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D ie Tage vergingen wie im Flug. Dylan hatte sich schon lange nicht mehr so frei gefühlt, es war fast, als wäre aller Kummer vergessen – zumindest, wenn Savannah in seiner Nähe war.

An einem Tag mieteten sie ein Boot und paddelten auf den See hinaus. An einem anderen gingen sie bei Halle Pizza essen und danach ins Autokino. An wieder einem anderen spazierten sie einfach über ein Maisfeld, auf dem jetzt schon kleine grüne Pflanzen aus der Erde hervorblickten.

«Wusstest du, dass der Mais bereits seit 3500 vor Christus bekannt ist?», hatte Savannah ihn bei der Gelegenheit gefragt, während sie seine Hand hielt und zum Himmel hinaufsah. Das tat sie oft, als hätte sie eine persönliche Verbindung zu Gott.

Dylan selbst war nie besonders religiös gewesen, doch er hatte Savannah am Sonntag zum Gottesdienst begleitet, und es hatte ihr die Welt bedeutet.

«Nein, das wusste ich nicht», hatte er grinsend geantwortet. In dieser Stadt schien der Mais eine Art heiligen Status zu haben. Die Leute erzählten einem bei jeder Gelegenheit etwas über das Getreide. Bei dem Fest am kommenden Wochenende würden sogar etliche Stände entsprechende Gerichte und auch süße Leckereien mit Mais anbieten. Savannah freute sich schon riesig auf die Feierlichkeiten, die wie immer drei Tage andauern würden, da der Memorial Day stets auf einen Montag fiel. Und inzwischen freute sich auch Dylan darauf.

Am heutigen Freitag würde er wie versprochen beim Aufblasen der Luftballons helfen, und er hatte Savannah gefragt, ob sie ihn bei den Vorbereitungen zum Dosenwerfen brauchte. Doch sie hatte ihn stattdessen um etwas anderes gebeten, und zwar darum, Alice am Kuchenstand zu helfen. Denn wegen ihrer Handverletzung konnte die Köchin des Inn noch nicht wieder so viel machen, wie sie gern würde, und Greta wurde heute am Bein operiert. Glücklicherweise hatte Savannah Ian mittlerweile so gut im Hotel eingespannt, dass sie ihren Stand die meiste Zeit selbst betreuen konnte. Und das konnte sie kaum erwarten, wie es aussah.

Savannah wirkte wie ausgewechselt. Sie lachte viel mehr, strahlte die ganze Zeit vor sich hin, wirkte überhaupt nicht mehr traurig – und Dylan wollte gern glauben, dass das an ihm lag. Er versuchte wirklich, für Savannah da zu sein, sie zu unterstützen, wo er konnte, und sie aufzufangen, wenn sie doch einmal einen kleinen Rückschlag erlitt.

Zum Glück hatte Gene inzwischen in die Scheidung eingewilligt. Er war schon nach einem Tag aus der Zelle entlassen worden, nachdem Vincent Highmore von seinem Schlamassel gehört hatte und für seine Kaution aufgekommen war. Der Mann schien sich nach Genes Kündigung tatsächlich ein wenig dafür verantwortlich zu machen, was aus seinem Arbeiter geworden war, und er hatte ihm einen Job als Fahrer angeboten – jedoch unter der Bedingung, dass Gene mit dem Trinken aufhörte. Zukünftig würde er also im ganzen Land unterwegs sein und Mais ausliefern, was Dylan ganz recht war, da Savannah und er ihrem Ex dann nicht allzu häufig begegnen würden. Er hegte keinen Groll, doch zum Freund wollte er den Mann nun auch nicht haben. Und vielleicht würde Gene ja auf einer seiner Fahrten jemanden kennenlernen. Sich neu verlieben. Am Ende hatte es doch jeder verdient, sein Glück zu finden, oder?

Savannah hatte Dylan gestern mit zu ihren Eltern genommen, die sie beide zum Dinner eingeladen hatten. Er konnte kaum glauben, wie freundlich sie zu ihm waren. Wahrscheinlich hatten sie selbst schon vor einer ganzen Weile mitbekommen, wie verzweifelt Savannah in ihrer Ehe gewesen war. Und Eltern wollten schließlich immer nur das Beste für ihre Kinder, oder?

Natürlich musste Dylan dabei auch an seine Eltern denken, die nun ganz allein in Tennessee saßen und sich sicher schreckliche Sorgen um ihn machten. Er war in den letzten elf Monaten so sehr mit sich selbst und mit seiner eigenen Trauer beschäftigt gewesen, dass er nicht allzu viele Gedanken an andere Menschen verschwendet hatte – von Ronny einmal abgesehen. Nun erkannte er, wie falsch das gewesen war. Denn für seine Eltern musste es sich anfühlen, als hätten sie Dylan gleich mit verloren.

Er bedauerte es aufrichtig, doch er gab sich selbst nicht die Schuld dafür, wie es gekommen war. Er hatte einfach nicht anders gekonnt. Seine Wunden hatten erst heilen müssen, bevor er sich wieder anderen Menschen zuwenden konnte. Doch jetzt fühlte er sich bereit dazu. Und deshalb rief er nach dem Frühstück von seinem Zimmertelefon aus zu Hause in Dickson an.

«Hallo?» Seine Mom ging ans Telefon.

Er hatte nicht gewusst, wie sehr er ihre Stimme vermisst hatte …

«Mom? Ich bin es.»

«Dylan?»

«Ja.»

Als Nächstes hörte er sie weinen. Dann im Hintergrund seinen Dad fragen: «Rachel? Was ist denn los?»

«Er ist es», sagte seine Mutter, noch immer schluchzend. Und nun packte Dylan doch das schlechte Gewissen. Er wollte nicht, dass seine Mutter seinetwegen weinte.

«Dylan?» Nun hörte er seinen Vater am anderen Ende der Leitung. Er musste ihr den Hörer abgenommen haben.

«Ja, Dad. Ich bin es, Dylan», wiederholte er.

«Oh, Junge. Wie schön, von dir zu hören. Wir haben uns solche Sorgen gemacht.»

«Ich habe doch Karten geschickt.»

«Ja. Und wir haben uns über jede einzelne gefreut. Doch es ist nicht dasselbe, wie mit dir zu sprechen oder dich zu sehen. Wo bist du denn?»

«Ich bin noch immer in Nebraska, in dem kleinen Städtchen namens Lake Paradise.»

«Geht es dir auch gut?»

«Es geht mir gut, Dad. Und wie geht es euch?»

Es folgte eine kurze Pause. Dann: «Es war nicht leicht das letzte Jahr.»

«Ja, ich weiß. Für mich war es das auch nicht.»

«Sei deiner Mom nicht böse, ja? Sie wollte dir keine Vorwürfe machen, und es tut ihr sehr leid.»

«Ist schon okay. Ich wusste ja selbst nicht mit meinem Schmerz umzugehen.»

«Wann kommst du nach Hause?»

«Vorerst wohl nicht, Dad. Ich habe beschlossen hierzubleiben.»

«In Nebraska?»

«Ja.»

«Was gibt es denn in Nebraska?»

Dylan lächelte. «Savannah gibt es hier.»

«Du hast jemanden kennengelernt?»

«Ja. Die wundervollste Frau der Welt.»

Er konnte seinen Vater fast lächeln sehen. «Das ist schön, Junge. Du hast es verdient, geliebt zu werden.»

«Danke, Dad.»

Sein Vater druckste etwas herum. Dann sagte er: «Darf ich dich etwas fragen, Dylan?»

«Ja, natürlich.»

«Was ist mit deiner Musik? Deiner Karriere? Simon hat etliche Male bei uns angerufen.»

«Das ist alles egal. Ich will es hinter mir lassen, es hat mir nur Kummer bereitet.»

«Du willst die Musik hinter dir lassen?», fragte sein Dad erstaunt.

«Nein, nicht die Musik. Nur Nashville und die ganze Oberflächlichkeit. Den Drang nach Erfolg. Ich kann auch hier Gitarre spielen und singen.»

Jamie aus dem Food Paradise hatte ihm sogar ein Engagement angeboten, bei dem er an drei Abenden in der Woche live im Restaurant spielen sollte. Und er hatte den Job angenommen, denn von irgendwas musste er natürlich auch leben, wenn er hier in Lake Paradise blieb.

«Aber kannst du nicht wenigstens für einen Besuch zurück nach Tennessee kommen?», fragte sein Dad. «Wir würden dich so gerne sehen.»

«Ich wollte euch eigentlich vorschlagen, hierher nach Lake Paradise zu kommen. Savannah besitzt eine eigene Pension direkt an einem See. Es ist wunderschön hier, sehr idyllisch, und du und Mom könntet sicher auch mal eine kleine Auszeit gebrauchen, oder nicht?»

«Das klingt gut. Ich werde es mit deiner Mutter besprechen. Hast du eine Nummer, unter der wir dich erreichen können?»

Dylan gab die Telefonnummer des Hotels und seine Zimmernummer durch. «Ich würde mich wirklich sehr freuen», sagte er. «Dann könnte ich euch auch Savannah vorstellen.»

«Ich melde mich spätestens morgen bei dir.»

«Alles klar. Es könnte allerdings sein, dass ich nicht gleich erreichbar bin, weil hier ein großes Fest zum Memorial Day stattfindet, bei dem ich aushelfe.»

«Du bist richtig glücklich dort, was, mein Junge?», fragte sein Vater.

«Ja, das bin ich», erwiderte Dylan. Dann sprach er noch mit seiner Mutter und marschierte danach zum Stadtplatz, um Ballons aufzublasen.