GELD (1)

»Dagobert Duck? Nicht meine Welt«

Herr Gysi, heute ist, wie alljährlich, der UNO-Welttag des Sparens. Sind Sie sparsam?

Nein, ich lebe jetzt, hier und heute, und ich gönne mir etwas. Mir, meinen Angehörigen, meinen Freundinnen und Freunden und meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Aber Rücklagen müssen doch sein.

Ich bin froh, dass ich eine gewisse finanzielle Rücklage habe, die mir Sicherheit garantiert. Aber ich gehöre nicht zu den Menschen, die so sparsam sind, dass sie letztlich alles vererben. Sie verzichten, und ich vermute, sie übertreiben es. Ich habe nichts dagegen, dass meine Kinder mich beerben, aber ich will deshalb nicht dauernd verzichten. Lieber genieße ich bestimmte Dinge schon jetzt – und zwar gern mit ihnen.

Welche Beziehung haben Sie überhaupt zum Geld?

Ich glaube, dass das Geld zu mir eine gestörte Beziehung hat, es läuft immer davon.

Können Sie mit Geld umgehen?

Ich muss ja. Jeder muss es. Irgendwie.

In einem Interview kurz nach dem Ende der DDR wurden Sie gefragt, wer Deutschland in zehn Jahren regieren werde. Wissen Sie Ihre Antwort noch?

Klar, denn es war ja das einzige Interview, das ich je gegeben habe … Ich bitte Sie, natürlich weiß ich die Antwort nicht mehr!

Das Geld, haben Sie gesagt – in zehn Jahren regiert uns das Geld.

Die zehn Jahre waren in Sekundenschnelle rum, und meine Ahnung wurde Wirklichkeit. Ist Wirklichkeit. Kapitalismus eben!

Haben Sie schon mal gehungert?

Helmut Kohl erklärte mir, was Hunger ist. Unmittelbar nach dem Krieg hatte er nichts zu essen und wusste auch nicht, ob und wann er je wieder etwas zu essen bekommt. Erst in diesem Zustand der Ungewissheit hungert man wirklich. So gesehen habe ich nie gehungert.

Sie haben 1994 in Berlin, in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, an einem Hungerstreik Ihrer Partei teilgenommen, als horrende Steuerzahlungen erhoben wurden. Die hätten die PDS ruiniert.

Der Unterschied zu dem von Helmut Kohl geschilderten Hunger und einem Hungerstreik wie dem unseren besteht darin, dass ich einen solchen Streik jederzeit abbrechen und also wieder essen kann. Wer im Sinne von Helmut Kohl hungern muss, kann dies nicht einfach ändern.

Ihr Hungerstreik – wie war das konkret?

Er dauerte etwas über eine Woche. Wir lagerten im Foyer der Volksbühne. Jeden Morgen gab es Kaffee oder Tee, tagsüber nur Wasser. Zum Mittag bekam jeder eine Tasse klare Brühe. Abends durfte jeder zwei kleine Flaschen Bier trinken.

Das war natürlich nicht zu vergleichen mit lebensgefährlichen politischen Hungerstreiks in Diktaturen.

Natürlich nicht! Es war aber trotzdem ernst gemeint, als ein symbolisches Zeichen. Man gewöhnt sich übrigens an so eine Lage, man wird ruhig, nur mein Unterbewusstsein reagierte merkwürdig. Ich träumte jede Nacht vom Essen, und es geschah immer das Gleiche: Es ging zu wie in einem Märchenfilm, wo ein Herr vom Hofe in einen fetten Braten biss und ihn dann weit von sich warf. Ich hechtete hinterher.

Zurück zum Geld. Haben Sie schon mal Geld geborgt und es nicht zurückbekommen?

Ja!

Ein Bettler auf der Straße – geben Sie etwas?

Nicht immer, aber des Öfteren. Manchmal versuche ich ein Gespräch, um zu erfahren, wieso sie oder er zur Bettlerin beziehungsweise zum Bettler wurde.

Sehen Sie in den Armen automatisch die besseren Menschen?

Nein! Sie sind aber auch nicht automatisch die schlechteren Menschen.

Der Dichter Heiner Müller meinte, man solle keinem Bettler Almosen geben. Rebellisches Bewusstsein benötige den Zorn und die Verzweiflung des sozialen Tiefpunktes.

Ich schätzte Heiner Müller sehr, er war ein großer Dichter und im Übrigen mein Mandant, aber was er da sagt, ist eine Pointe, mehr nicht. Von der sozialen Erniedrigung führt selten ein direkter Weg zur wirksamen sozialen Erhebung.

In den USA decken sich Obdachlose sogar noch mit der Nationalflagge zu, wenn sie sich abends hinlegen.

Hochinteressant, wie man dort also das Wesen des Systems verinnerlicht hat: Reichtum heißt Erfolg, und Erfolg als Gesellschaftsprinzip verdient vermeintlich Respekt.

Siehe Trump.

Sein Vater war Millionär, er ist Milliardär, und der erzählt den Leuten: Da ich vom Erfolg etwas verstehe, kann ich auch euch zum Erfolg führen.

Das Prinzip lautet: Wer’s nicht schafft, ist selber schuld.

Im europäischen Westen dagegen verbindet man ein Übermaß an Geld, überhaupt den großen Reichtum eines Menschen ganz unwillkürlich – und oft nicht unberechtigt – mit einer anderen Wahrheit: unsauberen Machenschaften.

Alles schlimm.

Natürlich muss eine Gesellschaft verändert werden, die Spenden, Tafeln, Almosen nötig macht, aber gleichzeitig muss geholfen und Not gelindert werden. Und zwar jetzt, unmittelbar. Für Linke ist das mitunter ein quälender Widerspruch. Das ist für sie so, als wolle man ein Problem mit der Denkweise verändern, die zu dem Problem geführt hat.

Trostpflaster heilen nicht.

Aber lindern den Schmerz.

Mögen Sie Dagobert Duck, den Superreichen?

Dagobert Duck, überhaupt die »Micky Maus«-Hefte, das war als Kind nicht meine Welt. Aber ich weiß, dass er reich und geizig ist. Eine üble, aber lehrreiche Mischung.

Kommt wirklich erst das Fressen und dann erst die Moral?

Der Brecht-Satz … Moral verliert ganz klar an Bedeutung, wenn Menschen hungern müssen und nicht wissen, wie sie diesen Zustand überwinden sollen. Bertolt Brecht appellierte, die Grundversorgung der Menschen so zu sichern, dass man dann auch eine bestimmte menschliche Moral verlangen, durchsetzen und einhalten kann. Andererseits ist eine solche Moral nicht wirklich käuflich. Für Gerechtigkeit, für Ehre, Würde und Wahrheit haben Menschen zu allen Zeiten auch in Kauf genommen, aufs »Fressen«, also auch Annehmlichkeiten zu verzichten.

Linke würden gern Spitzensteuersätze hochtreiben. Sie auch?

Ich möchte Steuergerechtigkeit herstellen, die Mittelschicht entlasten und die Ärmeren sowieso. Die Steuerlast hierzulande ist nicht gleichmäßig verteilt. Alles bezahlt die Mitte! Durchschnittsverdiener wie Polizisten, Erzieherinnen und Lehrer müssen unverhältnismäßig viel zahlen im Vergleich zu Gutverdienern. Das darf nicht so bleiben. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir Linke auch im Bündnis mit kleinen und mittelständischen Unternehmen handeln müssen. Es geht nicht, dass gerade die Mitte durch Steuererhöhungen übermäßig belastet wird. Und was auch nicht geht: Auf Einkommen aus Vermögen werden nur 25 Prozent Steuern fällig, auf Einkommen aus Arbeit viel mehr. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Höhere Gewinne und Zinsen müssen versteuert werden.

Welchen Spitzensteuersatz würden Sie denn gern einführen?

Den, der unter Helmut Kohl galt, und Kohl war bekanntlich kein Linksextremist: 53 Prozent! Aber nur für das, was Menschen über 100 000 Euro im Jahr verdienen. Bis dahin würde ich eher entlasten. Die Bürde der Mitte kann nur überwunden werden, wenn die wirklich Reichen und Vermögenden, die großen Konzerne und Banken angemessen herangezogen werden.

Andere Linke sind rigider und schraubten den Spitzensteuersatz am liebsten höher und höher.

Ja, die verwechseln Besteuerung mit Enteignung.

Sie sprachen die Mitte an.

Ich sage den Linken immer: Wenn ihr das Bündnis mit der Mitte nicht als natürliches Bündnis begreift, dann bleibt die Kritik an Konzernen nur Gequatsche, mehr nicht. Das ist dann bloß Gesinnungstrommelei, die unserem Gemüt zwar guttut, aber nichts ändert.

Linkssein …

… heißt nicht, die Frommen nur immer noch frommer zu machen. Aber auch die Mitte muss begreifen, dass sie das Bündnis mit den Linken braucht. Sonst hat auch sie keine Chance. Was nottut, wird beiden Seiten schwerfallen, es bedeutet Kompromisse. Aber darunter geht nichts.

Spielen Sie Lotto?

Äußerst selten, und ich habe noch nie gewonnen.

Was würden Sie mit einem sehr hohen Lottogewinn machen?

Ich würde für etwas sehr Wichtiges spenden und mir eine Weltreise erlauben.

Sind Sie der Typ, der mit Geld gern zocken würde?

Nein, das ist mir viel zu riskant, und ich verstehe davon auch zu wenig.

Gehören Börsennachrichten wirklich in die Tagesschau?

Ich finde es übertrieben, obwohl es natürlich viele Menschen gibt, die Aktien besitzen oder verwalten lassen. Aber ob diese mit den Angaben etwas anfangen können, wage ich zu bezweifeln. Wenn es natürlich einen richtigen Börsencrash gibt, dann gehört das in die Tagesschau.

Haben Sie jemals Aktien besessen?

Nein, aber das geht Sie auch nichts an … Doch, da war eine Aktie, vom 1. FC Union. Aber das war eine getarnte Spende.