2. Reginald Bull
Ich wurde aus Volcayr nicht schlau. Überhaupt hatte ich Mühe, meine Gedanken zu sortieren und besonnen zu reagieren. Volcayr ist bereit für die Letzte Schlacht.
Die Worte des Elfahders klangen in mir nach.
Er hatte mich in einen Bereich der subplanetarischen Anlagen verschleppt, den ich nicht kannte. Meine Begleiter waren zurückgeblieben und wohl an Bord der Virenschiffe zurückgekehrt.
Ich befand mich in einem gepanzerten Fahrzeug, das einem riesenhaften Igel ähnelte. Es war gut 40 Meter lang und nicht ganz halb so hoch. Die Technik war mir fremd, ich konnte nicht abschätzen, welche Möglichkeiten Volcayr damit zur Verfügung standen.
Der Raum, in dem ich mich befand, war zweifellos die Zentrale des Igelpanzers. Die Bildflächen ringsum erlaubten jedenfalls eine nahezu perfekte Außenbeobachtung.
Volcayr stand vor etlichen Schaltelementen. In seiner von Stacheln geprägten Rüstung erweckte er den Eindruck eines zwei Meter großen, aufrecht gehenden Igels. Die im Gegensatz zum Rückenbereich flachen Brustelemente der Rüstung setzten sich aus Lamellengliedern zusammen. Auf der Schulterrundung saß ein ovaler Helm mit einem Gitter an der Vorderseite. Hinter diesem Gitter funkelte es hin und wieder grün, als blickten Raubtieraugen hervor. Zwei kurze Arme ragten zu beiden Seiten des Halsansatzes aus dem Oberkörper. Sie endeten ebenso wie die stämmigen Beine in plump anmutenden Auswüchsen. Volcayrs Stimme klang hell. Seine Sprache, die mein Translator übersetzte, glich einem melodiösen Singsang.
Volcayr ist bereit für die Letzte Schlacht.
Eine ganze Weile lag diese Übersetzung schon zurück. Meine Erwartungen an das Reich der ESTARTU hatten sich relativiert. Zumindest hier in der Galaxis Erendyra war durchaus nicht alles eitel Sonnenschein und so überwältigend schön, wie Stalker es geschildert hatte.
O ja, die Elysischen Ringe boten einen atemberaubenden Anblick.
Ihre Existenz bewies zudem, dass Stalker uns nicht belogen hatte. Sotho Tal Ker – Homer G. Adams hatte den Namen zu Stalker verkürzt. Ich fragte mich, ob er das bewusst getan hatte oder nur des Wortspiels wegen. Dass uns Unerfreuliches erwarten würde, hatte Homer keinesfalls ahnen können. Die Ringe von Virgo-Tor bestanden aus der Materie ehemaliger Planeten, die vor 5000 Jahren vernichtet worden waren.
Volcayr steuerte sein Fahrzeug weiter durch die Unterwelt des Planeten. Cloreon – wir Vironauten nannten den als einzigen dieses Systems gebliebenen Planeten seiner Einsamkeit wegen Eremit – war ein Albtraum und sehr viel weiter ausgehöhlt, als ich je gedacht hätte.
Bis vor Kurzem hatten wir auf der EXPLORER an eine ruhige Erkundung geglaubt. Wir hatten uns an der Idee berauscht, dass es jedem Vironauten möglich sein würde, seinen eigenen Wünschen zu folgen. Tatsächlich gab es nur Stress. Und den Elfahder empfand ich als kriegslüstern und dienerhaft zugleich.
Der Panzer stoppte. Vor uns erstreckte sich eine gewaltige, in Ausdehnung und Höhe nicht zu überschauende Halle.
»Die Letzte Schlacht, das Alles oder Nichts für die Cloreonen, wird bald beginnen«, säuselte Volcayr. »Siehst du die Maschine?«
Zumindest in dem für mich erkennbaren Bereich reihten sich kilometergroße Aggregate aneinander. Eine unheimliche Zufriedenheit schien bei diesem Anblick von Volcayr auszugehen. »Es ist alles gerichtet«, raunte er in seinem Singsang.
Ich trug Stalkers Permit am linken Handgelenk. Mit etwas Phantasie war die Metallhülse wie die Stulpe eines Handschuhs, dessen Handteil am Fingeransatz abgetrennt worden war. Insofern schien mir die Bezeichnung als »Faust des Kriegers« nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Ich verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Weil Volcayr mich musterte, winkelte ich den linken Arm demonstrativ an.
»Die Faust des Kriegers ...«, säuselte er. »Komm!«
Ohne weiteren Kommentar wandte er sich um und verließ den Igelpanzer. Offensichtlich war er überzeugt davon, dass ich ihm folgen würde.
Augenblicke später standen wir in der gigantischen Halle. Ich
fühlte mich hilflos, fast wie gelähmt, denn die riesigen Maschinen waren in Bewegung geraten – ein irrealer, schwer zu akzeptierender Anblick.
»Eine Automatik des Ewigen Kriegers verändert die maschinelle Materie«, kommentierte der Elfahder. »Die Cloreonen müssen nun beweisen, dass sie würdig sind.«
»Würdig?«, fragte ich. »Wem gegenüber? Welchen Sinn hat die Letzte Schlacht?«
Der Elfahder reagierte nicht auf meine Fragen. Er verfolgte die immer schneller ablaufende Veränderung, die eine gewisse Ordnung erkennen ließ. Die Station demontierte sich selbst, und etwas anderes entstand daraus.
Ich versuchte Funkkontakt zu Stronker Keen und den Vironauten aufzunehmen. Aber nur ein wildes Prasseln war zu hören.
Volcayr stand da, als heische er Beifall. »Sieh dir das an!«, sang er trotz des ohrenbetäubenden Getöses, das die gewaltigen Maschinen verursachten. Er reckte einen seiner klobigen Arme und deutete auf das nächste Mammutaggregat. Die Wände des stählernen Blocks, einige Hundert Meter hoch, lösten sich soeben auf und setzten unzählige eiähnliche Gebilde frei.
»Die Herzen des Heeres erscheinen«, sang Volcayr.
Er meinte wohl, dass es sich um Mikropositroniken oder Ähnliches handelte. Die eiförmigen Objekte verteilten sich in der Halle und verschmolzen mit den Fragmenten der Maschinerie. In rasender Geschwindigkeit entstand aus der Fülle des vorhandenen Materials ein Heer von Kampfmaschinen.
Die ersten Gestalten formten sich in Bodennähe. Überall entstanden waffenstarrende Roboter.
»Du siehst das Heer des Ewigen Kriegers«, erklärte mir der Elfahder. Er schien sich an dem Umwandlungsprozess regelrecht zu berauschen.
Binnen Minuten waren von der ursprünglichen Gigantmaschinerie nur noch Gerüste zu sehen, und auch sie wurden in den Verwandlungsprozess einbezogen. Gitterartige Plattformen wuchsen daraus, auf denen die Roboter Waffen montierten. Obwohl mir das alles gar nicht gefiel, musste ich dem Schöpfer dieses technischen Wunderwerks insgeheim meine Anerkennung zollen.
»Träger der Faust des Kriegers!«, rief Volcayr mir begeistert zu. »Nun wird sich zeigen, ob die Quarantäne der Cloreonen ihren Zweck erfüllt hat.«
»Quarantäne?«, fragte ich. Nicht, weil ich keine Ahnung gehabt hätte, was er meinte. Mir kam es darauf an, mehr Informationen zu erhalten.
Der Elfahder drehte mir das Gitter seiner Kopfmaske zu. »Der einseitig gepolte Schirm um Cloreon hat alle an ihre Welt gefesselt und sie gezwungen, sich auf die Letzte Schlacht vorzubereiten. Die Cloreonen hier waren wirklich nicht untätig, und das lässt einen großen Genuss erwarten. Aber erst die Schlacht wird zeigen, ob die Cloreonen gestärkt aus der Abgeschiedenheit hervorgegangen sind.«
Ich fröstelte. Dieser sinnlose Kampf musste vermieden werden, denn er konnte nur so enden, wie ich es auf Gyhdai gesehen hatte.
»Ich muss mit Kalmer sprechen!«, platzte ich heraus.
»Du trägst die Faust des Kriegers«, antwortete er melodisch. »Du bist wie er.«
»Ich will dennoch, dass du Kalmer holst!«
Der Elfahder wirkte für einen Moment, als hätte er mich nicht verstanden. Als er antwortete, klang es nicht sehr melodisch: »Du trägst die Faust. Trotzdem scheint es wesentliche Dinge zu geben, die dir fremd sind.«
»Dann ist es deine Pflicht, mich über diese Zusammenhänge aufzuklären.«
»Das ist es nicht.« Er sang wieder. »Allerdings werde ich mich nicht verschließen. Du sollst wissen, dass der Ewige Krieger Kalmer nur sehr selten persönlich auftritt. Ich habe ihn einmal erlebt. Aber du trägst sein Zeichen. Du kannst es nur aus freien Stücken bekommen und aus freien Stücken angenommen haben. Das allein spricht für dich und deine Bedeutung für die Letzte Schlacht.«
»Auch wenn ich denke, dass diese Letzte Schlacht ein ausgemachter Unsinn ist?«, entgegnete ich frostig.
»Ich erfülle meinen Part, du wirst den deinen ebenso erfüllen«, begehrte der Gepanzerte auf. »Anderes interessiert mich wenig. Kalmer hat einen riesigen Tross von Helfern, deshalb kann und will er nicht an jedem Ort sein. Er muss es auch nicht, denn er hat uns Elfahder. Und er hat dich, du trägst seine Faust. Außerdem verfügt er
über viele Vasallen, denen die Ehre zuteilwurde, sich für seine Sache einsetzen zu dürfen. Auf jedem Planeten, der den Krieger interessiert, sind Kaufleute, Spieler, Diplomaten, Händler und Prediger für ihn tätig. Soll ich mich also darüber wundern, dass er einen komischen Vogel wie dich angeheuert hat? Du scheinst wirklich nichts über deine Mission zu wissen. Nun gut. Kalmer handelt nie blind. Die Erinnerung an den Zeitpunkt, als du in seine Dienste getreten bist, wird zweifellos bald in dir erwachen.«
Ich stöhnte. Brauchte ich einen besseren Beweis, dass etwas völlig falsch lief oder von Volcayr absolut unrichtig gesehen wurde? Nur würde ich ihm das nicht plausibel machen können.
Die Umwandlung in der Halle war abgeschlossen, das Roboterheer hatte sich formiert. Mit mächtigen Desintegratoren fingen die Maschinen an, den Fels über ihnen aufzulösen. Das war der kürzeste Weg an die Oberfläche.
»Du erkennst meinen Status als Träger der Faust des Kriegers jedenfalls an?«, fragte ich den Elfahder.
»An deinem Status besteht kein Zweifel«, antwortete er. »In einiger Hinsicht bist du mir sogar übergeordnet. Und sobald die Letzte Schlacht beginnt, ist es sicher in jeder Hinsicht so.«
»Gut. Von wo kommst du, Volcayr?«
Der grüne Schimmer hinter seiner Gittermaske funkelte. »Von Cloreon. Wusstest du nicht, dass ich hier fünftausend Jahre geschlafen habe, wie es der Ewige Krieger wollte? Wir Waffenträger ruhen immer, bis die Letzte Schlacht beginnt.«
»Wird Kalmer selbst erscheinen, sobald sie beginnt?«, wollte ich wissen.
Volcayr stieß eine Folge von Tönen aus, die wie die Ouvertüre zu einem Melodrama klangen. »Sie hat schon begonnen.« Er schaffte es, zweistimmig zu tirilieren. »Du bist da, und deine Raumschiffe stehen über dem Planeten. Der Krieger hat ein beachtliches Potenzial aufgeboten, um den Cloreonen eine letzte Chance zur Rehabilitation zu geben. Die Flotten ihrer Kolonialwelten nahen und werden ihren Anteil tragen. Meine Aufgabe ist es zuerst, dafür zu sorgen, dass die Organismus-Gesellschaft mit ihren Antikörper-Typen deine Vironauten nicht länger behelligt. Die Letzte Schlacht verlangt Ordnung. Der Ewige Krieger erlaubt kein blindes Austoben, denn
seine Ziele sind ehern.«
Meine Frage nach Kalmers Erscheinen hatte der Elfahder nicht beantwortet. Noch einmal zu fragen, schien mir in dem Punkt sinnlos zu sein.
»Dann hör mir zu, Volcayr!«, sagte ich betont. »Ich trage die Faust des Kriegers, und ich werde alles daransetzen, diese sinnlose Schlacht zu verhindern. Sie hätte nur den Tod ungezählter Intelligenzen zur Folge.«
Damit war es heraus. Ich fühlte mich wohler.
»Sobald die Letzte Schlacht geschlagen ist, wirst du Zeit für solche Scherze haben«, sang Volcayr unbeeindruckt. »Vorher sind sie unangebracht.«