26. Kapitel
Jackson
 
Es ist zu früh. Viel zu früh. Die Verhandlung gegen die Dark Ghosts hat noch nicht begonnen. Uns wurde noch keine neue Unterbringung zugewiesen. Die Zukunft liegt noch voller Ungewissheit vor uns, aber ich will nicht mehr warten.
»Du bist heute ja vollkommen durch den Wind«, schimpft mein Boss. »Wenn du nicht Acht gibst, landet der nächste Ziegelstein auf dem Fuß eines Kollegen.«
Ich entschuldige mich und hebe den Ziegel auf, der mir vom Stoß gerutscht ist.
»Inzwischen arbeitest du schon einige Zeit für mich, Jack. Ich habe dich als konzentrierten Mitarbeiter kennengelernt. Noch gestern dachte ich, du könntest es hier weit bringen. Heute wirkst du nicht bei der Sache. Bei jeder Aufgabe, die ich dir zuteile, drehst du irgendeinen Murks.«
»Tut mir leid«, wiederhole ich. Den Tadel nehme ich mir zu Herzen. Mir ist dieser Job sehr wichtig. Es wäre zu schade, wenn Stephen einen anderen Eindruck erhalten sollte. »Ich habe tatsächlich etwas anderes im Kopf, weil ich gestern Besuch aus der alten Heimat bekommen habe.«
»Schön für dich, aber das ist kein Grund, deine Arbeit nicht vernünftig zu erledigen.«
Er hat Recht. Vielleicht würde Stephen es verstehen, wenn ich ihm von meinem Plan erzähle. Ich krame in meiner Hosentasche und hole den Gegenstand heraus, der mich so hibbelig macht.
Stephen hebt eine Augenbraue, als ich ihm die Handfläche entgegenstrecke. »Ein ordentlicher Klunker.«
»Der Verlobungsring meiner Mutter. Der Ring brennt ein Loch in meine Hosentasche, seit er mir gestern ausgehändigt worden ist. Ich möchte ihn so schnell wie möglich an der Hand von Ma… Mary sehen. Ich möchte, dass sie meine Frau wird.«
»Ihr beide seid ein nettes Paar. Ich glaube, du könntest es schlechter treffen«, sagt Stephen mit einem breiten Grinsen.
»Definitiv. Sie ist alles, wovon ich immer geträumt habe. Ich weiß, dass ich sie nicht verdient habe. Aber aus irgendeinem verrückten Grund liebt sie mich. Solange sie nicht merkt, dass ich ihrer nicht wert bin, muss ich meine Chancen nutzen. Wenn ich zu lange warte, könnte diese Gelegenheit verstreichen.«
Als ich den Ring wieder wegpacken will, rutscht er mir aus der Hand. Entsetzt stöhne ich auf, als er direkt in einem Kübel mit Beton fällt.
Obwohl Stephen die Augen verdreht, reagiert er schneller als ich und fischt den Ring aus der Pampe, bevor er untergehen kann. Dann wirft mein Boss den Ring in einen Kübel mit Wasser. Das wäscht den restlichen Dreck ab und verhindert, dass das Familienerbstück zu einem Betonklumpen wird.
»Danke.« Mit zitternden Fingern nehme ich den Ring entgegen und stecke ihn sofort in meine Hosentasche.
»Denkst du wirklich, dort ist er in Sicherheit?«, fragt Stephen. »Ich habe das Gefühl, du solltest heute gar nichts mehr anfassen.«
»Gut möglich. Ich bin furchtbar nervös. Zwischen Mary und mir läuft es gut. Wir hatten vor kurzem einige Schwierigkeiten, aber die haben wir überwunden. Wir sind glücklich. Trotzdem besteht die Möglichkeit, dass sie den Antrag nicht annimmt.«
Mein Boss lacht. »Jeannie hat mir vom ersten Tag an den Kopf verdreht. Ich wusste sofort, dass sie die Frau fürs Leben ist. Zum Glück hat es keinen so wertvollen Ring gebraucht, um sie zu einem Ja zu bewegen. Jedenfalls kann ich jetzt verstehen, wieso du im Moment nicht bei der Sache bist. Ich an deiner Stelle würde zusammenpacken und schnellstmöglich zur Frau meiner Träume laufen, um die eine Frage zu stellen.«
»Tja, leider bin ich hier nicht der Boss und kann sowas frei entscheiden«, erinnere ich ihn lachend.
»Zum Glück hat dein Chef ein großes Herz und weiß noch von früher, wie sich Verliebtheit anfühlt.«
»Die große Liebe«, korrigiere ich.
Stephen hebt eine Augenbraue. »Mach besser nicht auf Schlaumeier, wenn du deinen Boss dazu kriegen willst, dich früher nach Hause zu lassen.«
»Ehrlich? Würdest du mir das erlauben?«
»Länger als eine Stunde brauchen wir ohnehin nicht mehr auf dieser Baustelle. Außerdem habe ich keine andere Wahl, als dich von dieser Baustelle wegzuscheuchen. Würde ich es nicht tun, gäbe es vielleicht heute noch einen Toten.«
Im Hinblick auf meine Vergangenheit - von der er natürlich nichts ahnen kann - ist das ein schlechter Witz. Heute gelingt es mir dennoch, darüber zu lachen. »Ich danke dir. Dafür hast du etwas bei mir gut. Drück mir die Daumen, dass sie ja sagt. Dann bin ich morgen wieder ganz der Alte. Wenn nicht …«
Stephen schüttelt sich. »Wenn du dich morgen nicht im Griff hast, muss ich dich leider feuern. Und jetzt los, bevor ich es mir anders überlege.«
Ich nicke ihm zu, schnappe mein Werkzeug und mache mich auf den Heimweg.
Während ich das Lenkrad umklammere, durchquere ich die Stadt. Mein Herz klopft wie verrückt. Madison ist die Richtige. Daran besteht für mich kein Zweifel. Inzwischen steht nichts mehr zwischen uns. Dennoch könnte sie immer noch das Gefühl haben, nicht glücklich sein zu dürfen. Es könnten unverarbeitete Emotionen hochkochen, von denen ich nichts ahne. Es gibt so viele unterschiedliche Aspekte, die ich nicht einkalkulieren kann. Ich werde das Risiko einfach eingehen müssen.
Madison soll meine Frau werden. Ich will, dass wir zusammengehören. Ich möchte nicht länger auf den Rest unseres Lebens warten.
Als ich vor der Garage anhalte, in der Madisons Wagen steht, würge ich versehentlich den Motor ab. Beim Aussteigen fällt mir zum Glück im letzten Moment auf, dass ich vergessen habe, die Handbremse anzuziehen. Mir wird bewusst, dass ich Blumen hätte besorgen sollen. Und Wein. Und Kerzen. Vielleicht hätte ich mich besser auf den großen Moment vorbereiten sollen. Ich bin nicht der Typ für romantische Gesten. Mir fehlt jegliche Übung. Ob Madison auf solche Sachen Wert legt?
Ich laufe weiter und öffne die Eingangstür, in Gedanken versunken über Dinge, die ich versäumt habe.
Aus der Küche höre ich das Klappern von Töpfen. Madison scheint gerade dabei zu sein, das Abendessen vorzubereiten. Ich hätte sie anrufen und vorschlagen sollen, dass wir uns etwas bringen lassen, damit sie keine Mühe mit dem Kochen hat.
Mist auch. Warum schalte ich meinen Kopf immer zu spät ein, wenn es um sie geht?
Leise betrete ich die Küche und sehe Madison dabei zu, wie sie eine rote Soße in einer Pfanne umrührt. Es riecht nach Tomaten, Zwiebeln und irgendwelchen Gewürzen. Es ist ein friedliches Bild, das ich mehrere Sekunden lang genieße.
»Was machst du denn schon da?«, fragt Madison überrascht, als sie mich entdeckt. »Habt ihr die Arbeit auf der Baustelle für heute schon abgeschlossen?«
»Stephen hat mich nach Hause geschickt«, berichte ich und schlendere zum Ofen. »Anscheinend habe ich ihm zu viele Fehler gemacht. Er hat behauptet, ich würde noch jemandem die Zehen brechen.«
»Oh, nein. Alles in Ordnung?«
Ich sehe in diese wunderschönen, braunen Augen. Solange so viel Wärme wie jetzt in ihnen liegt, kann nichts schiefgehen. »Klar. Mein Kopf war nur mit anderen Dingen beschäftigt. Zum Beispiel bist du darin herumgespukt.« Erst nehme ich ihr den Kochlöffel aus der Hand. Dann küsse ich sie zärtlich.
Atemlos löst sie sich nach Sekunden von mir, in denen die Zeit stehen geblieben ist. »Wenn wir nicht aufpassen, brennt die Soße an.«
Mir schwebt ohnehin etwas Romantischeres vor. »Lass sie schwarz und hart werden. Willst du nicht lieber essen gehen? Ich lade dich ein.«
»Du willst jetzt nochmal raus? Irgendwie fehlt mir die Lust dazu. Nachdem ich den gesamten Tag Leute bedient habe, möchte ich kein Lokal mehr von innen sehen. Außerdem ertrage ich heute keine Menschenmengen. Lass uns die Füße hochlegen und ein wenig quatschen. Es gibt da etwas, das ich dir gerne erzählen möchte.«
»Das wäre auch in einem Restaurant möglich. Können wir ausgehen, statt heute daheim zu essen?«, frage ich mit trockenem Mund. Wie kann ich sie nur von hier weglotsen? »Das wäre der ideale Ort. Mir ist bewusst, dass der Vorschlag ziemlich überstürzt scheint, aber wenn ich auch nur eine Sekunde länger warte, platze ich.«
»Hast du so großen Hunger? Ich kann dir schnell ein Sandwich machen.« Irritiert runzelt sie die Stirn.
»Nein, das ist nicht notwendig. Ein Sandwich ist nicht das, was ich brauche. Viel lieber wäre mir ein Lokal mit romantischer Stimmung, Kerzenschein, leiser Musik und leckeren, überteuerten Häppchen. Meinetwegen wäre ich auch mit einem Tisch, auf dem ein Strauß Rosen steht, zufrieden. Ich hätte auf dem Herweg daran denken sollen. Wir könnten das Licht dimmen, während ich im Radio einen Sender mit langsamer Musik suche ...«
»Was zum Teufel ist los, Jackson?«
Seufzend greife ich nach ihrer Hand. »Gestern habe ich Special Agent Foster getroffen.«
»Du machst mir Angst, Jackson. Gibt es schlechte Neuigkeiten? Geht der Prozess endlich los? Müssen wir zurück nach New York?« Besorgnis zeigt sich auf ihrem Gesicht. »Wobei er das bei unserem Telefonat heute wohl erwähnt hätte.«
»Zu diesen Themen hatte er keine neuen Informationen. Wir haben uns auch gar nicht so lange unterhalten. Er hat mir nur etwas vorbeigebracht, um das ich ihn gebeten habe. Warum hast du mit ihm telefoniert? Hat er dich angerufen?«
Sie wendet den Blick ab. »Nein, ich wollte ihn nur auf den neuesten Stand bringen. Schließlich haben wir ihn schon lange nicht mehr gesprochen.«
Zumindest sie nicht. Aber dass sie sich extra bei ihm meldet, überrascht mich trotzdem. Egal, danach werde ich sie später fragen. Jetzt ist erst einmal etwas anderes wichtig.
»Ich habe ihn etwas organisieren lassen, das ich dir gerne schenken würde«, erzähle ich. »Wir beide haben bereits viel miteinander durchgestanden.«
Madison nickt. »Stimmt. Nach einem stürmischen Start haben wir einige Hindernisse überwunden. Ich habe an mir gearbeitet, meine Probleme in den Griff bekommen. Ich glaube, ich bin jetzt ein besserer Mensch —«
»Du bist schon vorher ein wunderbarer Mensch gewesen«, unterbreche ich sie rasch. »Du bist warmherzig, leidenschaftlich, witzig, einfach perfekt. Dafür liebe ich dich. Mein Herz schlägt nur für dich. Ich will dir dafür danken, dass du von Anfang an hinter meine Fassade geblickt hast. Du hast mich nicht abgeschrieben, obwohl andere sich von meiner Vergangenheit hätten abschrecken lassen.«
»Das wäre mir nicht passiert. Ich habe erkannt, wie du wirklich bist«, behauptet sie und lächelt mich an. »In deinen Augen konnte ich lesen, dass du nicht schlecht sein wolltest. Man musste dir nur die Gelegenheit geben zu beweisen, was in dir steckt.«
Sie soll nicht mir Komplimente machen. Ich will ihr zeigen, wie viel sie mir bedeutet. Kann sie mich nicht meine Mission beenden lassen? Ich muss mich beeilen.
Ich drücke ihre Hände. »Lass mich ausreden, Madison. Das hier ist wichtig.«
»Das, was ich dir sagen will, ebenfalls.«
»Zuerst ich«, dränge ich. »Gib mir nur eine Sekunde.«
»Aber —«
»Warte, Babe. Gedulde dich nur ein paar Augenblicke, damit ich dir vernünftig einen Antrag machen kann.« Verdammt auch!
Sie gibt einen Laut von sich, der nicht so begeistert klingt, wie ich gehofft habe. Ihre Augen wirken plötzlich riesig in ihrem blassen Gesicht. Blass? Warum ist sie blass?
»Babe, tut mir leid, dass ich so damit rausgeplatzt bin. Es läuft überhaupt nicht nach Plan. Ich hätte es besser organisieren, mir mehr Zeit lassen sollen. Ich war noch nie sonderlich geduldig, wenn es um dich geht.«
»Eine glatte Lüge. Du hast unendlich lange auf mich gewartet. Also frage ich mich …« Sie verstummt.
»Das war etwas anderes. Ich wollte, dass du dir sicher bist, was du willst. Das hier ist allerdings eine Frage, die ich dir stellen muss. Ich lasse dir alle Zeit der Welt, um dich zu entscheiden. Wenn das notwendig sein sollte. Gott, ich hoffe, du benötigst keine lange Bedenkzeit.« Seufzend fahre ich mir mit den Fingern durchs Haar, versuche meine Nerven zu beruhigen. »Tut mir leid. Ich habe es geschafft, das zu versauen.«
Ihr Gesichtsausdruck bleibt perplex. In ihren Augen steht Verunsicherung. Sollte sie nicht endlich einmal anfangen, sich zu freuen?
Sie räuspert sich. »Dir kam die Idee wohl sehr spontan.«
»So würde ich das nicht sagen.«
»Dann anders. Warum jetzt, Jackson?«, fragt sie eindringlich. »Warum bittest du mich ausgerechnet jetzt um meine Hand?«
»Weil ich gestern den Ring erhalten habe. Das habe ich doch vorhin schon erwähnt.«
»Ja, schon. Du hast Foster gestern gesehen. Aber weshalb hast du kurz davor beschlossen, dass du mich heiraten willst? Ist vor ein paar Tagen etwas Bestimmtes passiert?«
Warum ist ihr so wichtig, wann genau ich herausgefunden habe, dass ich mit ihr vor den Altar treten will? »Das lief länger als ein paar Tage.«
»Wie bitte?«
»Ich habe die Entscheidung nicht spontan getroffen, Madison«, stelle ich klar. »Es handelt sich um keine Idee. Es ist mehr. Es ist wichtig. Special Agent Foster weiß schon seit einem Monat Bescheid. Ich habe ihn gefragt, ob er versuchen kann, mir den Ring zu organisieren. Eigentlich war er genauso wie meine anderen persönlichen Gegenstände Teil der Beweise gegen die Dark Ghosts . Aber er hat mit einem Richter gesprochen und ihm den Sachverhalt erklärt. Es hat gedauert, bis er die Erlaubnis erhalten hat, um ihn aus der Asservatenkammer zu holen.«
Tränen treten in ihre Augen. »Du hast das von langer Hand geplant.«
Wieso reagiert sie so emotional auf dieses Detail, obwohl die Tatsache, dass ich sie heiraten will, sie nicht berührt hat? Schon klar, es hat sich um eine romantische Geste gehandelt. Frauen stehen auf so etwas. Dennoch habe ich den Eindruck, als wäre da noch mehr, als gäbe es noch einen weiteren Grund, weshalb sie so gerührt ist. »Ich weiß schon viel länger, dass du die Richtige für mich bist. Gleich, als wir uns kennengelernt haben, hast du mein Herz berührt. Als sich mehr zwischen uns entwickelt hat, als die Funken zwischen uns spürbar geworden sind, war mir klar, es handelt sich um mehr als eine kurze Flamme. Wir beide haben von einem gemeinsamen Leben geträumt. Und da habe ich gespürt, dass es mir nicht reichen würde, nur dein Freund zu sein. Ich wollte der Mann an deiner Seite sein. Für immer.«
»Oh, Jackson. Das ist … Das bedeutet mir unendlich viel.«
Ich schicke ihr ein schiefes Lächeln. »Genug, um Ja zu sagen?«
Eine einzelne Träne läuft über ihre Wange, doch sie strahlt mich an. »Da musst du mir wohl erst eine Frage stellen. Aber bevor du das tust, sollte ich dir vielleicht noch etwas Wichtiges erzählen.«
»Nichts ist wichtiger als das hier.« Ich greife nach ihren Händen und knie mich vor sie. »Madison Lavender, willst du mich heiraten und damit dafür sorgen, dass es keinen einzigen Tag mehr geben wird, an dem ich mich nicht bei Gott für mein Glück bedanke, dich getroffen zu haben?«
»Ja«, haucht sie.
Mit wild trommelndem Herzen fasse ich in meine hintere Hosentasche und hole den Ring heraus. Während ich ihn Madison anstecke, kann ich meinen Blick nicht von ihrem Gesicht abwenden. Das hier ist der wichtigste Augenblick in meinem Leben. Bestimmt werde ich niemals wieder glücklicher sein als in diesem besonderen Moment.
Madison betrachtet den Ring mit glänzenden Augen. »Er ist wunderschön. Und den hat deine Mutter getragen?«
»Sie hat ihn von meinem Vater geschenkt bekommen. Und der hat ihn von seinem Vater für die Verlobung bekommen. Der Ring ist bereits seit Generationen in unserer Familie. Er bedeutet mir sehr viel, auch wenn er vermutlich lange nicht so viel wert ist wie eines der Schmuckstücke, die du früher besessen hast —«
»Dieser Ring ist mehr wert als alles zusammen, was ich jemals geschenkt bekommen habe«, unterbricht sie mich. »Du weißt, dass zu unserem Traum noch mehr gehört hat, oder?«
Ich nicke lächelnd. »Unser gemeinsames Heim werden wir hoffentlich bald beziehen können. Wir werden es zu einem Zuhause machen. Als Ehepaar.«
Sie beißt auf ihre Unterlippe. »Das klingt wundervoll. Aber diese Vorstellung unserer Zukunft hatte noch weitere Teile, nicht wahr?«
»Du meinst, dass wir tolle Jobs finden?« Anscheinend stehe ich voll auf dem Schlauch. Ich richte mich auf, kapiere aber immer noch nichts.
»Nein.« Sie lacht heiser auf. »Wenn ich ehrlich bin, befürchte ich, dass ich in nächster Zeit nicht in der Lage bin, einen neuen Job zu suchen.«
»Ist ja auch nicht notwendig. Solange wir hier leben, kannst du weiter in dem Lokal arbeiten. Ich glaube, deine Chefin ist ganz zufrieden mit mir.«
»Jetzt schon. Aber es wird der Zeitpunkt kommen, an dem ich nicht mehr hingehen kann. Ich weiß, wir sind eigentlich auf das Geld angewiesen. Vielleicht kommen demnächst auch noch weitere Ausgaben auf uns zu … größere Anschaffungen, mit denen wir nicht gerechnet haben …«
Besorgt lege ich meine Hände um ihr Gesicht. »Was ist los, Madison?«
»Ich habe herausgefunden … Seit heute Nachmittag weiß ich … Ich bin schwanger.«
»Wie bitte?«
»Wir bekommen ein Kind. Das heißt, wir müssen es natürlich nicht kriegen. Es war nicht geplant. Der Zeitpunkt könnte nicht schlechter sein. Der Umzug, der Prozess, unser kompliziertes Leben. Es ist nicht perfekt. Also könnte ich verstehen, wenn es dir lieber wäre, wenn dieses Baby nicht das Licht der Welt erblickt.«
Ein Baby! Ein Kind von Madison und mir. Ein Produkt unserer Liebe.
»Shit!«, murmle ich.
Sie bricht in Tränen aus. »Nein, weißt du, das ist Blödsinn. Wenn du das Kind nicht haben willst, ziehe ich es allein durch. Ich werde dich nicht zwingen, die Verantwortung für etwas zu übernehmen, was du nicht entschieden hast. Das hier kommt überraschend. Aber auch wenn es ungeplant ist, will ich das Baby. Ich weiß erst seit ein paar Stunden davon. Trotzdem kann ich fühlen, dass es ein Teil von mir ist. Wenn du also nicht an meiner Seite bist, muss ich dir deinen Ring leider zurückgeben.«
Fassungslos sehe ich zu, wie sie doch tatsächlich beginnt, sich den Ring wieder vom Finger zu ziehen. Das könnte die kürzeste Verlobungszeit der Geschichte werden.
Rasch greife ich nach ihren Händen und hindere sie daran, den Ring abzulegen. »Wage es ja nicht.«
Mir gehen so viele Dinge durch den Kopf. Freude über dieses Wunder wechselt sich mit Besorgnis vor der Zukunft ab. Wenn ich jetzt den Mund öffnen und versuchen würde, das in Worte zu fassen, was ich empfinde, würde ich ihr vermutlich Angst einjagen. Nichts könnte dem gerecht werden, was diese Information für mich bedeutet.
Statt mich also mit wirren Kommentaren in Schwierigkeiten zu bringen, beuge ich mich zu ihr und küsse sie zärtlich.
Ein Zittern läuft durch ihren Körper, bevor sie sich in meinen Armen entspannt. Ihre Hände liegen auf meiner Brust. Die Wärme ihrer Haut durchdringt mich bis ins Innerste. Diese Frau gehört zu mir. Sie ist mein Leben. Und demnächst schenkt sie mir ein Kind. Unser erstes gemeinsames Kind. Es werden hoffentlich noch ein, zwei weitere folgen.
»Ich liebe dich«, murmle ich an ihren Lippen. »Ich liebe dich so sehr, dass ich keine Worte dafür finde. Du und das Baby. Es gibt nichts, was wichtiger für mich ist.«
»Dann willst du es wirklich?«, fragt sie. In ihrer Stimme liegt immer noch Unsicherheit.
»Wie konntest du jemals daran zweifeln? Ich hätte nie gedacht, eine Frau wie dich dazu zu kriegen, sich in mich zu verlieben. Deine Liebe werde ich niemals für selbstverständlich halten. Ich werde alles tun, damit du deine Entscheidung für mich niemals bereust.« Ich lasse eine Hand zu ihrem Bauch wandern. In ihrem Körper wächst ein kleines Wesen heran, das zur Hälfte von mir stammt. Es fällt mir schwer zu begreifen, dass das wahrhaftig passiert. Dass ich tatsächlich Vater werde. »Dieses Baby bekommt vielleicht nicht den einfachsten Menschen als Vater. Aber ich werde auf unser Kind achtgeben. Ich werde euch beide beschützen.«
Madison lächelt. »Ich liebe dich. Dass wir ein Baby bekommen, jagt mir trotzdem Angst ein. Was, wenn wir das alles nicht hinbekommen?«
»Zum Glück bin ich nicht der Einzige, der Zweifel hegt«, sage ich und lache. »Gemeinsam werden wir diese Herausforderung meistern. Du besitzt ohnehin genug Warmherzigkeit für uns beide. Und ich steuere die strengen Regeln bei. Zusammen schaffen wir alles.«
»Du denkst, du wirst derjenige von uns sein, der Strenge zeigt?« Sie hebt beide Augenbrauen. »Du wirst unser Kind verwöhnen. Wenn es dich mit seinen großen Kulleraugen ansieht und dich anlächelt, wickelt es dich schneller um den Finger, als du Nein sagen kannst.«
Vermutlich hat sie Recht. Wann konnte ich ihr schon jemals widerstehen? Sollte unser Kind ihr Aussehen oder ihre Gewieftheit erben, werde ich in meinem Haus nicht mehr viel zu melden haben. Gott, ich freue mich darauf.
Ich ziehe Madison enger an mich. »Du weißt, dass wir durch ein Kind weniger Zeit zu zweit haben werden, oder? Sieh mich nicht so besorgt an. Ich kann es gar nicht erwarten. Aber solange sich das Baby sicher in deinem Bauch befindet, sollten wir die Zeit allein genießen. Lass uns schnell essen und dann ins Bett, ja?«
»Wer braucht ein Bett, wenn er eine gemütliche Arbeitsplatte hat?«
Lachend hebe ich sie hoch und setze sie auf ebendiese Platte. Ich greife nach dem Saum ihres Shirts und ziehe es ihr über den Kopf. »Hast du dir das so vorgestellt?«
Sie öffnet meine Hose und nickt langsam. »Ein guter Anfang.«
Ich beuge mich vor, taste mit meinen Lippen über ihren Hals hoch zu ihrem Ohr. Ihr leises Seufzen heizt mein Verlangen noch weiter an. Meine Finger wandern zum Verschluss ihres BHs. Doch plötzlich legt sie ihre Hand auf meine Brust, drückt mich leicht auf Abstand.
»Warte eine Sekunde«, bittet sie.
»Was ist los? Hast du schon wieder Angst um die Soße?« Ich strecke mich und ziehe sie vorsorglich von der Herdplatte.
»Da ist eine letzte Sache, die ich dir gestehen muss«, murmelt sie und sieht dabei verdammt schuldbewusst drein.
»Schieß los. Ich bin emotional bereits völlig überfordert. Jetzt kannst du mich ruhig mit dem Rest in die Knie zwingen.«
Sie zieht tadelnd die Nase kraus. Es sieht so süß aus, dass ich sie auf die Nasenspitze küssen muss. Mit einem Lachen versucht sie mich abzuwehren. »Deine gute Laune wird schlagartig verschwinden, wenn du hörst, dass ich bereits einen Paten für das Baby ausgesucht habe.«
»Damit bist du aber früh dran. Hast du denn schon eine Zusage des Paten?«
Ein Nicken ist die Antwort.
Von wem kann sie bloß sprechen? So viele Bekannte hat sie nicht in dieser Stadt. »Den Paten vor dem Vater über eine Schwangerschaft zu informieren, ist vermutlich etwas unorthodox, aber ich will mir die gesamte Geschichte anhören, bevor ich ein Urteil fälle. Ich vertraue dir. Also: wer wird die Aufgabe übernehmen?«
»Special Agent Foster«, verkündet sie.
Überrascht reiße ich die Augen auf. »Wie bist du denn auf den gekommen?«
»Als ich herausgefunden habe, dass ich schwanger bin, wusste ich nicht, wen ich sonst anrufen soll.«
Ich lache auf. »Und da wendest du dich ausgerechnet an einen FBI-Agenten?«
»Er hat seine Sache überraschend gut gemacht.«
»Zu Beginn hätte ich es nicht für möglich gehalten, aber ich mag den Kerl«, gestehe ich. »Er hat das Herz am rechten Fleck. Wenn uns etwas passieren sollte, könnte unser Baby keinen besseren Bodyguard bekommen. Und vielleicht bezahlt uns das FBI ja sogar die Ausbildung unseres Kindes, wenn er Pate wird.«
»Das halte ich für unwahrscheinlich.«
»Ich heirate meine Traumfrau und bekomme ein Kind mit ihr. Ich lebe in einem Haus mit weißem Zaun und gehe einem rechtschaffenen Beruf nach. Mein Kind hat einen Vertreter des Gesetzes als Paten. Der heimatlose, rachedurstige Mann wird sesshaft. Wer hätte das vor einem Jahr für möglich gehalten?«
»Na, ich«, erinnert sie mich. »Ich wusste von Anfang an, dass du dazu fähig bist. Schließlich hast du für meine Liebe gekämpft.«
Und damit werde ich auch niemals aufhören.