LINKS UND RECHTS – EXTREM

»Gleichsetzung lehne ich ab«

Herr Gysi, der linke Kampf für eine andere, bessere Bundesrepublik – immer wieder gibt es Diskussionen über die Mittel, mit denen dieser Kampf geführt werden sollte.

Und da ist bei bestimmten linken Strömungen die antikapitalistische Kritik, ohne jede Einschränkung, an Gewalt, an Zerstörung gebunden. Leider so sehr, dass es in der offiziellen politischen Deutung dann nie ein weiter Weg zur Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus ist.

Die Gewalt ist sowieso in zunehmendem Maße zurückgekehrt in den öffentlichen Raum.

Ob Rechtsextreme oder Linksradikale – Gewalt ist auf jeder Seite zu verurteilen. Aber die Gleichsetzung lehne ich trotzdem ab.

Wo sind denn die Unterschiede?

Der Rechtsextremismus wendet sich sehr häufig gegen Schwache, gegen Minderheiten. Er ist Ausdruck von Rassismus, Chauvinismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit. Er recycelt nazistisches Gedankengut. Er richtet sich meist gegen Unbewaffnete, und in aller Regel versuchen Rechtsextremisten, ihre Täterschaft zu verheimlichen. Besonders deutlich wurden diese Strukturen bei den Morden des »Nationalsozialistischen Untergrunds«. Der Linksradikalismus dagegen richtet seine Anschläge zumeist gegen Symbole oder Vertreter der Macht. Er nimmt bewaffnete Gegenwehr in Kauf, und meistens bekennt er sich zu seinen Anschlägen.

Manchen klingt das nach Bagatellisierung linker Gewalt.

Unsinn. Ich bagatellisiere gar nichts. Gewalt gehört leider zur Geschichte. Mit ihren Morden hat etwa die »Rote Armee Fraktion« den Betroffenen, aber auch der linken Bewegung erheblich und nachhaltig geschadet. Die Familien der Ermordeten litten. Das Bittere an linker Gewalt ist oft diese Verknüpfung eines kämpferischen Idealismus, einer berechtigten Gesellschaftskritik mit den gefährlichen Verführungskräften einer militärischen, doktrinären Selbstüberhebung – die letztlich dem Antikommunismus in die Hände spielt.

Bei Facebook, bei YouTube sind Ihre Mitschnitte von Bundestagsreden wahre Hits. Was machen Sie besser als andere Politiker?

Ich wende Logik an, ich übersetze die Politik in Begriffe, mit denen sofort jede und jeder etwas anfangen kann.

Ist das Populismus?

Ein Populist bietet einfache Antworten, in dem Wissen, dass sie falsch sind. Ich biete einfache Antworten und bin der festen Überzeugung, dass sie wahr sind.

Einfache Antworten …

Nee, Antworten einfach. Ein Politiker ist kein Philosoph.

Was lässt Sie verzweifeln?

Ohnmacht. Die Welt ist derart kompliziert und unübersichtlich. Wie willst du alles erläutern? Wie soll man das alles verstehen? Man muss sich nur eine alleinerziehende Mutter vorstellen, sie arbeitet neun Stunden, hat zwei Kinder, die brauchen Spielzeug, Kleidung, Essen, die Mutter muss sich um alles kümmern – und dann soll sie noch die ganze Welt begreifen?

Gibt es ein einfaches Rezept gegen Rechtspopulismus?

Die Union muss wieder konservativer werden, die SPD wieder linker, die Grünen wieder grüner und die Regierung muss (irgendwann!) rot-rot-grün werden.

Und die Linkspartei? Jetzt bitte keinen Vortrag. Ich weiß, dass Ihnen da vieles auf dem Herzen und auf der Zunge liegt. Ich zitiere Gregor Gysi: »Antworten einfach«.

Die Linken bestehen meist aus negativen Botschaften, weil wir das herrschende System kritisieren. Wir müssen den Leuten aber auch Hoffnung geben – positive Botschaften senden. Wieder Zuversicht geben.

Wie blicken Sie auf AfD-Wähler und ‑Wählerinnen?

Nicht alle sind Rassisten und Ausländerfeinde. Es gibt viele, denen es gar nicht schlecht geht, die aber denken, es könnte ihnen besser gehen, wenn sie mehr Unterstützung vom Staat und den etablierten Parteien bekämen. Frust treibt sie zur AfD. Und dann gibt es die, die leider wirklich abgehängt sind – seit Jahren prekär beschäftigt, im Niedriglohnsektor oder ganz ohne Arbeit. Ich werde nie eine Frau vergessen, eine Hartz‑IV-Empfängerin, die zu mir sagte: Erst habe ich die CDU gewählt, es verbesserte sich nichts für mich, dann wählte ich SPD, wieder blieb alles, wie es war, dann habe ich die Linkspartei gewählt, aber auch dann blieb für mich alles beim Alten.

Ist es schwer, gegen eine solche Erfahrung anzureden, indem man den Wert der Demokratie hervorhebt?

Es ist schwer und bleibt doch nötig. Gerade auch in der Opposition.

Genau aus solchen Enttäuschungen erwachsen AfD-Wähler und ‑Wählerinnen.

Diese Menschen wollen, dass wir uns ärgern, weil sie hoffen, dass wir alle unsere Aufmerksamkeit dann wieder auf sie richten.

Warum wird denn die AfD im Osten prozentual stärker gewählt als im Westen?

Viele Ostdeutsche wurden bei der Herstellung der deutschen Einheit zu Deutschen zweiter Klasse. Zudem war die DDR eine geschlossene Gesellschaft. Es gab in Dresden keine Muslime. Und plötzlich gibt es einen Knall, die Gesellschaft ist völlig offen – das kann überfordern.

Gerade auch dann, wenn soziale Verwerfungen zunehmen …

… und die Ängste, dass wegen der Flüchtlinge die soziale Lage noch schlechter wird. Es ist verständlich, dass man nicht ganz unten sein will. Aber deswegen gegen noch Ärmere zu sein, ist falsch.

Verstehen Sie denn diese Menschen nicht, diese Angst, ausgelöst von der Globalisierung?

Natürlich verstehe ich sie. Aber auch wenn ich sie verstehe, muss ich ihnen nicht entgegenkommen. Sondern ich kann versuchen, ihnen zu erklären, weshalb ihre Überlegungen zum Teil falsch sind. Und dass diejenigen, die rein nationale Lösungen vorgaukeln, lügen. Und die wissen, dass sie lügen!

Oft heißt es im Politikbetrieb, man müsse die Leute »mitnehmen«.

Als gehe man denen, die einen wählen, missionarisch voran. Derartiges Vokabular diskreditiert das Wort von der Volksvertretung. Aber man ist doch keinesfalls auserwählt, sondern nur gewählt. Und das zeitlich begrenzt.

Oder Politiker sagen, sie wollten die Leute dort »abholen«, wo sie sind.

Martin Sonneborn von der Partei DIE PARTEI sagt darauf immer sarkastisch: Die Leute abholen, so weit ist es schon wieder in Deutschland.