Heiß wird heißer

Es war so heiß, wir hätten auf der Fensterbank Spiegeleier braten können. Meine Mutter hatte alle Fenster in der Wohnung sperrangelweit aufgerissen, aber das änderte rein gar nichts. Die Hitze erhob sich draußen wie eine Mauer und wir hatten Windstärke minus eins. Mein Alter lungerte in der Unterhose herum, grummelte etwas über die Klimakatastrophe und hatte alle Arbeit an den Nagel gehängt. Er war sauer und schweigsam und ging bei jeder Kleinigkeit an die Decke. Meine Mutter und Klein-My kamen besser zurecht. Sie ließen sich fast nur noch zum Essen und Schlafen zu Hause sehen. Ansonsten waren sie am FKK-Strand in Huk oder draußen auf den Inseln. Der Anblick ihrer braunen Gestalten und der Geruch von Salzwasser und Sonnenöl trieben mich zum Wahnsinn. Denn ich selber musste auf der Bude hocken und für die Prüfungen büffeln. In Mathe und Englisch war ich eine absolute Null.

Das Telefon in der Diele klingelte. Ich hörte, wie mein Alter sich aus dem Sessel hochquälte. Gleich darauf stand er in meiner Zimmertür.

»Für dich.«

»Wer denn?«, fragte ich.

Er schlurfte zu seinem schweißnassen Sessel zurück. »Keine Ahnung. Irgendein Frauenzimmer.«

Ich ging zum Telefon. »Ja, hier Peter.«

»Peter Pettersen?« Ihre Stimme klang weich und dunkel, eine Stimme, wie sie bei einem armen Würstchen wie mir die wildesten Phantasien auslösen konnte.

»Höchstpersönlich.«

»Ich bin Pia Winger«, sagte sie. »Ich … du kennst mich nicht, aber ich weiß sehr gut, wer du bist. Ich dachte, vielleicht könnte ich mal eine Runde mit dir und deinem Kumpel reden?«

»Mit dem Prof?«

»Ja, es ist wichtig.«

Ich fragte: »Worum geht's denn?«, aber damit wollte sie am Telefon nicht rausrücken. Mir kam das alles ziemlich verkrampft vor, deshalb zögerte ich zunächst einmal. Meine Nase war ein paar Mal in den Zeitungen zu sehen gewesen und es kam schon vor, dass mich ziemlich durchgeknallte Figuren anriefen. Andererseits hätte ich gern den Mund gesehen, in dem diese Stimme hauste. Ich hätte übrigens so ungefähr alles lieber gemacht als Mathe zu büffeln, deshalb sagte ich Ja.

»Um acht«, sagte sie. »Geht das?«

»Alles klar«, sagte ich.

Sie gab mir ihre Adresse. Sie wohnte unten auf Aker Brygge.

Ich ging einen Stock tiefer zum Prof. Er war allein zu Hause und bastelte an einer Eismaschine herum, die er in einem Trödelladen gefunden hatte. Er hatte das ganze Gerät auseinander geschraubt und der Küchentisch war bedeckt mit Schrauben und Leitungen.

»Weg mit dem Roboter da«, sagte ich. »Wir haben ein Rendezvous mit Pia Winger.« Ich erklärte ihm, dass ich viel mehr als das wirklich nicht wüsste.

»Pia Winger?« Er befreite mit den Vorderzähnen ein Stück Kupferdraht von seiner Isolierung. Spuckte Plastik aus. »Da klingelt's bei mir irgendwo, Pettersen.«

»Kennst du sie?«

»Nix.« Er tippte sich an die Schläfe. »Aber der Name liegt hier irgendwo auf meiner Festplatte.«

Ich schaute auf die Uhr. Es war fast sieben. »Na gut. Was passiert also? Ich hätte auch nichts dagegen mich allein mit ihr zu treffen.«

»Natürlich komm ich mit«, sagte der Prof mit unverschämtem Grinsen. »Ich hab ja schließlich keine Probleme mit Mathe und Englisch.«

 

Unten auf Aker Brygge herrschte das pure Chaos aus halb nackten Körpern und schwappenden Bierkrügen. Draußen auf der Pontonbrücke und vor den Straßencafés an der Promenade kochte die Luft nur so vor Lachen und Lärm. Überall segelten tolle Frauen mit wildem Hüftschwung und bebendem Busen durch die Gegend. Der Fjord war spiegelglatt, es roch nach Krabben und Salzwasser. Ich fragte mich, welcher Sadist wohl die Prüfungen in diese Jahreszeit gelegt hatte.

Die rote Zunge des Prof kratzte an einem riesigen Softeis. »Jetzt werden wir einen Blick in eine andere Welt werfen, Peter, das ist dir doch klar?«

Ich starrte an den Fassaden aus Glas und Mauerwerk hoch. Ganz oben, über Restaurants und sauteuren Geschäften, liegen so ungefähr die phantastischsten Wohnungen von ganz Oslo.

»Ja«, sagte ich. »Pia Winger will bestimmt keinen Hunderter von uns schnorren.«

 

Wir fanden die richtige Adresse. Die Glastür war natürlich abgeschlossen, damit Leute wie wir nicht auf die Idee kommen konnten, in die Marmorecken zu pissen. An den Wänden war ein mittelgroßer Urwald aufgebaut, mitten im Raum plapperte ein kleiner Springbrunnen mit sich selber. Ich presste den Zeigefinger auf den Knopf mit dem Namenszug Winger und bald darauf hörte ich wieder ihre dunkle Stimme. Wir mussten nach ganz oben. So nah zum Himmel, wie es in diesem Teil der Stadt überhaupt möglich ist. Der Fahrstuhl summte und der Prof und ich stolperten in die Herrlichkeit hinein: ein High-Speed-Lift.

Pia Winger war wirklich eine Schönheit. So ungefähr das Schönste, was ich je gesehen hatte. Sie war in unserem Alter, hatte halblange dunkle Haare und fast schwarze Augen. Sie trug schwarze Leggings und ein gelbes T-Shirt, das Klein-My sicher gepasst hätte. Für Pia Winger war es streng genommen ein bisschen zu klein, aber das machte nichts, denn auf diese Weise konnte ihr kupferbrauner Nabel uns anlächeln.

»Kommt rein«, sagte sie. »Schön, dass ihr kommen konntet.« Ich will nicht übertreiben. Es war nicht die größte Butze, die ich je gesehen hatte. Aber die Wohnung war durchaus geräumig, um das mal so zu sagen. Im Wohnzimmer hätte man zum Beispiel problemlos Basketball spielen können. Hohe Glasfenster schauten auf eine große Terrasse und auf eine Aussicht, die mir fast den Atem nahm. Der Oslofjord in goldener Abendsonne. Weiße Segel und grüne Inseln.

Pia führte uns auf die Terrasse. »Möchtet ihr was trinken?«

»Ja, bitte«, sagte der Prof. »Für mich ein Gin Tonic, für meinen Kumpel ein Glas Wasser. Der muss heute nämlich fahren.«

Sie musterte uns unsicher.

»Zwei Cola«, sagte ich. »Falls vorhanden.«

Sie verschwand und wir glotzten.

»I don't believe it«, sagte der Prof leise. Dann grinste er mich an: »Soll ich das übersetzen?«

Ich ignorierte diese Frechheit.

»Hier riecht's nach Steuerhinterziehung, dass mir schon die Nasenlöcher brennen«, sagte er dann. »Ehrliche Menschen haben keine solche Aussicht.«

»Kannst du deine Vorurteile nicht für eine halbe Stunde an den Nagel hängen?«, fragte ich. »Oder zumindest, bis wir wissen, was sie von uns will?«

Der Prof hob beide Handflächen.

Hinter uns klirrten Eis und Gläser. Pia stellte die Getränke auf einen niedrigen Tisch. »Kommt, setzt euch.«

Das taten wir. Wir tranken einander zu und der Prof sagte Nettigkeiten über die Aussicht.

Pia nippte zweimal nervös an ihrem Glas O-Saft. »Ich habe Angst, irgendwer versucht meinen Vater fertig zu machen«, sagte sie. »Deshalb wollte ich mit euch sprechen.«

Oh Himmel, dachte ich. Noch eine, die an den Weihnachtsmann glaubt. Der Prof bedachte mich mit einem säuerlichen Grinsen. Na gut. Schließlich hatte ich uns diese Suppe eingebrockt.

Ich sagte: »Pia … wenn du aus irgendeinem Grund Angst um deinen Vater hast, dann musst du dich an die Bullerei wenden. Klar, der Prof und ich sind über den einen oder anderen Fall gestolpert und haben ihn auch auf irgendeine Weise aufklären können. Aber das hier ist kein Fernsehkrimi.« Ich zeigte mit dem rechten Zeigefinger auf mich selber. »Ich bin ein ganz normaler Typ von sechzehn Jahren, der sich auf ziemlich miese Prüfungsergebnisse vorbereitet. Verstehst du? Der Prof und ich sind keine Privatdetektive. Auch wenn die Boulevardpresse uns so darstellt.«

»Das weiß ich doch«, sagte sie leise. »Ich dachte nur …«

Der Prof erhob sich und ging pfeifend über die Terrasse.

»Kümmer dich nicht weiter um ihn«, sagte ich. »Der spielt manchmal gern den Mistkerl. Was macht dein Vater denn eigentlich? Seefahrtsbranche?«

»Nein, Gastronomie. Ich glaube, er wird auf irgendeine Weise unter Druck gesetzt.«

»Warum glaubst du das?«

»Weil er sich in letzter Zeit total verändert hat.«

»Das hat mein Vater auch«, sagte ich. »Das liegt an der Hitze.«

Ihre Augen sprühten Funken. »Okay, Peter Pettersen! Wenn du mir nicht helfen willst, dann gut. Aber versuch ja nicht mich hier anzuscheißen. Das lass ich mir nämlich nicht gefallen.«

»'tschuldigung«, sagte ich. »Aber das mit der Bullerei habe ich wirklich so gemeint. An die musst du dich wenden.«

»Das ist einfach unmöglich. Mein Vater würde im Achteck springen.«

»Na gut. Aber du musst doch noch mehr erzählen können, als dass er sich in letzter Zeit verändert hat? Er hat doch sicher auch seine Launen, wie alle anderen. Hat er vielleicht Ärger im Job?«

Sie bedachte mich mit einem Blick, den ich bis in die Eier spürte. »Ich kapier das nicht«, sagte sie. »Hörst du mir jetzt zu oder hörst du mir jetzt nicht zu?«

»Natürlich hör ich dir zu«, sagte ich. »Aber …«

»Peter! Pia!«

Das war der Prof. Er stand in der Terrassenecke und beugte sich über ein riesiges Teleskop, das am Geländer festgeschraubt war.

Wir sprangen auf und stürzten zu ihm hinüber. Unten im Hafen strömten die Leute bei einem Cabincruiser der Megaklasse zusammen. Jemand schrie.

Der Prof drehte am Teleskop herum. »Da unten liegt eine Leiche im Wasser«, sagte er.