C heyenne stellte ihren schwarzen Panamera vor Gúrdus Wohnhaus an den Straßenrand. Das hohe Piepen, als sie die automatische Verriegelung betätigte, brachte sie zum Lächeln, als sie den Gehweg zur Eingangstür des Gebäudes hinunterging. Ihr Lächeln verblasste ein wenig, als sie einen Blick auf das bräunliche Gras in der Ecke warf, die durch den Gehweg und den Bürgersteig gebildet wurde. Dort hat Maleshi ihre Eingeweide ausgekotzt. Das ist eine tolle Erinnerung, bei dem, was vor mir liegt .
Irgendwo hinter dem Gebäude gackerten zwei Hühner, aber der gereizte magische Nachbar des Raug hatte heute nichts gegen den Lärm einzuwenden. Cheyenne öffnete die schmutzig beschichtete Glastür und ging den offenen Flur des heruntergekommenen Wohnhauses entlang. Als sie Gúrdus Haustür erreichte, schaute sie sich kurz um und klopfte dann.
Die Tür öffnete sich sofort und eine Staubwolke regnete von der Oberseite des Türrahmens herab. Der riesige Raug dahinter schien es nicht zu bemerken und sah Cheyenne stattdessen eindringlich mit seinen glühenden, orangebraunen Augen an. Sein dicker, muskulöser, grauer Kiefer kaute knirschend auf etwas, von dem Cheyenne gar nicht wissen wollte, was es war. Er sieht aus wie ein Stier, der wiederkäut.
»Du bist interessiert.« Aus seinen Mundwinkeln quoll etwas Schwarzes, Schlammiges hervor.
Sie versuchte, nicht darauf zu starren und ihre Nase nicht wegen des Geruchs zu rümpfen. Wie eine Mischung aus Kupfer und gedünstete m Brokkoli. »Sonst wäre ich nicht den ganzen Weg hierhergekommen.«
Gúrdu grunzte und winkte sie mit einer fleischigen, grauen Hand mit dicken, geschärften, roten Nägeln herein. »Dann lass uns loslegen.«
Er wandte sich ab und ließ die Tür für sie offen. Cheyenne trat in den dunklen, staubigen Eingangsbereich der großen, vernachlässigten Wohnung des Raug und zog die schwere Metalltür mit einem leisen Echo zu.
Gúrdus hünenhafte Gestalt verschwand zwischen den baumelnden Holzperlensträngen, die von der Decke des Flurs hingen. Cheyenne presste die Lippen zusammen, als sie die letzten vier Stränge ohne Perlen am Ende des Holzstabs baumeln sah. Gut, dass Maleshi dieses Mal nicht bei mir ist, um einen weiteren Kampf mit diesem Ding auszutragen .
Sie fegte die klappernden Perlenstränge beiseite und bog nach links in den langen, breiten Raum ein, der sich über die gesamte Länge seiner Wohnung erstreckte. Niedrige natürliche Flammen flackerten in den Laternen, die von der Decke hingen. Cheyenne stolperte fast, als ihr Schuh an einem ausgefransten Stoffstreifen hängen blieb, der von einem der Dutzenden von Kissen baumelte, die auf dem staubigen Boden verstreut waren. Sie kickte die klebrigen Fetzen weg, wobei ein Stück vergilbter Stoff auf einem anderen Kissen landete.
Die große hölzerne Plattform im hinteren Teil des langen Raums knarrte und ächzte unter Gúrdus gewaltigem Gewicht, als er auf die gestapelten Kissen seines Orakelthrons kletterte. Auf dem Weg zu ihm achtete Cheyenne mehr darauf, wo sie hintrat und ignorierte die dunklen Gestalten, die unter den Kissen über den Boden huschten. »Ich nehme an, die Botschaften, von denen du gesprochen hast, sind eher Prophezeiungen, richtig?
Gúrdu hörte auf zu kauen und schluckte seinen riesigen Bissen mit einem weiteren Knacken und einem feuchten Schmatzen herunter. »Es ist gefährlich, so etwas anzunehmen, Hidna .«
Das warnende Knurren in seiner Stimme ließ sie drei Meter vor seiner Plattform stehen bleiben. »Mein Fehler. Du hast mich mit deiner Nachricht im Forum überrascht, also muss ich zugeben, dass ich ein paar voreilige Schlüsse gezogen habe.« Cheyenne räusperte sich.
Der Raug knurrte erneut, aber dieses Mal steigerte es sich in ein dunkles, schweres Glucksen, das im Raum widerhallte. »Als wir uns das erste Mal trafen, warst du nicht annähernd so voreilig, einen Rückzieher zu machen. Du solltest mal dein Gesicht sehen.« Ein breites Grinsen erschien auf seinen dicken, grauen Lippen, bevor es schnell wieder verschwand.
Cheyenne seufzte. »Mit meinem Gesicht ist alles in Ordnung. Du magst es nur, mich zu verarschen.«
Er breitete seine breiten Arme in einer langsamen, ausladenden Geste aus. »Ich war Zeuge der Nós Aní -Bindung der Aranél . Es ist eine seltene Gelegenheit, sich mit einer Drow anzulegen, Hidna. « Seine Lippen verzogen sich wieder zu einem eifrigen Grinsen und entblößten gelbe Zähne, an denen noch viele schwarze, matschige Essensreste klebten.
»Nun, ich bin froh, dass du das so amüsant findest.«
»Ich finde viele Dinge amüsant.« Gúrdus Lächeln verschwand erneut. »Dazu gehört nicht das, was du von mir hören wolltest, nur damit du bei diesem Besuch nichts anderes vermutest.«
Cheyenne bahnte sich langsam ihren Weg durch die restlichen Kissen zu ihm und zuckte mit den Schultern. »Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass irgendetwas, das mit einer Prophezeiung zu tun hat, lustig ist.«
»Da hast du recht.« Die leuchtenden, orangebraunen Augen des Raug blickten die Halbdrow starr an, als sie das am wenigsten eklige Kissen fand und sich darauf niederließ. »Nimm den Talisman ab, Hidna . Du hast hier drinnen nichts zu verstecken. Nicht, dass du es verstecken könntest , offensichtlich.«
»Den Talisman? Oh.« Schnell nahm sie Embers Illusionsohrringe ab und steckte sie in ihre Tasche. »Kein großer Unterschied.«
Er betrachtete ihre blasse Haut und ihr schwarz gefärbtes Haar. »Dieses Mal versuchst du nicht, etwas zu sein, was du nicht komplett bist.«
»Beim ersten Mal wollte ich Antworten von einem Raugorakel bekommen und dachte mir, wenn ich als Mensch vor seiner Haustür auftauche, komme ich nicht mal rein.«
Gúrdu gluckste wieder. »Du bist schlauer als du aussiehst.«
Cheyenne schnaubte. »Danke. Sollen wir weiter plaudern, als wäre das ein freundschaftlicher Besuch? Es ist deine Entscheidung. Ich habe nur ein paar andere Dinge aufgeschoben, damit ich wegen deiner Nachrichten hierherkommen konnte.«
»Ja, nicht mehr gelangweilt in deiner Wohnung eingesperrt zu sein, muss sehr enttäuschend sein.«
Die Halbdrow verengte ihre Augen und hob ihr Kinn. »Wenn ich nicht wüsste, dass du ein Orakel bist, würde ich denken, dass du mir nachspioniert hast.«
»Alle Orakel sind Spione, Hidna . Aber für wen? Das ist die Frage, die so viele gierige, kleine magische Wesen versuchen, zu verstehen.« Gúrdu schob seine dicke, graue Zunge zwischen die Lippen und schlürfte die schwarzen, klebrigen Reste seiner letzten Mahlzeit in seinen Mund. »Ich spioniere für mich selbst und gelegentlich auch für diejenigen, die ich gerne zu einem bestimmten Ergebnis führen würde.«
»So wie der Übergang mit L’zar.«
»Das ist ein solches Ergebnis. Sollen wir weiter über meine Motive diskutieren oder willst du aufhören zu reden und die Fäden aufnehmen, die ich für dich gezogen habe?«
Wieder spricht er vo n F ä den. »Lass uns mit den Fäden anfangen.«
»Hmm.« Gúrdu streckte eine rote Klaue nach der Schüssel mit Wasser auf dem nächsten Tisch aus. Die Schale blitzte in silbernem Licht auf und schwebte durch die Luft, bevor sie sich sanft neben den gekreuzten Beinen des Raug niederließ. Als Nächstes kam das silberne Tablett von einem anderen niedrigen, runden Tisch, der zwischen den Kissen auf dem Boden stand.
Und jetzt hebt er wieder alle Stöcke auf, taucht sie ins Wasser und isst sie.
Das Orakel grunzte beim Kauen, wobei Holzsplitter aus seinem Mund flogen. Er tauchte einen seiner krallenbewehrten Finger in die Schüssel mit Wasser, hob ihn dann an seine Stirn und zog eine klare, nasse Linie von seinem Nasenrücken über seine mit Holz besprenkelten Lippen bis hinunter zur Unterseite seines Kinns.
»Du wirst es hören, Hidna .« Das Bündel trockener Zweige landete auf dem Silbertablett. »So viele Dinge wurden um die Aranél des neuen Zyklus gewoben und nur eines ist es wert, mit dir kostenlos geteilt zu werden.«
Cheyenne setzte sich mit gekreuzten Beinen aufrecht hin und hörte aufmerksam zu. Endlich sagt mir mal jemand die Wahrheit, auch wenn sie in einer Prophezeiung verpackt ist .
»Die Fäden werden neu gewoben, Drow.« Gúrdu leerte seinen Mund, indem er die ganzen Stöcke in einem Zug herunterschluckte, und schloss die Augen. »Manchmal reißen sie. Manchmal, wenn wir dachten, dass sie verschwunden sind, tauchen sie wieder auf. In all der Zeit, in der ich das Gewebe gelesen habe, habe ich nur einen solchen Faden unverändert gesehen. Vielleicht bedeutet er etwas. Vielleicht ist es Blödsinn. Aber ich bin einer der Verlassenen, der den Zyklus neu drehen will. Wenn du etwas Nützliches darin findest, würde ich mich freuen, wenn es dir bei dem hilft, was du bereits vorhast.«
Er redet davon, den Übergang mit L’zar wieder zu machen. Das muss es sein. Ich werde nicht nach einer Erklärung fragen. Cheyenne legte die Hände in den Schoß und blickte das Raugorakel an, das inzwischen verstummt war, bis auf den langsamen, gleichmäßigen Atem, der seine mächtige Brust füllte und wieder aus ihm herausströmte wie eine Flut.
Gúrdus nächster Atemzug kam stockend, als er die Rückseiten seiner grauen Handflächen auf seine Knie legte. Dann keuchte er und öffnete seine Augen. Sie waren jetzt schneeweiß und sahen nur noch die Prophezeiung, aber die Flammen in den Laternen, die von der Decke hingen, wuchsen bis zu einem halben Meter hoch und nahmen den gleichen unheimlichen, grünen Schein an.
»Blut verbindet sich mit Blut. Blut fließt in beide Richtungen. « Die Stimme des Orakels erhob sich in einem rauen Knurren zu Dutzenden von Stimmen und hallte durch den Raum, als säßen sie stattdessen in einer steinernen Höhle.
»Die schwarzen Flüsse von Ambar’ogúl verdichten sich und warten darauf, den letzten Nachkommen und den ersten phér móre zu verkünden. Die Alten heulen in ihren Scherben des gestohlenen Wissens, während die Jungen von innen nach außen und von außen nach innen gekehrt werden. Das Herz verrottet. Das Herz klopft. Das Herz wird in beide Richtungen bluten. «
Gúrdu schwankte von einer Seite zur anderen, als er erneut keuchend Luft holte. Die grünen Flammen in den Laternen flackerten wieder auf und peitschten und stoben Funken in einem Wind, den es sonst nirgendwo gab. Ein tiefes, knurrendes Brummen ertönte aus der Kehle des Raug.
»Der Zyklus wird sich nicht für d en Cu’ón wenden, wie vorhergesehen. Er wird unter den Feuern der Rückkehr zerbrechen. Sie wird die Knochen der Darkpool-Käfige zertrümmern und wird nicht bleiben, um zu sehen, wie die Welt wieder aufgebaut wird. Blut fließt in beide Richtungen. Eine zu wählen ist das Leben. Wer das Leben wählt, wählt das Chaos. «
Das Orakel stieß einen feuchten, heftigen Husten aus. Der Raug hatte Mühe, noch einmal Luft zu holen, während sein riesiger Körper zitterte und jeder Muskel angespannt und steif war.
Cheyenne schaute sich im Raum um. Das sieht nicht gut aus .
»Um ihre Haut abzulegen. « Gúrdu hustete wieder, aber sein nächster Atemzug kam nicht. Stattdessen kam das gleiche nasse Gurgeln.
Woher soll ich wissen, ob das normal ist oder ob er an verdammten Stöcken erstickt? Sie ballte ihre Fäuste und lehnte sich nach vorn, bereit aufzuspringen und zumindest den Heimlichgriff zu versuchen, wenn es nicht bald besser wurde.
Dann peitschte der Kopf des Raug zurück und ein schrilles Heulen aus Dutzenden von jenseitigen Stimmen brach aus seinem klaffenden Mund. »Der Cu’ón übergibt seinen Nachkommen dem Verderben und der Verwesung. Blut verbindet sich mit Blut. Der phér móre ist das Schwert. Wenn es nicht richtig segelt, wird der Nachkomme sein Verderben sein. Die Brücken und der Fluss werden beide fallen. Das Schicksal läuft in beide Richtungen. Die Fäulnis sitzt tief im Blut. Die Fäulnis beschattet die Brücken. Die Fäulnis ist ihr Blut und ihr einziger Weg, sich das zu holen, was ihr schon immer gehörte, von dem, was er kein recht hatte, freiwillig zu geben! «
Ein weiteres Heulen ertönte nun aus der ganzen Umgebung. Gúrdus Körper bäumte sich auf und zuckte auf seiner riesigen Holzplattform.
»Scheiße.« Cheyenne sprang auf ihre Füße. »Gúrdu? Du kannst …«
»Das ist der einzige Weg! Und du wirst vor dem Opfer zittern, Tochter von L’zar, Tochter des Cu’ón, des dunkel grinsenden Webers. «
Gúrdus fleischige Hand löste sich ruckartig von seinem Knie und schlug quer durch den Raum, wobei sie einen Sprühregen aus zischenden, orangefarbenen Funken versprühte. Cheyenne sprang über die Kissen zurück. »Hey!«
»Dein Blut wird im Herzfeuer brennen. Dein Blut wird den reinigenden Sturm entfachen! « Die andere Hand des Raug tat das Gleiche, fegte eine unsichtbare Kraft beiseite und bewegte sich, als hätte jemand anderes die Kontrolle über einen Körper übernommen, der nicht zu ihm passte. Die Flammen in den Laternen loderten höher und zerplatzten in der Mitte mit schwarzem Licht, als Gúrdu mit seiner Geste die ersten beiden Reihen von Kissen mit seiner unkontrollierten Magie in die Luft schleuderte.
Cheyenne schlug ein Kissen beiseite, das ihr fast ins Gesicht flog und schüttelte das dicke Spinnennetz ab, das an ihrem Arm klebte. »Es ist Zeit, das Ding abzuschalten, Gúrdu. Kannst du mich hören?«
»Dein Blut wird sich mit Blut verbinden! Dein Blut fließt durch das Herz! Schneide das Herz heraus! Schneide das Herz heraus! « Das Orakel beugte sich vor und schlug mit einem ohrenbetäubenden Knall die Hände zusammen. Ein schwarzer Feuerball loderte zwischen seinen Handflächen, als er sie auseinanderzog, während der Rest seines Körpers immer noch zuckte und diese schrecklichen Geräusche von sich gab.
»Das war’s. Wir sind fertig.« Cheyenne schlüpfte in ihre Drowgestalt und beschwor zwei Kugeln aus schwarzer Energie. »Entschuldigung im Voraus.«
Gúrdu heulte mit Dutzenden von Stimmen und stürzte wieder nach vorn. Seine Augen und sein klaffender Mund loderten mit schwarzem Feuer, während die Flammen zwischen seinen Händen größer wurden und in silbernem Licht funkelten. Cheyenne zog ihren Arm zurück, um einen Angriff zu starten, doch dann züngelten die dunklen Flammen in den Laternen zu brennenden Säulen, die bis zur Decke reichten.
Ein lauter Knall ertönte hinter Cheyenne, gefolgt von einem zackigen Streifen blendenden, silbernen Lichts, der auf das von der Prophezeiung besessene Orakel zuraste. Die Schockwelle ließ die Halbdrow nach vorn stolpern, aber sie konnte sich nicht von dem Anblick abwenden, wie Maleshi in die normale Zeit zurückfiel und eine in silbernes Licht gehüllte Faust in die Seite von Gúrdus Gesicht schlug.
Das Schreien und Heulen verstummte augenblicklich, ebenso wie die schwarzen Flammen des Orakels und das dunkle Feuer, das in den Laternen brannte. Der ganze Raum versank in Dunkelheit und in der plötzlichen Stille klang das schwere Atmen aller drei unglaublich laut.
Die normalen gelben Flammen kehrten zu den Laternen zurück und erhellten den Raum wieder.
Cheyenne blinzelte und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, bis sie wieder die Plattform des Orakels betrachtete. »Was zum Teufel?«
Maleshi erhob sich über Gúrdu, der jetzt auf dem Rücken lag und seine riesigen Hände neben sich ausgebreitet hatte. Sie richtete sich auf, strich sich die Haare aus dem Gesicht und stieß einen langen, zischenden Atem aus. »Ich wollte schon seit Jahrhunderten dieses Orakel schlagen.«