»Das war ein Unfall!«, rief Linde. »Und das weißt du verdammt gut.«
»Ja«, sagte Tom Turbo. »Es war ein Unfall. Ich werde nicht um Gnade für dich bitten, wenn die Sache vor Gericht kommt, aber ich werde dich auch nicht schlechter machen, als du bist. Mir geht es nur darum, mich aus deinen Krallen zu befreien und in Wingers überzuwechseln.« Er lächelte. »Da bin ich sicher, auch wenn es nicht das ganz große Geld bringt.«
Karl Winger blickte Linde angeekelt an. »Wie …«
»Ein kleiner Abendausflug auf den Fjord«, sagte Tom Turbo. »Magne Vendel hatte ebenso wenig wie du begriffen, mit was für glühendem Hass Leif euch beide verfolgte. Es wurde einiges getrunken. Das heißt, Leif und Magne zechten. Leif wollte offenbar die Sache beschleunigen. Er wollte aus Magne die Wahrheit herausprügeln. Und bei dem Handgemenge ging Magne zu Boden.«
»Er ist ausgerutscht«, rief Linde verzweifelt.
»Das kannst du dir alles für den Richter aufbewahren«, sagte Turbo. »Wichtig ist, dass er mit dem Hinterkopf auf den Anker aufschlug. Er war sofort tot. Dann kam Leif auf die glänzende Idee, die Leiche vor deiner Tür zu deponieren, um dich noch ein bisschen weicher zu machen. Ich fand das ja nicht besonders clever, aber andererseits war es seine Leiche.«
»Du lügst«, stöhnte Linde. »Das war deine Idee!«
»Nein, war es nicht. Und das kann ich beweisen.«
»Wie denn?« Winger musterte ihn interessiert.
Tom zuckte mit den Schultern. »Wir hatten doch vorher abgemacht, dass wir Magne erpressen wollten. Und bei solchen Jobs läuft bei mir immer das Band. Solche Bänder bringen nämlich Geld. Mit diesem kann ich mich von einer unnötig langen Haftstrafe freikaufen. Ich kaufe Zeit.« Er drückte seine Kippe aus. »Und Zeit ist doch Geld, wie man so sagt …«
Jetzt passierte etwas Seltsames. Karl Winger prustete los. Wie besessen. »Tonband«, keuchte er. »Tonband!«
In diesem Moment meldete Pia sich. Ich hatte inzwischen das Walkie wieder eingeschaltet.
»Ich bin's. Peter.«
»Hallo. Kannst du sprechen?«
»Ja. Aber nicht so lange. Hier oben läuft eine ganz unvorstellbare Vorstellung ab. Wir können dir bald alle Einzelheiten erzählen.«
»Auch hier unten ist plötzlich der Bär los«, sagte Pia. »Es wimmelt nur so von Polizei. Ich habe mit Leuten gesprochen, die eben mit dem Auto gekommen sind und die sagen, dass ein paar Irre einen Kilometer von hier entfernt versucht haben eine Sperre zu durchbrechen. Angeblich sind auch Schüsse gefallen. Es soll sogar einen Toten gegeben haben. Kann das was mit meinem Vater zu tun haben?«
»Ja«, sagte ich. »Da bin ich mir fast sicher. Ich schlage vor, du bleibst im Boot, damit du nirgendwo mit reingezogen wirst. Der Prof und ich melden uns gleich wieder.«
Ich brachte den Prof auf den laufenden Stand und er nickte.
»Wollen wir wetten, dass das die Schwarzbankiers waren?«, fragte ich.
»Ja«, sagte er. »Das sollten wir unbedingt.«
Ich steckte mir den Stöpsel wieder ins Ohr. Karl Winger lief kopfschüttelnd hin und her. Schließlich ließ er sich in einen Sessel fallen und kippte einen Whisky. »Jedes einzelne Wort, das heute Abend hier fällt, wird auf Band aufgenommen«, sagte er. »Die Anlage ist gut versteckt, das könnt ihr also vergessen. Und ich werde für dich aussagen, Tom. Du hast dich trotz allem als der am wenigsten faule Apfel im Korb erwiesen.« Er beugte sich über den Tisch und schnappte sich das Paket. Mit dem Taschenmesser schlitzte er es dann auf. »Hier ist der Schatz, meine Lieben.« Er zog einen dicken Stapel Zeitungen heraus.
»Zeitungen!« Liselotte schien kurz vor einem hysterischen Anfall zu stehen.
»Nicht doch«, sagte er. »Ein bisschen Geld ist auch dabei. Hundertachtzigtausend, um ganz genau zu sein. Keine große Summe, um dafür zum Mörder zu werden, Leif! Die Millionen, von denen so viele geträumt haben, haben niemals existiert. Tom! Das ist dein Anteil!« Er warf Turbo einen Packen in den Schoß. »Das sind hundertfünfzig. Eine kleine Zugabe, du musst das ja schließlich versteuern. Und du hast es dir redlich verdient, du Schurke.« Er sah zuerst Leif Lindes Hinterkopf und dann das entsetzte Gesicht seiner Exfrau an. »Und ihr zwei -ihr bekommt nichts. Das heißt, ich will euch ja gern ein paar Stangen Zigaretten und ein Kilo Bananen in den Knast schicken. Und das vermutlich schon morgen. Denn dieses Haus ist jetzt von der Polizei umzingelt. Ihr seid in die Falle getappt.«
Tom Turbo blieb ganz ruhig. Er lächelte nur und sagte: »Wie gut, dass Leif sich geirrt hat, ich bin nämlich nicht bewaffnet. Ich habe nicht einmal eine Nagelfeile in der Tasche.«
Karl Winger machte sich an den Dreißigtausend zu schaffen, die vor ihm auf dem Tisch lagen. »Wie gesagt, das Vermögen, von dem alle Welt geredet hat, hat niemals existiert. Das hat die Polizei inzwischen auch eingesehen. Die Ermittlungen sind abgeschlossen. Das Seltsame ist, dass ich meine alten Quälgeister um Hilfe bitten musste. Nach dem Fiasko im Atlantis wurden meine Gläubiger ziemlich unangenehm. Und ich kann sie einfach nicht bezahlen. Ich konnte nichts verlieren, wenn ich mich der Polizei anvertraute. Die fand es hochinteressant, wo ich das Geld geliehen hatte. Natürlich ist Geldverleihen nicht verboten, nicht einmal zu Wucherzinsen. Aber Morddrohungen sind nicht erlaubt. Und soviel die Polizei weiß, ist nicht nur die Rede von Drohungen. Im Kielwasser dieser Burschen scheinen allerlei Leichen zu schwimmen.« Er schaute auf die Uhr. »Ich habe mit ihnen vereinbart, dass ich ihnen das Geld heute Abend zurückgebe. Hier und jetzt. Und da sie nicht aufgetaucht sind, können wir annehmen, dass sie im Dreck stecken. Und dann das andere. Das, was ihr in die Wege geleitet habt. Ich wusste nicht, wer es auf mich abgesehen hatte. Das war vielleicht naiv von mir, aber ich hatte einfach keine Ahnung. Als das Fest im Atlantis ruiniert worden war, sah ich das alles schon etwas klarer. Ich wusste noch immer nicht, wer, aber ich wusste, warum und wie. Ich sollte zur Schatzsuche gezwungen werden. Tja. Die Polizei war ja auch schon dabei, deshalb beschlossen wir eine Falle aufzustellen, um wenigstens einen der Wölfe zu fangen.« Er lächelte. »Und dann haben wir gleich drei erwischt. Vier mit dir, Tom - aber du kannst dich auf mich verlassen. Ohne dich könnte ich jetzt tot sein. Mit Leif hatte ich wirklich nicht gerechnet, zumindest nicht damit, dass er mit einer Waffe auftauchen würde.«
Der Prof versetzte mir einen Rippenstoß. Unten im Wald sahen wir mehrere Lampen aufblitzen. Die Polizei war im Anmarsch.
»Was machen wir?«, fragte ich.
»Machen, dass wir fortkommen«, sagte er und packte unsere Ausrüstung zusammen. »Wenn die Bullerei das Haus betritt, sind alle darauf konzentriert. Und dann hauen wir über den Berg ab. Auf der anderen Seite gibt es keinen Weg, aber wir kommen schon irgendwie nach unten.«
»Und wenn Winger Recht hat und die Bude umstellt ist?«
»Dann werden wir bis morgen früh im Verhör sitzen. Aber ich glaube, das wird klappen. Sie haben doch offenbar die Leute erwischt, auf die sie gewartet hatten. So eine Operation kostet viel Geld. Die meisten Beamten sind sicher schon auf dem Heimweg.«
»Eins verstehe ich noch immer nicht«, sagte ich. »Warum wolltest du Pia nicht dabeihaben?«
Der Prof schaute mich viel sagend an. »Findest du, dass sie diesen Müll verdient hat? Außerdem konnten wir nicht riskieren, dass ihr Vater sie vielleicht doch entdeckt. Dann hätte er sich ihretwegen Sorgen machen müssen. Und hätte seine Karten vielleicht falsch ausgespielt.«
Ich nickte. »Aber wenn wir den Abstieg überleben und nicht der Bullerei in die Arme laufen, dann können wir dieses Abenteuer vielleicht abhaken.«
»Vielleicht«, sagte der Prof. »Aber ich habe den leisen Verdacht, dass ein Kapitel noch nicht geschrieben ist.«