Feine Gesellschaft, fiese Blicke

Monica Winger erschien in schwarzem Kleid und mit grünen und blauen Steinen an Ohren und Hals. Ihre Lippen waren leuchtend rot, ihre Augen hatte sie dick mit Wimperntusche eingeschmiert. Sie sah ein bisschen aus wie die Hexe Gundel Gaukeley, war aber um einiges hübscher.

»Meine Fresse«, flüsterte ich. »Wolltest du nicht einen Riesenbogen um diese Party machen?«

Sie lächelte. »Das konnte ich einfach nicht übers Herz bringen. Es hätte ihn tief in der Seele getroffen, wenn Pia und ich heute nicht gekommen wären. Ich habe mehr oder weniger allen Kontakt zu meinen Eltern aufgegeben, aber ich hatte dann doch das Gefühl, mich hier sehen lassen zu müssen.«

»Und deine Mutter?«, fragte ich. »Ist die auch hier?«

»Spinnst du? Das hätte vielleicht ein Geschrei gegeben. Die beiden reden doch kein Wort mehr miteinander.«

»Aber bei euch beiden scheint das ja auch nicht oft der Fall zu sein«, sagte ich. »Deine Mutter war doch sicher die Frau, die gestern im Laden aufgetaucht ist?«

Sie zwinkerte mir zu und hielt sich den Zeigefinger an die Lippen. »Pst.«

Karl Winger hatte jetzt Magne Vendels Tod abgehakt und verbreitete sich über die Leiden der norwegischen Wirtschaft. Ich hatte den Eindruck, dass all seine bisherigen Missgeschicke einer sozialdemokratischen Verschwörung zuzuschreiben waren. Aber nun sei er auf dem richtigen Weg, wie er sagte. Er habe den Kahn gewendet und steuere den Horizont an. Der Prof murmelte irgendetwas über Atlantis, aber das konnte ich nicht verstehen. Applaus brach los.

»Was meinst du mit ‘Scheißspruch’?«, fragte ich Monica. »Waren dein Vater und Vendel vielleicht doch nicht so eng befreundet?«

»Doch, das wohl, glaube ich. Magne gehörte fast schon zur Familie. Ich fand nur, er hätte sich dieses Gesabber darüber sparen können, was Magne gewollt und nicht gewollt hätte. Mein Vater will Geld verdienen. Viel Geld. Mehr gibt's eigentlich nicht zu sagen. Er sieht einfach blöd aus, wenn er ein Wort wie ‘Sinn’ in den Mund nimmt.«

Ich wollte das Gespräch wieder auf ihre Mutter und auf das lenken, was am Vortag in ihrem Laden passiert war, aber irgendein Typ schleifte sie davon. Sie winkte mir zu und war im Gewimmel verschwunden.

»Komm«, sagte der Prof. »Ich sterbe vor Hunger.«

 

Serviert wurde im Erdgeschoss. Auch hier lag ein großes Restaurant und auf dem Weg dorthin hörte ich mehrmals Leute fragen, wie sich das in einer Stadt, in der ständig neue Restaurants auftauchten, denn rentieren könne.

Das untere Restaurant war offenbar für ein eher jugendliches Publikum bestimmt. Alles wirkte ein bisschen weniger gepflegt und außerdem führte eine breite Treppe zur Disco in den Keller hinunter.

»Oh verflixt«, sagte der Prof mit andächtiger Stimme, er stand mitten im Gewühl und schluckte. »So was hab ich noch nie gesehen.«

Ich auch nicht. Quer durch das ganze Lokal war ein kaltes Büfett in der Größe einer Landebahn aufgebaut. Es bog sich unter den Lasten von Speis und Trank. Ich sah Puter und halbe Hähnchen, Hummer und jede Menge Krabben und Salate. Am anderen Ende rotierte ein ausgesprochen totes Spanferkel über glühenden Kohlen, während ein Koch mit einer halbmeterhohen Mütze daneben sein Messer wetzte.

Der Prof sah mich an. »Wenn ich vor lauter Fresserei blau anlaufe, dann musst du mich hier wegschaffen, ja?«

»Vergiss nicht, warum wir hier sind«, sagte ich. Zu seinem Rücken. Er wühlte sich durch die Menschenmenge und mir fiel ein Film ein, den ich einmal gesehen hatte, über einen Schwertwal, der über einen Heringsschwarm herfiel.

Ich selber hatte auch Hunger, aber ich blieb ganz ruhig. Hielt mich mit einer Entenkeule und einem Stück Weißbrot im Hintergrund. Sah mir die Leute an. Nicht weit von mir entfernt stand Winger persönlich und schüttelte Hände wie ein Besessener. Er war ein gutaussehender Mann, mit einer hohen Stirn, die er seinen Töchtern vererbt hatte. Ihre dunklen Augen jedoch hatten sie von ihrer Mutter, Wingers waren hellblau. Er kam mir … ein bisschen hart vor, irgendwie. Nicht kalt, sondern hart. Ich ging davon aus, dass man in seiner Branche Härte wohl auch brauchte. Am Revers hatte er ein schwarzes Band befestigt, das sicher allen unter die Nase reiben sollte, dass er seinen Kumpel in der Leichenhalle noch nicht vergessen hatte. Tom Turbo war nirgendwo zu sehen. Also konnte er nicht im Lokal sein, denn bei seiner Größe hätte er die meisten hier überragt.

Pia, dachte ich. Ich muss Pia suchen. Muss wissen, ob Turbo hier ist und ob er der fremde Besucher auf Aker Brygge war.

Ich fand sie neben dem goldbraunen Schwein. Zusammen mit einem Typen, der sicher Börsenmakler werden wollte. Beide hielten leere Teller in den Händen und der Koch schnitt ganz energisch heißes Fleisch ab.

»Hallo, Peter! Geht's dir gut? Das ist Krister. Guter Freund von mir.«

Krister gab mir die Hand. Etwas in seinem Blick sagte mir, dass wir wohl kaum jemals zusammen auf Wochenendreise gehen würden.

»Ganz toll«, sagte ich. »Ich war noch nie in einer Sauna mit so gutem Essen. Der Prof hat schon total die Kontrolle verloren.«

Sie zog mich beiseite und Krister konnte seinen leeren Teller studieren. »Hast du schon was bemerkt?«

Ich beschloss über die Ereignisse im Laden ihrer Schwester die Klappe zu halten. »Nein«, sagte ich. »Oder doch! Der Prof und ich haben eben draußen einen Typen gesehen und wüssten gern, ob das der Gorilla war, von dem du erzählt hast. Denn dann wissen wir, wer er ist.«

Sie nickte eifrig. »Ich glaube, ich habe ihn auch gesehen. Er ist vor mir ins Haus gegangen.« Ihr Blick wanderte durch das Lokal. »Da! Da ist er!«

Und da war er. Tom Turbo lehnte an der Eingangstür, zerbiss knackend eine Selleriestange und trank Weißwein. Er trug noch immer seine affige Sonnenbrille.

Ich erklärte Pia, wer er war.

»Verdammt«, sagte sie. »Wenn er meinen Vater bloß nicht irgendwo reinzieht.«

»Soviel der Prof und ich wissen, ist ihm nie irgendwas Verbotenes nachgewiesen worden«, sagte ich. »Er gilt einfach nur als etwas suspekt. Und außerdem … wenn jemand es auf deinen Vater abgesehen hat, dann kann der sich über einen Freund wie Turbo nur freuen. «Das meinte ich nicht ganz ernst, aber ich wollte ihr nicht mehr Sorgen machen als unbedingt nötig.

»Pia!«, rief Krister. »Fleisch!« Er hielt einen voll bepackten Teller in die Luft.

»Alles klar, Peter. Bis nachher.«

Ich drehte mich wieder zu Tom Turbo um. Er stand noch an derselben Stelle wie vorhin, bearbeitete nun aber mit seinen breiten Kiefern einen halben Hummer. Nicht weit von ihm entfernt unterhielt Karl Winger sich mit zwei Frauen. Ein Typ in elegantem lila Anzug kam vorbei und klopfte Winger im Vorübergehen auf die Schulter. Winger grüßte überströmend zurück und alles war offenbar Friede, Freude, Eierkuchen. Deshalb fand ich es mehr als seltsam, dass derselbe Typ ein Stück weiter stehen blieb und sich verstohlen nach Winger umschaute. Sein Blick konnte nämlich nur mit Mühe anders als mit hasserfüllt beschrieben werden.