit den anderen beiden Schüsseln. Wann wird das genau sein?

Bethany Anne presste ihre Lippen aufeinander. Wenn ich auf Bart höre, in sieben Tagen. Dagegen versichert Qui’nan mir, dass es in fünf möglich ist.

Ihr Mann schmunzelte wissend, als er die Schalen auf dem Tisch abstellte. Wir werden also in drei Tagen aufbrechen?

Sie lachte leise. Schön wäre es ja. Wenn es nur um mich ginge, wäre ich schon auf halbem Weg dorthin. Das weißt du doch. Sie spürte ein sanftes Pochen am Rande ihres Bewusstseins. Einen Moment. Unsere Tochter versucht mal wieder, uns heimlich zu belauschen.

Warte mal kurz , drängte Michael verschmitzt. Das bietet uns eine hervorragende Gelegenheit um ihr eine Lektion zu erteilen.

Bethany Anne begegnete seinem belustigten Blick mit einem entsprechenden Glitzern in ihren eigenen. Dann schuf sie eine fast unmerkliche Lücke, gerade groß genug für Alexis, um sich hineinzuschleichen. Ich weiß natürlich nicht, was Barnabas davon halten wird, für zwei Teenager verantwortlich zu sein aber nach ein paar Jahren bei ihm lernt Alexis vielleicht endlich, wie man unsere Gespräche belauscht, ohne dabei erwischt zu werden .

Sie hörten ein schwaches mentales Quietschen und Alexis zog sich hastig zurück.

Bethany Anne warf ihrer Tochter einen strengen Blick über den Tisch hinweg zu, als sie sich setzte. »Geschieht dir ganz recht, weil du gelauscht hast.«

Alexis besaß den Anstand, beschämt dreinzuschauen. »Es tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen.«

Skeptisch zog Bethany Anne eine Augenbraue hoch. »Mm-hmm.«

»Wie ist dein Tag gelaufen, Mama?«, erkundigte sich Gabriel ablenkend, als sie alle vier am Tisch saßen und mit ihrer Mahlzeit begonnen hatten.

Bethany Anne griff nach dem Brotkorb. »Es war einfacher, als ich es ursprünglich befürchtet hatte. Tabitha und Peter waren in der Tat ganz froh, zurückzubleiben, und John und Jean fanden es ebenfalls in Ordnung, mal etwas Zeit getrennt voneinander zu verbringen. Die Jungs … nun das lief auch so ungefähr wie zu erwarten war.«

»Aber das machte es nur umso schwieriger«, ergänzte Michael die Worte, die sie nicht laut gesagt hatte.

Verlegen starrte Bethany Anne in ihre Schale mit Gulasch, während sie ein Stück von ihrem Brötchen in die Soße tauchte. »Ja, so ähnlich.« Dann lächelte sie ihre Familie schief an und schob sich das Brot in den Mund.

Natürlich meldete sich Alexis daraufhin zu Wort. »Aber warum ist es denn schwieriger? Wenn alle glücklich sind, müsste es das doch sicher einfacher machen.« Sie drehte sich um und nahm sich hastig ebenfalls ein Brötchen aus dem Brotkorb, ehe Bethany Anne ihn weitergab.

»Ich verstehe es auch nicht«, mischte sich ihr Bruder ein und spießte mit seiner Gabel ein Stück des zarten Fleisches auf. »Liegt es vielleicht daran, dass du sie alle mitnehmen willst, aber nicht kannst?«

Bethany Anne nickte. »Meine Kinder verblüffen mich immer wieder.« Sie reichte Michael den Brotkorb. »Werdet ihr Tabitha und Peter nicht vermissen, wenn sie nach Devon abreisen?«

»Eigentlich nicht«, meinte Alexis leichthin. »Tante Tabbie wird uns ja nicht wirklich verlassen.«

»Wir werden sie und Onkel Pete in der Spielwelt immer noch sehen können, wann immer wir wollen«, fügte Gabriel zur Erklärung hinzu.

»Es ist euch doch hoffentlich klar, dass sie nur sehr wenig Zeit haben werden, um sie in den Vid-Docs zu verbringen?«, hakte ihr Vater sofort nach. »Das ist kein Szenario im Spiel, Kinder. Wir haben keine festgelegte Liste von Aufgaben, die wir erfüllen müssen, damit wir gegen die Ooken gewinnen.«

Das Mädchen seufzte. »Wir haben auch nie geglaubt, dass es etwas so in der Art sein würde, Papa. Krieg ist bestimmt kein Spiel, wenn es um echte Leben geht. Ich bin auch sehr froh, dass Tante Tabbie auf Devon zurückbleibt. Dort ist sie relativ sicher und Onkel Pete und Todd ebenfalls.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber wir werden etwas Zeit miteinander verbringen können und das wird uns reichen, bis wir wieder vereint sind.«

Nachdenklich kaute Bethany Anne auf ihrem Brot, ehe sie sich erneut zu Wort meldete. »Mal abgesehen von den Witzen über euren Onkel Barnabas, ist euch eigentlich wirklich klar, was uns zu begleiten alles nach sich ziehen kann?« Sie hielt inne und wartete darauf, dass Michael bestätigte, was sie bereits wusste.

Die Zwillinge tauschten einen langen Blick aus, nickten dann und wandten sich mit demselben ernsten Gesichtsausdruck wieder ihren Eltern zu.

»Wir glauben schon, dass wir es begreifen«, erklärte Alexis ganz offen und wahrheitsgemäß. »Aber wir können es natürlich nicht mit Sicherheit wissen , ehe wir es nicht tatsächlich selbst erlebt haben.«

»Wir verstehen auch, dass wir noch nicht kämpfen können«, fuhr Gabriel sachlich fort, »trotzdem können wir aber sicher auf andere Weise einen Beitrag leisten.«

Kannst du das glauben? , fragte Michael völlig begeistert. Ich weiß, dass wir sie dazu erzogen haben, aber dass sich Kinder tatsächlich so entwickeln, wie man es geplant hat, kommt ziemlich selten vor, weißt du?

Bethany Anne leises Gelächter hallte durch sein Bewusstsein. Merk dir bloß diesen Gedanken. Sie sind bisher ziemlich behütet worden. Und sie haben noch sehr viel Zeit, um zu rebellieren, Liebling. Sie wurde kurz ernst. Aber glaub mir, ich weiß genau, wie viel Glück wir mit ihnen haben. Du hast Lillians Tochter nie kennengelernt.

Tiefe Belustigung schwang in seiner Stimme mit. Sie war ein rechter Teufelsbraten, nicht wahr?

Seine Frau wischte kopfschüttelnd den letzten Rest ihrer Soße mit einem Stückchen ihres Brötchens auf. Du hast ja keine Ahnung! Wie ich schon sagte, wir haben verdammtes Glück. Sie hielt mit dem Brot auf halbem Weg zu ihrem Mund inne, um endlich Alexis und Gabriel zu erlösen, die offensichtlich auf heißen Kohlen saßen.

In gespannter Erwartung ihrer Entscheidung hüpften die Zwillinge förmlich auf ihren Sitzen, denn sie wussten genau, dass sie das Einzige war, was zwischen ihnen und ihrer Hoffnung stand, etwas von der Galaxie zu sehen zu bekommen.

Mit einer Lässigkeit, die sie in Wirklichkeit nicht ganz verspürte, gestikulierte Bethany Anne mit dem Stück Brot. »Ihr dürft uns begleiten.«

Alexis und Gabriel sprangen gleichzeitig auf und stürzten auf sie zu, um sie zu umarmen.

»Du bist die Beste, Mama!«, rief Gabriel begeistert aus und drückte sie voller Überschwang fest an sich.

Seine Schwester griff von der anderen Seite zu und presste ihre Wange an die von Bethany Anne. »Danke, Mama. Wir werden dich und Papa nicht enttäuschen.«

Bethany Anne lachte und küsste sie auf die Stirn. »Eigentlich sollte ich hoffen, dass ihr das wenigstens einmal tut, sonst könnt ihr einfach nicht wirklich lebendig sein. Aber für den Moment ist diese Denkweise ganz gut. Ihr seid gute Kinder, und wir glauben, dass ihr reif genug seid, um nicht zu Hause bleiben zu müssen.«

»Eure Mutter und ich könnten nicht stolzer sein, zu welchen Menschen ihr euch entwickelt«, erklärte Michael lächelnd. »Ich werde euch heute Abend sogar von euren üblichen häuslichen Pflichten entbinden. Morgen fangen wir dann an, alles im Haus zusammenzupacken, also genießt eure freie Zeit.«

Gabriel wand sich aus Bethany Annes Armen. »Cool! Ich hätte nicht gedacht, dass ich heute noch Zeit zum Zeichnen haben würde.«

Alexis’ Reaktion war ein wenig extremer. Alarmiert ließ sie Bethany Anne los und wirbelte herum, um hektisch nach dem Arm ihres Vaters zu greifen. »Morgen schon? Oh nein, ich brauche länger als das. Erzähl mir die Einzelheiten , Papa. Wann ist unser genaues Abreisedatum und wer kommt mit uns? Welches Schiff werden wir nehmen? Gibt es eine Beschränkung, wie viel von unseren Sachen wir mitnehmen können?« Ihre Augen weiteten sich erschreckt, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. »Bitte sag mir, dass wir Phyrro mitnehmen können. Ich könnte es nicht ertragen, wenn wir ihn zurücklassen müssten.«

Michael schüttelte den Kopf und drehte das aufgeregte Mädchen an den Schultern sanft in Richtung Tür. »Morgen, mein Schatz. Hast du nicht irgendein Buch, das du schon längst einmal lesen wolltest?«

Sie nickte etwas mürrisch. »Ja, Papa.«

Gabriel verdrehte seine Augen. »Jetzt komm schon, Alexis, bevor du uns Hausarbeit statt Freizeit bescherst.« Er drehte sich zu Bethany Anne und Michael um. »Gute Nacht!«

Widerwillig erlaubte Alexis ihrem Bruder, sie aus dem Zimmer zu führen. »Nacht, Mama. Nacht, Papa.«

»Gute Nacht, Kinder«, erwiderte Michael mit einem nachsichtigen Lächeln. »Schlaft gut.«

Ihre Mutter warf ihnen beiden eine Kusshand zu. »Gute Nacht, meine Lieben. Ich sehe euch beide in ein paar Tagen wieder.«

Bethany Anne und Michael räumten die Sachen vom Abendessen weg und gingen zu Bett. Sie gähnte und lehnte sich an ihn, als sie den Korridor zu ihrem Schlafzimmer hinuntergingen. Was für ein gottverdammt beschissener Tag. Wenn ich auch nur noch einen Funken Energie in mir hätte, würde ich ins Bett schweben.

Michael nahm sie noch ein wenig fester in den Arm. Ich könnte dich jederzeit tragen , schlug er galant vor. Oder uns beide in eine aetherische Nebelform verwandeln.

Sie lachte unterdrückt. Das würde ich dir sogar erlauben, wenn wir nicht gerade einmal noch fünf Schritte von der Tür entfernt wären.

Als sie das Schlafzimmer betraten, ging Bethany Anne direkt auf das Bett zu und setzte sich auf die Kante. Sie schlug ein Bein über das andere, um ihren Schuh auszuziehen, während Michael seine nachlässig an der Tür abstreifte.

Bethany Anne blickte besorgt auf, als Michael mit seinem Hemd in der Hand an ihr vorbei ins Bad ging. Glaubst du, wir tun tatsächlich das Richtige? Ganz im Ernst?

Wir tun das, was wir für richtig halten , versicherte Michael ihr fest. Das leise Rascheln seiner in den Wäschekorb fallenden Hose war aus dem Badezimmer zu hören, gefolgt vom Geräusch fließenden Wassers. Wie es alle Eltern seit Anbeginn der Menschheit getan haben. Alexis und Gabriel sind der lebende Beweis dafür, dass wir erfolgreich sind.

Daraufhin presste Bethany Anne schmollend ihre Lippen zusammen. Ich hasse es, wenn du recht hast. Das passiert für meinen Geschmack einfach viel zu häufig. Sie seufzte und gähnte erneut, als sich der Schuh endlich löste. Habe ich eigentlich jemals herausgefunden, wie ich mich mithilfe des Aetherischen ausziehen kann? Ich bin gerade zu müde, um mich daran zu erinnern.

Das trockene Lachen ihres Mannes hallte in ihrem Bewusstsein wieder. Das weiß ich wirklich nicht, meine Liebe , erwiderte er milde. Aber ich schlage vor, dass du es schnell herausfindest. Das Wasser ist herrlich heiß.

Energisch nahm sie sich den Verschluss des anderen Schuhs vor. Ich brauche nur noch zwei Sekunden, dann bin ich bei dir.

Kommandozentrale des Netzwerkes, das Hexagon, Erste Stadt, Devon

Sabine tippte ungeduldig mit dem Fuß auf dem Boden und wartete darauf, dass Mark endlich Fortschritte bei der Suche nach K’aia machte. Es war schon fast eine Stunde vergangen, seit das Yollin Waisenkind ihre Drohne ausgemacht hatte und sie unerwartet geschickt abgeschüttelt hatte.

Mark drehte sich in seinem Stuhl um und sah sie eindringlich an. »Dein Seufzen wird es auch nicht schneller machen.« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, um sie aus seinen Augen zu streichen. »Wenigstens haben wir Bilder von ihr, mit denen wir nach ihr suchen können. Aber Winstanley und ich brauchen einige Zeit, um die Stadt zu durchsuchen, denn unsere Satelliten wurden mindestens tausend Jahre vor Michaels Geburt gebaut.«

Sabine stemmte die Hände in die Hüften und pochte noch lauter mit dem Fuß. »Du machst wohl Witze.«

»Nur ein wenig.« Mark zuckte nachlässig mit den Schultern. »Aber wir kommen ja gut voran und nach dem, was du und Ricole mir erzählt habt, kann diese Yollin auch ziemlich gut auf sich selbst aufpassen.«

Sie funkelte ihn böse an. »Aber sie ist noch so jung. Sie sollte sich nicht um sich selbst kümmern müssen!« Sabine seufzte und setzte sich auf den Stuhl neben Marks. »Du kannst mir nicht vorwerfen, dass ich mir Sorgen mache. Wir haben keine Ahnung, wo sie ist und was sie durchmacht.«

Mark wandte sich wieder der Konsole zu und tippte weiter. »Ich weiß, aber das Netzwerk ist halt nicht dafür ausgelegt, eine einzelne Yollin in einer riesigen Stadt zu lokalisieren. Wir arbeiten so schnell wir können, um sie zu finden.« Er zeigte auf einen anderen Bildschirm. »Da! Wir haben einen Anruf.«

Sabine warf einen Blick auf den Bildschirm und nahm den Anruf sofort an, als sie sah, dass es sich um Tabitha handelte. »Hi!«

Die ehemalige Rangerin grinste breit. »Selber Hai. Wie läuft’s denn so bei euch?«

Mark schob sein Headset von einem Ohr. »Ist das Tabitha? Grüß sie von mir.«

Daraufhin grinste Sabine. »Aber gerne doch. Wenn du mir das nächste Mal auf die Nerven gehst, kann ich es dann Jacqueline verraten.« Sie zwinkerte ihm neckisch zu und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Mark lässt ganz lieb grüßen.«

»Hi, Mark«, rief Tabitha fröhlich. »Richte Jacqueline schöne Grüße von mir aus.«

Sabine genoss die leuchtende Röte, die Marks Gesicht angenommen hatte, in vollen Zügen. Voller Schadenfreude grinste sie Tabitha an, die sich vor Lachen krümmte, während ihr Ton stumm geschaltet war. Nach einer Weile winkte Sabine, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Also, was kann ich für dich tun? Ich nehme an, das ist kein rein freundschaftlicher Anruf.«

In der Zwischenzeit hatte Tabitha sich wieder unter Kontrolle bekommen und den Ton wieder eingeschaltet. »Du hast richtig vermutet. Ich habe euch Jungs und Mädels ein paar ziemlich wichtige Neuigkeiten zu erzählen, aber ihr müsst sie vorerst für euch behalten.«

»Was liegt denn an?«, erkundigte sich Sabine neugierig.

»Bist du schon wieder schwanger?«, meldete sich Mark zu Wort.

Vor Überraschung blieb Tabitha glatt der Mund offen stehen.

Sabine beugte sich hinüber und gab Mark einen Klaps auf den Hinterkopf.

Er fasste sich an den Kopf. »AUA!«

»Du kannst froh sein, dass ich nicht gerade bei euch bin, um es selbst zu tun«, knurrte Tabitha empört. »Obwohl ich es sein werde. Und zwar schon bald. Das sind meine Neuigkeiten. Peter und ich werden für eine Weile nach Devon ziehen. Wir dachten, ihr wüsstet vielleicht eine gute Gegend, um uns niederzulassen.«

Abfällig schnaubte Mark. »Ja, High Tortuga. Dieser Planet hier ist immer noch die reinste Müllhalde.«

Die Augen verdrehend wies Tabitha auf Mark. »Muss er eigentlich unbedingt hier sein?«

Sabine nickte. »Leider, ja. Aber wir können dagegen woanders hingehen.«

»Großartige Idee«, stimmte Tabitha zu. »Ich habe nämlich schon ein Männlein, das mir ins Ohr quengelt. Oh, er hat gerade gekackt.« Sie hielt um Geduld bittend einen Finger hoch. »Ich bin in etwa acht Minuten zurück. Geh nicht weg.«

Lächelnd hörte Sabine ihr einen Augenblick lang zu, wie sie mit ihrem Baby gurrte, dann schaltete sie den Ton stumm, leitete den Anruf auf ihr Tablet weiter und machte sich auf den Weg. »Melde dich bei mir, wenn sich in Bezug auf K’aia etwas ändert«, rief sie über die Schulter.

»Ich sage dir sofort Bescheid, sobald wir etwas herausfinden«, versicherte Mark ihr. Er schaltete auf ihre geistige Verbindung um. Lass nur nicht zu, dass Tabitha mir wehtut.

Sie verdrehte ihre Augen, als sich die Tür hinter ihr schloss. Dann schlenderte sie zur Cafeteria auf der Ebene der Kämpfer, um sich dort eine warme Mahlzeit zu besorgen.

Tabitha meldete sich zurück, als Sabine sich mit dem mit Käse überbackenen Schinkensandwich, das der Koch hartnäckig als ›Welsh Rarebit‹ bezeichnete, sie aber unter dem Namen ›Croque Monsieur‹ kannte, an einen freien Tisch setzte. Sie lehnte ihr Tablet gegen den Gewürzkorb und pustete auf ihr Essen.

»Was hast du denn da?«, erkundigte sich Tabitha interessiert und musterte neugierig den dampfenden Teller.

Demonstrativ zog Sabine die beiden Hälften auseinander. »Käse … kein richtiger Käse, Schinken … kein richtiger Schinken, und Toast … das ist wenigstens tatsächlich richtiges Brot, da wir hier draußen Getreide bekommen können.« Sie klappte das heiße Sandwich wieder zu, biss vorsichtig ein wenig ab und kaute schnell. »Ich kenne ein paar nette Häuser, die zum Verkauf stehen. Ihr wollt doch genügend Platz für Besucher haben, oder?«

Nachdrücklich nickte Tabitha. »Oh, ja, auf jeden Fall. Vielleicht auf dem Land, aber trotzdem immer noch nah genug an der Stadt, um Leute zu sehen, wenn wir wollen. Und mit viel Platz im Freien.«

Sabines Augen leuchteten auf. »Was hältst du von einem Seeblick?«

Unschlüssig zuckte Tabitha mit den Schultern. »Weißt du, da bin ich zwiegespalten, aber ich glaube, Peter würde das gefallen. Aus irgendeinem Grund hat er eine Vorliebe für das Angeln entwickelt. Er schleppt mich immer wieder auf Szenarios mit Bootstouren mit.«

»Vielleicht lässt er dich ja zu Hause, wenn du ihm das in der realen Welt besorgst«, kicherte Sabine, die aber dann rasch wieder ernst wurde. »Eigentlich gibt es etwas, bei dem du mir helfen könntest.«

»Wenn ich kann, werde ich das gerne tun«, erwiderte Tabitha bereitwillig. »Was geht denn bei euch vor?«

Sabine erzählte schnell die bisherige Geschichte: wie K’aia aus heiterem Himmel im Hexagon aufgetaucht war, Ricole überraschenderweise ordentlich in den Hintern getreten hatte und dann einfach wieder verschwunden war. Und vor allem, dass sie irgendwie Sabines Überwachung abgehängt hatte.

»Ich möchte nur bestätigen, dass Bethany Anne diese Yollin tatsächlich kennt«, beendete sie ihre Erzählung. »Und wenn BA ihre Passage nach High Tortuga genehmigen möchte, dann sollte sie das besser tun, bevor die Kleine sich bei dem Versuch, sich illegal an Bord eines unserer Schiffe zu schleichen, noch in ernsthafte Schwierigkeiten bringt.«

Tabitha sah kurz blind in die Ferne. Eine Minute später nickte sie und wandte sich wieder an Sabine. »Schon alles erledigt. Außerdem halten sie jetzt alle Ausschau nach der jungen Yollin. Es wird ihr gut gehen.«

Erleichtert spürte Sabine, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. »Ich danke dir. Und du bist mit deiner Familie mehr als willkommen, bei uns zu bleiben, bis wir ein passendes Haus für euch finden.«

Aber Tabitha schüttelte den Kopf. »Wir möchten uns nicht aufdrängen.«

Sabine begriff sofort, dass Tabitha eigentlich meinte, dass sie ein kleines Baby hatte und sie daher selbst nicht gestört werden wollten. »Der Wohnteil des Gebäudes ist komplett schallisoliert. Wir leben alle in einer Wohngemeinschaft, also haben wir drei der Wohnungen zu einer zusammengefasst. Daher blieb die Penthouse-Wohnung für Gäste übrig und die könnt ihr wirklich so lange nutzen, wie ihr wollt.«

Prompt grinste Tabitha auch zufrieden. »Wenn das so ist, dann drängen wir uns gerne auf. Wir werden in ein paar Tagen eintreffen. Könnt ihr die Wohnung in der Zwischenzeit kindersicher machen?«

Allerdings brach Tabitha die Verbindung mit einem kurzen Gruß ab, noch ehe Sabine fragen konnte, was ›kindersicher‹ eigentlich genau bedeutete.

Sie schaltete den Bildschirm des Tablets aus und biss mit einem sehr französischen Achselzucken herzhaft in ihr Croque Monsieur . »Macht nichts. Ich werde es schon irgendwie herausfinden.«