SPIEGEL‑BILD

»Habe mich an mich gewöhnt«

Herr Gysi, beschreiben Sie den Menschen, den Sie im Spiegel sehen.

Ich habe nicht die geringste Lust, mich selbst zu beschreiben.

Sehen Sie sich lieber morgens oder abends im Spiegel?

Am liebsten nur morgens beim Rasieren.

Stehen Sie vorm Spiegel und üben eine Rede?

Nee. Nie. Was ich da sehe, verschlägt mir ohnehin manchmal die Sprache.

Ärgern Sie sich über unvorteilhafte Fotos in Zeitungen?

Gelegentlich schon.

Was ist so schön an Öffentlichkeit?

Freundliche Reaktionen sind angenehm. Es gibt aber auch das Gegenteil, und manchmal ist einem so zumute, dass man überhaupt nicht erkannt werden möchte.

Schmeichelt es Ihnen nicht, nahezu überall erkannt zu werden?

Erstens gibt es viele Menschen, die mich nicht erkennen, und zweitens habe ich in der Zeit, in der ich überhaupt nicht erkannt wurde, auch nicht schlecht gelebt.

Wann waren Sie am eitelsten?

Am 6. November 1989 war ich das erste Mal im Fernsehen der DDR, bei Heinz Florian Oertel. An dem Tag wurde der Entwurf eines Reisegesetzes veröffentlicht, ein unentschiedenes, halbherziges Papier, welches das Reisen nicht richtig erlaubte und nicht richtig verbot. Alle in der Sendung begrüßten den Entwurf, ich kritisierte ihn. Dann erklärte ich, dass ich mit den anderen vierzehn Vorsitzenden der Rechtsanwaltskollegien in der DDR einen neuen Entwurf verfassen werde und hoffe, dass er der Volkskammer besser gefalle als der vorgelegte. Und dann drehte ich mit meiner Eitelkeit durch und bat die Fernsehzuschauerinnen und Fernsehzuschauer, mir ihre Ideen zu schreiben.

Was war daran so furchtbar?

Ich hatte am nächsten Tag 6000 Briefe, am übernächsten Tag 6000 Briefe, und natürlich konnte ich sie nicht von der normalen Anwaltspost unterscheiden. Wenn ein Mandant oder eine Mandantin mir geschrieben hätte, dass ich ein Rechtsmittel einlegen solle, hätte ich den Brief viel zu spät gefunden, die Frist wäre versäumt gewesen. Ich habe mich sehr erschreckt. Glücklicherweise halfen mir zehn Kolleginnen und Kollegen über mehrere Nächte, die Briefe zu öffnen und zu unterteilen. Wenn das nicht passiert wäre, müsste ich wahrscheinlich heute noch Schadenersatz bezahlen. Da habe ich auf jeden Fall begriffen, dass ich mich zu gönnerhaft, zu missionarisch ans Fernsehpublikum gewandt und also nicht ich meine Eitelkeit, sondern sie mich beherrscht hatte.

Wer darf Ihnen Eitelkeit vorwerfen?

Jede und jeder, es sei denn, sie oder er ist noch eitler als ich.

Was ist Ihnen in der Öffentlichkeit peinlich?

Die Frage werde ich Ihnen schon deshalb nicht beantworten, weil sonst jene, die mich nicht mögen, genau solche Situationen organisieren werden.

Gehen Sie gern auf Bühnen?

Auf jeden Fall stört es mich nicht.

Gehört zur Eitelkeit, nicht aufhören zu können?

Das glaube ich in Bezug auf mich selbst nicht. Ich konnte als Parteivorsitzender, als Fraktionsvorsitzender, als Berliner Bürgermeister und Senator aufhören. Auf jeden Fall hat mich die Eitelkeit nicht daran gehindert.

Was gefällt Ihnen an sich selbst? Was nicht?

Na ja, ich komme einigermaßen mit mir klar. Das heißt, es gibt Dinge, die mir gefallen und Dinge, die mich stören. Aber ich werde das jetzt nicht im Einzelnen aufzählen.

Sie sind also letztlich gern der, der Sie sind?

Ja.

Warum?

Die Begründung ist einfach: Ich bekomme eh keinen anderen für mich als mich selbst. Ich habe mich an mich gewöhnt.

Sie waren als Kind doch bestimmt im Ferienlager. Fühlten Sie sich wohl?

Meine Freude war begrenzt. Ich war nicht der Typ, der gern im Zelt oder in Bungalows mit vielen anderen Kindern gemeinsam übernachtete. Mich beschäftigte, wie man sich miteinander vertrüge. Das strengte mich an, es belastete mich. Aber letztlich habe ich mich eingeordnet und eingewöhnt. Ich kann mich in vielen Situationen so verhalten, dass ich trotz Distanz offen genug bleibe für schöne Erlebnisse.

Der Filmregisseur Federico Fellini sagte, jedem Menschen entspreche vom Charakter her ein Musikinstrument. Was glauben Sie – welches entspricht Ihnen?

Ich denke, dass eine Kombination aus Schlagzeug und Piccoloflöte mir am ehesten entspricht.

Welches Musikinstrument hören Sie besonders gern?

Das Piano und die Geige, aber gelegentlich auch Gitarre und Schlagzeug.

Welches Instrument würden Sie gern spielen?

Alle, aber ich kann keines.