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N och während Eric Alice’ Wunde nähte, klingelte Savannahs Handy. Ihr wurde eine unbekannte Nummer angezeigt.

Sie ging ran. «Hallo?»

«Hi, Savannah. Ich bin’s, Wyatt. Ich rufe vom Revier aus an.»

«Wyatt. Oh.»

«Es geht um Gene», sagte der Sheriff.

Das hätte sich Savannah denken können. «Was ist denn?», fragte sie vorsichtig nach.

«Ich weiß nicht genau, an wen ich mich wenden soll, wenn nicht an dich. Ich meine, ihr seid ja immer noch verheiratet, oder?»

«Noch, ja.»

«Na, wie auch immer. Ich denke nicht, dass er diesmal wieder mit einem blauen Auge davonkommt. Markus Reeves, dem der Gemüsestand gehört, hat Anzeige erstattet, weil Gene seinen Tisch kaputt gemacht hat und etliche Brokkoliköpfe ruiniert waren. Und ich bin mir nicht sicher, ob Dylan dasselbe tun möchte.»

«Das kann ich dir leider nicht beantworten. Frag ihn doch am besten selbst.»

«Werde ich machen.» Er räusperte sich. «Nun ja, dennoch kann Gene morgen gegen Kaution entlassen werden, und vorerst …»

«Ich bezahl die nicht, Wyatt, auf gar keinen Fall tue ich das noch mal. Soll Gene doch in seiner Zelle verrotten.» Sie war jetzt wirklich aufgebracht und spürte, dass sie Gene mit jedem Tag mehr verabscheute. Sein Verhalten war unentschuldbar.

«Okay», sagte der Sheriff gedehnt. «Dann werde ich mal Genes Bruder fragen.»

Edmund Keller war der Notar der Stadt, und die beiden Brüder waren seit Jahren entzweit. Savannah glaubte nicht, dass Edmund die Kaution für Gene stellen würde.

«Versuchen kannst du es ja», sagte sie jedoch.

«Okay. Dann mach’s erst mal gut, Savannah.»

«Du auch.»

Sie packte ihr Handy weg und legte das Gesicht in die Hände. Das alles war wirklich frustrierend. Da hatte sie sich endlich befreit aus dieser unglücklichen Ehe, und es sollte ihr doch keine Erleichterung gegönnt sein.

«Ich bin fertig», hörte sie Alice sagen.

Savannah sah auf und ließ sich von ihrer Köchin die verbundene Hand zeigen.

Und dann trat auch Eric aus dem Behandlungszimmer. «Alice ist so weit wiederhergestellt. Du darfst sie mitnehmen», sagte er.

«Oh, Gott sei Dank. Sie muss also nicht ins Krankenhaus?»

«Nein, das ist nicht nötig. Ich habe sie bereits genäht.»

«Es hat acht Stiche gebraucht!», informierte Alice sie. «Keine Ahnung, wie ich die nächsten Tage kochen soll. Die Hand darf nicht mit Wasser in Berührung kommen, und Gemüse schnippeln könnte auch schwer werden.»

«Ich helfe dir, so gut es geht. Zum Glück haben wir ja jetzt Ian, der die Rezeption übernehmen kann.»

Alice grinste. «Wir beide in der Küche, das wird ein Spaß! Und hey, rühren kann ich ja zum Glück noch und Anweisungen geben auch.» Sie zwinkerte Savannah zu.

«Na, schön, dass du bei all der Tragik deinen Humor nicht verloren hast», entgegnete sie. «Können wir fahren?»

«Japp.»

Sie verabschiedeten sich von Eric, der Alice den Rat gab, sich die nächsten Tage zu schonen.

Auf dem Weg zum Auto sagte die Köchin: «Eric hat mir ein paar Pillen gegeben gegen die Schmerzen. Ich denke, ich werde das zusammen mit Greta schaffen.»

«Auf gar keinen Fall stellst du dich heute noch mal in die Küche. Ich bringe dich jetzt nach Hause, du ruhst dich den Rest des Tages aus, und morgen sehen wir weiter.»

«Aber das Abendessen …! Was sollen wir den Gästen denn heute anbieten?», fragte Alice besorgt.

«Kartoffelsuppe werde ich wohl hinbekommen, und statt Mousse au Chocolat gibt es dann halt einen Obstsalat.»

«Brot habe ich auch noch nicht gebacken», warf Alice ein.

«Ich werde ein paar Brote in der Biobäckerei besorgen. Jetzt hör auf, dir Gedanken zu machen, und kümmere dich nur um dich und deine Gesundheit.»

«Na gut.» Alice gab sich geschlagen und ließ sich in den Beifahrersitz fallen. Dann sah sie Savannah an. «Sag mal, ist sonst alles okay? Du wirkst so erschöpft.»

«Heute ist einfach nicht mein Tag», gestand Savannah.

«Tut mir ehrlich leid.»

«Du kannst nichts dafür. Gene ist vorhin auf dem Markt auf Dylan losgegangen, und dann ist er zuerst im Brokkoli gelandet und anschließend in der Zelle.»

Alice machte große Augen. «Warum hast du nichts erwähnt?»

«Na, ich musste dich doch erst mal vor dem Verbluten retten.»

Alice beugte sich zu ihr und umarmte sie. «Oh, Savannah, du hast es zurzeit wirklich nicht leicht. Aber ich verspreche dir, es wird auch wieder besser werden, das muss es einfach.»

«Ja, das wäre schön.»

«Vertraue mir. Am Ende wird immer alles gut.»

Savannah versuchte zu lächeln. «Wenn du das sagst …»

Dann fuhr sie zuerst Alice nach Hause, danach Obst und Brot besorgen und schließlich zurück zum Hotel, wo sie mit Greta zusammen ein Abendessen kreierte, das sicher keinen Preis gewonnen hätte, das ihre Gäste aber satt machen würde.

 

Als sie am Abend die letzten Teller in die Spülmaschine stellte und gerade glaubte, der Tag würde endlich ausklingen, erhielt sie einen weiteren Anruf. Es war erneut Wyatt.

«Savannah, kannst du bitte aufs Revier kommen?»

«Warum? Was ist passiert?»

«Gene hat sich verletzt. Bitte komm her.»

Sie hätte heulen können. Hatte dieser verfluchte Samstag denn überhaupt kein Ende?

Also stieg sie wieder ins Auto, fuhr zum Polizeirevier, parkte davor und ging hinein.

Wyatt führte sie direkt zu Gene, der allein in der einzigen Zelle hockte, die es gab. Er hatte ebenfalls eine verbundene Hand.

«Wie konntest du dich bitte in einer Gefängniszelle verletzen?» Sie sah sich um. Außer einer Liege gab es darin nichts. Es kam ja auch äußerst selten vor, dass in Lake Paradise mal jemand verhaftet wurde. Die Zelle war eigentlich nur dafür gedacht, jemanden über Nacht festzuhalten, ihn auszunüchtern oder ihm Vernunft einzutrichtern. Wer länger in Haft musste, wurde ins County Jail nach Hamilton gebracht.

Da Gene nicht reagierte, antwortete Wyatt für ihn. «Er hat die Wand mit einem Boxsack verwechselt.»

«Was? Du hast auf die Wand eingeschlagen? Warum tust du so was nur?», fragte sie ihren Noch-Ehemann.

Nun trat Gene ans Gitter. «Weil ich dich vermisse.»

Wyatt räusperte sich. «Ich lass euch mal allein», sagte er und verschwand in sein Büro.

Savannah ging näher an die Stäbe heran. «Gene … Du kannst noch so wild auf Wände einschlagen, ich komme nicht zurück zu dir.»

«Ja, ich weiß. Und das ist ja das Schlimmste. Ich habe es echt verbockt, was?»

«Ja, das hast du.»

«Es tut mir leid», sagte er, und diesmal schien er es ehrlich so zu meinen. «Aber dafür ist es wohl zu spät, oder?»

«Ja, Gene.» Sie sah ihm fest ins Gesicht. «Mir tut es auch leid.»

«Ja?», fragte er verwundert.

«Ja. Mir tut leid, dass ich nicht früher gesagt habe, wie unglücklich ich bin. Dass ich uns beiden das so lange angetan hab.»

Gene traten tatsächlich Tränen in die Augen. «Ich wünschte, ich hätte dich glücklich machen können.»

«Das wünschte ich mir auch.»

Er nickte. Und sie wusste, es war vorbei. Er würde sie endlich gehen lassen.

«Ich werde die Scheidungspapiere unterschreiben, wann immer du sie mir zukommen lässt», sagte Gene.

«Sie müssten nächste Woche bei dir sein.»

«Okay.»

«Danke, Gene.» Sie lächelte den Mann traurig an, der vielleicht einfach nicht gewusst hatte, wie er es hätte besser machen können. Dann drehte sie sich um und ging.

«Savannah?», rief Gene ihr hinterher, und sie blieb stehen und wandte sich noch einmal zu ihm um.

«Ja?»

«Ich hoffe, er kann dir das geben, was ich dir nicht geben konnte.»

Jetzt wurden auch ihre Augen feucht. Sie konnte nichts tun, als zu nicken. Dann ging sie aus dem Revier, aus Genes Leben und damit auch aus dem Leben, das sie bisher gekannt hatte. Savannah fuhr die Landstraße entlang, parkte vor dem Hotel und lief in Dylans Arme, der auf der Bank vor dem Eingang auf sie gewartet hatte.

«Bist du okay?», fragte er.

Sie löste sich von seiner Schulter, sah ihn mit tränennassem Gesicht an und antwortete: «Ja. Ich bin okay.»