Der Prof informiert

Als wir das Haus verließen, war die Nachtschicht auf Aker Brygge eingerückt. Nackte Oberkörper und Brüste waren Sommeranzügen und leichten Kleidern gewichen. Jetzt kamen die späten Essensgäste mit ihren schweißnassen Plastikkarten. Um die teuren Restaurants zu belegen und sich in Austern und gekochtem Hummer zu suhlen. Die Sommernacht hing blau und lau über Fjord und Stadt.

»Was sagst du?«, fragte ich. »Übertreibt sie einfach nur?«

»Das kann natürlich sein«, sagte der Prof. »Aber eigentlich glaube ich, dass mehr hinter dieser Sache steckt. Ich wüsste zum Beispiel gern, wer dieser Gorilla war. Ich finde, wir sollten uns erst mal auf ihre hübsche Nase verlassen. Wenn sie sagt, dass der Typ nicht nach da oben auf die Terrasse gehört, dann tut er das vermutlich auch nicht.«

»Nein«, sagte ich. »Aber wenn sich nun herausstellt, dass dieser Magne Vendel ermordet worden ist, dann möchte ich nichts weiter unternehmen als auf dieses Fest zu gehen. Wir können uns einfach nicht in einen Mordfall einmischen. Da geht die Grenze.«

»Stimmt. Aber erstens wissen wir noch längst nicht, ob es überhaupt einen Zusammenhang gibt, auch wenn er ein enger Mitarbeiter von Karl Winger war. Außerdem habe ich vorhin vielleicht den Mund etwas zu voll genommen. Vendel kann schließlich sehr gut aus einem Boot gefallen und dann weggeschwemmt worden sein. Gøran wusste nur, dass sein Hinterkopf eine dicke Ladung abgekriegt hatte. Mehr verrät die Polizei nicht. Wir werden ja sehen, was sie in den nächsten Tagen durchsickern lassen.«

»Hast du da oben, während Pia und ich im Hafen waren, was Interessantes entdeckt?«

»Nur, wie die Butze des berühmten Karl Winger aussieht«, sagte der Prof. »Und dass er offenbar am liebsten grüne Unterhosen trägt.«

»Ich wusste ja, dass ihr Vater ein dickes Tier sein musste«, sagte ich. »Aber sein Name hat mir rein gar nichts gesagt.«

»Du liest einfach nicht gut genug Zeitung, Peter.« Der Prof nickte zu einer freien Bank hinüber. »Setzen wir uns doch kurz. Und dann kriegst du eine kleine Beschreibung des Typen. Ich hielt das nicht für angebracht, solange Pia dabei war.«

»Ach was«, sagte ich. »In Wirklichkeit ist er Mafiaboss?«

Wir setzten uns.

»Nein«, sagte der Prof. »Das ist er ganz sicher nicht. Er ist ein wichtiger Name in der Hotel- und Restaurantbranche, wie Pia gesagt hat. Was sie nicht erwähnt hat, ist, dass die Wirtschaftspolizei ihn sich derzeit unter die Lupe nimmt. Soviel ich weiß, wühlen die jetzt schon seit zwei Jahren in seinen Papieren herum.«

»Tja, das kommt vor. Solche Untersuchungen brauchen doch immer ewig lange.«

»Dass die Wirtschaftspolizei sich eingeschaltet hat, heißt noch lange nicht, dass der Typ ein Bandit ist. Stell dir doch mal vor, wie kompliziert die Buchführung in solchen Riesenunternehmen sein muss. Bestimmt ist die nie hundertprozentig korrekt. Aber das muss noch längst nicht bedeuten, dass der Besitzer irgendwelche miesen Tricks versucht.«

»Schon klar. Aber die Bullerei tippt sicher nicht mit der Stecknadel in die gelben Seiten«, sagte ich. »Das ist doch kein Zufall, dass sie sich Winger rausgesucht haben?«

»Nein, natürlich nicht. Solche Untersuchungen verschlingen Unsummen. Deshalb machen sie das nicht, wenn sie den Verdacht haben, irgendwer könnte vierhundert Ecken Steuern zu wenig geblecht haben. Das kann ich dir sagen!«

»Sie gehen also von Steuerhinterziehung aus? Von ein paar schlichten Milliönchen, zum Beispiel?«

»Das auch, vielleicht. Aber … nein, ich muss an einem anderen Ende anfangen. Es gab doch vor einiger Zeit diesen Investitionshype, weißt du noch?«

»So halbwegs«, sagte ich. »Da ist ein Haufen Leute über Nacht schwerreich geworden.«

»Richtig. Die Banken verliehen Geld wie die Besessenen und ganz junge Leute spekulierten an der Börse und schüttelten eine Firma nach der anderen aus dem Ärmel. Zwei Jahre später stürzte die ganze Kiste ein wie ein Kartenhaus. Fast alle von diesen neuen Millionären waren danach wieder arm. Bestenfalls. Viele hatten den Hintern voll Schulden.«

»Und Winger?«

»Das war auch so einer. Aber er hatte den großen Knall überlebt, weil er ein bisschen vorsichtiger in die Kurven gefahren war als die meisten anderen. Das hat ihm zu einem verdammt guten Ruf verholfen. Und mit diesem guten Ruf konnte er sich in einer Zeit, wo das fast unmöglich war, Kredit verschaffen. Er segelte glatt an die Spitze, während die anderen noch mitten im Absturz steckten. Er legte sich Kneipen und Restaurants im ganzen Land zu. Er war wirklich richtig dick im Geschäft. Aber vor drei Jahren fiel aus irgendeinem Grund auch er auf den Bauch. Fünf oder sechs von seinen bekanntesten Läden bauten den knallenden Konkurs. Niemand wusste, warum, sie waren nämlich nach wie vor sehr beliebt und hatten jeden Abend volles Haus. Eine Zeit lang war er ganz unten, aber er konnte sich neue Mittel beschaffen und noch einmal anfangen. Und jetzt ist er zum zweiten Mal auf dem Weg nach oben.«

»Na gut«, sagte ich. »Aber was ist das Problem?«

»Das Problem ist, dass ein Haufen von Gläubigern keinen Zipfel von dem Geld gesehen haben, das sie Karl Winger geliehen hatten.«

»Aber muss man solche Kohle denn nicht zurückzahlen, wenn die Zeiten besser werden?«, fragte ich.

»So einfach ist das nicht. Es geht nicht um eine Firma, sondern um einen ganzen Urwald, wo vielleicht nicht mal er selber weiß, was was ist. Tochterunternehmen und der Teufel und seine Großmutter, alle sind beteiligt. Wenn du ein bisschen Grips hast, und das hat Karl Winger, dann kannst du zum Beispiel einen Konkurs herbeiführen oder fingieren. Du kannst das Geld beiseite schaffen und dann belegen, dass dein Laden tiefrote Zahlen schreibt. Wenn die Gläubiger dann ihr Geld wollen, finden sie nur zwei leere Barhocker und ein paar schmutzige Biergläser. Verstehst du?«

»Ja«, sagte ich. »Und ich versteh noch was: Wenn das so ist, dann gibt es sicher einige, die Winger Gemeinheiten auf den Anrufbeantworter sprechen.«

»Natürlich. Vor allem wenn er sich von Privatpersonen Geld geliehen hat. Ich glaube nicht, dass die Leiter der großen Banken an Geschäften mit solchen Typen interessiert sind.«

»Prof«, sagte ich. »Das hier ist nichts für uns. Oder was? Wir gehen auf dieses Fest und damit hat sich's.«

»Nicht umdrehen«, sagte der Prof. »Bleib ganz ruhig sitzen und schau mich an. Wir haben schreckliche Angst vor den Prüfungen und wissen rein gar nichts über Familie Winger oder andere Snobs. Und eine Leiche haben wir erst recht nicht gesehen. Wir sind gerade erst gekommen und wollten gleich wieder gehen.«

»Was faselst du da?«, fragte ich.

»Jetzt mach schon.«

Gleich darauf hörte ich schleppende Schritte, die sich uns von hinten näherten. Dann blieben sie stehen.

»Wie nett, euch zu sehen!«, sagte eine Stimme, an die ich mich leider sehr gut erinnerte.