Es knallt im »Black Swan«

»Ach was«, sagte ich. »Du hast dir heute also auch freigenommen? Ich gehe davon aus, dass du nicht aus dem Schulsekretariat anrufst?«

»Nein. Ich steh in einer Telefonzelle. War kurz in der Schule, aber da herrschte das Chaos. Und als du nicht aufgetaucht bist, bin ich davon ausgegangen, dass du auf eigene Faust losgewühlt hast. Das mit Leffy war bloß ein Versuch, ich hätte eigentlich nicht erwartet dich gleich an der Strippe zu haben.«

»Ich war beim Zahnarzt«, sagte ich. »Und da hab ich eine ziemlich interessante Entdeckung gemacht.«

»Moment noch, Peter. Ich war bei meinem Bruderherz beim Dagbladet und hab ihn ein bisschen angezapft. Und ich hab auch im Archiv rumgestöbert. Dachte, es könnte sich doch lohnen, die Familie vor dem Fest morgen ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen. Für alle Fälle.«

»Genau«, sagte ich. »Und dabei hast du festgestellt, dass ihre Mutter im Knast war, nachdem sie kolumbianisches Scheuerpulver konsumiert hatte.«

Er lachte unsicher. »Du machst dich, Pettersen. Woher weißt du das?«

Ich berichtete ihm kurz.

»Klasse. Eins zu null für dich. Aber diese Schwester da …«

»Ich wollte gerade mal bei ihr vorbeischauen«, sagte ich. »Sollen wir uns in einer halben Stunde vor ihrem Laden treffen?«

Schweigen am anderen Ende der Leitung. Nur sein Atem war zu hören. Dann legte er wortlos auf.

Zwei zu null, dachte ich. Zwei zu null für Peter Pettersen. Endlich, nach langer Zeit. Und das würde dem Prof noch für eine ganze Weile in den Bauch beißen.

 

Monica Wingers Laden fand ich ohne Probleme. Er hieß Black Swan, und um gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, hing über der Eingangstür ein schwarzer Schwan. Der Prof war schon vor mir gekommen, er stand auf der anderen Straßenseite und heuchelte Interesse für Badezimmereinrichtungen. Ich trat neben ihn und zeigte auf ein olivgrünes Klo, das im Schaufenster aufgestellt war. »So eins solltest du dir anschaffen, Prof. Hast du unten in der Akersgate sonst noch was gefunden?«

Er schaute schräg zu mir hoch. »Das kommt schon noch. Nach und nach.«

»Mensch, zier dich bloß nicht so«, sagte ich. »Ist schon gut. Schmoll du nur. Haben wir bei Monica Winger irgendeinen Plan?«

Er schüttelte den Kopf. »Wir werfen einfach nur einen Blick auf sie. Lassen die Atmosphäre auf uns einwirken.«

Wir überquerten die Straße.

 

Monica Winger bewegte sich in einer Atmosphäre, die ziemlich gesättigt war von diversen Ölen und billigem Parfüm aus Indien und da so rum. Eine ganze Wand war bedeckt mit Regalen, auf denen Flaschen und Krüge aller Art standen. Ansonsten wimmelte es in diesem Laden nur so von Silberschmuck und Buddhafiguren und allerlei Krimskrams, der mir nichts sagte. In einem kleinen Nebenzimmer rechts vom Tresen wurden Bücher angeboten. Ich konnte sehen, dass ein Prachtwerk über Marihuana-Anbau in Mexiko als Sonderangebot zu haben war. Als wir die Ladentür geöffnet hatten, hatte über unseren Köpfen eine Glocke gebimmelt und nun kam die Ladenbesitzerin aus dem Hinterzimmer und wollte dafür sorgen, dass wir ja nichts mitgehen ließen. Es war leicht zu sehen, dass sie die Schwester ihrer Schwester und die Tochter ihrer Mutter war. Sie waren wie Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein aus dem Märchen und nun stand Zweiäuglein vor uns.

»Kann ich euch helfen?«

»Wir wollten uns nur ein bisschen umsehen«, sagte der Prof.

»Kein Problem. Ich habe gerade billigen Kristall. Wenn ihr mir euer Sternbild sagt, suche ich den richtigen raus.«

»Danke«, sagte ich. »Eigentlich brauchen wir ein Geschenk für meine Schwester.«

»Ja, lasst euch nur Zeit.« Sie setzte sich hinter den Tresen und blätterte in irgendeiner Zeitschrift.

Abgesehen von ihrer grotesken Schminke kam sie mir längst nicht so verrückt vor, wie Leffy behauptet hatte. Auf dem Weg hierher hatte ich mich schon fast darauf gefreut, dass sie ihre Kleider fallen lassen und dazu »Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal« singen würde.

Wir siedelten in die Buchabteilung über. Hier gab es etwas für jeden Geschmack. Der Prof blätterte in einem Buch über sibirischen Schamanismus, ich entdeckte wunderschöne Postkarten, die außerirdische Wesen zeigten. Sie waren grau, hatten gewaltig große Köpfe und sahen ziemlich witzig aus. Aus irgendeinem Grund hatte der Fotograf seine Linse mit Vaseline eingeschmiert, ehe er losgeknipst hatte. Deshalb waren die Bilder blöd verschwommen. Ich beschloss zwei für Klein-My zu kaufen, denn sie hatte vor kurzem einen Film über Außerirdische gesehen und wartete jetzt die ganze Zeit auf fremden Besuch.

Wieder bimmelte die Türglocke. Wir konnten hören, wie Monica mit jemandem plauderte, dachten aber nicht weiter darüber nach. Aber plötzlich wurden die Stimmen immer härter und Monica rief mehrere Male: »Kommt nicht in Frage! Nie im Leben!«, und dann: »Verpiss dich gefälligst!«

Und dann knallte es. Genauer gesagt, es klirrte. Der Prof und ich ließen Schamanen und Außerirdische fallen und rannten zu ihr.

Im Laden herrschte das Chaos. Monica Winger lag heulend in den Resten ihres Glastresens, während irgendein Schwein sie an den Haaren zog.

»Loslassen, zum Henker!« Der Prof stürzte sich wie ein wütender Lemming auf den Typen, obwohl der älter und kräftiger war als wir. Dafür fing er sich einen auf die Nase ein, der ihn gegen ein Regal mit Cremes und Weihrauch schleuderte. Ich schnappte mir einen Messingbuddha und traf damit den Fuß des Typen. Der fluchte laut, ließ Monica los und wollte sich über mich hermachen. Der Prof griff mit strömendem Nasenbluten wieder ein. Und das war offenbar zu viel für den Unbekannten. Er riss sich los und stürzte zur Tür. Ich versuchte ihn einzuholen, aber draußen wurde er bereits von einem Kumpel mit Motorrad erwartet. Mit brüllendem Motor jagten sie davon. Ich hatte keine Chance, auch nur ein Bruchstück der Nummer zu erwischen.

»Was ist passiert?«

Keine Antwort. Der Prof presste sich ein Taschentuch an die Nase und half Monica auf die Beine. Sie hatte sich an einer Glasscherbe geschnitten und ihre rechte Hand blutete heftig.

»Mistkerl«, sagte sie. »Verdammter Mistkerl!« Sie riss ein T-Shirt von einem Ständer und wickelte es sich um die Hand.

»Ruf die Bullen an«, sagte ich.

»Reg dich ab«, sagte Monica. »Das war bloß mieses Karma. Alles unter Kontrolle. Aber dass er den Tresen mit der teuren chinesischen Vase demoliert hat, ist wirklich eine Sauerei.«

»Willst du das denn nicht anzeigen?«, fragte der Prof.

»Wozu denn? Das war doch bloß ein besoffener Trottel. Und außerdem ist er über alle Berge. Und gegen die Schäden bin ich sowieso versichert.«

Er war nicht mal beschwipst, dachte ich. Und das weißt du verdammt gut. Aber ich sagte nichts. Auch der Prof hielt die Klappe. Vielleicht dachte er wie ich. Wenn Monica Winger den Überfall anzeigte, dann waren wir die einzigen Zeugen. Und die Vorstellung von einer weiteren Begegnung mit Willi Andersen war wirklich nicht verlockend.