A ls die Gruppe das obere Ende der Treppe erreichte, befand sie sich in einer kreisrunden Kammer mit viel mehr magischem Licht als in der Folterkammer unten. Die Wände erstreckten sich fast drei Stockwerke um sie herum, doch die einzigen Türen befanden sich auf dieser Ebene. Sechs massive Türen aus Wellstahl mit verstärkten Riegeln schlossen jeden Eingang ab und der kreisförmige Raum war leer.
Corian blickte sich um und rümpfte verärgert die Nase. »So weit, so gut, aber es wird nicht lange dauern, bis jemand herausfindet, dass es einen Einbruch gegeben hat.«
»Sie können rausfinden, was sie wollen.« Lumil hob ihre Faust, um die funkelnde, rote Runen wirbelten. »Es bringt nichts, wenn sie es niemandem sagen können.«
»Nun, hoffen wir, dass das so lange der Fall ist, wie wir es brauchen.«
L’zar bewegte sich in einem langsamen Kreis durch den riesigen Raum. Seine Schritte hallten in einem gedämpften Flüstern durch die Staubschichten. »Wir müssen dem Stern eine Nachricht überbringen.«
Corian verdrehte genervt die Augen, bevor er seinen Blick auf den herumstreunenden Drow richtete. »Wie genau sollen wir das denn bitteschön machen? Wir haben für alle Eventualitäten vorgesorgt, nur nicht für diese. An jedem anderen Einstiegspunkt hätten wir die Mittel gehabt, aber hier nicht.«
»Sei offen für neue Ideen, Corian«, knurrte L’zar, während seine goldenen Augen den abgesplitterten, schwarzen Stein, der sie umgab, fixierten. »Ich bringe uns schon ans Ziel, aber wenn der Stern keine Ahnung hat, wann und wo unser kleines Rendezvous stattfinden soll, können wir genauso gut nackt und blind in diese Gegend laufen.«
Der Nachtpirscher hob eine Augenbraue und drehte sich nicht um, um L’zar zu folgen, als der Drow die Wand hinter ihm entlangschritt. »Du musst dich beruhigen.«
»Ich weiß, was ich aufs Spiel setze. Mach deine Arbeit.«
Corian schloss die Augen, atmete tief durch und ging dann auf Cheyenne zu. »Hast du den Aktivator?«
»Ja.«
»Leg ihn an.«
Sie zog die silberne Spule aus ihrer Tasche und hielt sie ihm entgegen. »Ich will es nicht vermasseln. Du weißt viel besser als ich, was du benötigst. Ich meine, wir sind doch jetzt in deine r Heimat, oder?«
L’zars bitteres Lachen schallte durch die Kammer, bevor es wieder verstummte und er ging weiter auf und ab.
»Nicht meine Heimat, Cheyenne. Nach so vielen Jahrhunderten, die ich auf der Erde verbracht habe, wette ich, dass sich der gesamte Mechanismus dieses Ortes weit über das hinaus verändert hat, was ich in der kurzen Zeit, die wir haben, erkennen kann.« Er blickte mit einem Nicken auf ihre ausgestreckte Hand. »In diesem Aktivator steckt jetzt mehr von dir als alles andere. Du könntest mir genauso gut deine Zahnbürste anbieten.«
»Oh, igitt.« Ember verzog das Gesicht und wandte sich ab.
»Okay, das ist die letzte Analogie, die ich von dir erwartet hätte, aber ich hab’s verstanden.« Cheyenne steckte sich die silberne Spule hinters Ohr, wartete darauf, dass es zwickte und ihre Augenlider aufhörten zu flattern, und sah sich dann in der Steinkammer um. Ihr fiel die Kinnlade herunter. »Das ist Wahnsinn.«
»Was?« Ember schwebte auf sie zu. »Bist du okay?«
Cheyenne untersuchte die Steinmauern, die nur scheinbar aus Stein waren. An den meisten Stellen waren sie aus O’gúl-Metall und trugen dieselben Frequenzen, Codes und Technik-Magie, die auch die Mauern und Straßen der äußeren Kreise Hangivols säumten. Ein paar dunkle Kästen blieben in den Wänden, wo der Stein nicht ersetzt worden war, aber das waren nur wenige. »Mir geht es mehr als gut. Es ist, als ob man die Gedanken von jemandem liest, aber dieser Jemand ist ein riesiges Servernetzwerk und ich stehe darin.«
Maleshi lachte. »Das war viel besser als deine Analogie.«
Corian ignorierte sie. »In Ordnung. Du musst einen Zugangspunkt finden, um eine Nachricht zu senden. Die Nachricht geht an einen ganz bestimmten Ort, der allerdings schwer zu bestimmen ist.«
Cheyenne näherte sich der Wand und ging langsam an ihr entlang. Sie betrachtete die Codezeilen und ließ ihren Aktivator sie tausendmal schneller durchsuchen. »Lass mich raten: Das liegt an den Dämpfungswänden, die L’zar in seinem geheimen Rebellenversteck unter der Erde angebracht hat.«
»Ha!« Lumil zeigte auf die Halbdrow und schlug sich dann eine Hand an den Kopf. »Wie zum Teufel kannst du das alles in den verdammten Wänden lesen?«
»Kann ich nicht.« Cheyennes Lächeln wurde immer breiter, während sie einen Datenblock nach dem anderen aufnahm. »Ich habe das schon erlebt.«
Diese Aussage lenkte L’zar davon ab, die Wände anzustarren, und er drehte sich zu seiner Tochter um. Seine Mundwinkel zuckten, dann nahm er seinen langsamen Gang wieder auf.
»Also, ich kann keine Nachricht in den Bunker schicken.« Der Aktivator zeigte ihr eine Spur aus blauem Code, die er heller als alle anderen darstellte. Sie griff nach dem Code und hielt inne. Berühre nichts, bevor du dir nicht sicher bist. Sie folgte der Spur um die Mauer und wartete darauf, dass der Aktivator und ihre synchronisierte Magie das Gesuchte allein durch ihr Gefühl finden würden. »Haben sie noch andere Endpunkte mit aktiver Technik? Direkt außerhalb der Mauern, meine ich.«
»Mehr als ein Dutzend.« Corian verschränkte die Arme und beobachtete sie. »Das ist das Problem.«
»Woher kommen sie am ehesten, wenn sie denken, dass es an der Zeit ist, sich mit uns zu treffen?«
»Quadrant A4, Abschnitt 482C, Unterabschnitt …« L’zar knurrte, schloss die Augen und murmelte vor sich hin, während er die verworrenen Pfade seiner Erinnerung durchging. »Unterabschnitt 87.«
Cheyenne blieb neben der nächstgelegenen Metalltür in der Wand stehen und rümpfte die Nase. »Mm.«
»Nein, Unterabschnitt 86.«
»Ja, das sieht richtig aus.« Cheyenne hob ihren Finger zu dem blinkenden Punkt in der Wand, den der Aktivator mit den Hangivol-Koordinaten aus L’zars Angaben für sie beleuchtet hatte.
Die Augen des Drows flogen auf, er richtete sie auf seine Tochter und grinste breit.
»Woah.« Ember tätschelte ihre Wange und schaute zwischen L’zar und Cheyenne hin und her, die auf der anderen Seite der Kammer standen. »Fühlt sich hier sonst noch jemand ausgeschlossen?«
»Gewöhn dich dran, Fae.« Lumil stupste Embers Schulter sanft an. »Wenn du es mit den Drow zu tun hast, gibt es immer eine Gruppe und du wirst nie ein Teil davon sein.«
»Hm.«
Cheyenne drückte fest auf den glühenden Punkt in der Wand und ein zitternder Energiestoß raste ihren Arm hinauf und in die Seite ihres Halses. Ihre Augenlider flatterten schnell und ein überraschtes Glucksen entwich ihr. »Oh, Mann!«
»Siehst du? So komisches Drowzeug.« Byrd zeigte auf die Halbdrow. »Wenn jemand anderes das hier sehen würde, würde er denken, dass sie es da drüben mit der Wand treibt.«
Lumil stürzte sich auf ihn und hob ihre Faust.
Er wich zurück, lachte und hob beide Hände. »Hey, hey. Nicht mit den Runen, hm? Komm schon. Es ist ja nicht so, dass wir anderen L’zar nicht schon in seinen verrückten Fetischphasen gesehen hätten.«
»Weißt du was?« Lumils offener Mund schloss sich, als Corian sich räusperte. Sie trat von Byrd weg und senkte langsam ihre Faust. »Ich lasse es gut sein.«
»Okay, ich bin drin.« Cheyenne stand da und drückte ihren Finger an die Wand, um den riesigen Hauptrechner mit der Mischung aus Technologie und Magie anzuzapfen, die den gesamten Bauplan von Hangivol durchzog. »Wie lautet die Nachricht?«
Corian analysierte den leeren Blick der Halbdrow und runzelte die Stirn. »Eine Änderung in letzter Minute war unvermeidlich. Neuer Eingang in der unteren Herzgrube. Auf dem Weg zum Herzen über …«
»Gib einfach unseren aktuellen Standort ein, Cheyenne.« L’zar verschränkte die Hände hinter dem Rücken und seine Lippen zuckten rhythmisch, als könne er sich nicht entscheiden, ob er die Stirn runzeln oder wieder grinsen sollte. »Das reicht.«
»Ja. Was dann?«
»Beeil dich. Das war’s dann auch schon.« Corian warf einen Blick auf Maleshi, die mit den Schultern zuckte und Cheyenne wieder dabei beobachtete, wie sie mit dem als Gebäude getarnten System kommunizierte. »Der nächste Teil ist ein bisschen kniffliger, Mädchen. Du wirst das hier verschlüsseln wollen.«
»Erledigt.«
»Was?«
Byrd brach in Gelächter aus.
Cheyenne löste langsam ihren Finger von der nicht steinernen Wand und holte zischend Luft, als der Energiestrom von ihrem Hals und Arm abfloss und durch ihre Fingerspitze nach außen drang. Dann sah sie Corian an und zuckte mit den Schultern. »Ich habe es abgeschickt.«
»Aber hast du es verschlüsselt?«
»Ja, dreilagig. Ich habe ein paar Hinweise hinterlassen, also sollten sie kein Problem haben, den Code zu knacken.«
L’zar brummte fasziniert und schritt weiter durch den Raum. »Der was ist?«
Sie schaute ihn von der Seite an und legte den Kopf schief. »Dieb.«
Ein leises Kichern kam von L’zar, aber er sagte nichts weiter.
Corian kratzte sich an der Seite seines Kopfes unter einem zuckenden Katzenohr. »Das gehört in ein Rekordbuch, Cheyenne. Gäbe es darin bereits Aufzeichnungen von Menschen, die auch nur die Hälfte von dem geschafft haben, was du gerade in zwei Minuten geschafft hast, wären die Seiten jetzt schon herausgerissen. Gut gemacht.«
»Danke, denke ich mal. Ich habe es nicht wirklich versucht.«
»Ja und genau das ist mein Punkt.«
»Okay, der vierzackige Stern hat also unsere Nachricht.« Maleshi sah L’zar an, als er einen weiteren Kreis durch die Kammer zog. »Oder er kriegt sie zumindest, hoffe ich. Das liegt nicht mehr in unserer Hand. Wir müssen weitergehen.«
»Bereit zum Aufbruch, Generalin.« Lumil gab Maleshi einen seltsamen, schrägen Salut.
Generalin Hi’et schaute die Koboldfrau an und schüttelte den Kopf. »Mach das nie wieder.«
Byrd kicherte und Maleshis silberne Augen richteten sich auf ihn.
L’zar trat in die Mitte der Kammer und drehte sich langsam im Kreis, wobei er jede der Metalltüren betrachtete. »Hier entlang.«
»Dann nach dir.« Maleshi bedeutete ihm, den Weg zu zeigen und die Gruppe versammelte sich hinter L’zar.
Ember schloss sich Cheyenne mit einem neugierigen Stirnrunzeln an. »Das war ein Trick mit den Wänden.«
»Da sagst du was. Das würde dich umhauen, Em. Wenn das alles vorbei ist, solltest du es wenigstens einmal ausprobieren. Mit deinem eigenen Aktivator, versteht sich.«
»Oh, ja, natürlich. Ich habe keine Lust, zwischen euch beiden zu kommen.«
»Sehr lustig.«
L’zar erreichte die Tür, die er wollte, und winkte mit der Hand davor. Das Metall blitzte in einem gedämpften, grauen Licht auf, öffnete sich rumpelnd und schob sich seitlich in die Wand. Noch bevor sich die Tür ganz geöffnet hatte, stürzte der Drow in den Korridor und alle anderen folgten ihm.
Er führte sie einen verwinkelten Gang nach dem anderen hinunter, alles aus schwarzem Stein. Nur die Hälfte der schmalen Gänge bestand aus verkleideten magischen Schalttafeln und Cheyenne warf einen flüchtigen Blick auf den Systemcode, der alles durchzog. So kann ich wenigstens erkennen, wenn jemand einen stillen Alarm auslöst .
Zehn Minuten später hob L’zar eine Hand, damit sie anhielten.
»Was ist hier los?«, fragte Ember, als sie sich mit dem Rücken an die Wand drückten und darauf warteten, dass L’zar sich weiter bewegte.
Cheyennes Drowgehör nahm verschiedene Stimmen auf, die irgendwo vor ihnen schrien und jammerten. »Kannst du das nicht hören?«
»Nein.«
»Gut. Willst du auch nicht.« Sie verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. Klingt, als wäre die Folterkammer im Keller nicht die einzige, die es hier gibt .
»Wir sind im Begriff, eine ziemlich große private Versammlung zu betreten.« L’zar schaute über seine Schulter und hob die Augenbrauen, während er Corian ansah. »Und es wird nicht schön werden.«
»Keine andere Route?«, fragte Maleshi.
»Leider nein. Das wäre kein Problem, wenn wir dort angekommen wären, wo wir hingehören.«
»Es lohnt sich nicht mehr, darüber zu streiten, L’zar.« Corian deutete auf den sich verzweigenden Korridor vor ihnen. »Konzentriere dich auf das, was jetzt möglich ist.«
»Ein Weg in den Innenhof.« L’zar rümpfte die Nase. »Durch zwei Mauern, diese ganze fröhlich klingende Versammlung und danach verzweigen sich die Gänge von dort. Wenn wir getrennt werden oder jemand den Verstand verliert wegen dem, was wir gleich sehen werden, denkt daran, dass ihr von hier an immer nach rechts geht.«
»Das würde uns nur im Kreis herumführen«, murmelte Ember.
Er beugte sich vor, um den Blick des Fae-Mädchens zu treffen und lächelte. »Nicht im Herz.«
»Dann gib den Befehl.« Byrd nickte.
»Hmm.« L’zar schaute wieder den Flur hinunter. »Lumil, du bist vielleicht die bessere Wahl, um uns durchzubringen.«
»Oh, ja .« Die Koboldfrau schlug ihre mit Runen umschlossene Faust in die andere Hand. »Ich mach das schon.«
»Dann bleib in der Nähe.« L’zar ging den nächsten Korridor hinunter.
Cheyennes Drowgehör nahm die immer lauter werdenden, qualvollen Schreie vor ihr wahr.
Ember schluckte und atmete schneller, als sich die Gruppe beschleunigte. »Was meinte er mit ›den Verstand verlieren, wegen dem, was wir gleich sehen werden‹?«
»Wo wir auch hingehen, es sieht schlimmer aus, als es klingt und es klingt schlimm.«
»Fantastisch. Zu spät um beim nächsten Halt auszusteigen?«
»Netter Versuch. Der nächste Halt ist der letzte Halt, Em.«