E rneut erwachte Savannah in einem Bett, das nicht ihr eigenes war. Heute war es das Gästebett im Haus von Helenas Eltern. Sie war todmüde, da sie höchstens zwei oder drei Stunden geschlafen hatte, denn sie und ihre Freundin hatten die halbe Nacht geredet, geweint, sich über ihre Ehemänner beklagt und ihren Beziehungen nachgetrauert. Während Helena hoffte, dass ihre Ehe zu kitten war, wusste Savannah, dass sie nichts mehr retten konnte – oder wollte.
Immer wieder hatte sie an den Kuss denken müssen. Sie hatte Helena davon erzählt. Davon, wie es sich angefühlt hatte, nach zwölf Jahren einen anderen Mann zu küssen.
«Ich denke, du bist verliebt, Süße», hatte ihre Freundin gesagt.
«Nein, das ist es nicht. Es geht hier überhaupt nicht um Dylan, sondern darum, dass ich mich endlich wieder gesehen fühle. Und begehrt.» Das jedenfalls versuchte sie sich die ganze Zeit selbst einzureden. Dass es nicht an Dylan lag. Dass ihre Gefühle für ihn nicht real waren. Dass jeder x-beliebige Mann das in ihr hätte auslösen können. Dass es einfach nur darum ging, endlich wieder etwas zu fühlen.
Doch ihre Freundin durchschaute sie.
«Bist du dir sicher? Ich glaube nämlich, dass es hier doch um Dylan geht. Und dass du ihn mehr magst, als du dir eingestehen willst.»
«Dylan geht bald wieder weg, Helena», sagte sie, und die Leere, die allein diese Vorstellung in ihrem Herzen hinterließ, war kaum zu ertragen. Obwohl sie Dylan noch gar nicht lange kannte – war es wirklich erst eine Woche? –, fühlte es sich an, als wäre er ihr Seelenverwandter.
«Vielleicht bleibt er ja noch ein bisschen länger, wenn du ihm sagst, was du empfindest. Wenn du euch beiden eine Chance gibst.»
«Ich bin doch aber verheiratet, Helena. Wie stellst du dir das vor?»
«Du musst ja nicht länger verheiratet sein. Es liegt allein an dir.»
Savannah hatte die Augen geschlossen. All diese Überlegungen waren einfach zu anstrengend gewesen. Und irgendwann war sie dann eingeschlafen, erneut an der Seite ihrer besten Freundin, die sie besser kannte als sonst irgendwer auf der Welt.
An diesem Morgen nun war alles klar. Savannah wusste nicht, woher diese Entschiedenheit kam, doch nun war sie sich sicher.
«Helena, würdest du mir einen Gefallen tun?», fragte sie, als ihre Freundin wach wurde.
«Aber natürlich. Jeden.»
«Kommst du nachher mit mir zu Gene? Ich will meine restlichen Sachen holen, ihm aber nicht allein begegnen.»
Helena strahlte sie an. «Ich bin stolz auf dich. Und ich komme selbstverständlich mit. Du musst das nicht allein machen, Süße.»
«Ich danke dir. Was würde ich nur ohne dich tun?»
«Ja, das frage ich mich auch sehr oft, was würde ich ohne dich tun? Ich bin wirklich froh, dich zu haben.»
«Geht mir genauso.»
Liebevoll sahen sie einander an – zwei Freundinnen in jeder Lebenslage.
Während sie sich fertig machten, überlegte Savannah, wie ihr Tag aussehen sollte. Wann sie am besten ihre Sachen holen konnte. Denn nun wollte sie sogar, dass Gene in dem Moment zu Hause war. Und sie musste sich überlegen, wie es weitergehen würde. Eine Zeit lang konnte sie vielleicht im Hotel bleiben, aber auf Dauer würde ihr das eine Zimmer zu klein werden. Allerdings wohnte Dylan noch immer nebenan, was natürlich ein Pluspunkt war. Und ja, mit Dylan musste sie heute auch unbedingt reden.
Savannah hatte also einiges auf dem Plan, und sie hoffte nur, dass die Dinge auch so verlaufen würden, wie sie es sich vorstellte.
Selbstverständlich ließ Donna ihre Tochter und deren beste Freundin nicht aus dem Haus, bevor sie etwas Ordentliches im Magen hatten. Sie tischte ihnen ein Pancake-Frühstück mit allem Drum und Dran auf. Und während Savannah Erdbeerkompott auf ihren Pfannkuchen strich, druckste Helena plötzlich herum.
«Mom … Dad … Ich wollte euch noch etwas mitteilen. Ich werde wohl den ganzen Sommer mit den Kindern in Lake Paradise verbringen.»
Donnas Augen weiteten sich. Ian strahlte seine Tochter glücklich an. Selbst Savannah war überrascht, denn davon hatte ihre Freundin ihr noch gar nichts berichtet.
«Wie wundervoll!», rief Donna aus. «Ich freue mich so, dich und die Kinder dann länger als nur ein paar Tage hier zu haben.»
«Welch schöne Idee», stimmte Ian seiner Frau zu. «Aber was ist denn mit deiner Arbeit?»
«Ich helfe doch seit letztem Jahr halbtags in der Schulbibliothek aus», erinnerte Helena ihren Dad. «Die schließt in den Sommerferien natürlich ebenfalls.»
«Na, das passt ja perfekt», erwiderte er. «Und besonders schön finde ich, dass ich dann endlich wieder was zu tun habe und Zeit mit meinen Enkeln verbringen kann. Ich langweile mich nämlich fast zu Tode.»
Seit Ian seine Arbeit als Vorarbeiter der Maismehlfabrik verloren hatte, wusste er nicht mehr viel mit sich anzufangen. Und während ihr Mann jetzt schon Pläne für den Sommer schmiedete und sicher bereits ans Angeln mit Mattie und ans Wandern mit Leslie dachte, stand Donna von ihrem Stuhl auf und umarmte ihre Tochter freudig. «Wir werden uns den schönsten Sommer aller Zeiten machen.»
Helena nickte und schielte zu Savannah rüber, die als Einzige wusste, dass es stattdessen wohl der schlimmste Sommer aller Zeiten für sie werden sollte.