Hier stinkt was!

Er schaute Winger nicht lange an. Die ganze Szene dauerte nur wenige Sekunden, dann drehte der Mann sich um und verschwand. Aber ich hatte genug gesehen. Einer der eingeladenen Gäste, einer, den Karl Winger aller Wahrscheinlichkeit nach als Freund betrachtete, hatte ihn so angeekelt angestarrt wie einen Wurm in einem Apfel.

Ich fand den Prof über einer Wanne voller Leberpastete mit knusprig gebratenem Speck. Ich erzählte ihm, was ich eben erlebt hatte.

»Interessant«, grunzte er. »Den sehen wir uns mal näher an. Wir müssen auf jeden Fall feststellen, wer er ist. Ansonsten ist die Lage hier ja ziemlich ruhig, was?«

»Der Ball hat aber gerade erst angefangen«, sagte ich.

»Ich glaube, wir können ganz ruhig bleiben. Mein Instinkt sagt mir, dass nichts Schlimmeres passieren wird, als dass ein paar Gestalten zu tief ins Glas schauen. Außerdem ist die Bullerei hier, das habe ich schon gesehen.«

»Was? Bist du sicher?«

»Ja. Ich weiß nicht, wie der Typ heißt, aber vor weniger als einem Monat hat er noch für Willi Andersen gearbeitet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ausgestiegen ist. Und ich bin fast hundertprozentig sicher, dass er hier nicht seine Freizeit verbringt.«

»Aber das ist unmöglich«, sagte ich. »Alle hier sind doch von Winger persönlich eingeladen worden.«

»Überhaupt nicht«, sagte der Prof. »Du siehst doch, was hier los ist. Glaubst du, Winger hat Zeit, um sich hinzusetzen und eine Liste von zwei- oder dreihundert Personen aufzustellen? Natürlich hat er die allerwichtigsten notiert und den Rest irgendeiner Sekretärin überlassen. Außerdem ist die Bullerei nicht so bescheuert, wie es manchmal aussieht. Natürlich kann ein Profi sich auf solche Partys einschleichen.«

»Seltsam«, sagte ich. »Denn wenn dieser Bulle mit Andersen zusammenarbeitet, dann hat er kaum was mit Wirtschaftskriminalität zu tun. Und darunter fällt doch der Fall Winger.«

»Die Wirtschaftskripo hat hier wohl kaum was zu holen«, sagte der Prof. »Aber vielleicht wissen die Leute von der Wache mehr über Vendels Tod, als in den Zeitungen steht. Und dann ist es ganz natürlich, dass sie sich in seiner Szene umschauen. Es würde mich übrigens auch nicht wundern, wenn sich hier ein paar Drogenfahnder herumtrieben. Ich war vorhin auf dem Klo und da standen zwei Typen, die ganz schnell Spiegel und Rasierklingen wegräumten.«

»Kokain?«

»Ehrlich gesagt, so genau habe ich nicht nachgefragt. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass das hier eine Party für Heroinjunkies ist.«

Ich sagte nichts dazu. Ich konnte den Prof nicht ausstehen, wenn er diesen herablassenden Tonfall einlegte.

Leffy tauchte auf. Er hatte seinen Schlips abgenommen und den obersten Hemdknopf geöffnet.

»Siehst du irgendwelche Bullen?«, fragte der Prof.

»Zwei oder drei. Aber das war doch sicher zu erwarten. Schließlich fahren hier ziemlich viele Gäste auf Kokain ab. Ihre Sache. Ich an Wingers Stelle hätte besser ausgesiebt. Ich glaube zwar nicht, dass die Bullerei hier zuschlagen wird, aber wenn doch, dann gibt es einen Skandal, von dem noch im nächsten Jahrtausend die Rede sein wird. Mann, die ganze Boulevardpresse treibt sich doch hier rum.«

Ich entdeckte den Mann, der Winger vorhin so hasserfüllt angestarrt hatte. Jetzt unterhielt er sich mit Monica.

Ich zeigte ihn dem Prof.

»Kommt mir bekannt vor«, sagte der. »Aber ich kann ihn nicht unterbringen.«

»Leif Linde«, sagte Leffy. »Der war der Dritte im Bunde.«

»Wie meinst du das?«, fragte ich.

»Als die Geschäfte so richtig florierten und die Kohle nur so hereinströmte, haben Winger, Vendel und Linde sich den ganzen Kuchen geteilt. Sie waren Geschäftspartner. In der Szene wurden sie die ‘Drei Musketiere’ genannt. Als die ganze Sache in den Teich ging, hat Linde seinen eigenen Laden aufgemacht. Ich weiß nicht genau, was er jetzt macht, aber offenbar kommt er gut zurecht.«

Der Prof nickte. »Ja, stimmt. Jetzt weiß ich es wieder. Aber ist er freiwillig ausgestiegen oder haben sie ihm einen Schubs gegeben?«

»Keine Ahnung«, sagte Leffy. »Die ganze Bude ist doch zusammengekracht. Und da hatten die Jungs eigentlich ja keine Firma mehr, aus der sie ihn hätten rausschmeißen können.«

Mir fiel ein unangenehmer Geruch auf. Zuerst war er sehr schwach, dann wurde er stärker. Es roch nach Kacke, um es ganz offen zu sagen.

Leffy räusperte sich. »Also echt, Jungs! Ich bin ja wirklich nicht prüde, aber ich finde, es geht einfach zu weit, hier so locker einen fahren … warst du das, Prof? Machst du solche Schweinereien?«

Der Prof wurde knallrot. »Halt bloß die Klappe. Ich habe überhaupt nichts fahren lassen.«

»Ja, mich brauchst du nicht so anzusehen«, sagte ich. »Heute Abend habe ich mein Darmsystem voll unter Kontrolle.«

Auch andere reagierten jetzt. Und nicht nur die in unserer Nähe. Ich sah, dass auch die Leute auf der anderen Seite des Büfetts die Nase rümpften. Manche lachten nervös, ich nahm an, dass der Wortwechsel, der sich eben zwischen uns dreien abgespielt hatte, überall im Lokal mit leichten Veränderungen wiederholt wurde. Und im Grunde wussten wir jetzt schon, dass es sich nicht um einen harmlosen Furz handeln konnte, der irgendeinem Unglücksraben aus Versehen entwischt war. Der Gestank wurde immer schlimmer und nach wenigen Minuten war er einfach unerträglich. Mit angeekelter Miene stellten die Gäste ihre halb leeren Teller weg. Am Ende sprach eine Frau das aus, was wohl fast alle dachten: »Oh nein, bloß weg hier!« Gleich darauf ließ jemand das Wort »Giftgas« fallen und schon brach Panik aus. Die Gäste schrien und rannten sich gegenseitig über den Haufen, um den Ausgang wirklich möglichst schnell zu erreichen.

»Los«, sagte ich. »Machen wir, dass wir wegkommen.« Von Leffy konnte ich im ganzen Chaos nur den Hinterkopf sehen.

»Nein«, sagte der Prof. »Jetzt müssen wir diesen Job endlich ernst nehmen.«