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S ie hatten nichts Genaues ausgemacht. Doch dass Savannah ihn gefragt hatte, ob sie wieder gemeinsam zu Abend essen wollten, freute Dylan sehr. Zumal sie inzwischen sicher von Genes Auftritt im Hotel erfahren hatte. Und das alles bedeutete doch, dass sie nicht zu ihrem Mann zurückgegangen war, oder? Und dass sie noch immer im Hotel wohnte? Zumindest hoffte er das.

Nachdem sie sich am Vormittag begegnet waren und sich zum Dinner verabredet hatten, war es das natürlich gewesen mit Songschreiben. Er hatte sich gar nicht konzentrieren können, weil er immer wieder an Savannah hatte denken müssen. Und an ihr bevorstehendes Date.

Nun, ob man es ein richtiges Date nennen konnte, wusste Dylan gar nicht, doch er wollte es gerne so sehen. Und deshalb hatte er nach einer Weile seine Sachen eingepackt und sich auf ins Zentrum gemacht. Und hier stand er nun, vor dem Paradise Café . Denn wenn einer ihm weiterhelfen konnte, dann war das Nolan.

«Hallo, mein Guter», begrüßte ihn sein neuer Freund, als Dylan eintrat. Er stand ein wenig gelangweilt hinter der Theke, hatte die Arme verschränkt und anscheinend nicht sehr viel zu tun. Das Café war auch ziemlich leer, wahrscheinlich waren die Leute nach dem Gottesdienst erst mal nach Hause gegangen, um mittagzuessen und Zeit mit der Familie zu verbringen.

«Hi, Nolan. Wie geht’s?»

«Mir geht es doch immer gut, und was ist mit dir?»

«Ich … äh … habe ein kleines Problem. Meine sauberen Klamotten gehen mir langsam aus, und ich muss da dringend etwas dran ändern.»

«Die Straße runter gibt es einen Waschsalon. Vielleicht gehst du sie dort einfach waschen?», schlug Nolan vor.

Dylan kaute nervös auf seiner Unterlippe herum. «Nein, ich denke, ich brauche neue. Also anständige Sachen, verstehst du?»

Jetzt stieß Nolan sich von der Arbeitsplatte ab, an der er mit dem Allerwertesten gelehnt hatte, und sah ihn neugierig an. «Oho! Jetzt kommen wir der Sache schon näher! Du brauchst neue, anständige Kleidung? Hast du etwa ein Rendezvous?»

Dylan wurde noch ein wenig nervöser und errötete sogar ein bisschen. Was sollte er denn darauf antworten?

«Nein, nur ein Abendessen.»

«Mit einer hübschen Frau?», hakte Nolan weiter nach.

«Ja.»

«Na, und was ist das dann, wenn kein Date?» Nolan lachte.

«Es wird wirklich nur ein gemeinsames …» Er seufzte. «Es ist kompliziert», gestand er schließlich.

Nolan sah ihn wortlos an, überlegte, zählte eins und eins zusammen, dann weiteten sich seine Augen. «Etwa mit …?»

Dylan steckte seine Daumen in die Taschen seiner Jeanshose und verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere. Und dann wieder zurück. Er musste nicht antworten, Nolan hatte ihn auch so durchschaut.

«Ach du heilige Scheiße!» Der Cafébesitzer blickte sich in seinen Räumen um. Doch außer einem älteren Ehepaar, das an einem Ecktisch saß und in ein Gespräch vertieft war, gab es niemanden, der ihnen zuhören könnte. Also fuhr er fort: «Ich meine, ich necke euch beide ja gerne damit, und ich fände es auch super, wenn ihr zusammenfändet. Denn – hey! Seht euch an, ihr würdet ein hinreißendes Paar abgeben. Aber wie du schon sagst: Die Sache ist kompliziert. Mehr als das. Sie ist superheiß, so heiß, dass ihr euch beide ganz schön die Finger verbrennen könntet. Und wenn ich das Feuer mal beim Namen nennen darf: Es heißt Gene.»

Dylan hatte sich selten so unwohl gefühlt. Er wollte dieses Gespräch nicht führen, er wusste ja selbst, wie die Lage aussah. Und doch hatte Nolan anscheinend nicht vor, so bald den Mund zu halten.

«Hast du das mit Gene mitbekommen?», fragte Nolan jetzt.

«Was denn?»

«Sie haben ihn heute Morgen mitten auf dem Platz gefunden.» Nolan deutete hinüber zur Wiese. «Er hat da gelegen und gepennt, völlig verkatert. Die Cops mussten ihn nach Hause schaffen. Gene ist außer Rand und Band, eine tickende Zeitbombe.»

«Ja, ich weiß. Gestern war er im Hotel und hat mich dumm angemacht.» Er überlegte auch immer noch hin und her, ob er Savannah von dem Vorfall erzählen sollte. Er hatte ihn vorhin bei ihrer Begegnung am See erwähnen wollen, es dann aber doch lieber gelassen. Später, wenn sie zusammen zu Abend aßen, könnte er es natürlich ansprechen. Allerdings würde das sicher die Stimmung killen, oder? Und im Grunde war ja auch gar nichts weiter passiert. Vielleicht musste sie es gar nicht erfahren.

«Ach, ehrlich?» Nolan stützte sich auf der Theke ab, legte sein Kinn in die Hand und sah Dylan an. Entsetzt, aber doch auch gespannt.

«Ja. Er hat mir quasi gedroht, seiner Frau nicht zu nah zu kommen. Und er meinte, ich soll auf meinem Zimmer bleiben, bis ich wieder abreise.»

«Verdammt!» Nolan richtete sich wieder auf. «Glaubst du, er ahnt irgendwas?»

Dylan runzelte die Stirn. «Was soll er denn ahnen? Es läuft doch überhaupt nichts zwischen Savannah und mir, außer dass wir hin und wieder zusammen essen und uns unterhalten.»

«Hin und wieder?» Nolans Augen wurden immer größer. «Das heißt, das ist schon öfter vorgekommen?»

«Zwei oder drei Mal.»

«Also, das könnte man dann aber schon irgendwie als Dates bezeichnen, oder findest du etwa nicht? Und das könnte einen Ehemann ganz schön in Rage versetzen.»

«Er weiß doch aber gar nichts davon», entgegnete Dylan.

«Bist du sicher?»

«Hätte er mir dann nicht eher eine reingehauen, als mir dumm zu drohen? Der Mann war sturzbesoffen.»

«Hm. Ja, da magst du recht haben. Aber dennoch … Gene scheint irgendwas zu ahnen, und du solltest gut aufpassen. Das solltet ihr beide.»

Dylan ließ sich auf einen der Stühle sacken. «Und dabei wollte ich dich doch eigentlich nur fragen, wo ich am besten günstig shoppen gehen kann.»

Nolan lachte. «Ich und mein Plappermaul, hm? Es tut mir wirklich leid, du Armer. Was würdest du denn davon halten, wenn ich als Wiedergutmachung mit dir mitkomme? Ich bringe dich nach Hamilton, wo die Geschäfte auch sonntags aufhaben, und zeige dir ein paar coole Läden.»

«Was ist mit deinem Café?»

«Rhonda müsste bald hier sein und kann dann übernehmen», sagte Nolan.

«Okay, wenn du es schon anbietest. Nehmen wir dein Auto?»

«Na, zu Fuß laufe ich sicher nicht nach Hamilton.» Der trendige Cafébesitzer lachte und rückte seine goldene Fliege zurecht. «Dafür bin ich nicht passend gekleidet.»

Dylan schüttelte amüsiert den Kopf und musste nun doch lächeln. Das Gespräch gerade war zwar ziemlich ernüchternd gewesen, trotzdem wollte er neue Klamotten kaufen gehen. Und er wollte auch immer noch Savannah treffen. Denn er konnte die Vorstellung, mit ihr zusammen zu sein, einfach nicht aufgeben. War sie doch die Erste seit Langem, die ihm neue Lebensfreude schenkte.

 

Shopping mit Nolan war anders als alles, was Dylan bis dato erlebt hatte. Der Typ kannte wirklich jeden Ladeninhaber und hielt erst mal ein wenig Small Talk, wo immer sie hinkamen. Es waren kleine Geschäfte mit Namen wie Adrians Little T-Shirt-Box , Funky & Cool und Jeans in a Bowl . Für Dylan war es das erste Mal in Hamilton, und er hätte nicht gedacht, dass es mitten in Nebraska so ein kunterbuntes Städtchen geben konnte. Hamilton war mit seinen knapp siebzigtausend Einwohnern weit größer als Lake Paradise, und natürlich gab es auch ruhige Gegenden, doch dann reihte sich plötzlich eine coole Einkaufsstraße an die nächste. Dylan staunte nicht schlecht, was es hier alles gab. Er entdeckte einen Cupcake-Laden, der gleichzeitig eine Buchhandlung war, und einen Frozen-Yogurt-Shop, der siebenundsiebzig verschiedene Sorten anbot. Direkt neben einer veganen Pizzeria reihten sich ein Hundefriseur und ein Seniorentreff, vor dem ein paar lachende ältere Leute saßen und den Sonntagnachmittag genossen. Auf der anderen Seite befanden sich einige Klamottenläden. Das Angebot hier war flippig, modern, und die Inhaber waren es ebenfalls. Sie hatten die Fassaden ihrer Läden mit lauter Blumen bemalt.

«Was für eine irre Gegend», sagte er bewundernd. Solche Straßen hatte er bisher nämlich höchstens in San Francisco oder Miami entdeckt.

«Nicht wahr? Hier fahre ich zum Shoppen am liebsten hin», verriet Nolan.

«Kann ich mir denken. Und ehrlich gesagt frag ich mich, wieso du im beschaulichen Lake Paradise wohnst und nicht hier.»

«Ach, weißt du, ich mag Lake Paradise einfach. Kann dir auch gar nicht so genau sagen, warum, aber die Bewohner haben sich in mein Herz geschlichen und wollen da auch nicht wieder weg.»

Dylan lächelte. Ja, das konnte er gut verstehen. Das Städtchen hatte ja auch ein paar ganz besondere Bewohner, allen voran natürlich Savannah.

Sie betraten einen weiteren Laden, der einen großen Ständer mit T-Shirts im Angebot hatte. Dylan ging die Teile durch und entschied sich für zwei. Doch ein passendes Hemd hatte er noch immer nicht gefunden. Er fragte Nolan danach.

«So was wirst du hier wahrscheinlich nicht finden. Komm, wir schauen mal ein paar Straßen weiter, da sind die etwas biederen Geschäfte.»

Dylan lachte. Also, als bieder hätte er seinen Kleidungsstil nun nicht bezeichnet. Er wollte doch einfach nur ein Hemd, in dem er einigermaßen gut aussah, für seine Verabredung heute Abend.

Zum Glück fand er auch bald eins, es war zwar ein wenig teurer, aber das musste er in Kauf nehmen.

Am Ende ihres Shoppingtrips hatte Dylan drei neue T-Shirts, eine Jeans, ein Hemd und eine Strickjacke gekauft. Die wollte er am See tragen, wenn er an seinem Baum saß und versuchte, ein paar Zeilen zu schreiben. Denn tagsüber war es zwar schon richtig schön warm, doch in den frühen Morgenstunden oder an späten Abenden konnte es am Wasser ganz schön kühl sein.

«Danke, Nolan, dass du das mit mir gemacht hast», sagte er, als sie zurück zum Auto gingen.

«Aber gerne. Es war sowieso mal wieder Zeit für einen Ausflug ins Flower Quarter.»

«Flower Quarter?»

«So nennen die Einheimischen die Gegend. Hast du nicht die vielen aufgemalten Blumen an den Hausfassaden gesehen?»

«Doch, klar. Hat mich an Haight-Ashbury in San Francisco erinnert.»

«Ja! Da wollte ich auch schon immer mal hin. Erzähl mir davon», bat Nolan. Und auf der Rückfahrt berichtete Dylan ihm von seiner langen Reise und den Orten, von denen er glaubte, sie könnten Nolan gefallen.