E s war ein wunderschöner sonniger Frühlingsmorgen in Lake Paradise, Nebraska, einem Viertausend-Einwohner-Städtchen mitten im Nirgendwo. Auf dem Stadtplatz blühten bereits die ersten Krokusse und Tulpen, Primeln und Narzissen, Hyazinthen und Stiefmütterchen. Der Rasen war satt und grün, hin und wieder hoppelte ein kleines Häschen vorbei, und der Duft nach Neubeginn lag in der Luft. Wenn man ein Stück raus Richtung See fuhr, konnte man bereits die ersten Entenküken des Jahres neben ihren Müttern auf der glatten Wasseroberfläche schwimmen sehen. Touristen wie Einheimische genossen bei einem Spaziergang die immer wärmer werdenden Sonnenstrahlen und die gute Laune, die all das mit sich brachte.
Wie an jedem Morgen um acht saßen auch an diesem Mittwochmorgen drei ältere Damen im einzigen Café der Stadt, dem Paradise Café , und tauschten sich über den neuesten Tratsch aus. Die drei waren keinesfalls gehässige Plaudertaschen, die nur darauf aus waren, die anderen Bewohner ihres Heimatortes bloßzustellen, nein, sie waren einfach gern informiert und gaben ihre Erkenntnisse an jeden weiter, der sie erfahren wollte.
«Was darf ich euch heute bringen?», fragte Nolan, der immer gut gelaunte Inhaber des Cafés. Passend zum Wetter trug er ein gelbes Hemd und eine grün-gelb gestreifte Fliege – anscheinend sein neuestes Fashion-Statement, denn er war überhaupt nie mehr ohne Fliege unterwegs.
«Bring mir bitte einen Caffè Latte und einen Marmor-Muffin, mein Guter, ja?», bat Murielle, die gerade ihre fünfjährige Enkelin in den Kindergarten gebracht hatte und später noch ein paar Stunden in der örtlichen Bibliothek aushelfen würde. Denn obwohl sie bereits das Rentenalter erreicht hatte, war das faule Herumsitzen nichts für sie, und sie brauchte immer etwas zu tun.
«Ich nehme einen Vanille-Macchiato und einen Kirsch-Muffin», sagte Sadie, die als die Jüngste der drei noch einen Ganztagsjob hatte. Sie war Inhaberin des Ice Cream Paradise , das neben köstlichem Eis auch vorzügliche Milchshakes anbot. Da sie den Laden aber täglich erst um zehn Uhr öffnete, blieb ihr glücklicherweise jeden Morgen genug Zeit, um mit ihren Freundinnen beisammenzusitzen und sich auf den neuesten Stand zu bringen, was die Bewohner und Geschehnisse von Lake Paradise anbelangte.
«Und ich hätte zu meinem Milchkaffee gerne irgendwas Frühlingshaftes», sagte Delores, die Älteste der drei und auch die Zurückhaltendste. Sie war seit Jahren im Ruhestand und einfach froh, noch am Leben teilnehmen zu dürfen. Und George, ihr ausgesprochen gutherziger Mann, bestärkte sie stets darin, morgens ins Café zu gehen, um ihre Freundinnen zu treffen, da er wusste, wie viel es ihr bedeutete. Den restlichen Tag verbrachten die beiden dann zusammen.
«Ich hätte einen Zitronen-Mohn-Muffin da, dekoriert mit einer hübschen gelben Blume aus Zuckerguss», schlug Nolan ihr vor.
«Oh ja, den nehme ich.»
«Das hört sich aber gut an, Nolan. Streich meinen Marmor-Muffin, ich nehme auch so einen», entschied Murielle sich um.
Nolan korrigierte auf seinem Block die Bestellung und sah Sadie fragend an.
«Ich bleibe bei meinem Kirsch-Muffin, danke. Heute ist Mittwoch, da esse ich immer einen Kirsch-Muffin.»
Interessant, dachte Nolan, das war ihm noch gar nicht aufgefallen, er würde mal darauf achten. Er fand es nämlich wichtig, immer für seine Gäste da zu sein, und in den zweieinhalb Jahren, die er das Café nun führte, glaubte er, die meisten von ihnen schon besser zu kennen, als es ein Café-Besitzer in der Großstadt je gekonnt hätte. Einige Kunden waren ein offenes Buch, und was er selbst nicht mitbekam, hörte er von anderen. In Lake Paradise war kein Geheimnis sicher, oder zumindest fast keins. Und doch mochte er diesen Ort, sehr sogar. Als er im Sommer vor drei Jahren hergekommen war, um seine kranke Großtante Alma zu besuchen, die auch erst im Jahr zuvor hergezogen war, hatte er sich sofort verliebt – und beschlossen zu bleiben. Denn wer einmal nach Lake Paradise kam, wollte nicht wieder weg. Das war eine Tatsache, genau wie die, dass die Tulpen und Narzissen auf dem Stadtplatz in jedem Frühling aufs Neue blühten. Und man konnte und sollte sich nicht dagegen wehren, denn Lake Paradise mit seinen endlosen Maisfeldern, seinem idyllischen See, seinen Festen und Paraden, seinem malerischen Stadtbild und seinen skurrilen, aber dennoch liebenswerten Menschen war nun mal die schönste Kleinstadt Nebraskas – und nach Meinung der meisten Einwohner sogar weit darüber hinaus.