«S ie haben wieder ganz fürchterlich gestritten, hab ich gehört», sagte Murielle am nächsten Morgen im Paradise Café und sah Sadie gespannt an. Denn Sadie war immerhin Savannahs Tante und musste doch sicher mehr zu dem Thema wissen.
Die nickte auch schon. «Ja, es war schlimm. Diesmal haben sie einander sogar richtig beleidigt, und dann ist Gene wütend aus dem Haus gestürmt.» Das hatte Sadie von ihrer Schwester Teresa erfahren, nachdem Savannah diese noch am Abend angerufen und sich ausgeweint hatte.
«Wieso bleibt sie nur bei einem Kerl wie dem?», fragte Murielle und schüttelte verständnislos den Kopf. «Der kann ihr doch gar nicht das Wasser reichen.»
«Sie muss ihn wirklich lieben», meinte Delores. «Und wahrer Liebe versucht man immer noch eine Chance zu geben.»
«Wahre Liebe, pah!» Murielle rührte so doll in ihrem Kaffee, dass ein wenig davon überschwappte. Schnell nahm sie eine Serviette und wischte die verschüttete Flüssigkeit weg. «Die Kleine kann nicht mehr rational denken. Ich würde den Teufel tun, mit so einem Mann zusammenzubleiben.»
«Ja, du lebst lieber ganz ohne Kerl», sagte Sadie, die zwar ebenfalls allein lebte, aber nur, weil ihr Mann bereits von ihr gegangen war, und nicht, weil sie es sich so ausgesucht hatte.
Murielle ließ die nasse Serviette neben ihren halb aufgegessenen Bagel fallen, schob den Teller von sich und faltete die Hände. «Na, ihr seht ja, dass das manchmal die schlauere Wahl ist. Männer bringen nur Probleme mit sich.»
«Also, mein George macht mir nie welche, er ist ein Engel auf Erden», widersprach Delores, die, wie jeder wusste, ihren Ehemann über alles liebte.
«Ja, da hast du recht. Dein Göttergatte ist aber einer von tausend, mit ihm hast du echt Glück gehabt», musste Murielle eingestehen.
«Ja, das hab ich.» Delores lächelte vor sich hin.
«Können wir bitte wieder zum Thema Savannah zurückkommen?», bat Sadie. «Ich mache mir nämlich wirklich Sorgen um sie.» Das war nur zu verständlich, da Savannah ihre einzige Nichte war. Ihre Tochter Lucy war noch vor ihrem Highschoolabschluss aus Lake Paradise weggegangen, und Sadie hörte nur sehr selten von ihr – umso mehr hatte sie Savannah ins Herz geschlossen, die immer für alle da war.
«Ja, natürlich. Kein Wunder, dass du dir Sorgen machst», sagte Delores und zupfte mit den Händen ihr Haar zurecht. Im vergangenen Herbst hatte sie sich für den Bob entschieden, nachdem sie einige Jahrzehnte ihr langes, inzwischen weißes Haar zu einem Dutt gebunden getragen hatte. Für sie war die Frisur immer noch gewöhnungsbedürftig, ihr George allerdings war ganz begeistert. Er sagte, sie sehe damit aus wie Helen Mirren, und auch wenn Delores natürlich wusste, dass sie einige Pfunde mehr draufhatte als die Lieblingsschauspielerin ihres Mannes, freute sie sich über dieses Kompliment.
«Was sagt denn Teresa zu alldem?», erkundigte sich Murielle. Die Pastorenfrau Teresa Jones war Sadies jüngere Schwester und Savannahs Mutter.
«Ihr geht es wie mir. Sie ist ebenfalls sehr bekümmert, immerhin ist Savannah ihr einziges Kind. Und natürlich will sie nur das Beste für ihre Tochter. Sie hat schon so oft versucht, mit ihr zu reden. Hat ihr vorgeschlagen, dass Savannah doch mit Gene zusammen zur Eheberatung gehen könnte. Doch Savannah sagt, dass Gene da nie und nimmer mitmachen würde. Er ist so ein Sturkopf.»
«Und er trinkt zu viel», stellte Murielle fest. «Ich habe ihn in den letzten Wochen oft in die Tavern gehen oder dort herauskommen sehen, und immer wirkte er, als hätte er ein Bier zu viel gekippt.»
Sadie nickte. «Ja, so ist es wohl. Er war noch nie der unbeschwerte Typ Mann, aber seit er seine Arbeit in der Maisfabrik verloren hat, scheint er deprimierter denn je zu sein.»
«Warum sucht er sich nicht einfach eine neue Stelle? Es gibt in der Umgebung doch Maisfabriken wie Sand am Meer», fragte Delores.
«Ich glaube ja, er will gar nicht arbeiten», vermutete Sadie. «Vielleicht denkt er sich, dass sie durch das Hotel genügend Einnahmen haben und er sich deshalb ruhig mal eine Auszeit nehmen und auf der faulen Haut liegen kann.»
Murielle stimmte ihr zu. «Ja, ein bisschen kommt es mir auch so vor.»
In dem Moment bimmelte es über der Ladentür, und Buddy betrat das Café. Er war der selbst ernannte Stadtpoet von Lake Paradise, ein untersetzter Fünfzigjähriger, der noch bei seiner Mutter wohnte. Jeden Abend verfasste er ein kleines Gedicht über ein aktuelles, stadtbezogenes Thema und schrieb es auf einen gelben Zettel. Das Ganze kopierte er einige Hundert Male und verteilte es am nächsten Morgen auf dem Stadtplatz und in den angrenzenden Geschäften.
Gespannt sahen die drei Tratschtanten ihn an.
«Ich frage mich, worum es wohl heute geht», meinte Delores, während Murielle die Hand ausstreckte und dankend einen der gelben Zettel entgegennahm. Sie las laut vor:
Oh, du schöner Frühlingstag
Bescherst uns alles, was ich mag
Tulpen, Primeln und Narzissen
Spargel, Rhabarber und Melissen
Den Frühlingseintopf meiner Mutter
Und niedliche Häschen mit Butter
Sonne am Morgen
Vertreibt alle Sorgen
Der Frühling ist so wunderbar
Er schenkt uns Glück in jedem Jahr
«Niedliche Häschen mit Butter?», fragte Delores ein wenig erschrocken.
Alle drei sahen sich nach Buddy um, der das Café schon wieder verlassen hatte und draußen auf dem Stadtplatz stand.
«Ich hoffe doch sehr, er meint damit das Hefegebäck in Häschenform aus der Biobäckerei», sagte Sadie dann, und Delores atmete erleichtert auf.
«Oh, ja, du hast recht. Das wird er meinen. Und die Hefe-Häschen sind ja auch wirklich lecker.»
«Das stimmt», sagte Murielle. «Ich würde nun aber gerne noch mal auf Savannah und Gene zurückkommen. Ich habe nämlich die Befürchtung, dass die beiden ihren Frühling längst hinter sich haben und im düstersten Winter feststecken.»
«Ich würde eher sagen, sie befinden sich mitten in der Hurrikansaison», kam es von Sadie.
«Ach, ich glaube, ganz so schlimm ist es nicht», sagte Delores, denn das hoffte sie zumindest. «Bestimmt werden die beiden einen Weg finden und am Ende doch noch glücklich sein.»
«Na, dein Wort in Gottes Ohr», sagte Murielle und rettete noch schnell den halben Bagel, bevor Nolan oder die Kellnerin Rhonda die Teller abräumen konnten.
Sadie hingegen glaubte nicht mehr an ein Happy End. Viel zu lange hatte sie sich das Drama mit angesehen, und es würde sie nicht wundern, wenn Savannah schon heute oder morgen einen Schlussstrich unter die Beziehung ziehen würde. Denn so konnte es ja nicht weitergehen, und sie nahm nicht an, dass die Ehe der beiden noch zu retten war.