QBS Achronyx, Außerhalb des Sperrgebietes
D ass sein mit ihm verbundener Mensch trauern musste, obwohl er etwas hätte tun können, um es zu verhindern, war ein Szenario, das für Achronyx nicht infrage kam. Alle KIs wussten, wie schrecklich es ADAM mitgenommen hatte, als Michael gestorben war und er für Bethany Anne absolut nichts tun konnte, außer in der schlimmsten Zeit für sie da zu sein.
Das würde seiner Tabitha jedenfalls nicht zustoßen.
Er überprüfte die Fortschritte seiner Drohnen, als er das Schiff aus der Formation der Verteidigungslinie hervorschießen ließ. Die anderen sahen dies als Erlaubnis an, in den Kampf einzugreifen, egal ob Tim einen Befehl erteilt hatte oder auch nicht, und die Schlacht begann im Ernst.
Das Sperrgebiet füllte sich sofort mit Geschossen aller Art von beiden Seiten, Plasmabeschuss und aetherische Entladungen trugen zu der stimmungsvollen Beleuchtung durch die offenen Sprungtore bei.
Tabitha hielt sich die Augen zu, als Achronyx das Schiff in einen korkenzieherförmigen Kurs zog. Und schon meldete sich Peter geistig bei ihr. Tim ist nicht besonders glücklich darüber, dass du eigenmächtig einen Frühstart hingelegt hast, Tabbie.
Tabitha spähte zwischen ihren Fingern hervor, denn sie wagte kaum hinzusehen, konnte aber ihren Blick dennoch einfach nicht vom Bildschirm abwenden. Da brauchst du mich nicht anzusprechen! Meine verrückte KI hat beschlossen, zur Rettung deines Arsches zu eilen. Auf allen Seiten der Achronyx explodierten Drohnen und Ooken-Jäger, während Achronyx sie mit Pucks zu Brei schlug. »Achronyx , werden wir es schaffen?«
»Es wird knapp werden«, gab Achronyx unbekümmert zu. »Aber solange sie uns weiterhin Dinge schicken, die so wunderbar in die Luft fliegen, werde ich genug Material zur Verfügung haben, um immer wieder neue Pucks herzustellen, mit denen ich mir den Weg freisprengen kann.«
Haltet euch bereit , wandte sie sich an Peter. Sobald die Bahn frei ist, gehen wir da raus und richten mal ein wenig richtigen Schaden an.
Das mit den Zerstörern war kein Scherz, oder?
Tabitha hörte das Lachen und die Liebe in seiner Stimme. Ach, Süßer, hast du etwa tatsächlich gedacht, ich mache Witze?
Er schnaubte leise. Nicht mal eine Minute lang, Schatz. Aber pass bitte auf dich auf, okay?
Du weißt, dass ich das tun werde. Achronyx würde es niemals zulassen, dass uns irgendetwas passiert. Sie grinste in Richtung des Bildschirms, auf dem zu sehen war, wie Achronyx alle paar Sekunden ein Ooken-Schiff ausschaltete und dann die noch glühenden Überreste einsammelte, um damit das nächste zu zerstören. Wir haben alles gut im Griff. Er macht hier draußen alles platt, im wahrsten Sinne des Wortes.
Fragend neigte sie den Kopf zur Seite, nachdem Peter die Verbindung unterbrochen hatte. »Wir haben doch alles, was wir brauchen, um ein paar von denen fertigzumachen, oder?«
»Oh, ja.« Achronyx’ Stimme klang überaus selbstgefällig. »Ich habe mir die besten Sachen für den Schluss aufgehoben.«
Tabithas Lippen verzogen sich amüsiert. »Sehr gut.« Sie blickte wieder auf den Bildschirm. »Die Flüchtlinge sind fast durch. In einer Minute sind wir dran.«
»Ich zähle nur noch fünf ihrer Schiffe«, bestätigte Achronyx voller gespannter Erwartung.
Die Kampfjäger schirmten das letzte Schiff ab, das die Verteidigungslinie überquerte, und damit war die Bahn für die Devon-Flotte frei, damit sie mehr tun konnte als nur die Flüchtlinge zu verteidigen.
Tims Stimme ertönte über die Lautsprecher. »An alle Schiffe der Flotte. Wir sind bereit zum Angriff. Die äußere Verteidigungslinie wird in zwei Minuten in Betrieb genommen und ich will nicht sehen, wie irgendwelche Flachwichser von diesen Satelliten gebraten werden, es sei denn, es hängen Tentakel von ihren hässlichen Fratzen herunter.«
Seine Stimme wurde leidenschaftlicher, als die Spungtore weiterhin Ooken-Schiffe ausspuckten, die sich gerade außerhalb der Waffenreichweite hielten. »Ihr seht euch vielleicht gerade all diese Schiffe an und fragt euch, wie wir gegen so viele gewinnen sollen. Habt Vertrauen in euch selbst und in eure Teamkameraden. Wir mögen in der Unterzahl sein, aber wir sind niemals waffentechnisch unterlegen. Die Ooken haben ganze Welten zerstört, nur um unsere Verteidigung auf die Probe zu stellen. Jetzt geht da raus und zeigt diesen Arschgeigen, was wir mit Dreckskerlen anstellen, die anderer Leute Zuhause verwüsten! «
Tabitha grinste breit. Sie erinnerte sich an die Zeit, als Tim noch ein eingebildeter Rabauke war, der reizbarer war als ein aus dem Winterschlaf gerissener Grizzly. »Du hast den Commander gehört, Achronyx . Mach alle Geschütze scharf und hör verdammt noch mal nicht auf, solange noch ein einziges ihrer verfluchten Schiffe übrig ist.«
Achronyx ließ das Schiff auf Hochtouren laufen. Er raste im Zickzack durch den Raumbereich und feuerte Pucks in alle Richtungen ab. »Ich werde mein Bestes geben, aber vielleicht wäre es nett, wenn wir für alle anderen etwas übrig lassen würden?«
Sie bleckte die Zähne und schüttelte ihren Kopf. »Wenn sie welche abhaben wollen, müssen sie darum kämpfen. Mein Baby ist da unten! Du hast ja keine Ahnung, wie verdammt sauer ich bin, dass die verdammten Ooken an unserer Türschwelle aufgetaucht sind.«
»Oh, das weiß ich wohl. Das ist der ›Vorteil‹, wenn man sowohl an Bord als auch empfindungsfähig ist. Ich bekomme heutzutage ein Feedback von deinen ganzen Emotionen.«
Tabitha kicherte. »Dann muss es mindestens eine von vier Wochen echt beschissen sein, in deiner Haut zu stecken.«
»Aber wenn ich diesen Witz reißen würde, würdest du neue und noch einfallsreichere Wege finden, um mir zu drohen«, schnaubte Achronyx empört.
Daraufhin zuckte sie nur unbekümmert mit den Schultern. »Du hättest dich halt dafür entscheiden sollen, weiblich zu sein.«
Sie durchbrachen eine weitere Reihe von kleineren Ooken-Schiffen und kamen immer näher an die Zerstörer heran.
»Die scheißefressenden Freaks wissen, wie man in der Überzahl spielt«, gab sie widerwillig zu, während ihr Blick auf die Bildschirme fiel, die den aktuellen Stand anzeigten. »Es gibt so verdammt viele von ihnen.«
»Dagegen sollten wir unbedingt etwas unternehmen«, merkte Achronyx in einem zerstreuten Tonfall an, der vermuten ließ, dass er gerade etwas in Arbeit hatte.
»Was hast du denn?«, erkundigte sich daher auch Tabitha sofort und ging zu ihrer Konsole hinüber, um das Schiffsinventar durchzusehen. »Woher stammen denn die ganzen Drohnen in den Frachträumen?«
»Ich habe sie mir von CEREBRO ausgeliehen«, erklärte er ihr scharf. »Bring sie mir aber bitte bloß nicht durcheinander, okay?«
»Na schööönn.« Tabithas Hand, die über den Aktivierungssequenzen geschwebt hatte, wurde rasch zurückgezogen. »Warum denn?«
Die frühere Leichtigkeit kehrte in seinen Tonfall zurück. »Lass mir nur eben Zeit uns einfach aus der Reichweite unserer eigenen Truppen zu bringen um näher an einen dieser Zerstörer heran zu kommen, dann zeige ich es dir.« Es trat eine kurze Pause ein. »Oh, warte mal. Ich habe kaum noch Munition.«
Achronyx vollführte einen Überschlag mit dem Schiff und schickte sie dann senkrecht in einen üblen Sturzflug hinunter, dem ein Hagel von Pucks vorausging, die er abgefeuert hatte, um ihnen den Weg freizumachen.
»VERDAMMTE SCHEIIIIIIISSSSE!« Es spielte überhaupt keine Rolle, dass Tabitha nichts davon spürte, schon allein der Anblick dieser rasanten Achterbahnfahrt auf dem Bildschirm gab ihr das Gefühl, die Hände in die Luft strecken und sich die Lunge aus dem Leib schreien zu müssen.
Achronyx erreichte den tiefsten Punkt und riss den Bug des Schiffes wieder nach oben, um die Trümmer aufzusammeln, die er bei seiner Zerstörung auf dem Weg nach unten verursacht hatte. »Fast fertig …«
Diesmal machte er sich nicht einmal mehr die Mühe, die Metallsplitter zu Pucks zu verdichten, sondern lud einfach alle sechs Sätze von Jean Dukes Railguns immer wieder nach und schoss die Trümmer wie überhitzte Schrotkugeln auf die feindlichen Schiffe ab.
Trotzdem waren die Drohnen und Jäger freundlich genug, sie auf dem ganzen Weg bis zum nächstgelegenen Ooken-Zerstörer reichlich mit den Mitteln für ihre eigene Vernichtung zu versorgen.
»Achte auf das Zielkreuz«, wies Achronyx sie an, als ein gelbes Dreieck auf dem Bildschirm erschien.
»Ähmmm …« Tabitha kaute auf ihrer Lippe. »Er befindet sich aber nicht auf das Schiff zentriert«, kritisierte sie.
»Sieh einfach nur zu.« Achronyx schoss fünf seiner umprogrammierten Drohnen ab. Vier verschwanden im Aetherischen, aber die fünfte schoss auf den Zerstörer zu. »Verdammt.«
Tabitha starrte ihn verblüfft an. »Was hast du getan?«
»Ich habe die Pläne für die ELFE gelesen und die Drohnen so angepasst, dass sie eine ähnliche Funktion erfüllen. Diese dort wird gleich spektakulär scheitern.« Die Drohne, die auf den Zerstörer zusteuerte, nahm plötzlich deutlich Geschwindigkeit auf.
Ihren Blick fest auf die Drohne gerichtet, kicherte Tabitha. »Hat William das System so genannt? Wofür steht das Akronym, und wie bei allen neuen Ringen der Hölle hat er Bethany Anne diesen Namen angedreht?«
»Zu a) habe ich nicht den geringsten Schimmer und zu b) habe ich keine Ahnung.« Achronyx wechselte den Kurs und die Sicht neigte sich erneut, während sich die externen Kameras auf die neue Flugbahn einstellten. »Einen Augenblick Geduld, während ich uns aus der Reichweite dieser abtrünnigen Drohne bringe.«
Überrascht blickte Tabitha stirnrunzelnd auf den Bildschirm. »Ähm, ich will ja nichts sagen, aber wir befinden uns überhaupt nicht in der Nähe der Drohne.«
»Wir sind viel zu nah«, murmelte Achronyx abgelenkt.
Tabitha beobachtete die Drohne misstrauisch, die auf dem Bildschirm rasch kleiner wurde. »Sag mal … glüht sie da etwa? Was hast du mit diesen Drohnen eigentlich angestellt, Achronyx ?«
»Das habe ich dir doch schon gesagt«, schnaubte Achronyx . »Sie sollte aber immer noch sehr effektiv sein.«
In dem Moment explodierte die Drohne und schleuderte aetherische Energie in einer hellen Korona nach außen, die in einer Distanz von Hunderten von Kilometern alles um sie herum zu Asche verbrannte.
Darüber hinaus gab es noch vier weitere Detonationen. Der grelle Blitz brannte einem in den Augen und Tabitha riss automatisch einen Arm hoch, um sich zu schützen.
Als sie ihn wieder sinken ließ, war der Zerstörer verschwunden.
Beim Anblick der Aschewolke, die mit den Sonnenströmen davon trieb und alles war, was von dem Ooken-Schiff übrig geblieben war, zog Tabitha beeindruckt die Augenbrauen hoch. Ihre Stimme klang dieses Mal sanft.
»Jaaaa, Jean wird sicher ein paar davon zum Spielen haben wollen.«
Außenposten der Ooken, Standort Nr. Sieben
Bethany Anne zog ernsthaft in Erwägung, die erwachsenen Leath einfach bewusstlos zu machen und sie durch das Aetherische zur Izanami schweben zu lassen, wenn sie nicht bald aufhörten, mit ihr zu streiten. Mal von allem anderen abgesehen, bestand die Gefahr, dass sie noch die Aufmerksamkeit der Ooken auf sich zogen.
Zum Glück für die Leath – und für sie – waren zumindest einige vernünftig genug, um zu erkennen, dass Bethany Anne ihre Zeit besser damit verbringen sollte, ihre Kinder zu finden. Daher überredeten sie die anderen, der ehemaligen Kaiserin zu erlauben, sie aus der Grube bis an die Stelle zu führen, wo Michael und Addix warteten.
Bethany Anne öffnete eine Verbindung zu Izanami , als sie Michael und Addix zurückließ, die die Leath aus dem Außenposten führen würden. Wie geht es den Kindern?
Sie haben die Aufgabe gut gelöst , berichtete Izanami. Die Pod-Docs sind alle fertig und stehen bereit.
Das ist gut. Ich möchte, dass Alexis und Gabriel sicher in den Vid-Docs sind, bevor auch nur ein einziger Leath seinen Fuß an Bord des Schiffes setzt. Außerdem kommen ein paar mehr an Bord, als wir geplant haben, und Michael und Addix müssen mit den einundzwanzig, die wir erwartet haben, abgeholt werden.
Ich verstehe , erklärte Izanami gelassen. Ich habe bereits zwei Pods zu Michaels geplantem Ziel geschickt. Ich würde mir keine Sorgen um die zusätzlichen Leute machen. Darum kann ich mich kümmern.
Das ist genau das, was ich zu hören gehofft hatte. Die größeren Sprünge durch das Aetherische musste sie sich für die Kinder aufheben. Sie waren offensichtlich nicht weit von hier entfernt untergebracht. Während sie die Erwachsenen aus der Grube geholt hatte, hatten diese ihr erzählt, dass sie das Weinen der Kinder gehört hätten. So, hast du irgendeine Ahnung, wo in diesem Höllenloch ich einen Haufen Kinder finden kann?
Ich kann mehr als das , versicherte Izanami ihr mit Stolz in der Stimme. Ich bin mittlerweile in der Lage, Lebenszeichen der Leath zu orten und zu differenzieren, die du suchst. Ich habe eine Wegbeschreibung an ADAM geschickt.
>>Ja, und wenn wir zurückkommen, will ich, dass die Scanner meines Schiffes so aufgerüstet werden, dass sie denen von Izanami gleichkommen.<<
Bethany Anne schnaubte abfällig. Ähm, klar doch. Absolut nein. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass wir bereits besprochen haben, dass du in absehbarer Zeit nicht mehr in dieses Schiff zurückkehren wirst.
>>Was auch immer.<< Er schmollte und verfiel wieder in Schweigen.
Bethany Anne folgte der Route, die auf ihrem internen HUD eingeblendet wurde, bis sie zu einem Punkt kam, an dem sie einer Sichtung durch die Ooken nicht mehr ausweichen konnte. Dort wechselte sie dann in die aetherische Dimension über.
Die Karte mit ihrer Route verschwand. Bethany Anne verdrehte genervt ihre Augen und marschierte weiter in die Richtung, in die sie zuvor eingeschlagen hatte.
»Na, das ist ja verdammt großartig.« Sie warf einen Blick nach links und dann nach rechts, ging aber geradeaus weiter. »Dumm herumraten zu müssen, ist grundsätzlich immer meine Lieblingsmethode, wenn ich eine Rettungsmission durchführe.« Sie meckerte weiter, schon allein als Ablenkung gegen die energetische Belastung, während sie sich durch das Aetherische fortbewegte. »Ich meine, eine KI an Bord, einen blinden Passagier oder auch nur eine verdammte Ahnung zu haben, wohin man geht, ist überhaupt nicht nötig, wenn Leben auf dem Spiel stehen, oder?«
ADAM und TOM tauschten schweigend das mentale Äquivalent eines wissenden Blicks aus, ohne dass Bethany Anne es bemerkte. Keiner von ihnen wollte sich freiwillig als Zielscheibe für ihre schwelenden mörderischen Gefühle anbieten.
Bethany Anne fuhr mit einer Hand über den linken Oberschenkel ihrer Rüstung und griff nach dem Schwertgriff, der sich in ihre Handfläche drückte. Sie aktivierte die aetherische Klinge und streckte ihren Kopf aus der aetherischen Dimension heraus, um ihre Position zu überprüfen. Als sie sich direkt einem zuckenden Nest von Tentakeln gegenübersah, zog sie ihn leise fluchend sofort wieder zurück.
Sie streckte ihre freie Hand aus und zog den überraschten Ooken zu sich ins Aetherische, warf ihn dann grob zu Boden und presste die Spitze ihres Schwertes in den fleischigen Teil unter seinen Tentakeln.
Der Ooken zappelte wild, bis die Schneide von Bethany Annes Klinge einen Tentakel anritzte.
»Was zum Teufel soll ich jetzt mit dir machen? Werden die anderen wissen, dass ich dich getötet habe, wenn du hier drin stirbst?« Sie presste die Lippen zusammen und überlegte eine Sekunde lang, dann zuckte sie mit den Schultern. »Ich denke, ich werde es gleich herausfinden.« Mit einer geübten Drehung ihres Handgelenks schlug sie mit dem Schwert zu und der Kopf des Ooken fiel auf den Haufen seiner abgetrennten Tentakel.
Bethany Anne rümpfte die Nase, als sie sich abwandte. »Ich glaube, ich werde eine Weile auf Spaghetti mit Fleischbällchen verzichten.« Sie kicherte hämisch und einen Augenblick später schaute sie wieder aus dem Aetherischen, wobei sie dieses Mal allerdings daran dachte, geistig zu überprüfen, ob die Luft rein war.
Die Routenkarte erschien wieder in der oberen Ecke ihrer Vision und sie stellte fest, dass das geradeaus und eine Ebene höher liegende Gebäude ihr Ziel war.
Ooken-Gedanken konnte Bethany Anne vielleicht nicht so gut lesen wie Michael, aber sie konnte mühelos spüren, wenn sie in der Nähe waren.
So wie jetzt.
Doch Bethany Anne hatte ihr Ziel im Blick. Ein weiterer kurzer Sprung durch das Aetherische brachte sie in das Gebäude, in dem die Ooken die Leath-Kinder als Geiseln festhielten, um das Wohlverhalten zu sichern.
Mühevoll unterdrückte sie ihre Reaktion auf die Bedingungen, unter denen die Kinder hier gefangen gehalten wurden. Der einzige, nackte Raum verfügte über keine Toilette, und die Kinder hatten weder Essen noch Wasser, soweit sie sehen konnte. Sie wünschte sich mehr als alles andere, diesen ganzen abscheulichen Ort zu zerstören.
Bald würde es soweit sein .
Die Kinder schliefen. Sie lagen zusammengekauert in einem roh zusammengestellten Bett, das für Bethany Anne so aussah, als sei es aus allem gemacht, was sie erbeuten konnten.
Eines der größeren Kinder öffnete seine Augen, weil es offensichtlich spürte, dass sich etwas verändert hatte. Er sah Bethany Anne im Schatten stehen und sprang zu Tode erschrocken auf. Ihm gelang es nur ein einziges entsetztes Wort hervorzuwürgen. »D… Kaiserin!«
Die anderen Kinder wachten auf und reagierten ähnlich. Eines der Kleinsten stieß ein schrilles Kreischen aus, und in der Luft lag plötzlich der Geruch nach frischem Urin.
Seufzend ging Bethany Anne vor ihnen in die Knie und streckte ihnen beruhigend ihre Hände entgegen. Man musste kein Gedankenleser oder Genie sein, um zu erkennen, dass sie für Generationen von Leath das sprichwörtliche Monster im Schrank darstellte. »Hey, ist schon okay. Ich bin hier, um euch zu helfen.«
Hektisch wichen die Kinder kriechend an die Wand zurück, als hätte sie ihnen gerade verkündet, dass sie gute Zutaten für eine Suppe abgeben würden.
Das kam nicht ganz unerwartet. Nicht jede Spezies, mit der sie in Kontakt gekommen war, betrachtete sie als Retterin und im Falle der Leath hatte es ein ganzes Jahrhundert an Motivationsarbeit gebraucht, um das Volk davon zu überzeugen, dass ihre Anbetung der Sieben mit Sicherheit das endgültige Ende der Leath herbeiführen würde.
Sie sollte dankbar sein, dass sie nicht als Baba Yaga hier aufgetaucht war.
Natürlich war sie das Ende, vor dem sie die Leath gewarnt hatte, und obwohl die Leath schließlich ihren falschen Göttern abgeschworen hatten, so war es doch keine große Überraschung, dass sie selbst das Objekt der warnenden Geschichten war, die die Leath an zukünftige Generationen weitergaben.
Bethany Annes gegenwärtiges Dilemma wurde damit allerdings nicht gelöst.
Leider hatte sie schon genügend Erfahrung mit solchen Situationen. Nun, zu viel Erfahrung und das leugnete sie auch nicht. Sie wusste, dass sie nichts für diese Kinder tun konnte, außer sich selbst aus ihren Erinnerungen zu löschen.
Doppelt bedauerlich war, dass die Kinder durch die Löschung ihrer Erinnerungen bewusstlos wurden.
Bethany Anne fühlte sich wegen dieses Nebeneffekts nicht so schlecht, wie sie dachte, dass sie es eigentlich sein sollte. Schließlich war sie nicht diejenige, die diese Kinder mit Geschichten über eine Frau erschreckt hatte, die sie in Wirklichkeit mit ihrem letzten Atemzug verteidigen würde, wenn es dazu käme.
Aber wenn sie den Kindern das zusätzliche Trauma ersparen konnte, das der Anblick ihrer schrecklichen Kaiserin verursacht hatte, dann war ein kurzes Nickerchen kein großer Faktor bei der Entscheidung.
Bethany Anne zuckte mit den Schultern und winkte mit der Hand in Richtung der Kinder. Anschließend schwebten ihre friedlich schlafenden Körper auf den Kissen aus aetherischer Energie, die sie unter ihnen geformt hatte, in die Luft und sie schaukelten hinter ihr in das Aetherische.
Die Tatsache, dass es ihr jetzt, nachdem sie nicht mehr wegrennen würden, viel leichter fallen würde, sie an Bord der Izanami zu schaffen, hatte natürlich nichts mit ihrem Mangel an Schuldgefühlen zu tun.
Überhaupt gar nichts.