ENTSPANNUNG

»Gelegentlich Kreuzworträtsel«

Herr Gysi, wobei entspannen Sie sich am besten?

Zum Beispiel bei einem gemütlichen Abend mit Wein, vorausgesetzt, dass ich am nächsten Tag ausschlafen kann.

Können Sie mal so richtig fünfe gerade sein lassen?

Ich kann das im Grunde sehr schlecht, versuch’s aber immer wieder mal. Es ist ja der Versuch, die Probleme, die einen beschäftigen, wenigstens vorübergehend aus der Gedankenwelt auszuschließen.

Heiner Müller sagte: »Arbeit, die Spaß macht, ist keine.« Sehen Sie das auch so?

Im Grunde hat er recht.

Spaß ist ein furchtbares Modewort.

Ich hätte bei der Arbeit vieles gern freudiger, entspannter, leichter erlebt, aber davon kann in der Regel keine Rede sein. Dazu ist meine berufliche Tätigkeit zu anstrengend.

Ihr Lieblingsplatz auf der Welt?

Ich kann mich nicht für einen bestimmten entscheiden. Vielleicht dort, wo ich allein aufs Meer schauen kann.

Können Sie wenigstens mal spazieren gehen, ohne an Politik zu denken?

Inzwischen ja.

So unentschieden?

Es hängt auch ein bisschen davon ab, ob ich allein oder zu zweit oder mit vielen spazieren gehe. Allein denke ich ganz verschieden und an alles Mögliche. Wenn ich mit einem anderen Menschen oder mit mehreren anderen zusammen spazieren gehe, hängt die jeweilige Gedankenwelt vom Gesprächsstoff ab, der irgendwie entsteht.

Es gibt in der Politik berühmte Wald- oder Parkspaziergänge. Letzte Reste von Romantik oder Vorsicht vor Geheimdiensten?

Ein bisschen erstens, aber vor allem zweitens.

Was wirklich entspannt, ist Sport im Fernsehen. Haben Sie diesbezüglich unvergessliche Erinnerungen?

Ja. Es war aber nicht entspannend, sondern aufregend. Zum Beispiel imponierte mir ungemein der Weitsprung von Bob Beamon in Mexiko, als er 8,90 Meter erreichte. Unvergesslich bleibt ein Jahr nach dem Einmarsch der Sowjetunion in die ČSSR das WM‑Spiel zwischen der sowjetischen und der tschechoslowakischen Eishockeymannschaft in Prag. Die Schiedsrichter konnten der Situation kaum Herr werden. Alle Eishockeyspieler sprangen über die Bande und prügelten aufeinander ein. Klugerweise hatten die Schiedsrichter aber das Spiel nicht abgebrochen, sondern so gut wie alle mit einer Zehn-Minuten-Strafe belegt und nur das Minimum für beide Mannschaften (drei Spieler und ein Torwart) aufrechterhalten. Es gewann die Tschechoslowakei. Nach den militärischen Ereignissen ein Jahr zuvor eine große tschechoslowakische Genugtuung. Das dritte Beispiel: Bei den Olympischen Spielen in München gab es ein Basketballspiel zwischen den Männern der Sowjetunion und den USA. Es ging mit der Führung wechselseitig immer hin und her. Nach dem Schlussgong führte die USA knapp. Dann gab es einen Protest der sowjetischen Mannschaft, weil die Schiedsrichter versäumt hatten, auf Verlangen des Trainers eine Pause zu geben. Die Jury entschied, dass es eine Sekunde Nachspielzeit gäbe.

Eine einzige Sekunde!?

Mir ist völlig schleierhaft, woher der sowjetische Spieler die Nerven nahm. Auf jeden Fall warf er den Ball über den Platz, ein weiterer sowjetischer Spieler war dran, der Ball war im Korb, und es ertönte erneut der Schlusston. Die USA waren so beleidigt, dass sie ihre Silbermedaille nicht entgegennahmen.

Waren Sie in der DDR ein Nacktbader?

Bis zu einem gewissen Alter, ja. Aber was Sie für seltsame Ausdrücke benutzen! In der DDR hieß das FKK, Freikörperkultur.

Sind Sie eine Spielernatur?

Wenn ich mit Angehörigen, Freundinnen oder Freunden und entspannt bin, spiele ich auch gern. Das ist Familientradition. Wir haben daheim viel gespielt. Bridge oder das chinesische Spiel Mahjong.

Auch Monopoly?

Ja. Das Spiel hatte unsere Mutter aus dem Westen mitgebracht. Man machte spielerisch die Erfahrung, wie geldgierig man werden und wie leicht man sich dabei übernehmen kann. Ein Egoismus der Gier macht einsam.

Weil Sie China erwähnten: Dort entwickelte man Gesellschaftsspiele als Modelle, die Welt zu retten.

Na ja, manchmal ist schon viel gewonnen, wenn man spielend einen Abend rettet.

Was in vielen Familien der Fernseher übernimmt.

In unserem Haus stand lange Zeit kein Fernsehapparat. Ein Freund von mir wohnte uns gegenüber, seine Mutter besaß einen Fernseher. Da ging ich manchmal hin. Vielleicht hätten wir weniger Gesellschaftsspiele gemacht, wenn wir auch so ein Gerät gehabt hätten.

Waren, sind Sie bei Gesellschaftsspielen ein guter Verlierer?

Ich gewinne gern, halte es aber auch aus, wenn ich verliere. Manchmal ist das »Siegen« auch langweilig.

Lösen Sie Kreuzworträtsel?

Gelegentlich.