C heyenne suchte die Handynummer ihrer Mutter heraus und zwang sich, den zweiten Anruf zu tätigen. Mit zusammengekniffenen Augen hielt sie das Handy an ihr Ohr und wartete.
»Bitte sag mir, dass dies ein höflicher Anruf ist, um mich darüber zu informieren, dass die Agenten auf meinem Grundstück zurückgerufen werden.«
Cheyenne biss sich auf die Lippe und öffnete ihre Augen wieder. »Hi, Mom. Ich wünschte, ich könnte dir das sagen, aber nein. Ich sage dir schon im Voraus, dass dir dieses Gespräch noch weniger gefallen wird, als die Jungs im Garten zu haben.«
»Nun, danke für die Warnung. Ich bin ganz Ohr.«
Sie wird sich am Ende nicht bei mir bedanken .
»Ich bitte dich nicht um Erlaubnis, denn ich werde es wahrscheinlich sowieso tun, auch wenn du es verbietest. Du hast es verdient, im Voraus zu wissen, dass ich in ein paar Minuten mit ein paar Freunden am Haus sein werde.«
»Ist Ember bei dir?«
Cheyenne hätte darüber fast gelacht. »Ja, Mom. Ember ist hier und ein paar andere Leute wie ich.« Spuck es aus und bring es hinter dich. Das Schlimmste, was sie tun kann, ist aufzulegen. »Und«, fügte sie zähneknirschend hinzu und kniff die Augen wieder zusammen, »er ist auch bei uns.«
Bianca sagte kein Wort und selbst mit ihrem Drow-Hörvermögen konnte Cheyenne nicht einmal Atemgeräusche vernehmen.
»Mom?«
»Ich habe dich gehört.«
»Okay. Es wird schnell und leise gehen, keine Konfrontation mit den Agenten dort. Dafür habe ich schon gesorgt. Wir gehen nur in den Hinterhof. Höchstens ein paar Minuten, dann sind wir wieder weg.« Mehr kann ich nicht dazu sagen, wie ich durch ein Portal in eine andere Welt gehe.
»Ja. Kürze und Schweigen werden sehr geschätzt.«
»Ich verspreche es, Mom. Wir werden dich überhaupt nicht belästigen.«
»Oh, der Zug ist abgefahren, Cheyenne, aber das ist nicht das Problem. Ich bin durchaus bereit, ein Auge zuzudrücken, wenn du und deine Freunde auf meinem Grundstück sind, aber nur unter zwei Bedingungen.«
Ja, natürlich. »Ich höre zu.«
»Die erste ist, dass wir nie wieder darüber sprechen, was für uns beide gut ist, denke ich. Zweitens, dass du sofort nach deiner Ankunft zu mir kommst und persönlich mit mir sprichst. Danach liegt es in deiner Hand, was du und der Rest deiner Gruppe tun wollt, und ich werde mich nicht einmischen. Aber ich möchte persönlich mit dir sprechen.«
»Auf jeden Fall. Das kann ich machen.«
»Gut. Gibt es sonst noch etwas?«
»Danke.«
»Du brauchst mir nicht zu danken, Cheyenne. Du hast es selbst gesagt. Du würdest hierherkommen, auch wenn ich es verbiete. Du hast recht, ich könnte dich nicht aufhalten. Du weißt, wie ich darüber denke.«
»Ja, das tue ich.«
»Dann weißt du auch, dass ich trotz meiner Gefühle und meiner persönlichen Meinung deine Entscheidung, mich anzurufen, bevor irgendetwas davon stattfindet, sehr respektiere. Das kann nicht einfach für dich gewesen sein.«
Cheyenne blinzelte und wandte sich von der Gruppe der magischen Wesen ab, damit sie ihre Überraschung nicht sehen konnten. Respekt von Bianca Summerlin, weil ich sie verärgert habe. Die ganze Welt bricht zusammen. »Okay. Nimmst du ein Dankeschön dafür an?«
»Ja, Cheyenne. Das werde ich akzeptieren.«
»Danke.«
»Du hast es dir verdient. Ich erwarte dich in Kürze an der Haustür.«
»Ich werde da sein.«
Bianca legte zuerst auf und Cheyenne benötigte einen Moment, um sich zu sammeln. Ich hoffe wirklich, dass ein persönliches Gespräch so gut laufen wird wie dieses. Völlig unerwartet .
Sie ging zurück zu den anderen. L’zar kreuzte seine Beine, stand mit einer einzigen fließenden Bewegung auf und richtete seine goldenen Augen auf seine Tochter. »Zeit zu gehen.«
Cheyenne hielt inne. »Ja. Alles ist bereit.«
Ein kleines Lächeln hob seine Mundwinkel an. »Ich bin es eher gewohnt, derjenige zu sein, der alles regelt, Cheyenne. Ich weiß immer noch nicht, ob es mir Spaß macht, es jemand anderem zu überlassen.«
»Ich bin mir sicher, dass es mir keinen Spaß macht, dich für dieses Portal zu meiner Mutter zu bringen, aber wir machen es trotzdem.« Sie breitete ihre Arme aus. »Stimmt’s?«
»Richtig.« Corian hob seine Hände. »Ist jetzt ein guter Zeitpunkt?«
»Sekunde.« Cheyenne schickte Rhynehart eine Nachricht mit einem Wort.
Jetzt.
Sie hielt achselzuckend ihr Handy hoch. »Gebt mir nur fünf Minuten. Ach ja, ich muss noch persönlich mit meiner Mutter sprechen, bevor wir das Portal erreichen. Es wird nicht lange dauern, aber das ist der einzige Weg, damit sie nicht durchdreht.«
»Mehr warten.« L’zar schluckte und schaute in den Himmel. »Ich liebe es.«
Drei Minuten später antwortete Rhynehart.
Alles geräumt.
Sie presste die Lippen zusammen und steckte ihr Handy zurück in die Tasche. »Zeit zu gehen.«
Corian warf L’zar einen kurzen Blick zu, bevor er ein Portal direkt in Bianca Summerlins Hinterhof zauberte. Der Drow stand stocksteif da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Augen geschlossen, und atmete laut und langsam durch die Nase.
Ember trat näher an die Halbdrow heran und senkte ihre Stimme. »Alles in Ordnung?«
»Nicht wirklich. Irgendwie ist es komisch, dass ich nervöser bin, wenn ich mich dem Zorn von Bianca stelle, als wenn ich mich auf einen Kampf einlasse oder den Übergang mache. So oder so.«
»Nun, deine Mutter ist furchteinflößend.«
»Ha. Ja. Weißt du, sie hat mir nie einen Vorwurf gemacht, weil ich so bin, wie ich bin. Nicht, dass sie es mag, aber sie hat es mir nicht übel genommen. Das hier fühlt sich an, als könnte sie das diesmal tun.«
Ember seufzte, als sich das Portal vor Corian öffnete und ihre Gruppe hindurchging. »Ich schätze, du wirst es einfach herausfinden müssen, oder? Es ist nicht das Ende der Welt, wenn sie dir die Schuld gibt.«
»Stimmt. Ich glaube nur nicht, dass sie darüber hinwegkommen kann, wenn das passiert.«
»Cheyenne.« Corian deutete auf das Portal. »Lasst uns gehen.«
Sie und Ember bewegten sich Seite an Seite durch das Oval aus dunklem Licht und traten auf Bianca Summerlins gepflegten Rasen hinter dem Herrenhaus. Sie standen vor dem viel kleineren Portalkamm, der sich zwischen ihnen und dem Waldrand erstreckte.
»Okay.« Cheyenne wandte sich dem Haus zu. »Das wird nur ein paar Minuten dauern. Scheiße!«
Draußen auf der gewundenen Veranda mit Blick auf das Tal und den Hinterhof stand Bianca mit einem vollen Glas Rotwein in der Hand. Sie bewegte sich keinen Zentimeter, während sie die Gruppe unerwünschter magischer Wesen anstarrte, die durch eine andere Art von Portal auf ihrem Grundstück erschienen war.
»Was?« Corian drehte sich um und die anderen folgten seinem Beispiel, um einen kurzen Blick auf Bianca zu erhaschen, bevor sie sich vom Geländer der Veranda wegdrehte und ins Haus schritt.
»Sie sollte uns nicht sehen.« Cheyenne verzog das Gesicht und machte sich auf den Weg zum Haus. »Ich kümmere mich um sie. Bleibt einfach da.«
Ich habe es vermasselt. Ich habe alles abgedeckt, bis auf den Teil, dass wir nicht mit einem Auto vor dem Haus auftauchen. Wie konnte ich das nur vergessen?
Die Halbdrow nahm die Steinstufen an der Seite des Hauses, zwei auf einmal, vom Hof aus den Hügel hinauf. Die Haustür schlug zu und ein FRoE-Agent fragte: »Ma’am, ist alles in Ordnung?«
Bianca ignorierte die Frage und stürmte um die Seite des Hauses auf ihre Tochter zu. Ihre blauen Schuhe wackelten auf dem Kies, als sie die letzte geschnittene Hecke umrundete, aber sie ließ keine Stufe aus, als sie an ihr vorbeilief und praktisch die Treppe hinunterrannte.
»Mom.« Cheyenne trat einen Schritt zur Seite und hob beide Hände, um sie aufzuhalten. »Es tut mir leid. Das war mein Fehler.«
Bianca sagte kein Wort, sondern versuchte stattdessen, um ihre Tochter herum auszuweichen.
Cheyenne blockte sie wieder ab. »Lass uns einfach unser Gespräch führen. Das können wir hier tun, von Angesicht zu Angesicht. Du musst da nicht runtergehen, okay? Lass mich das regeln.«
Ihre Mutter hörte auf, zu versuchen, einen Weg um ihre Tochter herum zu finden, und musterte Cheyennes Drowgestalt von Kopf bis Fuß mit wütendem Blick. »Es ist mir egal, ob du ihm im Moment ähnlicher siehst als mir, Cheyenne. Ich würde diesen Mann überall wiedererkennen. Geh mir aus dem Weg.«
Bianca schob ihre Tochter nicht zur Seite, sondern versuchte, durch sie hindurch zu laufen. Cheyenne trat schnell zur Seite, um zu vermeiden, dass eine von ihnen die Treppe hinunterstürzte und sah zu, wie ihre Mutter über den Rasen in Richtung des Portalkamms eilte. Japp. Der schlimmste Fall ist eingetreten.
Sie folgte ihrer Mutter und schüttelte den Kopf, als Corian und die anderen von Bianca zu ihrer Halbdrowtochter schauten. Dann bemerkte sie, dass L’zar nicht bei ihnen war. Na toll. Er ist wieder weggelaufen, damit er sich dieser Situation nicht stellen muss.
Bianca erreichte die Gruppe der magischen Wesen und blickte hektisch von einem Gesicht zum nächsten. Dann stürmte sie um sie herum und überprüfte erst die rechte Seite des Portalkamms, dann die linke. »Wo ist er?«
Keiner sagte ein Wort.
»Ich weiß, dass ihr reden könnt und ich weiß, dass ihr wisst, von wem ich spreche.« Die Frau drehte sich um und blickte sie an. »Ich erhebe selten meine Stimme, aber das ist einer dieser Momente. Wo ist er ?«
Cheyenne wurde langsamer und blieb neben Ember stehen. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und beobachtete entsetzt die Wut ihrer Mutter.
Ember lehnte sich zu ihr und murmelte: »Sollte sie hier draußen sein?«
»Ich habe es versucht. Die einzige Möglichkeit, sie aufzuhalten, ist, sie k.o. zu schlagen oder zu fesseln. Damit kommt niemand durch.«
»Miss Summerlin«, begann Maleshi sanft, »ich bin mir nicht sicher, ob das der richtige Zeitpunkt ist.«
»Du bist auf meinem Grundstück, wer auch immer du bist. Ich entscheide selbst, wann der richtige Zeitpunkt für meine Entscheidungen ist. Wenn du mir nicht sagst, wo er ist, bin ich dir dankbar, wenn du das, was du zu sagen hast, für dich behältst.« Biancas Brustkorb hob sich, als sie die Gruppe der magischen Wesen, die andere Seite des Gartens und die Baumreihe, die sich um den gepflegten Rasen schlängelte, mit Blicken abtastete. Dann erstarrte sie und nahm einen tiefen Atemzug durch die Nase.
Das Letzte, womit irgendjemand gerechnet hatte, war, dass Bianca Summerlin mit zurückgezogenem Arm herumwirbelte und mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, nach der Luft schlug. Nach einem lauten Klatschgeräusch wich sie zurück und schüttelte ihre brennende Hand aus.
L’zar legte die Illusion ab, die ihn unsichtbar machte. Er stand vor Bianca, starrte sie mit großen, goldenen Augen an, rieb sich den dunkelgrauen Fleck auf seiner Wange und grinste wie ein Verrückter. »Bianca. Lange ist’s her.«
»Oh, Scheiße.« Byrd hob eine Faust an seinen Mund und hustete. »Sie hat ihn gerade geohrfeigt .«
»Halt die Klappe.« Lumil stieß ihn mit einem lauten Schlag in die Rippen. Der Kobold bemerkte das kaum, denn er beobachtete – wie alle anderen – das unerwartete Wiedersehen von Cheyennes Eltern.
Biancas Kiefer bewegte sich ein paar Sekunden lang still vor sich hin, dann hob sie ihr Kinn und gewann ihre ruhige, gefasste Haltung zurück. »Ich will nicht wissen, wohin du gehst oder was du tust oder warum, aber lass mich das für dich klarstellen. Wenn du Cheyenne am Ende nicht wieder herbringst, werde ich dich ruinieren.«
Lumil holte scharf Luft. Corian und Maleshi, die zu beiden Seiten von Cheyennes Eltern standen, tauschten wachsame Blicke aus.
L’zar ließ seine Hand von seiner brennenden Wange sinken und neigte den Kopf. »Daran habe ich keinen Zweifel. Aber das muss unsere Tochter entscheiden.«
»Nein.« Bianca machte einen Schritt auf ihn zu und schien in ihrer Wut durch bloße Willenskraft ein paar Zentimeter größer zu werden. »Sie ist nichts weiter als eine Spielfigur für dich, L’zar. Cheyenne ist meine Tochter.«
Er musterte ihr Gesicht, immer noch grinsend, dann trat er einen Schritt zurück, breitete die Arme aus und senkte den Kopf. Aber er wich ihrem Blick nicht aus. »Da kann ich dir nicht widersprechen.«
Bianca sah ihn von oben bis unten an, dann drehte sie sich um und ging drei Meter zurück in Richtung Haus, bevor sie sich umdrehte und sich wieder selbstsicher hinstellte. Ein Finger tippte an die Seite ihrer marineblauen Hose, was das einzige Zeichen dafür war, dass sie wütend genug gewesen war, um nicht mehr als zwei Minuten zuvor zu schreien. Ihr Blick richtete sich kurz auf Cheyenne und sie nickte, bevor sie wieder wegschauen musste.
Ich hätte nie gedacht, dass sie sich schämt und sich gleichzeitig rechtfertigt. Woher zum Teufel wusste sie, dass er direkt hinter ihr stand?
L’zar gab Corian mit einer schnellen Geste ein Zeichen, die anderen zum ungeschützten Grenzportal zu führen. Corian und Maleshi gingen an ihm vorbei, gefolgt von den Kobolden und einer zögerlichen Cheyenne und Ember. Der Drow wandte sich wieder der Mutter seines Halbdrowkindes zu und legte eine Hand auf sein Herz. »Es ist schön, dich wiederzusehen, Bianca.«
Ihre einzige Antwort war ein bitteres Lachen und ein weiteres Anheben ihres Kinns, ohne den Blick von seinen goldenen Augen abzuwenden.
Mit einem leisen Kichern verbeugte sich L’zar noch einmal und drehte sich um, um von ihrem Rasen durch die Spitze des schwarzen Steins in das Dazwischen zu treten.
Bianca Summerlin stand auf ihrem Rasen und starrte auf den Ort, an dem sie alle vor ihren Augen verschwunden waren. Das Einzige, was ihre starre Wachsamkeit gegenüber dem Portal unterbrach, war das Geräusch von Rhyneharts Männern, die nach Ablauf ihrer zwanzig Minuten zurückkehrten. Rhynehart kam langsam auf sie zu und zeigte zurück zum Haus. »Miss Summerlin, es tut mir leid, Sie zu unterbrechen, aber es ist nicht sicher für Sie, hier draußen zu bleiben.«
»Ich stehe hier viel sicherer als auf der anderen Seite von diesem Ding.« Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und stürmte dann von seinen Agenten weg über ihren perfekt grünen und exquisit gepflegten Rasen, der von den zackigen Speeren aus schwarzem Stein, die ihre Tochter entführt hatten, gezeichnet war.