5. Besucher
Vathin stand fassungslos da; er verstand die Welt nicht mehr.
»Du musst das Positive sehen«, drängte ihn Jizi Huzzel. »Es gibt keinen Kampf. Gewalt bedeutet immer Rückschritt, auch wenn sie von deinem Krieger Kalmer in tiefer Vergangenheit gefordert wurde. Außerdem steht nun fest, dass wir keine Gegner sind.«
»Die Flotte hat sich kampflos unterworfen«, stöhnte der Cloreone. »Ihr wisst nicht, wie entsetzlich dieser Ehrverlust ist. Alles, was ich in meiner Ausbildungszeit gelernt habe, gilt nicht mehr. Es ist zum Verrücktwerden. Ihr könnt das nicht verstehen.«
»Doch«, sagte Rainer Deike. »Alles, was du über die Letzte Schlacht erfahren hast, war schlicht und einfach falsch. Ein weitaus wichtigeres Ziel, das jede Intelligenz befolgen sollte, ist es, anderes Leben zu achten und zu schützen.«
»Ihr kennt den Ehrenkodex des Kriegers nicht.« Vathin versuchte von seiner Vorstellungswelt zu retten, was noch zu retten war.
»Eine Irrlehre.« Deike winkte ab. »Sie hat vielleicht einen wahren Kern, aber den haben eure Admirale gehörig aufgeblasen, damit sie an der Macht bleiben konnten.«
Vathin schwieg.
»Wir müssen uns um die verschwundene Comanzatara kümmern«, erinnerte Jizi Huzzel. »Zu welchem Flaggschiff sollen wir dich bringen?«
»Das ist mir jetzt egal.«
Jizi nickte Deike zu. Die Geste war auffordernd gemeint.
»Käpt'n!«, rief der Lange. »Schalte uns eine Funkverbindung zum Flaggschiff der Gesamtflotte!«
»Ich kann es versuchen«, antwortete die raue Stimme des Bordrechners.
Vathins Lethargie verflüchtigte sich ein wenig. Seine Neugierde erwies sich doch größer als seine Niedergeschlagenheit. Er rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her, bis sich ein Ausschnitt der Wand neben ihm veränderte. Das Viereck leuchtete hell auf.
»Du kannst sprechen«, sagte Käpt'n. »Es gibt eine einfache Bildübertragung.«
Ein ranghoher Cloreone in grüner Uniform wurde in dem Viereck sichtbar.
»Ist das dein Admiral?« Bestimmt wurde Deikes Frage schon zum Flaggschiff übertragen, aber er störte sich nicht daran.
Vathin hingegen hätte vor Verlegenheit im Boden versinken wollen. »Nein, nein!«, wehrte er verlegen im Flüsterton ab. »Admiral Tarcicar trägt eine blaue Uniform.«
Deike stellte sich vor den Bildschirm und zupfte am Kragenverschluss seines Raumanzugs. »Ich bin Rainer Deike vom Virenschiff ACHTERDECK«, stellte er sich vor. »Ich möchte Admiral Tarcicar sprechen.«
»Funkmeister Geholf«, antwortete der Cloreone. »Die Ortung zeigt, dass dein Schiff nicht bei der Flotte des Kriegers steht. Wer bist du?«
»Ich gehöre zu denen, die du als die Flotte des Kriegers bezeichnest. Ihr könnt das nachprüfen. Und nun hol den Admiral an den Sender! Etwas Beeilung, bitte.«
Der Funkmeister verschwand. Wenig später erschien ein anderes Gesicht.
»Admiral Tarcicar«, murmelte Vathin andächtig. Er straffte sich beim Anblick des höchsten Vorgesetzten der Blauen Garden.
»Hallo, Admiral!« Deike ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Wir haben eure Kapitulation oder Unterstellung, oder wie du es nennen magst, vernommen. Zufällig gibt es ein kleines Problem am Rand des Geschehens. In unserer Obhut befindet sich ein Cloreone, ein Oberwächter, wenn mich nicht alles täuscht.«
Deike winkte Vathin zu, sich neben ihn zu stellen. Der Cloreone kam nur langsam heran, ihm war das Schuldbewusstsein anzumerken.
»Wir haben den jungen Mann aus einer Raumstation nahe Ciclaun mitgebracht«, redete Deike weiter. »Er hatte von Unteradmiral Lillingjoke den Befehl, Kontakt mit uns aufzunehmen. Dein Mann hat das vorzüglich gemacht, Admiral, doch leider musste er deshalb versäumen, seinen Dienst auf der LEFLAHT pünktlich anzutreten. Ein Schleicher namens Color wird ihn wohl schon denunziert haben, wir wollen das wieder in Ordnung bringen.«
Der Admiral sagte zunächst nichts. Ihm wurde etwas von außerhalb des optischen Erfassungsbereichs zugeflüstert.
»Einen Moment, Diener des Kriegers«, bat Tarcicar.
Er verschwand für knapp eine Minute. Vathin krümmte sich fast vor Magenschmerzen und hielt den Atem an, als Tarcicar zurückkam.
»Wir mussten uns vergewissern, Diener Deike«, sagte der Admiral. »Deine Angaben entsprechen der Wahrheit. Was soll geschehen?«
»Eigentlich wollte ich dir deinen tapferen Soldaten zurückgeben.«
»Selbstverständlich«, lautete die steife Antwort. »Gestattest du in diesem Zusammenhang eine Frage?«
»Heraus damit!«
»Wann genau erfolgte der Kontakt zwischen Oberwächter Vathin und euch?«
Deike legte den Kopf schief – eine Geste, mit der Vathin absolut nichts anzufangen wusste –, aber er gab bereitwillig Antwort.
»Dann ist Vathin ein Held von Ciclaun!«, rief der Admiral. »Vathin war der erste Cloreone unserer Kolonialwelten, der an Bord eines Raumschiffs des Ewigen Kriegers weilen und dort mit den unbesiegbaren Kämpfern Kalmers sprechen durfte. – Sei willkommen an Bord der CICLANT, Flottillenchef Vathin! Zu diesem Dienstgrad erhebe ich dich für den großartigen Dienst, den du für unsere Völker und den Krieger Kalmer geleistet hast.«
Vathin fühlte sich völlig überrumpelt. Er zitterte und war nicht in der Lage, etwas zu sagen.
»Na also«, kommentierte Jizi Huzzel, als handelte es sich um die selbstverständlichste Sache der Welt.
»Wir bringen den neuen Flottillenchef vorbei!«, rief Deike, und die Augen des Admirals strahlten. »Bei der Gelegenheit«, fuhr Deike fort, »könnt ihr Vathin erklären, warum ihr euch der vermeintlichen Flotte Kalmers unterstellt habt. Vathin hat in der Hinsicht ein paar Verständigungsprobleme mit sich selbst.«
»Natürlich«, entgegnete der Admiral. »Nur als Oberwächter konnte er den tieferen Sinn des Ehrenkodex des Kriegers nicht verstehen. Das wahre Verhalten unserer Vorfahren auf Cloreon auch nicht.«
»Folglich wäre ziemlich alles geklärt«, stellte Jizi fest.
»Ich bedanke mich im Namen aller Traditional-Cloreonen«, sagte Tarcicar. »Gestattet, dass ich mich nun zurückziehe, denn der Träger des Fehdehandschuhs, Reginald Bull, wird an Bord der CICLANT erwartet. Selbstverständlich seid ihr ebenso meine Gäste, wenn euch der Sinn danach steht.«
Rainer Deike und Jizi Huzzel blickten einander überrascht an. »Bully auf dem Flaggschiff?«, staunte die kleine Frau. »Langer, da will ich dabei sein. Comanzatara muss eben warten.«
»Wir kommen ebenfalls an Bord«, wandte sich Deike noch einmal an den Admiral. Dann trennte Käpt'n die Verbindung.
Das Andocken an die CICLANT verlief nahezu unmerklich. Das Überwechseln auf das gut 500 Meter große Flaggschiff gestaltete sich hingegen umständlich, weil die Cloreonen keine Transmitter kannten. Der Admiral begleitete mich und schielte dabei immer wieder verstohlen auf mein Permit, als erwarte er irgendein Wunder.
Der Empfang – wie soll ich es anders bezeichnen? – war pompös und ließ fast vergessen, dass die Besatzungen der Kriegsflotte drauf und dran waren, die Schlacht ihres Lebens zu schlagen. Schräge Begrüßungsmusik hallte uns schon in der lang gestreckten Schleuse entgegen. Bizarre Leuchtelemente an der Decke verbreiteten ein nebelhaft fluoreszierendes Licht. Auf Simsen zu beiden Seiten loderten kleine bunte Feuer.
Admiral Sparzer hielt sich permanent einen Schritt hinter mir, als wagte er es nicht, mit mir auf gleicher Höhe zu gehen. Am Ende des Schleusengangs bildeten Soldaten ein Spalier. Hinter ihnen warteten vier Cloreonen in verschiedenfarbigen prunkvollen Uniformen.
Sparzer stellte mir die Admirale vor. Ich versuchte, mir ihre Namen zu merken, doch alles ging so schnell, dass mir das nur leidlich gelang. Gemeinsam geleiteten sie mich weiter.
Ein Antigravschacht trug uns »aufwärts«. Wie ich schon festgestellt hatte, war das gerundete Ende des »halbierten Eis« identisch mit dem Bug. Dort lag die Zentrale.
In dem weiten Rund mit teilweise direktem Ausblick durch panzerverglaste Fenster erwartete mich Admiral Tarcicar. Der große Raum war Kommandozentrale der CICLANT und Befehlsstand des Oberkommandierenden in einem. An die 80 Cloreonen arbeiteten an unterschiedlichsten Pulten und Konsolen. Eine Vielzahl kleiner Bildschirme sowie zwei übergroße Halbpanoramas zeigten den einzigen verbliebenen Planeten des Systems ebenso wie die fünf Elysischen Ringe.
Ich suchte nach den Virenschiffen. Erst als ich den Pulk entdeckt hatte, begrüßte ich den Admiral in seiner blauen Uniform. Tarcicar blickte ehrfürchtig auf das Permit an meiner linken Hand.
»Wie du weißt, Träger der Faust, haben wir unsere Verbände dem Ewigen Krieger vorbehaltlos unterstellt«, begann er ohne Umschweife. »Wir mussten dies tun. Du erwartest eine Erklärung für dieses ungeheuerliche Handeln? Ich bin bereit, sie dir zu geben.«
Er bat mich an einen kreisrunden Tisch. Sieben kleine Fähnchen standen dort, sechs davon in den Farben der Kolonial-Cloreonen. Das siebte war weiß, mit einem in dunklem Violett abgebildeten Permit. Ich nahm dort Platz.
»Ich bitte dich untertänig um Vergebung, und das geschieht im Namen aller Cloreonen der Kolonialwelten«, begann Tarcicar. »Wir sehen uns nicht als die Nachkommen der frühen Kolonisten oder jener, die Zuflucht suchten, als der Ewige Krieger Kalmer unsere Vorfahren bestrafte. Wir haben die Traditionen der alten Zeit bewahrt, jedoch unsere Gesinnung gewandelt. Wir sind ein neues Volk geworden.«
Getränke wurden auf den Tisch gestellt. Ich verzichtete darauf, wie die Admirale zuzugreifen.
»Wenn wir dich um Vergebung bitten, Krieger«, fuhr Tarcicar nach einem kurzen Schluck fort, »dann richtet sich unsere Bitte zugleich an den Ewigen Krieger. Wir wollen alles tun, damit die Schuld unserer biologischen Vorfahren, mit denen wir uns nicht identifizieren können, getilgt wird. Unsere vieltausendjährige Geschichte lässt erkennen, dass uns nichts mehr mit der Organismus-Gesellschaft auf Cloreon verbindet. Wir empfinden Abscheu vor ihr. Da wir keinen Hass predigen wollten, haben wir in den Schulen unserer Völker nach der Phase der Inneren Läuterung aufgehört, über das alte Cloreon zu reden.
Der wachsende Abstand zur Urheimat brachte uns die geistige Abnabelung. Und diese führte uns zum Ehrenkodex des Ewigen Kriegers Kalmer, der unser Lebensinhalt wurde. Damit war für alle ehemaligen Kolonisten klar, auf welcher Seite wir in die Letzte Schlacht ziehen würden, nämlich auf der des Kriegers.«
»Du sprichst zu mir, als hätte ich Kontakt zu dem Ewigen Krieger Kalmer höchstpersönlich«, entgegnete ich. »Hast du dir überlegt, dass dies ein Irrtum sein könnte?«
Seine Antwort klang sehr selbstbewusst: »Du trägst die Faust des Kriegers, das allein entscheidet. Welchen Namen du besitzt, spielt für uns keine Rolle. Du bist der Krieger in dem Sinn, den seine Faust verkörpert.«
Ich zog es vor, darauf zu schweigen, zumal ich aufschlussreiche Informationen über die wahren Zusammenhänge erwartete.
»Wir nennen uns Traditional-Cloreonen«, nahm der Admiral den Faden wieder auf. »Unsere Tradition will als älter verstanden sein als die unserer frevelnden Vorfahren, die sich in die noch frevelhaftere Organismus-Gesellschaft gewandelt haben, um eine sinnlose Aufrüstung zu betreiben. Du magst sagen, Träger der Faust, dass diese Cloreonen tüchtig gerüstet haben, um sich in der Letzten Schlacht zu bewähren. Sie haben aber in der falschen Richtung gerüstet, für die sie der Krieger schon einmal bestraft hat. Alle Cloreonen erhielten den Auftrag, sich nach fünftausend Jahren einer neuen Bewährung zu unterziehen. Dieser Augenblick ist gekommen, wir sind bereit.«
»Wenn ihr euch innerlich so weit von euren Vorfahren distanziert habt«, sagte ich, »warum bleibt ihr nicht auf euren Welten und verachtet Cloreon?«
Admiral Tarcicar konnte sogar lachen. Es war ein selbstbewusstes Lachen.
»Eine gute Frage, Träger der Faust! Wir wissen durch den Kodex des Ewigen Kriegers, dass er unsere Zivilisation zerstören würde, wenn wir uns nicht bewähren. Vor allem empfinden wir tiefe Bewunderung für den Ewigen Krieger, die uns zu seinen Helfern macht. Deshalb haben wir den besten Weg gefunden, die Schuld der Vergangenheit zu tilgen.« Tarcicar machte eine kurze, bedeutungsvolle Pause und fuhr dann eindringlich fort: »Überlass es uns, die Stammväter zu bestrafen. Sie haben die Sünden begangen, und dafür müssen sie büßen. Der Krieger braucht sich nicht an Dingen zu beschmutzen, die wir selbst bereinigen können.«
»Was soll das konkret heißt?«, wollte ich wissen, obwohl ich die Antwort längst kannte.
»Wir wollen in der Letzten Schlacht gegen unser früheres Volk kämpfen und uns und die Organismus-Cloreonen für immer von aller Schuld befreien.«
Das war ein ungeheuerliches Ansinnen, das ich mit Brudermord gleichsetzte. Dieser ausgemachte Wahnsinn musste verhindert werden. Ebenso wie alles, was der Elfahder plante, das ich bislang aber nicht ganz durchschaute. Ich musste Zeit gewinnen. Die Bilder der toten Welt Gyhdai stiegen vor meinem inneren Auge auf.
Was sollte ich sagen? War Stalkers Permit, stark genug, mir die nötige Autorität zu verleihen? Das Puzzle der Kräfteverhältnisse, der Beteiligten, der Emotionen und Überlieferungen war für mich noch nicht komplett.
Die Admirale sahen mich erwartungsvoll an.
In dem Moment öffnete sich das Schott. Ein baumlanger Terraner stolperte mit freundlichem Grinsen herein.
»Hallo, Leute!«, rief er jovial. »Rainer Deike, Vironaut des Virenschiffs ACHTERDECK begrüßt euch. Ich habe euren Vathin gleich mitgebracht.«
Er zog einen eher zurückhaltend wirkenden Cloreonen hinter sich her.
Ich verstand nicht, was da gespielt wurde. Weil aber kaum eine Gefahr mit dem Auftreten des Mannes verbunden war, verfolgte ich alles Weitere schweigend.
»Da haben wir ihn ja: Admiral Tarcicar.« Deike lief auf den blau Uniformierten zu, griff nach dessen Hand und schüttelte sie. Tarcicar wusste nicht, wie ihm geschah. »Ich bringe deinen tapferen Flottillenchef Vathin.« Deike zeigte auf den Cloreonen, der ihn begleitete.
»Hallo, Reginald!«, wisperte in dem Moment ein helles Stimmchen an meinem rechten Ohr. »Ich hoffe, wir haben diese heilige Versammlung nicht allzu respektlos gestört.« Ich verdrehte die Augen und sah eine Siganesin auf meiner Schulter.
»Was geht hier vor?«, raunte ich zurück.
»Ich heiße Jizi Huzzel, Vironautin von Seg-1234, genannt ACHTERDECK.«
Sie erzählte mir in Stichworten eine abenteuerliche Geschichte. Deike plauderte unterdessen mit den Admiralen, wobei er den weiterhin verschüchterten Cloreonen permanent in den Vordergrund schob. Tarcicar warf mir einen fragenden Blick zu, ich winkte zustimmend. So gewann ich Zeit, Jizi Huzzel zuzuhören und vor allem nachzudenken.
Schließlich kam Deike zu mir. »Ich hoffe, meine kleine Freundin langweilt dich nicht, Bully.« Er drückte mir ebenfalls überschwänglich die Hand und raunte dazu: »Kann ich etwas für dich tun? Wir hauen nämlich gleich wieder ab.«
Ich schüttelte leicht den Kopf. Die anstehenden Probleme musste ich allein lösen. Und mit Stalkers Permit.
»Wir verabschieden uns.« Deike winkte mit beiden Händen. »Von euren Planungen und dem Krieger verstehen wir nichts. Einen Gefallen könnt ihr uns trotzdem tun, ja?«
Admiral Tarcicar schaute mich erneut fragend an.
»Jederzeit gern, Vironaut Deike«, sagte ich. »Meine Traditional-Cloreonen und ich werden Hilfe leisten, wenn dies möglich ist.«
Rainer Deike zog eine Bildfolie aus seiner Brusttasche und faltete sie auf. Am Stil der Zeichnung erkannte ich, dass sie von der Intelligenz eines Virenschiffs angefertigt worden war. Das Bild zeigte eine kräftige, anmutige Pflanze.
»Wer von euch weiß, was das ist und wo wir es finden können?« Deike reichte das Bild allen in der Zentrale.
Die Admirale schwiegen. Von einem Funkpult schlurfte ein alter Cloreone heran und starrte auf das Bild.
»Die Sage von Comanzatara«, murmelte er. »Ich habe als Kind davon gehört, aber das ist lange her. Ich weiß heute nichts mehr darüber.«
»Versuche, dich zu erinnern«, drängte Deike.
Der Cloreone hob unsicher die Hände. Schnell wurde eine ablehnende Geste daraus.
»Erinnere dich!«, brüllte Admiral Tarcicar.
»Na, na!«, rief Jizi Huzzel über ihren Stimmverstärker. Von meiner Schulter aus streckte sie dem alten Cloreonen die Ärmchen entgegen. »Bitte erinnere dich, mein Freund! Es ist sehr wichtig für uns.«
»Comanzatara.« Der Cloreone seufzte. »Die Suchende, die Einsame ... Irgendwie so war das. Aber ich entsinne mich nicht an alles. Vielleicht findet ihr anderswo eine Spur.«
»Danke«, sagte die Siganesin. Augenblicke später verließ sie mit Deike die Zentrale.
Kaum waren beide verschwunden, da kehrten meine Überlegungen ganz von selbst zu dem Punkt zurück, an dem ich unterbrochen worden war. Ich trank nun doch einen Schluck aus dem vor mir stehenden Glas.
»Ich werde euch die weiteren Anordnungen des Kriegers rechtzeitig wissen lassen, tapfere Krieger der Traditional-Cloreonen«, sagte ich fast schon übertrieben rhetorisch. Die Admirale lauschten andächtig. »Ihr müsst wissen und verstehen, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist. Die Letzte Schlacht und eure Vorstellungen bedürfen einiger Korrekturen. Alles muss sehr gründlich vorbereitet sein. Der Tag ist zwar nah, aber bis er beginnt, verhaltet euch abwartend und vermeidet jeden Konflikt mit der Organismus-Gesellschaft! Ebenso mit anderen. Haltet hier die Position, bis ihr weitere Anweisungen bekommt. Der Gehorsam dem Ewigen Krieger ist eine wichtige Voraussetzung für das Vergeben aller Schuld, eurer eigenen sowie der eurer Vorfahren.«
Die Cloreonen verneigten sich schweigend. Meine versteckte Drohung zeigte Wirkung. Vorerst herrschte also Ruhe und ich hatte die Zeit, die ich dringend benötigte.
»Ich kehre zurück zu meiner EXPLORER!«
Damit war diese seltsame Unterredung beendet. Tarcicar begleitete mich zu einem Beiboot. Als letzte Ehre wurde mir zuteil, dass mich der frischgebackene Flottillenchef Vathin persönlich zur EXPLORER flog.
Rainer Deike schlich reichlich betreten durch die Gänge der ACHTERDECK in Richtung seines Sektors. Jizi Huzzel schwebte schweigend in ihrer winzigen Virenschaukel neben ihm her. Beide waren in Gedanken mit Comanzatara befasst. Sie wussten nun, dass sie keinem Phantom hinterherliefen. Jeder Forscher lebte und zehrte wohl von der Vorstellung, einmal etwas Besonderes zu entdecken. Rainer und Jizi erging es da nicht anders. Vor allem: Sie hatten Comanzatara gehabt und sie wieder verloren.
»Ich habe Hunger«, seufzte die Siganesin.
Deike streifte sich mit beiden Händen über den Leib. »Wenn du es schon sagst, ich auch«, kommentierte er.
Sie hatten zwar eine kleine Küche neben dem Hauptwohnraum, doch diesmal ließ Deike von der zentralen Robotküche ein Schnitzel zubereiten.
Keine zehn Minuten später saß er an der Esskonsole, und Jizi hockte mit untergeschlagenen Beinen neben seinem Teller. Die Siganesin hatte es sich angewöhnt, dass sie auf diese Weise zusammen speisten.
Sie aßen eine Weile schweigend, bis Jizi unvermittelt ihr winziges Besteck fallen ließ.
»Riechst du etwas, Langer?«
Deike sog schnüffelnd die Luft ein. »Es ist zu viel Paprika am Schnitzel.«
»Das meine ich nicht, Langer. Streng dein Riechorgan an.«
Witternd hob der Terraner den Kopf. »Irgendwas ...« Er schob den Hocker zurück, erhob sich, machte ein paar Schritte durch den Raum und rümpfte die Nase.
»Stimmt, meine Kleine. Es riecht nach allem Möglichen. Veilchen, Thymian, Kirschblüten, Rosenöl, Oleander, venusisches Zitterix, plophosischer Mysteric ... Hast du dein Parfumfläschchen verschüttet?«
»Ich benutze kein Parfüm! Für wen auch? Deiner Geruchsexpertise stimme ich trotzdem zu.«
Sie dachte ihre Virenschaukel herbei und flog mit dem winzigen Gefährt größer werdende Kreise. Vor dem verschlossenen Durchgang zum Laborbereich stoppte sie und zeigte zum Türschott. »Es kommt von dort. Käpt'n, bitte öffne! Vorsichtig, wenn ich bitten darf.«
Die Tür löste sich auf, als hätte sie nie existiert. »Es besteht kein Anlass zu Besorgnis«, sagte die Seele des Schiffes mit leicht ironischem Tonfall.
Deike und die Siganesin sahen es gleichzeitig: Comanzatara stand wieder in ihrer Schale.
Der Blütenkopf strahlte aber nicht mehr im besonderen Blau, auch nicht in den glutroten Tönen, von denen der Magnetdraht berichtet hatte. Es war eine Mischfarbe zwischen Lila und Rosa.
Wenn du die Blüte siehst, wird sie in weichem Blau strahlen. Sobald du Comanzatara verstehst, wird sie diesen Blauton verschwinden lassen und glutrot leuchten ... Jizi Huzzel kannte jedes Wort der unvollständig entschlüsselten Botschaft auswendig.
»Verstehst du das, Langer?«, fragte sie.
Deike schüttelte den Kopf. »Das nicht. Aber ich freue mich, dass sie wieder hier ist. Außerdem wird das Schnitzel kalt.«
Jizi Huzzel betrachtete den wunderschön anzusehenden und herrlich duftenden Blütenkopf. »Wo bist du gewesen?«, flüsterte sie. »Wir haben dich vermisst, mein großes Mädchen.«
Für einen Moment war es ihr, als würde die Pflanze antworten. Ein leises Wispern schien in der Luft zu hängen.
»Du darfst nicht wieder gehen«, fuhr Jizi fort. »Wir mögen dich. Der Lange wirkt zwar manchmal ungehobelt und desinteressiert, tief drinnen ist er allerdings ein guter Kerl.«
War da wieder dieses Wispern? Die Siganesin lauschte angespannt, doch sie hörte nur Deikes Geräusche aus dem Nebenraum.
Wenig später kam der Biologe wieder. Er kaute und hatte seinen Kampfanzug gegen den alten Bademantel vertauscht.
»Sie spricht mit mir«, behauptete Jizi. »Leider so leise, dass ich nichts davon verstehe.«
Deike fasste mit der linken Hand nach der Virenschaukel und griff mit Daumen und Zeigefinger der Rechten behutsam an Jizis Hals. Er nahm der Siganesin den winzigen Sprachverstärker ab und legte ihn auf die Blüte.
»Danke, Langer«, hörten beide gleich darauf schwach, aber deutlich. »Ich spüre, dass ihr mir helfen wollt.«
»Wo bist du gewesen, Schöne?«, fragte Deike.
»Fort.« Die Stimme wurde leiser. »Ich ertrage die Gegenwart der Cloreonen nicht, denn sie erinnern mich an meine Erfolglosigkeit.«
»Fort?«, wiederholte Jizi. »Wie soll ich das verstehen?«
»Müde«, erklang es nahezu unhörbar. Selbst das Wunderwerk siganesischer Mikrotechnik konnte die schwachen Luftschwingungen kaum mehr erfassen. »Ruhen ... Vielleicht später. Suchen?«
»Wir helfen dir suchen«, platzte Deike heraus. »Aber was? Und wo?«
»Irgendwo ...« Die wundersame Pflanze verstummte.
Deike hob den Sprachverstärker vorsichtig von ihrem Blütenkopf. »Wir werden nicht zu den anderen Virenschiffen zurückkehren«, entschied er. »Wir suchen nach dem, was Comanzatara sucht. Reginald Bull muss die Sache mit den Cloreonen, dem Ewigen Krieger und diesem ganzen Firlefanz eben ohne uns durchstehen.«
Ich hatte mich bald nach meiner Rückkehr auf die EXPLORER in meine Privaträume zurückgezogen. Was ich mit Volcayr und den Kolonial-Cloreonen erlebt hatte, musste ich in Ruhe verarbeiten.
Außerdem gehörten zwei Dinge als weitere Puzzleteile in das nach wie vor unvollständige Bild der Gesamtsituation. Unsere Schiffe hatten sich auf Geheiß einiger Vironauten zu einer Abwehr- oder Angriffsformation umgruppiert. Es war unschwer zu erkennen, dass die Schlagrichtung auf den Planeten Eremit zielte. Mithilfe der Schiffsseele war es für mich leicht gewesen, herauszufinden, wer diese Aktion verantwortete. Damit war ich auch schon beim zweiten Punkt, dem eigenwilligen Verhalten der vier Hanse-Spezialisten, der Meinster-Gruppe. Sie hatten mehrmals versucht, Kommandogewalt zu erlangen. Es war gar nicht lange her, dass Stronker Keen, Lavoree und ich die vier in ihre Schranken gewiesen hatten. Das Problem war damit aber keineswegs schon gelöst.
Doran Meinster und seine Gefährtin Agid Vendor hatten die Kapitulation der Traditional-Cloreonen entgegengenommen und damit für meine Begriffe einen entscheidenden Fehler begangen. Ich musste sie verstärkt im Auge behalten. Die vier handelten im Auftrag meines Freundes Homer G. Adams, dessen war ich mir sicher. Inzwischen war ich auch davon überzeugt, dass sie sich Dinge anmaßten, die weit über ihren Auftrag hinausgingen.
Dieses Problem war dennoch nur von untergeordneter Bedeutung, weil es nicht direkt mit dem Krieger Kalmer und der Letzten Schlacht zusammenhing. Ich streifte das Permit von meiner Linken, das ich letztlich für alle Wirren hier im System Virgo-Tor verantwortlich machte. Ich verwünschte Stalker und seinen angeblichen Passierschein für die Mächtigkeitsballung Estartu, der nur böse Geister zu wecken schien.
»Vielleicht wäre es angebracht, dass du dich erst einmal beruhigst«, versuchte mich die sanfte Vishna-Stimme des Schiffes zu besänftigen.
»Genau das probiere ich gerade«, fauchte ich zurück. »Bei mir steht der Sturm vor der Ruhe. Nicht umgekehrt. Klar?«
Vi – das war die Kurzform für »Virenschiff«, die nahezu alle Vironauten verwendeten – schwieg wieder. Das gab mir Gelegenheit, zu meinen Überlegungen zurückzufinden.
Die Viererbande, wie ich Doran Meinster, Colophon Bytargeau und die beiden Frauen Agid Vendor und Mirandola Cainz insgeheim nannte, hatte Stronker und Lavoree überrumpelt. Es spielte alles zusammen, der Kodex des Ewigen Kriegers, Stalker, die Cloreonen – und sogar die Vironauten.
Oder dachte ich da zu sehr in eingefahrenen Bahnen? Hatte ich den vom Fernweh Geplagten nicht alle Freiheiten eingeräumt? Die Viererbande war sogar dagegen angegangen. Ich schimpfte von Neuem.
»Du kommst vom Thema ab«, mischte sich Vi wieder ein. »Ging es dir nicht eher um Stalkers Permit?«
»Es mutet mich an wie ein neuer gordischer Knoten. Ist es so?«
Das Schiff antwortete nicht sofort. Ich dachte an Gyhdai. Der tote Planet war für mich wie ein Fanal. Die Letzte Schlacht drohte zu einem ähnlichen tödlichen Fiasko zu werden. Der Bruderkrieg der Cloreonen war kaum abwendbar, falls nicht Entscheidendes geschah.
Ich ließ mich in den Sessel sinken. »Den Cloreonen droht die Auslöschung ihrer Zivilisation. Ich muss diesen Wahnsinn verhindern, Vi. Dazu brauche ich deine Hilfe.«
»Du hast gefragt, ob Stalkers Permit wie ein gordischer Knoten sei, Reginald Bull.« Die Stimme verriet Anteilnahme an meinen Gefühlen. »Das mag in gewisser Hinsicht zutreffen. Trotzdem habe ich ähnliche Schwierigkeiten wie du, denn aus den vielen Fakten ergibt sich kein geschlossenes Bild. Aber ich bemerke auch Dinge, die du nicht erkennen kannst.«
»Welche? Heraus mit der Sprache!«
»Das Permit ... Du siehst in ihm eine entscheidende Ursache für unsere Probleme.«
»Und?«, knurrte ich.
»Die Faust des Kriegers kann nicht nur lenken. Sie ist sogar in der Lage, einen Bruderkrieg zu entfesseln, denn in ihr lebt eine tiefe und unergründliche Symbolkraft.«
»Stimmt«, gab ich zu. »Das war nicht zu übersehen.«
»Du hast in diesem Instrument von der Minute an, als andere darauf reagierten, immer nur das Momentane und Pragmatische gesehen. Tatsächlich benutzt hast du es eigentlich nicht.«
»Falsch!«
»Du irrst dich, Reginald Bull. Du hast den ideellen und vor allem den ideologischen Wert des Permits erfahren. Aber du hast dich von ihm benutzen lassen.«
»Das ist ein harter Vorwurf«, setzte ich mich zur Wehr.
»Im Gegenteil: Das sind hilfreiche Worte«, widersprach mir die Seele des Schiffes. »Hast du dir überlegt, dass ein kleines Instrument, das in der Lage ist, eine Schlacht zu entfesseln, ebenso in der Lage sein müsste, diese zu verhindern? Dann jedenfalls, wenn sein Träger das nicht nur will, sondern das Instrument richtig einsetzt?«
Ich gab keine Antwort.
»Hast du dir je überlegt, dass es neben dem ideellen oder ideologischen Wert von Stalkers Permit zugleich einen effektiven, praktisch nutzbaren Wert geben kann oder geben muss?«
Ich zog es vor, weiter zu schweigen.
»Hast du dich schon gefragt, ob die Faust eines Kriegers so drohen kann, dass sie eine Schlacht vorzeitig unterbindet?«
Mir lag eine Antwort auf der Zunge, aber ich behielt sie für mich.
»Hast du darüber nachgedacht, dass die Faust des Kriegers ein technisches Instrument ist, um das sich Ideologien ranken?«, fuhr die Vishna-Stimme fort. »Und dass der Benutzer eines technischen Instruments damit meist die Wirkung erzielt, die er haben will?«
Ich rieb mir die Augen.
»Wenn du ein Kampfraumschiff kommandierst, Reginald Bull, kannst du mit seinen Waffen in Sekundenschnelle das Wasser eines Sees verdampfen und alles Leben darin auslöschen. Du kannst das Raumschiff aber auch in den See eintauchen und den Wasserspiegel dadurch deutlich ansteigen lassen, dann spült das Wasser neue Nährstoffe aus dem Boden, die seine Bewohner dringend brauchen. Es kommt immer darauf an, was man erreichen möchte. Welche Wirkung willst du mit der Faust des Kriegers erzielen?«
Ich hatte nie das Verlangen gehabt, die möglichen Wirkungen von Stalkers Permit zu ergründen. Plötzlich hatte ich keine andere Wahl.
»Du bist nachdenklich geworden«, bemerkte die Seele meines Schiffes nach einigen Minuten. »Das ist ein erster Schritt. Immerhin bist du derjenige, der sich geistig mit der Faust des Kriegers auseinandersetzen muss. Ich kann es nicht.«
»Geistig?«, wiederholte ich zögernd.
»So ist es«, bestätigte Vi. »Nur muss ich dich davor warnen. Die Auseinandersetzung könnte durchaus nachteilige Folgen haben.«
»Für wen?«
Das Virenschiff antwortete nicht, und ich seufzte leicht verärgert. »Das finde ich großartig«, bemerkte ich. »Du entwickelst dich zum Orakel, aber kaum stelle ich eine wichtige Frage, schweigst du. Geht das auch anders?«
Ich starrte auf die Faust des Kriegers, die ich auf die Konsole an der Seitenwand gestellt hatte. Viel ging mir dabei durch den Sinn, und alles das drehte sich um die Letzte Schlacht.
Ich atmete ruhiger. Mein Herz schlug langsamer. Beides erkannte ich überraschend deutlich, als wäre meine Wahrnehmung geschärft worden. Ich spürte zugleich, dass meine Lider schwer wurden. Ein Gefühl wohliger Mattigkeit breitete sich in mir aus.
Bevor mich jedoch die Schläfrigkeit überkam, riss ich die Augen weit auf und kämpfte gegen den fremden Einfluss an, der sich einschleichen wollte.
... in dem Moment hatte ich den Eindruck, dass eine große Gestalt sich aus dem Permit löste. Sie kam mir so nahe, dass ich eigentlich nur den Arm auszustrecken brauchte, um sie zu berühren.
»Stalker«, murmelte ich und schüttelte die Benommenheit vollends von mir ab. Sotho Tal Ker war gewiss nicht hier im Virenschiff erschienen, sein Permit projizierte eine lebensechte Holografie. Oder entstand das Bild nur in meinen Gedanken? Begann damit die geistige Auseinandersetzung, die Vi angedeutet hatte?
Die Projektionsgestalt hob beide Arme und blickte mich an. Ich gewann dabei aber nicht den Eindruck, dass sie mich tatsächlich ansah. Sotho Tal Kers Blick ging durch mich hindurch.
»Du hast mich gerufen, mein Freund«, hörte ich ihn sagen.
»Gerufen?« Ich schüttelte den Kopf.
»Unsere geistigen Kräfte haben einander berührt, du erahnst etwas von der Macht der Ewigen Krieger.«
»Ich sehe eine Projektion«, entgegnete ich unbeeindruckt. »Technisch nicht gerade aufregend.«
»Die Ewigen Krieger fühlen sich als die Herrscher der Mächtigkeitsballung Estartu«, fuhr das Bild fort.
Ich stemmte mich aus dem Sessel hoch, ging um die Projektion herum und betrachtete sie von allen Seiten. »Weiter!«, forderte ich das Stalker-Abbild auf.
»Die Ewigen Krieger haben einen ehernen Kodex, sie erwarten Unterwerfung und Gehorsam. Mit diesem Permit giltst du als Unberührbarer. Es wäre dennoch gut, wenn du dich mit dem Kriegerkodex befassen würdest.«
Ich blieb stehen, wippte auf den Fußballen und hielt die Arme hinter dem Rücken. »Interessant«, kommentierte ich. »Und außerdem?«
»Du musst die Gebote kennenlernen, um verstehen zu können.«
»Dann lass hören!«, sagte ich.
»Es gibt die Gebote des Gehorsams, der Ehre und des Kampfes. Der Permanente Konflikt ist die übergeordnete Philosophie.«
Ich schaute wieder zum Permit – und spürte zugleich, dass eine Wandlung in mir vorging. In dem Moment wurde mir bewusst, dass tatsächlich eine geistige Auseinandersetzung begonnen hatte. Obwohl ich ahnte, dass ich trotz meiner Mentalstabilisierung den Kampf verlieren würde, setzte ich mich gegen die Veränderung zur Wehr.
Etwas an der Projektion zwang mich, die Thematik aufzunehmen. Meine Gedanken kreisten nur noch um den Kriegerkodex. Außerdem glaubte ich zu hören, dass Stalkers Abbild die Gebote der Ewigen Krieger und den Kern ihrer Philosophie zitierte.
Das Gebot des Gehorsams ...
Das Gebot der Ehre ...
Das Gebot des Kampfes ...
Der Permanente Konflikt ist die Philosophie.
Wie ein extragalaktischer Mephisto stand die Projektion vor mir, die Arme ausgestreckt und leicht fordernd ausgebreitet.
Die Welt der Ewigen Krieger, ihr Denken, ihr Handeln, ihr Wesen ... Ich versuchte, diese Gedanken zu verdrängen, wollte mit dem Virenschiff reden, aber es gelang mir nicht, mich von dem Gehörten zu lösen. Im Gegenteil: Das alles ergriff immer deutlicher Besitz von mir.
Gehorsam? Die höchste Tugend des Kriegers. Wie sollte eine Schlacht zu gewinnen sein, sobald ein Krieger vergäße, gehorsam zu sein?
Ehre? Die oberste Pflicht. Was wäre ein Krieger wert, der nicht einträte für das, woran er glaubte. Der nicht bereit wäre, sich allen Beleidigern entgegenzustellen. Der nicht wüsste, wofür er kämpfen sollte?
Kampf? Der Lebensinhalt eines Kriegers. Der Kampf im Mittelpunkt seines Denkens und Fühlens. Ist nicht überhaupt das Leben ein einziger Kampf? Kampf ist das Gebot der Natur. Schon jedes Tier, jede Pflanze muss kämpfen, um existieren zu können.
Der Permanente Konflikt als Philosophie des Ewigen Kriegers. Woraus sonst sollte er Kraft und Innovation schöpfen? Der fortwährende Konflikt zwingt den Krieger, nach neuen Lösungen zu suchen. Er ist die größte Herausforderung. Mit dem Ende des Konflikts käme die Entbehrlichkeit, wäre der Anreiz für jede Leistungssteigerung verloren.
Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Lippen. Eigenartig, dass ich diese Zusammenhänge nie zuvor mit solcher Klarheit gesehen hatte. Als Ewigem Krieger hätte mir das alles längst in Fleisch und Blut übergehen müssen.
Ich schüttelte verwundert den Kopf, ging zum Automaten und zapfte mir ein Glas Wasser. Nachdenklich setzte ich mich wieder in den Sessel. Nur gut, dass ich in dieser äußerst schwierigen Situation zur Vernunft gekommen war. Ein Ewiger Krieger musste wachsam sein und sich auf seine Aufgabe konzentrieren.
Ich war ein Ewiger Krieger! Ich würde die Letzte Schlacht entscheiden!