W as ?« Ember drehte ihren Kopf in Richtung Haustür und blinzelte. »Nein. Nee. Niemals.«
»Ich sitze hier und sehe die Informationen vor mir.« Cheyenne erhob sich von ihrem Stuhl und zeigte auf den Monitor. »Ich wusste es. Ich wusste , dass dem Arschloch eine Sache in seinem kleinen Privatkonglomerat fehlte. Als ich es überprüft habe, hatte er alles, außer Waffen. Aber die hat er offensichtlich doch.«
»Das ist verrückt.«
»Ich weiß !«
»Warte einen Moment. Warte doch mal.« Ember kniff sich in den Nasenrücken und blinzelte wütend. »Ich weiß gar nicht, wie das möglich sein soll. Er ist so nett .«
»Darüber musst du hinwegkommen, Em.« Cheyenne schnappte sich die Metallkugel auf ihrem Schreibtisch, beugte sich über das Geländer und schob die kaputte Kriegsmaschine in Richtung ihrer Freundin. »Weil nette Jungs nicht die Programme schreiben, mit denen so ein Scheiß in unserer Welt funktioniert. Ne tte Leute sind nicht darin involviert, Technologie zu fördern, die von magischen Wesen aus Ambar’ogúl kontrolliert wird, die immer wieder Kriegsmaschinen schicken, um uns zu töten, während die Krone eine Invasion der Erde mit derselben verdammten Technologie vorbereitet.«
Sie warf die Metallkugel über das Geländer, wo sie in der Pfütze aus Embers beschworenem Regenwasser in der Ecke des Teppichs landete. Ein paar Tropfen spritzten auf Embers nackte Arme, aber sie spürte sie kaum. Sie nahm einen tiefen Atemzug. »Das hat er auf keinen Fall mit Absicht gemacht.«
»Hör auf, ihn zu verteidigen.« Cheyenne fuhr sich mit der Hand durch ihr knochenweißes Haar; ihre Drowmagie wurde durch ihre Wut noch verstärkt und sie schaute starr auf die Informationen auf ihrem Bildschirm. »Ihr habt also etwas Zeit miteinander verbracht, während er unseren ganzen Kram hier ausgepackt und Kunstwerke für dich an die Wände gehängt hat. Das reicht nicht aus, um ihn zu entlasten, Em. Matthew Thomas weiß genau, was er tut. Ein Typ wie er, der in so vielen Branchen seine Finger im Spiel hat, macht so etwas nicht aus Versehen.«
»Aber wir haben keine Kameras gefunden«, protestierte Ember. »Keine lilafarbenen Punkte, schon vergessen?«
Cheyenne schüttelte frustriert den Kopf. »Das beweist nur, dass er uns nicht ausspioniert. Also spezifisch dich und mich. Aber er ist ein scheiß Arschloch. Der Typ, der herausgefunden hat, wie man O’gúl-Technologie mit Erdtechnologie verschmelzen kann, ist unser verdammter Nachbar . Genau da. Gleich nebenan. Es ist mir egal, ob er weiß, wer wir sind oder wofür diese Maschinen benutzt werden, er ist der Grund, warum diese Dinger funktionieren!«
»Hör auf, mich anzuschreien, Cheyenne.«
»Ich schreie nicht!« Hinter den Augen des Halbwesens flackerte ein violettfarbenes Licht auf. Ember legte ihren Kopf schief und hob eine Augenbraue. In der gleichen Lautstärke fuhr die Halbdrow fort: »Vielleicht schreie ich. Aber ich schreie dich nicht an.« Cheyenne strich sich die Haare aus dem Gesicht und verschränkte die Arme. Die silbernen Ketten um ihre Handgelenke gruben sich in ihre Arme und Rippen und der leichte Schmerz holte sie in die Gegenwart zurück. »Tut mir leid.«
»Schon okay. Wir müssen nur darüber nachdenken.«
Cheyenne setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und überflog die neuen Daten. »Ich sollte nicht so überrascht sein. Ich wusste, dass der Kerl etwas Seltsames an sich hat, wie ein Parfüm, das den Geruch von verfaulendem Fleisch überdecken soll.«
»Okay, du kannst mit dem ›Ich hab’s dir ja gesagt‹ anfangen, wenn wir hundertprozentig sicher sind, dass das alles stimmt.«
»Oh, ich bin mir hundertprozentig sicher. Hier. Ich zeige es dir.« Cheyenne kopierte alle Informationen, die sie finden konnte und schickte sie an ihren Drucker. Während die Wohnung vom Brummen des Laserdruckers erfüllt war, der ein Blatt nach dem anderen ausdruckte, suchte sie in der Update-Historie nach der ersten verschlüsselten Datei mit Matthew Thomas’ Firmennamen. »Wenn du das siehst, wirst du nichts mehr leugnen können. Und er auch nicht.«
Ember wartete darauf, dass der Drucker fertig war. Als er fünf Minuten später immer noch lief, verdrehte sie die Augen, drehte sich im Wohnzimmer um und rollte in die Küche. Cheyenne saß mit verschränkten Armen in ihrem Schreibtischstuhl und beobachtete den Drucker, der seitenweise belastende Beweise gegen ihren Nachbarn ausdruckte. Jetzt habe ich dich, Arschloch .
* * *
Als Cheyenne alle ausgedruckten Daten zusammengetragen und zu einem möglichst ordentlichen Stapel aufgeschichtet hatte, hielt sie fast fünfzig Seiten in ihren Händen. Als sie den Aktivator abzog, ignorierte sie das scharfe Zwicken und steckte die silberne Spule in ihre Hosentasche, bevor sie die Treppe hinunterging.
Ember saß am anderen Ende des Couchtisches und nippte ruhig an einem halbleeren Glas Wasser. »Glaubst du nicht, du hast es ein bisschen übertrieben?«
»Nein.« Cheyenne warf einen Blick auf den Papierstapel und atmete tief aus. »Das ist erst der Anfang. Ich habe das alles aufgetrieben, ohne auch nur eine einzige Sache zu entschlüsseln. Ich meine, relativ gesehen.«
»Du meinst, deine Version von Entschlüsselung.«
»Ja.« Die Halbdrow reichte ihr den Stapel Papiere, der noch warm vom Drucker war und zeigte mit dem Finger darauf. »Er hat keine Ausrede, Em.«
Die Fae blätterte die Seiten durch und schüttelte den Kopf. »Das sagt mir wirklich gar nichts. Ich würde dich bitten, es noch einmal langsam zu erklären, damit jemand mit einem normalen überdurchschnittlichen Verständnis von … Oh.«
Ember hörte auf, die Seiten durchzublättern und überprüfte die Daten der Aktualisierungen, die jetzt oben auf dem Stapel lagen.
»Ja, oh.« Cheyenne verschränkte die Arme. »Es hört nicht auf.«
»Die sind fast fünf Jahre alt.« Die Seiten raschelten, als Ember sie schneller und schneller durchblätterte.
»Mindestens einmal im Monat in den letzten fünf Jahren, ja. ThomasSafe hat diese Programmierdateien aktiv aktualisiert. Ich wette mit dir um mein gesamtes Erbe, dass ich, wenn ich mir die Zeit nehmen würde, in diese Dateien einzutauchen, ständig aktualisierte Patches, Fehlerbehebungen, neue Update-Warnungen und so weiter finden würde. Matthew Thomas hat eine verdammte App für ferngesteuerte Kriegsmaschinen geschrieben.«
»Seine Firma hat die App geschrieben.«
»Em, er hat schon oft gesagt, dass er bei seinen Projekten gerne selbst Hand anlegt. In einem Interview meinte er, dass er jedes Jahr jede einzelne Stipendienbewerbung liest, die ihm Kinder für seinen blöden College-Fond schicken. Matthew ist nicht der Typ, der ein kompliziertes Projekt wie dieses anderen überlässt, während er sich zurücklehnt und darauf wartet, dass das Geld auf sein Konto fließt.«
»Denkst du, die Krone bezahlt ihn dafür?«
»Er tut es sicher nicht aus Herzensgüte.« Cheyenne stieß einen lauten Seufzer aus, als Ember ihr einen warnenden Blick zuwarf. »Noch mal, tut mir leid.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Hör einfach auf, mit mir zu reden, als wäre ich eine Idiotin. Ich versuche, die Sache von allen Seiten zu betrachten.«
Das ließ Cheyenne innehalten. Von allen Seiten. Das muss ich noch viel üben. Sie holte tief Luft und ließ ihren Kopf in den Nacken fallen, um ihren Blick auf die gewölbte Decke zu richten. »Okay, dann lass uns mal über alles reden, was hypothetisch möglich wäre.«
»Ich dachte, das tun wir gerade.«
»Beweise sind nicht hypothetisch, Em.«
Ember schnippte gegen den Stapel Papier in ihrem Schoß. »Das beweist, was seine Firma seit mindestens fünf Jahren macht. Was es nicht sagt, ist, wie stark Matthew in die Sache verwickelt ist oder was er glaubt, was seine Firma schon so lange erfolgreich durchführt. Es sagt uns auch nicht, warum er dem zugestimmt hat oder was seine Absichten waren.«
»Seine Absichten spielen keine Rolle.«
»Echt jetzt?« Ember ließ die ausgedruckten Seiten in ihren Schoß fallen und breitete die Arme aus. »Du stellst dich neben mich in diesem Stuhl und sagst mir, wenn jemand einen Fehler macht, sollten wir seine Absichten einfach ignorieren, weil sie nicht zählen?« Sie klatschte ihre Hände auf die Armlehnen.
»Ach, komm schon. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.«
»Nein, das sind sie nicht. Was, wenn Matthew keine Ahnung hat, wofür die Programme seiner Firma verwendet werden? Oder wenn er sich auf diese ganze Ogúl-Technik-App-Sache eingelassen hat, weil er dachte, er hilft den magischen Wesen, die den Übergang geschafft haben, hier anzukommen, hm? Wie unterscheidet sich das von der Tatsache, dass du dachtest, es wäre das Beste, mir in jener Nacht zum Skatepark zu folgen, anstatt mich direkt zu dem Treffen zu begleiten? Sag mir das.«
Cheyenne blinzelte ein paar Mal überrascht und schluckte. Kein Wunder, dass meine Mutter sie so sehr mag. »Kann ich nicht.«
»Danke. Also.« Ember hob den Stapel Papiere wieder auf und klopfte sie gegen ihre Oberschenkel, um den Stapel zu ordnen. »Und nur damit das klar ist: Nein, ich gebe dir immer noch nicht die Schuld für das, was in dieser Nacht passiert ist. Wenn ich wirklich ehrlich bin, war vielleicht das Beste, was mir je passiert ist, angeschossen zu werden.«
»Das ist mal eine Aussage.« Cheyenne verzog das Gesicht. »Aber wieso würdest du das sagen?«
»Ohne die ganze Krankenhaussache hättest du vielleicht nicht die Zeit gehabt, jeden zweiten Tag vorbeizuschauen und mir zu erzählen, auf welcher wilden Verfolgungsjagd du an dem Tag warst. Ich hätte keine Hilfe gebraucht. Keine Physio. Keine neue Wohnung.« Ember seufzte und kicherte. »Okay, vielleicht hättest du sowieso eine Wohnung wie diese gemietet, weil deine letzte Wohnung scheiße war.«
»Danke.«
»Tu nicht so, als ob dich das beleidigt.« Das Fae-Mädchen betrachtete ihre rosafarben schimmernde Hand und ihren gleichfarbenen Unterarm, die nun mit ihrer natürlichen Fae-Aura glühten. Dann hielt sie Cheyenne ihre Hand entgegen. »Außerdem glaube ich langsam, dass die Wirbelsäulenverletzung meine Magie zum Vorschein gebracht hat. Du weißt schon, dieser ganze Mist, dass Fae natürliche Heiler sind oder so. Und ich heile mich sogar selbst.«
»Okay.« Die Halbdrow nickte. »Ich verstehe, was du meinst. Solange du mir nicht dafür dankst , dass ich zugelassen habe, dass du angeschossen wirst.«
»Willst du mich verarschen?« Ember hob eine Augenbraue und schüttelte den Kopf. »Durg ist der Einzige, dem das zu verdanken ist und der kann mich mal. Aber ich kann mich bei dir bedanken, dass du mir das Leben gerettet hast und zu mir gehalten hast. Ich meine, du warst der einzige Mensch, der sich darum gekümmert hat, dass ich nicht einfach aus dem Krankenhausbett gehen und so weitermachen konnte wie bisher.«
»Ja, Em. Du hast mir schon dafür gedankt.«
»Aber im Ernst. Jetzt habe ich eine persönliche Chauffeurin in einem ziemlich schicken Auto, du zahlst für diese bequeme Wohnung und ich sehe die ganze Zeit wie eine echte Fae aus, weil irgendeine Verrückte in einer anderen Welt deinen Tod will.«
»Okay, okay.« Cheyenne kniff die Augen zusammen. »Hör einfach auf.«
Ember lachte. »Gut, wir verstehen uns also. Die eigentliche Frage ist, wie wir mit diesen neuen Informationen über unseren überraschend verstrickten Nachbarn umgehen.«
Die Halbdrow nickte und drehte sich um, um über den breiten, offenen Boden zwischen der Sitzecke und der nach Norden gerichteten Fensterwand zu gehen. Sie stieß ein schiefes Lachen aus. »Ich war eben ganz geladen und bereit, seine Tür einzutreten. Aber du hast mir einen Strich durch die Rechnung gemacht und jetzt ist alles wieder im Sande verlaufen. Bist du zufrieden?«
»Ja.« Ember salutierte kichernd. »Irgendjemand muss dir das unnötige Chaos ausreden. Sieht so aus, als hätte ich den Job.«
»Du bist die einzige Person, die nicht versucht hat, mich zu belügen, zu manipulieren oder zu bekämpfen, das war’s.« Die Freundinnen sahen einander mit ausdrucksloser Miene an, bevor Cheyenne schmunzelte und sich wieder von Ember entfernte. Das Fae-Mädchen lächelte und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, bevor Cheyenne fortfuhr: »Aber du hast recht. Ich habe all dieses Zeug gefunden und jemand muss etwas damit machen.«
»Ruf nur noch nicht Corian an, okay?«
»Was?« Cheyenne drehte sich um und schritt zurück zu ihrer Freundin. »Du sagst das, als wäre das meine beste Lösung.«
»Ich meine nur, noch nicht.«
Die Halbdrow verdrehte die Augen. »Weißt du was? Ich rufe ihn normalerweise nur an, wenn ich weiß, dass ich mit etwas konfrontiert bin, das ich allein nicht bewältigen kann oder wenn es für mich schlimmer wäre, ihn nicht anzurufen, als die Art von Gesprächen zu führen, die ich nicht mag. Wenn es dir viel vorkommt, dann liegt das daran, dass viel Mist ansteht und das meiste davon hat auf die eine oder andere Weise mit L’zar zu tun. Und dadurch auch mit Corian.«
Ember hob entschuldigend ihre Hände. »Ich habe nichts gesagt.«
»Das musst du auch nicht.« Tief durchatmend blieb Cheyenne neben dem Stuhl ihrer Freundin stehen und deutete mit einem Nicken auf die Papiere in Embers Schoß. »Ich werde einfach mit Matthew reden. Ich zeige ihm, was ich gefunden habe.«
»Stell Fragen, bevor du anfängst, Löcher in seine Wohnung zu sprengen. Alles klar?«
»Klar, was auch immer. Gut, dass meine Nós Aní mich wie ein Profi aus unnötigem Chaos herausreden kann.«
»Was? Oh , nein.« Ember wedelte mit den Händen vor sich und schüttelte den Kopf. »Ich stürme nicht mit dir da rein und beschuldige unseren Nachbarn, auf der falschen Seite zu kämpfen.«
»Noch mal: Es ist ein bisschen mehr als nur eine Anschuldigung, wenn wir Beweise haben.«
»Du brauchst mich nicht, um ihn zur Rede zu stellen. Ich bleibe genau hier.«
Cheyenne legte ihren Kopf schief. »Der Kerl hat offensichtlich eine Schwäche für dich, Em. Das werden wir ausnutzen.«
Ember verzog das Gesicht. »Sag das nicht so. Es klingt so …«
»Klug? Vorbereitet?«
»Herzlos.«
»Nicht im Vergleich zu dem, was passieren könnte, wenn die Krone mehr Kriegsmaschinen hierherbringt und die übernatürlichen Wesen, für die Matthew Programme geschrieben hat, es schaffen, eine ganze Armee von diesen Dingern zu aktivieren, um jeden auszulöschen, den sie wollen. Ein Panzer war schon schwer genug.«
»Bitte«, antwortete Ember. »Nur weil du ein bisschen mehr Zeit gebraucht hast, um herauszufinden, wie man es auseinandernimmt, heißt das nicht, dass es für dich schwer war.«
»Trotzdem. Du wechselst das Thema.«
»Okay, gut . Ich komme mit dir mit, aber erwarte nicht, dass ich mit dem Finger auf ihn zeige und ihm drohe.«
Cheyenne entgegnete: »Das ist mein Job.«
»Ich meine es ernst.«
»Sicher.« Die Halbdrow hob ihre Hände in der gleichen entschuldigenden Geste und senkte den Kopf. »Wir gehen da rein, legen alles offen und geben ihm die Chance, sich zu erklären.«
»Danke.«
»Dann werde ich anfangen, Löcher in seine Wohnung zu sprengen.«