«S agt mal, warum hat Savannah denn ein blaues Auge?», fragte Murielle an diesem Morgen im Paradise Café . «Ich hab sie vorhin gesehen, als ich Abigail in den Kindergarten gebracht hab. Das sieht ja böse aus!»
Delores sah ihre Freundin an. «Ein blaues Auge? Oje, das war doch nicht etwa …?» Sie mochte es gar nicht aussprechen.
«Nein, nein», beeilte sich Sadie zu sagen, «es war nicht Gene, sondern ein Gast im Hotel, mit dem sie gestern Abend zusammengestoßen ist. Ich hoffe ja, sie hat mich nicht angelogen.»
«Die gleiche Geschichte hat sie mir auch erzählt», sagte Nolan, der soeben drei Tassen Cappuccino auf seinem Tablett an den Tisch trug und vor ihnen abstellte. Rhonda brachte das Essen gleich hinterher. Murielle und Delores hatten einen Bagel mit geräuchertem Lachs bestellt, Sadie einen mit Spiegelei.
«Und? Glauben wir ihr?», fragte Murielle und schüttete sich Zucker in den Kaffee.
«Ich glaube ihr», meinte Nolan.
Da wandte sich Rhonda an Murielle. «Liebes, du solltest aufpassen, sonst kriegst du noch einen Zuckerschock», sagte sie und tippte sich an ihre Cappy, auf der ein Elefant abgebildet war.
Murielle stellte den Spender zurück und rührte um. «Keine Sorge, das kann ich ab. Ich brauche es ein wenig süß in meinem Leben. Man hat ja sonst nichts.» Sie zwinkerte ihr zu, und Rhonda zuckte nur die Achseln und ging wieder hinter die Theke.
«Du hast nichts Süßes in deinem Leben? Du hast eine superniedliche Enkelin!», erinnerte Delores sie, auch weil sie ein bisschen neidisch auf diese Tatsache war. Nur zu gern hätte sie selbst Kinder und Enkel gehabt. Leider waren ihr keine vergönnt gewesen. Aber zum Glück hatte sie ja einen liebenden Ehemann, tolle Freundinnen und so viele nette Bekannte, wie man sich nur wünschen konnte.
«Ja, da hast du allerdings recht. Ich werde Abigail übrigens am Freitag mit zum Frühstück bringen müssen, da ist der Kindergarten wegen Umbauarbeiten geschlossen. Das macht euch doch nichts aus, oder?»
«Aber natürlich nicht!», sagte Delores freudig.
«Ja, und danach werde ich sie mit in die Bücherei nehmen müssen. Das ist aber kein Problem, da wird sie sich nicht langweilen. Abigail kann zurzeit von Büchern nicht genug bekommen. Ich muss ihr jeden Abend wieder das Märchen von Cinderella vorlesen.»
«Das ist aber auch wirklich ein schönes Märchen», bestätigte Sadie. Ihre Tochter Lucy hatte es ebenfalls gern gemocht, als sie noch ein kleines Mädchen war.
«Ja, und der Prinz ist wirklich heiß», sagte Nolan augenzwinkernd. «Ich wünsche euch einen guten Appetit!»
Die drei Damen mussten lachen. Doch als Nolan zurück zur Theke gegangen war, wurden sie wieder ernster. Denn Sadie wollte Murielle um einen Gefallen bitten.
«Sag mal, könntest du Wyatt nicht mal fragen, ob er bei Savannah vorbeischauen kann? Um sie ein wenig auszufragen? Vielleicht ist ja doch mehr an der Geschichte dran, als sie zugeben will.»
«Ja, das kann ich gerne machen», sagte Murielle sofort, denn sie wollte natürlich genauso gern wissen, ob mehr an der Sache dran war. Und wenn der eigene Sohn schon der Sheriff im Ort war …
«Ich danke dir», sagte Sadie und biss in ihren Bagel. «Übrigens!», fiel ihr dann ein. «Wisst ihr, was Savannah mir erzählt hat?»
Gespannt sahen ihre beiden Freundinnen sie an.
«Ja, was denn?», fragte Delores.
«Nun sag schon!», meinte Murielle ein wenig ungeduldiger.
«Der bärtige Fremde …» Sie grinste und ließ die beiden noch ein wenig zappeln. «… hat nun keinen Bart mehr.»
«Er hat ihn sich abrasiert?», fragte Delores überrascht.
«Anscheinend ja.»
«Dann war es wohl doch kein Fashion-Statement», überlegte Murielle.
Ja, und darüber war Sadie sehr froh. Sie konnte es kaum erwarten zu sehen, wie der Mann ohne seinen ungepflegten Vollbart aussah.
«Wer hat Lust auf einen Spaziergang am See?», fragte Murielle sogleich, als hätte sie Sadies Gedanken gelesen. «Heute Nachmittag?»
«Ich bin dabei!», sagte Delores. «Vormittags will ich mit George einkaufen gehen, aber am Nachmittag hab ich noch nichts vor.»
«Ich kann leider nicht. Die Eisdiele …», bedauerte Sadie. Sie konnte ihr Geschäft auf keinen Fall wieder stundenlang schließen.
«Du solltest dir dringend eine Aushilfe zulegen», meinte Murielle.
«Ja, das wäre nicht schlecht.» Darüber hatte Sadie tatsächlich selbst schon nachgedacht, allerdings brauchte sie im Grunde keine, und sie würde sich auch keine leisten können. «Heute müsst ihr aber leider ohne mich auskommen.»
«Wenn wir was Spannendes sehen, schicken wir dir ein Foto», versprach Murielle, und Sadie stellte sich vor, wie ihre Freundinnen den Fremden darum baten, einmal kurz still zu halten, damit sie ein Foto schießen konnten.
Sie musste schmunzeln. «Abgemacht! Dann wünsche ich euch viel Spaß am See!»
«Ich hoffe, den werden wir haben», sagte Murielle.
«Nimm doch Abigail mit», schlug Delores vor.
«Das werde ich auch machen müssen, da Wyatt bis abends auf dem Revier ist.»
Delores strahlte vor sich hin und biss genüsslich in ihren Bagel.