Kapitel 22

D as sieht viel besser aus als beim letzten Mal.« Lumil knackte mit den Fingerknöcheln, als die Gruppe über die Lichtung auf den hoch aufragenden Portalkamm aus schwarzem Stein zuging. »Wer hat aufgeräumt?«

»Keine Ahnung.« Maleshi wischte unsichtbare Schmutzflecken vom Ärmel ihrer Uniform. »Wer auch immer es war, er hat hier einen Abstecher gemacht, bevor Cheyenne und Persh’al das letzte Mal durchgegangen sind.«

»Und wir waren es nicht?«, fragte Byrd.

»Ja genau, du Idiot.« Lumil schlug ihm auf die Schulter. »Wir haben alle Frachtkisten und Leichen aufgeräumt und zurück ins Lagerhaus gebracht.«

»Also, wo sind sie?«

Sie verdrehte die Augen. »Nicht im Lagerhaus.«

»Generalin.« L’zar drehte sich zu Maleshi um und zeigte auf die Türme aus schwarzem Stein. »Wenn es dir nichts ausmacht.«

»Anscheinend ist das meine neue Spezialität.« Maleshi trat vor und streckte ihre Hände in Richtung des Schleiers aus rosa schimmerndem Licht aus, der aus der Mitte des Portalkamms in den Himmel ragte.

Ember schwebte auf Cheyenne zu und beäugte die hohen Säulen vor ihnen. »Das Ding ist riesig.«

»Ja.«

»Dagegen sieht das bei deiner Mutter wie ein Baby aus.«

Cheyenne lachte leise. »Vielleicht ist es das. Das hier ist auf jeden Fall schon ein bisschen länger da.«

»Und du hast die verrückten Monster bekämpft, die aus diesem Ding kamen?«

»Ich hatte Hilfe.«

Lumil schlug mit der Faust in ihre andere Hand und warf einen Schauer hellroter Funken auf. »Mann, war das ein wilder Ritt!«

Ember lächelte. »Klingt, als hätte es dir gefallen.«

Die Koboldfrau schüttelte ihre Hand aus und kicherte. »Mehr als du denkst, Fae. Ich bin schon ganz aufgeregt.«

Die rosafarbene Lichtwand flackerte und verschwand dann. Maleshi ließ ihre Arme sinken und drehte sich um. »So, das war’s. Der Schild ist weg. Das Portal ist offen. Zeit, von der Erde zu verschwinden, was?«

Corian ging an L’zar vorbei und klopfte dem Drow auf den Rücken, bevor er sich auf den Grat des Portals zubewegte. »Wir gehen hindurch, und zwar so lange, bis wir durch das Tor auf der anderen Seite sind. Bleibt nicht stehen. Ändert nicht die Richtung. Bleibt dicht beieinander. Los geht’s.« Er winkte sie nach vorn und die Gruppe folgte ihm.

Ember atmete schnell aus und schüttelte ihre Handgelenke aus. »Das hier passiert wirklich.«

Cheyenne warf ihr einen Seitenblick zu und lächelte. »Du schaffst das schon. Was auch immer auf der anderen Seite der Felsen ist, es ist viel leichter zu besiegen als letzte Woche. Der Rest von uns kann kämpfen. Du schwebst einfach weiter.«

»Haha. Ich kann auch kämpfen. Glaube ich.«

»Wenn es das ist, was du im Moment in deinem Herzen hast, dann mach es, Em.«

Sie lachten leise, bevor sie hinter die magischen Wesen vor ihnen traten. Corian bewegte sich als Erster durch die Säulen aus glänzendem, schwarzem Stein und der Rest der Gruppe blieb ihm dicht auf den Fersen. Cheyenne strich mit ihren Fingern über das dicke, silberne Armband an ihrem Handgelenk, ließ ihre Magie aufsteigen und schlüpfte in ihre Drowgestalt.

Cheyenne machte sich auf das Gefühl gefasst, dass ein Elefant auf ihrer Lunge saß, aber es kam nicht. Sie ging weiter, ihren Blick auf Lumils gelbhaarigen Hinterkopf gerichtet und wartete auf die Veränderung.

»Scheiße.« Corian trat auf die andere Seite der Steinsäulen, wo der Wald am anderen Ende der Lichtung begann und drehte sich um.

»Ach, komm schon!« Byrd schlug mit der Faust gegen den letzten Pfeiler, als er ihn passierte und stapfte über das Gras auf der anderen Seite. »Da ist man so aufgeregt und dieses verdammte Portal raubt einem den ganzen Spaß.«

Ember und Cheyenne gingen hinter den anderen über den Grat. Das Fae-Mädchen schaute auf den hochragenden, schwarzen Stein. »Lasst mich raten: Das sollte nicht passieren.«

»Nein. Das sollte es nicht.« L’zar strich sich über das Kinn und schaute zu den Türmen.

»Maleshi?«

»Ich hatte nichts damit zu tun.« Die Generalin verschränkte die Arme. »Nur ein Schild. An und aus. Das Portal hat vor zwei Tagen noch einwandfrei funktioniert.«

»Und jetzt ist es nicht mehr so.« Corian trat zurück durch die Steinsäulen, aber er kam auf der anderen Seite genauso wieder heraus. »In Ordnung, erstes Hindernis.«

»Verdammt!« Byrd stapfte um den Rand des Portalkamms herum und gesellte sich zu Corian auf die andere Seite. »Riesige Steintürme schießen aus dem Boden. Hindernisse. Das wäre verdammt lustig gewesen, wenn ich nicht gerade so sauer wäre.«

»Hmm.« Corians Nase zuckte, als er das Portal anschaute. »Es nützt uns nichts, wenn wir uns jetzt darüber aufregen. Wir benötigen eine Alternative.«

»Ja, ich brauche etwas Befriedigendes.«

Lumil schnaubte. »Über Befriedigung machst du dir viele Gedanken, was?«

»Was soll das denn heißen?«

»Beruhigt euch, ihr zwei.« Maleshi ging zurück durch den Portalkamm und Cheyenne und Ember folgten ihr. Nur L’zar blieb auf der anderen Seite. »Unsere Alternative ist ein anderes Portal. Welche kennen wir?«

»Res 19 auf jeden Fall.« Corian verschränkte die Arme. »Dort gab es in letzter Zeit einen großen Zustrom von Agenten, die nur darauf warten, dass einer von uns etwas vermasselt.«

»Res 22 führt direkt nach Ki’uali«, warf Lumil ein. »Nicht da, wo wir hinwollten, aber es ist etwas.«

L’zar streckte die Hand aus und tippte langsam auf die nächste Säule aus schwarzem Stein. Ein hohles, metallisches Geräusch ertönte und er runzelte die Stirn. »Wir gehen nicht durch ein Reservatssportal.«

»Was?« Byrd wirbelte herum und blickte ihn zwischen den Säulen an. »Das ist die einzige andere Möglichkeit, die wir haben.«

»Es gibt noch ein Portal.«

Cheyenne ballte ihre Fäuste und funkelte ihren Drowvater an, der plötzlich und seltsamerweise viel mehr daran interessiert war, das tote Portal zu untersuchen, als ihr Problem zu lösen. Denk nicht einmal daran.

In der Sekunde, in der sie den Gedanken hatte, richteten sich L’zars goldene Augen auf sie. »In Henry County.«

»Nein.« Cheyenne schüttelte den Kopf. »Nein, wir werden keinen Ausflug zum Summerlin-Anwesen machen. Auf keinen Fall.«

»Wir wissen nicht einmal, wohin es führt.« Corian musterte L’zar, als der Drow sich langsam zwischen die glänzenden, schwarzen Säulen bewegte und mit den Fingern über jede einzelne strich, die er passierte.

»Es führt nach Ambar’ogúl.« L’zar trat aus den Steinsäulen und wischte sich die Hände ab. »Cheyenne hat das bewiesen.«

»Ja, aber ich bin nicht an demselben Ort herausgekommen wie alle anderen. Vielleicht ist in der Zwischenzeit etwas Seltsames passiert oder das Portal im Haus meiner Mutter war ein Zufall. Dort bin ich herausgekommen, nachdem Persh’al und ich getrennt wurden.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß gar nicht, warum ich darüber spreche. Das ist nicht der Punkt. Wir werden nicht dorthin gehen.«

L’zar richtete seinen Blick wieder auf seine Tochter. »Wenn wir nicht zu diesem Portal gehen, Cheyenne, kommen wir nicht nach Ambar’ogúl. Bist du bereit, alles so schnell aufzugeben?«

»Es gibt hunderte von anderen Grenzportalen auf der ganzen Welt. Such dir irgendeins aus!«

»Ah, ja. Welches Reservat eignet sich am besten, um durch die Tore zu gehen und zu sagen: ›Hallo. Wir haben den Geflüchteten mitgebracht, den eure Vorgesetzten suchen und außerdem sieben magische Kräfte, die ihr nicht in eurem verdammten System habt. Bitte lasst uns durch das Portal, das ihr zu besitzen glaubt‹.«

Byrd lachte leise.

Cheyenne legte den Kopf schief und biss die Zähne aufeinander, während sie versuchte, den Drow nicht zu verärgern. »Du bist ganz allein aus dem Chateau D’rahl geflohen, L’zar. Zweimal. Erzähl mir nicht, dass du nicht weißt, wie du an ein paar Dutzend Wachen vorbeikommst, die nicht nach dir suchen.«

Seine Wangen zuckten, als er ihr ein festes, unamüsiertes Lächeln schenkte. »Das ist genau das, was ich dir sagen will.«

»Ist das dein Ernst? Ein Reservat voller FRoE-Wachen ist zu viel für L’zar Verdys?«

Corian schritt auf sie zu. »Cheyenne.«

»Ernsthaft? Ihr taucht im Haus meiner Mutter auf und benutzt das Portal in ihrem Garten? Was glaubt ihr, wie das ankommen wird?«

»Nun, wir würden damit anfangen, nett zu fragen.« L’zar schmunzelte, obwohl der übliche Schalk diesmal nicht ganz durchschien.

»Ja, viel Glück dabei.« Cheyenne verschränkte die Arme. »Außerdem ist dort auch ein Team von FRoE-Agenten stationiert. Es sind keine Reservatswachen, aber wenn sie L’zar Verdys über den Rasen schlendern sehen, werden sie nicht anhalten, um Fragen zu stellen.«

L’zar breitete seine Arme aus. »Dann werden sie mich nicht sehen.«

»Du nimmst nichts ernst, oder?«

»Hey.« Maleshi stupste Cheyennes Arm an und zeigte auf das andere Ende der Lichtung. »Hast du einen Moment Zeit für mich?«

Cheyenne warf Ember einen verärgerten Blick zu und folgte dann der Generalin über die Lichtung, um ein privates Gespräch zu führen. Nur dass L’zar alles mitbekommen wird. Corian wahrscheinlich auch. So etwas wie Privatsphäre gibt es nicht.

Maleshi blieb stehen und sah die Halbdrow an. »Ich weiß, was du vorhast, Mädchen.«

»Ja? Und was?«

»Deine Mutter beschützen. Ich meine nicht vor Dazwischenmonstern oder magischen Erdbeben oder Kriegsmaschinen. Vor ihm.« Die Generalin deutete mit einem Nicken auf die Gruppe von magischen Wesen. L’zar hatte sich ins Gras gesetzt und die Beine unter sich gekreuzt.

»Er meditiert. Toll.« Cheyenne verdrehte die Augen. »Ja, ich versuche, meine Mutter zu beschützen. Sie rastet jedes Mal aus, wenn Magie oder Zauberei erwähnt wird. Sie hat fast eine ganze Flasche Scotch getrunken, als sie mir das Video vom Chateau D’rahl gezeigt hat, in dem L’zar sich nach ihrer privaten Silvesterparty wieder gestellt hat. Sie wurde schon genug in diese Sache hineingezogen.«

»Ja, das wurde sie und keiner von uns will sie weiter hineinziehen. Aber L’zar muss sich wirklich auf sein Ziel konzentrieren. Die Grenzreservate machen alles komplizierter. Zu vieles, was wir nicht kontrollieren können, könnte schief gehen. Und dieses Portal funktioniert nicht.«

Cheyenne fuhr sich mit der Hand über den Kopf. »Ja, ich hab’s verstanden. Ich kann es nicht glauben.«

»Wir werden dafür sorgen, dass sie nicht belästigt wird.« Maleshi nickte. »Und es ist ja nicht so, dass wir dort hinfahren, um uns zu verabreden. Sie wird uns dort nicht einmal sehen.«

»Doch, das wird sie. Bianca sieht alles.« Cheyenne seufzte und zuckte mit den Schultern. »Ich muss ihr sagen, dass wir kommen. Sie verdient es zumindest, das zu wissen.«

»Klar, ruf an. Und zwar beide. Du kannst die FRoE-Agenten dazu bringen, für ein paar Minuten beiseite zu treten, oder?«

»Das sollte möglich sein, ja.« Cheyenne zog ihr Handy aus der Gesäßtasche. »Wir werden sehen, was passiert.«

»Danke.« Maleshi legte eine Hand auf die Schulter der Halbdrow und drückte sie sanft. »Das ist noch lange nicht das Schlimmste, was passieren könnte.«

»Ja und es ist trotzdem scheiße.«

Maleshi zwinkerte ihr zu und gesellte sich dann wieder zum Rest der Gruppe, die um den meditierenden L’zar herumstand.

Cheyenne bemerkte, dass Ember sie besorgt beobachtete und breitete ihre Arme aus. »Ein Schuss ins Blaue, Em.«

»Fünfzig-Fünfzig Chance, richtig?«

Mit einem Nicken rief Cheyenne die Nummer von Rhynehart auf ihrem Handy auf und tätigte den ersten Anruf. Richtig. Fünfzig-Fünfzig Chance. Entweder ich schaffe das und es wird scheiße oder heute ist der Tag, an dem mir keiner mehr zuhört .

Rhynehart nahm nach dem dritten Klingeln ab. »Ja.«

»Du musst mir einen Gefallen tun.«

»Ach, ja? Du dachtest, du rufst mich dieses Mal an, anstatt wieder direkt zu Sir zu gehen, was?«

Ernsthaft? Wann hört das endlich auf? »Du redest vom neuen Portal auf dem VCU-Campus.«

»Verdammt richtig, davon rede ich. Ich dachte, du und ich hätten eine Abmachung.«

»Das haben wir, Rhynehart. Ich wollte dich nicht hintergehen und die ganze VCU-Situation ist nicht gerade eine Geheimsache. Ich wollte dich nicht mit etwas belästigen, das du ohnehin an ihn weitergeleitet hättest. Ich weiß, dass du immer noch da oben am Portal bei meiner Mutter bist, also habe ich, ob du es glaubst oder nicht, ein bisschen an dich gedacht, bevor ich Sir angerufen habe.«

Am anderen Ende der Leitung gab es eine kurze Pause, dann räusperte sich Rhynehart. »Also gut. Was ist dieses Mal dein Anliegen?«

»Ich möchte, dass du dein Team für etwa zwanzig Minuten von dem Portal wegrufst.«

»Willst du mich verarschen?«

Cheyenne seufzte. »Ja, Rhynehart. Ich habe dich nur angerufen, um deine Zeit zu verschwenden.«

»Willst du mir sagen, warum meine Jungs alle zusammen eine Extrapause bekommen, ohne dass jemand Wache steht?«

»Weil ich dich darum bitte, das für mich zu tun. Sag ihnen, sie sollen sich für zwanzig Minuten abwenden. Das war’s. Du kannst sie von mir aus zur Vorderseite des Hauses führen, solange sie hinten nichts sehen können.«

»Ich würde einen Krümel Info zu schätzen wissen, Halbblut.«

»Ich bin sicher, du kannst selbst herausfinden, warum ich möchte, dass dein Team das Portal für zwanzig Minuten in Ruhe lässt. Alles, was ich dir darüber hinaus sage, macht es für uns beide nur noch schwieriger. Du hast gesagt, dass du mir vertraust, dass ich mich um meinen Teil der Dinge kümmere. Bitte, Rhynehart. Vertrau mir einfach.«

Sein langsames, frustriertes Ausatmen durch die Nase ertönte rauschend durch den Lautsprecher. »Gut.«

»Danke.«

»Wann soll ich das machen?«

»In den nächsten fünf Minuten. Ich schicke dir eine Nachricht, wenn es an der Zeit ist, sie wegzuholen. Vorher muss ich mich noch um eine Sache kümmern, aber ich werde dich nicht lange warten lassen.«

»In Ordnung. Wenn irgendetwas wegen dieser Sache auf mich zurückfällt …«

»Das wird es nicht. Deshalb mache ich das so, wie ich es mache – damit niemand für etwas büßen muss, das ohnehin keine Folgen haben sollte.«

»In Ordnung. Ich werde auf die Nachricht warten.« Er legte auf und Cheyenne ließ ihren Kopf ganz nach hinten fallen und betrachtete den Himmel.

Das war ätzend. Aber das hier wird noch schlimmer sein.