A m Mittwochmorgen wartete Savannah ungeduldig darauf, dass Dylan zum Frühstück herunterkam. Als er endlich in der Lobby erschien und ihr einen guten Morgen wünschte, ging sie auf ihn zu.
«Guten Morgen, Dylan. Hast du gut geschlafen?» Sie strahlte ihn an.
«Ich habe sogar sehr gut geschlafen, vielen Dank.» Er strahlte zurück.
«Komm mit, ich habe eine Überraschung für dich», sagte sie und ging voran in Richtung Restaurant.
Lange hatte Savannah darüber nachgedacht, womit sie Dylan eine Freude machen könnte. Dann war ihr endlich das perfekte Wiedergutmachungsgeschenk eingefallen, und sie hatte sich gestern Abend noch einmal zum Supermarkt aufgemacht, um frische Kirschen zu kaufen.
Während Dylan sich an seinen Lieblingstisch am Fenster setzte, ging Savannah in die Küche – und kam wenig später mit einem Glas zurück, das sie vor Dylan hinstellte. «Bitte schön. Selbst gemachte Kirschmarmelade, nur für dich.»
Dylan bekam große Augen. Er starrte erst das geöffnete Marmeladenglas an, in dem ein kleiner Löffel steckte, und dann Savannah. «Ist das dein Ernst?»
«Ja, natürlich.» Sie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.
«Die hast du gemacht?»
«Genau. Ich hoffe, sie schmeckt dir.»
«Wie könnte sie mir nicht schmecken?» Dylan griff nach einem Brötchen, schnitt es auf und entnahm dem Glas einen gehäuften Löffel Marmelade. Eine ganze Kirsche fiel ihm dabei herunter und landete auf seinem Teller. Er nahm sie mit den Fingern auf und steckte sie sich in den Mund.
«Oh mein Gott, ist die lecker!», sagte er und biss auch gleich von seinem Brötchen ab.
Savannah lächelte glücklich. Sie freute sich riesig, dass sie anscheinend alles richtig gemacht hatte.
«Ich kann gar nicht glauben, dass du die selbst gemacht hast», sagte Dylan, als er die Brötchenhälfte verputzt hatte und sich eine zweite schmierte.
«Oh. Hättest du mir das nicht zugetraut?», fragte sie.
«Nein, so habe ich das nicht gemeint. Ich wollte sagen, dass ich nicht glauben kann, dass du diese Marmelade extra für mich gemacht hast. Dass du dir die Mühe gemacht hast.»
«Na, ich wusste ja, dass du Kirschmarmelade liebst, und ich wollte doch unbedingt noch etwas wiedergutmachen.»
«Ich hatte zwar gesagt, dass das nicht nötig ist, aber jetzt freue ich mich doch sehr. Vielleicht sollte ich dir öfter mal einen Grund zum Wiedergutmachen geben.» Er grinste frech, und Savannah schlug ihm spielerisch auf den Arm.
«Hey, pass auf!», rief er. «Ich will nicht, dass auch nur ein Tropfen dieser himmlischen Marmelade verkleckert.»
Savannah lächelte vor sich hin. Dylan hatte ihre Marmelade himmlisch genannt …
«Willst du denn nicht davon probieren?», fragte er.
«Wenn du mir was abgibst?»
Er nahm ein Brötchen aus dem Korb, legte es ihr auf den Teller und schob ihr die Marmelade rüber. Sie schmierte sich eine Hälfte, probierte und konnte selbst kaum glauben, wie gut ihr die Kirschmarmelade gelungen war. Es war immerhin ihr erstes Mal gewesen, dass sie welche eingekocht hatte. Noch gestern Abend hatte sie sich in die Küche gestellt und nach Rezept gearbeitet, allerdings hatte sie noch ein wenig mehr Zitrone und auch Vanillezucker hineingegeben. Zudem eine Prise Zimt, da sie schon immer gefunden hatte, dass Kirschen und Zimt wunderbar harmonierten, und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
Während sie aßen, bemerkte Savannah, dass Dylan zu ihrem Ringfinger blickte, den jetzt nur noch ein heller Streifen schmückte, nachdem sie gestern Abend ihren Ehering abgenommen hatte. Er sprach es jedoch nicht an, und sie tat es auch nicht. Die Geste sagte mehr als tausend Worte.
«Du, Savannah, wo finden in Lake Paradise eigentlich die Stadtversammlungen statt?», fragte Dylan stattdessen, und sie sah ihn verwundert an.
«Warum willst du das wissen? Hast du vor, an einer teilzunehmen?» Savannah lachte, denn sie glaubte nicht, dass Dylan die Themen, die dort besprochen wurden, allzu interessant finden würde. Immerhin ging es meistens um so Belangloses wie den neuen Anstrich des Rathauses, die angepassten Zeiten der Bimmelbahn oder einen Rollrasen für den Stadtplatz.
Doch Dylan überraschte sie, indem er sagte: «Ja, habe ich. Besser gesagt, ich muss. Gestern habe ich nämlich auf dem Stadtplatz ein wenig Musik gemacht, und der Bürgermeister hat sich fürchterlich darüber aufgeregt, dass ich keine Genehmigung hatte. Der Sheriff musste einschreiten, und es gab ein ziemliches Chaos.»
«Was? Wieso weiß ich davon denn gar nichts? Gestern Abend war ich sogar noch mal im Zentrum, mir hat aber niemand was erzählt.» Wäre sie doch bloß zu Howie in den Supermarkt gegangen, Rupert war ja noch nie sehr gesprächig gewesen.
Dylan zuckte die Schultern. «Wundert mich auch. Hier spricht sich doch alles sofort rum. Na ja, wie auch immer, ich will mir bei der Versammlung heute so eine Genehmigung holen. Der Sheriff meinte nämlich, dass ich die dort beantragen kann.»
«Ja, so läuft das bei uns. Du stellst den Antrag, und dann wird abgestimmt. Ich bin mir aber sicher, dass alle dafür stimmen werden, mach dir also keine Sorgen.»
«Ich hoffe es.»
Sie lächelte Dylan an. «Das heißt dann also, du willst noch eine Weile bleiben? Die Leute sogar mit deiner Musik beglücken?»
Er lächelte ebenfalls. «So habe ich mir das überlegt, ja. Es sei denn, du möchtest das nicht.»
«Dylan! Wieso sollte ich das nicht wollen? Ich freue mich, wenn du noch bleibst. Ich würde dich nämlich sehr gerne noch näher kennenlernen und Zeit mit dir verbringen.»
«Ja? Das freut mich sehr. Denn genau das möchte ich auch.»
Sie lächelten einander an. Dann wurde Savannah bewusst, was sie noch alles zu tun hatte. «Ich muss jetzt leider zurück an die Rezeption. Wenn du möchtest, kannst du nach dem Frühstück ja kurz mal vorbeischauen, dann machen wir einen wöchentlichen Tarif aus.»
Das hatte sie ihm schon neulich vorgeschlagen, damit er nicht ganz so hohe Unkosten hatte, er war aber bisher nicht darauf zurückgekommen. Vielleicht, weil er sich selbst noch nicht sicher gewesen war, wie lange er noch bleiben wollte? Doch jetzt schien er es zu sein, denn er sagte: «Das mache ich. Danke, Savannah.»
«Gerne. Und wenn du willst, kannst du heute Abend bei mir mitfahren. Ich gehe auch zur Stadtversammlung.»
«Das wäre super.»
Sie wünschte ihm weiter guten Appetit, ließ ihn wissen, dass es in der Küche noch viel mehr von der leckeren Kirschmarmelade gab, und ging mit einem breiten Lächeln im Gesicht zurück zum Empfang.
So viel wie an diesem Morgen hatte wohl lange niemand mehr gelächelt in diesem Städtchen – doch Savannah hatte ja auch allen Grund dazu.
Am Abend fuhren Savannah und Dylan zusammen in ihrem Wagen zur Stadtversammlung. Da der Parkplatz, der zur Kirche und dem Gemeindehaus gehörte, in dem die Versammlungen stets stattfanden, bereits voll besetzt war, beschloss Savannah, bei ihren Eltern zu parken. Diese wohnten gleich hinter der Kirche, nur ein kleines Stück den Paradise Parkway hinunter. Gerade traten die beiden aus dem Haus und freuten sich, Savannah zu sehen. Ein wenig überrascht waren sie wohl, Dylan an ihrer Seite zu entdecken.
«Dylan, darf ich dir meine Eltern vorstellen? Teresa und James Jones. Mein Vater ist der Gemeindepastor, das hab ich dir ja bereits erzählt.»
«Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. und Mrs. Jones», sagte Dylan und schüttelte beiden die Hand.
Ihr Dad lachte. «Nicht so förmlich, mein Sohn. Seid ihr auch auf dem Weg zur Versammlung?»
«Sind wir. Ich musste mein Auto bei euch abstellen, weil auf dem Kirchparkplatz schon alles voll ist», erklärte Savannah.
«Kein Problem», entgegnete ihre Mom, die sie seit der Trennung von Gene bestimmt schon zwanzigmal angerufen hatte und sich nun ganz offensichtlich freute, sie endlich in den Arm nehmen zu können.
Als sie sich voneinander lösten, sagte Savannah: «Ja, und Dylan hier habe ich mitgenommen, weil er ein Anliegen vorbringen will heute Abend.»
«Bei der Versammlung?», fragte ihr Dad erstaunt.
«Ja, genau.»
«Na, da bin ich aber gespannt.»
Sie marschierten los und waren in weniger als drei Minuten angekommen. Das Gemeindehaus war bereits voll, und es war kaum noch möglich, freie Plätze zu finden. Netterweise überließen die Männer Savannah und Teresa die letzten beiden freien Stühle in der letzten Reihe und stellten sich dahinter.
Zum Glück war Gene nicht da, aber das hatte Savannah auch nicht angenommen, da er so gut wie nie an den Gemeindeversammlungen teilnahm. Genauso wenig wie am Gottesdienst. Oder an irgendeinem anderen Zusammenkommen, bei dem es kein Bier gab.
«Was ist denn das heute für ein Andrang?», wollte Teresa wissen.
Savannah war ebenfalls verwundert. Und sie fragte sich, ob der überfüllte Raum wohl etwas mit Dylan zu tun hatte. Der schien das ebenfalls zu denken, auf jeden Fall sah er nicht so aus, als ob er sich sonderlich wohlfühlte. Tatsächlich drehten sich etliche Köpfe zu ihm herum, und es wurde viel getuschelt.
Dann trat Bürgermeister Doyle ans Pult und blickte zufrieden in die Runde. Er schien keinesfalls überrascht, all die Leute zu sehen, obwohl es nur selten so voll gewesen war. Kurz vor Weihnachten höchstens, wenn die Feierlichkeiten und das Krippenspiel besprochen wurden.
«Guten Abend, liebe Stadtbewohner!», begrüßte er sein Publikum. «Ich hoffe, ihr seid alle wohlauf. Danke, dass ihr so zahlreich erschienen seid.»
Es folgten Grüße und Rufe vonseiten der Bewohner.
«Heute steht einiges auf dem Programm. Wir müssen noch letzte Details des Memorial-Day-Wochenendes besprechen. Außerdem werden wir darüber abstimmen, was aus dem Corn Shop werden soll. Dann hat Ethan Schulz noch ein Anliegen, und ich glaube …» Er blickte sich im Raum um und sah streng aus, als er Dylan ganz hinten fand. «… es gibt da noch jemanden, der sich an euch wenden möchte. Ein Antrag. Aber dazu später mehr. Zuerst müssen wir das Problem mit den Ballons lösen.» Er holte Luft. «Es sollen rund zweitausend Luftballons für das Fest mit Helium befüllt und überall in der Stadt angebracht werden. Wer könnte sich dafür anbieten? Wir bräuchten ein paar Freiwillige.»
Savannah sah, wie sich mehrere Bewohner meldeten. Auch Halle hob eine Hand und brachte ihren Freund Rupert gleich ebenfalls dazu, seine zu heben. Als ihre Blicke sich trafen, lächelte Savannah ihr zu.
In der nächsten halben Stunde wurde das Fest besprochen. Dann ging es um den Zuschlag für den nun leeren Corn Shop , der natürlich an Lindsay ging, die zusammen mit ihrer besten Freundin Ashleigh freudig jubelte. Schließlich trat Ethan Schulz, der einzige Reporter der Paradise Gazette , deren Räume sich über dem Corn Shop befanden, nach vorne und berichtete davon, dass die Nachbarstädte Cotton Hill und Swan City eine Zählung ihrer Haustiere vorgenommen hätten. Nun wollte Ethan dies auch in Lake Paradise tun, da die Anzahl an Hunden, Katzen und Hamstern vor allem in Cotton Hill stetig stieg und er sichergehen wollte, dass sich ihr Städtchen noch immer an der Spitze der Haustierbesitzer befand. Denn darauf war Lake Paradise immer sehr stolz gewesen.
«Ethan möchte also gerne eine Umfrage starten», erklärte Bertram Doyle, der wieder ans Pult getreten war. «Dazu wird er Zettel in den Cafés und Restaurants der Stadt auslegen, aber auch hier im Gemeindehaus könnt ihr die kurze Befragung jederzeit ausfüllen. Ich werde im Vorraum einen Stapel Zettel platzieren. Werft sie danach bitte in die dafür vorgesehenen Kästen.»
«Das kann doch gar nicht sein, dass Cotton Hill mehr Katzen hat als wir hier», warf Murielle laut ein, und Edda, die neben ihr saß, schüttelte ungläubig den Kopf.
«Nein, das kann ich auch nicht glauben.»
Trish, die in der Reihe vor Savannah saß, flüsterte Lexi augenzwinkernd zu: «Hey, dann sollten wir mit unserem Tiersalon vielleicht nach Cotton Hill ziehen.»
Lexi kicherte, doch Buddy und seine Mutter schienen das gar nicht lustig zu finden, denn sie warfen Trish ein paar abschätzige Blicke zu.
«Das war nur ein Scherz, Buddy», meinte Trish. «Schreib darüber bloß nichts in deinem morgigen Gedicht.»
Savannah musste an das heutige Gedicht denken, das Ian ihr mit ins Hotel gebracht hatte und das endlich wieder auf einem gelben Zettel geschrieben stand. Es handelte zum Glück nicht von dem Tumult auf dem Platz gestern, den Dylan verursacht hatte, und auch nicht schon wieder von Savannahs Trennung, sondern von Eissorten. Insbesondere der neuen, die Sadie in ihr Sortiment aufgenommen hatte: Himbeer-Limette.
Der Bürgermeister räusperte sich. «Na gut, dann kommen wir zu unserem letzten Punkt am heutigen Abend», verkündete er. «Dazu bitte ich den … Vagabunden zum Pult, der gestern unerlaubt Musik gemacht hat auf unserem schönen Stadtplatz.»
«Sein Name ist Dylan Heard!», rief Nolan dem Bürgermeister zu.
«Ja, ja.» Bertram Doyle winkte ab. «Also, kommst du nun her, oder willst du uns noch länger davon abhalten, nach Hause zu gehen und das Play-off der Rangers gegen die Panthers zu sehen?»
Savannah sah Dylan nach vorne eilen, sich ans Pult stellen und peinlich berührt ins Publikum schauen.
«Also, guten Abend erst einmal. Ich … äh … ich denke, die meisten von euch wissen inzwischen wohl, wer ich bin. Und ich will euch auch gar nicht länger davon abhalten, das Hockeyspiel zu sehen. Mein Gott, eigentlich will ich überhaupt nicht hier sein. Aber mir wurde gesagt, ich brauche eine Genehmigung, um auf dem Platz meine Musik spielen zu dürfen. Deshalb stelle ich hiermit einen Antrag dafür.»
«Zugestimmt!», rief Nolan laut in den Raum. Und im Nu hatten auch fast alle anderen ihre Hände gehoben.
Murielle stand bereits von ihrem Stuhl auf und erklärte laut: «Siehst du, Bertram, wir sind alle dafür. Jetzt kannst du nach Hause zu deinem Fernseher gehen.»
Alle anderen erhoben sich ebenfalls, und kurz darauf leerte sich auch schon der Gemeindesaal. Nur Bertram stand noch immer verdutzt da.
Auch Dylan war irritiert und fragte Savannah, als sie jetzt auf ihn zukam: «War es das schon? Bekomme ich die Genehmigung?»
«Du hast sie bereits», sagte sie lachend. Dann folgten sie ihren Eltern nach draußen, verabschiedeten sich und fuhren zurück zum Hotel.
Sie trennten sich vor Dylans Zimmertür.
«Danke, dass du mich gefahren hast», sagte er.
«Keine Ursache. Ich wollte doch eh hin.»
«Und danke auch noch mal für die beste Kirschmarmelade der Welt. Ich freue mich schon aufs Frühstück.»
«Wie gesagt, das hab ich echt gerne gemacht.»
Dylan trat einen Schritt auf sie zu, nahm ihre Hand und sah ihr tief in die Augen. «Du bist einfach unglaublich, Savannah.»
Sie spürte sie wieder, die vielen Schmetterlinge, die in ihrem Bauch herumflatterten und hinauswollten.
Würde sie ihnen heute nachgeben?
«Gute Nacht, Dylan», sagte sie und küsste ihn sanft auf die Wange.
Er ließ ihre Hand los und fasste sich stattdessen an die Wange. Dann sah er ihr nach, wie sie in ihr Zimmer ging.
Als Savannah wenig später in ihrem Bett lag, pochte ihr Herz wie verrückt, und sie fühlte Dinge, die sie schon so lange nicht gefühlt hatte.
Sie wollte Dylan. Wollte Zärtlichkeit. Geborgenheit. Verbundenheit. Und da sie wusste, dass sie jetzt sowieso nicht würde schlafen können, stand sie wieder auf und verließ ihr Zimmer.
Sie klopfte an seine Tür.
Heute Nacht wollte sie endlich wieder Liebe erfahren.