6. Krieger Bull
In der alten Redewendung »Gegensätze ziehen sich an« lag durchaus ein Körnchen Wahrheit. Agid Vendor, die Gefährtin des Ökologen und Hanse-Spezialisten Doran Meinster, war schlank, fast knochig. Meinster hingegen war klein und korpulent. Sein pausbäckiges Gesicht ließ ihn zudem freundlicher aussehen, als er tatsächlich war.
»Wir können unser Segment aus dem Konglomerat lösen«, sagte Agid Vendor. »Keiner will derzeit zu uns an Bord, Bull schon gar nicht.«
Meinster nickte verkniffen. »Ich habe die Anweisung zum Ablegen bereits gegeben.«
Schon Augenblicke später zeigten die Überwachungsholos, dass Segment 1257, Eigenname ARMAGEDDON, aus dem Pulk der EXPLORER-Schiffe ausscherte.
»Wir nehmen Kurs auf Eremit und suchen Volcayr auf!«, entschied Meinster.
Das Virenschiff meldete sich mit einem menschlich klingenden Räuspern. »Diesen Schritt solltet ihr euch gut überlegen«, mahnte es. »Es wäre nicht klug, Volcayr zu provozieren.«
»Ich habe die Entscheidung getroffen, es bleibt dabei!«, beharrte Meinster. »Keine Diskussion.«
Der Elfahder hatte sich auf eine Insel im Ozean des Planeten zurückgezogen, das war aus den Ortungsergebnissen eindeutig hervorgegangen. Dort, auf der Südhalbkugel des Planeten, stand ein 500 Meter hoher Turm, der höchste Generator des mittlerweile erloschenen Quarantänefelds.
Das Virenschiff tauchte schon nach wenigen Minuten in die Atmosphäre ein. Die Seele des Schiffes gab Alarm, denn unvermittelt rasten pfeilförmige Stratosphärenjäger heran und eröffneten das Feuer.
»Antikörper-Cloreonen«, erkannte Meinster. »Warum kommen die uns in die Quere?«
»Das ist ihre Aufgabe«, sagte Colophon Bytargeau. »Sie sehen uns als Eindringlinge.« Der junge Extremwelt-Architekt, hager und
asketisch, rieb sich nachdenklich das Kinn.
Die Kampfjäger der Antikörper feuerten ununterbrochen, erreichten aber nicht mehr als eine rasch deutlicher werdende Kursabweichung des Virenschiffs. Ernsthaft gefährden konnten sie es mit ihren Waffensystemen nicht.
»Ich setze voraus, dass ihr keinen Gegenschlag wollt«, meldete sich das Schiff.
»Richtig«, bestätigte Doran Meinster. »Das haben wir nicht vor.«
»Auf keinen Fall«, ergänzte Agid Vendor. »Aber wieso weichst du vom Kurs ab? Wir wollen zu Volcayr.«
»Eine starke animalische Kraft zwingt mich zur Abweichung«, antwortete das Virenschiff.
Meinster zog die Brauen zusammen. »Jemand versucht, dich geistig zu beeinflussen? Setz dich zur Wehr!«
»Ich kann es nicht.« Die sonst sanfte Vishna-Stimme klang merklich angespannt. In den Holos war zu sehen, dass das Schiff weiter abdrehte. Volcayrs Eiland und der mächtige Turm verschwanden in der Ferne und versanken kurz darauf hinter dem Horizont.
Die Bildprojektion wechselte.
»Wir nähern uns einer großen Insel.« Agid Vendor deutete auf das neue Holo. Einsam ragte das Eiland aus der aufgewühlten See.
»Die Antikörper-Cloreonen sind verschwunden«, stellte Mirandola Cainz fest.
Der Kurs des Virenschiffs zielte auf mehrere Bergkegel, die gut zwei Kilometer hoch aufragten. Die Insel selbst schien von üppigem Grün überwuchert.
»Spürt ihr das auch?«, fragte Agid hastig.
Meinster nickte. Sekunden zuvor war ihm so gewesen, als hätte er die auf das Schiff einwirkende Kraft wahrgenommen – etwas, das ihn mit unwiderstehlicher Macht anzog.
Seg-1257 wurde langsamer und flog über steile Uferklippen hinweg. Weit und breit gab es nur dicht wuchernde Vegetation, keinen geeigneten Landeplatz. Dennoch brach das Schiff in das Dickicht ein. Bäume splitterten wie dünne Hölzer. Irgendwo schien etwas zu explodieren, dann berührte das Segment den Boden und kam zur Ruhe.
»Das war keine mustergültige Landung«, kritisierte Colophon Bytargeau.
»Ich hätte es gern besser gemacht«, antwortete das Virenschiff. »Der Kraft, die mich nach unten zog, konnte ich nicht widerstehen.«
»Und nun?«, fragte Mirandola Cainz. »Was ist mit dieser Kraft?«
»Sie sorgt dafür, dass ich nicht wieder starten kann.«
»Das sind ja großartige Aussichten«, stöhnte Meinster. »Wie weit sind wir von Volcayrs Insel entfernt?«
»Über tausend Kilometer«, antwortete das Virenschiff.
»Und was machen wir?« Mirandola Cainz verschränkte die Arme. Ihre Jacke spannte über den Schultern und ließ die Muskulatur ihrer Oberarme deutlich erkennen. »Wir müssen die Ursache für unser Problem beseitigen.«
»Eine andere Wahl haben wir kaum, zumal die Zeit drängt.« Bytargeau schaute angespannt in die Runde. »Die Letzte Schlacht kann jederzeit losbrechen. Je früher wir Volcayr erreichen, desto besser.«
»Damit wäre alles klar«, sagte Meinster. »Oder gibt es Fragen?«
Die vier Hanse-Spezialisten legten die SERUNS an, die das Virenschiff für sie hergestellt hatte. Die Atmosphäre des Planeten enthielt zwar ausreichend Sauerstoff, aber auch giftige Beimengungen.
Schwärme von Insekten stoben auf, als die Schleuse geöffnet wurde. Doran Meinster verließ das Schiff als Erster. Vor ihm ragten mächtige Pilze in die Höhe. Es waren hauptsächlich Schlauchpilze, die wie mächtige, oben offene Becher aussahen. Seitlich hatten sie faulige Lamellen, in denen es von Würmern und anderem Getier wimmelte. Vereinzelt standen Bäume zwischen den Pilzen. Sie sahen aus wie mannsdicke riesige Grashalme, deren in der Höhe auffasernde Ähren vom Sonnenlicht umflutet wurden.
»Wohin müssen wir uns wenden?« Agid Vendor schlug mit der flachen Hand auf die Außenhülle des Virenschiffs. »Gib uns wenigstens einen Hinweis!«
Vi schwieg. Das Schiff schien größere Probleme zu haben.
Mirandola Cainz kontrollierte ihren Kombistrahler. »Mir ist nicht sonderlich wohl«, gestand sie. »Vor allem habe ich den Eindruck, dass wir beobachtet werden.«
»Du meinst, dass in diesem Pilzdschungel Cloreonen leben?« Zweifelnd schüttelte Bytargeau den Kopf. »Eine bedrückendere Umgebung könnten sie sich kaum aussuchen.«
Zwischen den Pilzlamellen kletterten armlange Ameisen.
»Hinter einem der Bäume!«, rief Agid. »Da war jemand. Er hatte sehr viele Augen.«
Gemeinsam entfernten sie sich vom Virenschiff. Von einem der Pilze stürzte sich ein großer Vogel herab. Er warf sich auf Meinsters Gefährtin, wurde aber von ihrem Prallschirm zurückgeschleudert und flatterte krächzend davon.
Doran Meinster blieb neben den verrotteten Stümpfen einiger Grashalmbäume stehen. »Wir müssen genau hier entlang gehen«, sagte er. »Ich spüre, dass da etwas ist, das denkt und Einfluss auf uns nehmen will.«
Ein dünnes, sehr engmaschiges Netz spannte sich über ihnen zwischen einigen Pilztrichtern. Kopfgroße Spinnen lauerten darin. Mirandola Cainz schaltete ihr Flugaggregat ein und schwebte unter dem Netz hindurch. Von einem Pilz, der mit seinen vielfach aufsteigenden Stämmen einem terranischen Ziegenbartpilz glich, fiel ein türkisfarbener Schleier auf sie herab und umhüllte sie.
»Seht euch das an«, lachte Mirandola. »Das zarte Ding scheint nicht zu ahnen, was ein Prallschirm ist, geschweige denn ein tödlich wirkender ...« Sie schrie auf, denn ihr Abwehrfeld brach jäh zusammen, und der dünne Schleier wickelte sich um ihren rechten Arm.
Bevor die anderen ihr helfen konnten, verschmolz das eigenartige Gebilde mit dem SERUN.
Unfassbar schnell glitten drei weitere dieser türkisfarbenen Gewebe heran. Die Schutzschirme von Vendor, Meinster und Bytargeau erloschen, und die Schleier verschmolzen mit den SERUNS.
»Zurück an Bord!«, entschied Meinster. »Unter diesen Umständen müssen wir uns einiges mehr einfallen lassen.«
Sie kehrten um – und erlebten die nächste Überraschung. Die Schleuse öffnete sich nicht.
Stronker Keen blickte Reginald Bull verwundert an. »Ist das dein
Ernst?«, wollte er wissen.
»Der Permanente Konflikt ist die Lösung«, entgegnete Bull. »Er sorgt für eine ständige Herausforderung und damit für Stimulation.«
»Ich wundere mich über dich«, kommentierte das Virenschiff. »Du hast dich verändert.«
»Verändert? Unsinn.« Bully schüttelte lachend den Kopf. »Ich habe die Wahrheit erkannt, das ist alles. Mir ist endlich klar geworden, dass ich ein Ewiger Krieger bin. – Und deshalb werden wir uns von dem Konglomerat trennen und die EXPLORER an die Spitze der Kolonialflotte setzen!«
Bull trug das Permit wieder an der linken Hand. Er spürte eine bislang ungeahnte Kraft davon ausgehen. Vor allem machte ihm die Faust des Kriegers deutlich bewusst, dass er ein begnadeter Stratege und Anführer war.
»Wenn ich dich richtig verstehe, willst du die Letzte Schlacht entscheiden«, folgerte Stronker Keen.
In Bulls wasserblauen Augen schimmerte es fanatisch. »Ich habe meine große Aufgabe erkannt und akzeptiere sie.«
Keen schüttelte den Kopf. Zweifelnd blickte er den Freund an. »So habe dich nie reden gehört, Bully. Ich fürchte, du willst mich auf den Arm nehmen.«
»Nein. Eremit hat etwas in mir geweckt, das schon zu lange geschlummert hat. Ich muss mich einer ungeheuren Herausforderung und Verantwortung stellen. Die Letzte Schlacht ist nicht zu vermeiden. Es liegt an mir, die Entscheidung herbeizuführen.«
Stronker Keen blickte den Freund nachdenklich an und lächelte kaum merklich dabei. »Ich habe verstanden«, sagte er, nickte Bully zu und verließ die Zentrale. Der ehemalige Sturmreiter war überzeugt, dass Bull es nicht so ernst meinte, wie es sich anhörte. Er kannte den Aktivatorträger schließlich recht gut – als temperamentvollen, mitunter etwas derben Mann, der alles sein konnte, nur nicht Militarist oder gar Kriegstreiber.
Von der Zentrale aus verfolgte Reginald Bull, wie Stronker Keen und Lavoree sich trafen, kurz miteinander redeten und auf ein anderes Schiff überwechselten. Er lächelte flüchtig, ließ sich in seinen Sessel sinken und befahl: »Ausklinken!«
»Hoffentlich hast du genau überlegt, was du tust«, entgegnete das Virenschiff.
»Ich sagte: Ausklinken! Dabei bleibt es.«
Die eigentliche EXPLORER, Segment 1, scherte aus dem Verband der Virenschiffe aus und nahm Kurs auf die CICLANT. »Ich komme zu euch an Bord!«, ließ Bull die Admirale knapp wissen.
Wenig später wechselte er auf das Flaggschiff der cloreonischen Kolonialflotte über. Er wurde von zwei Offizieren empfangen, untertänig begrüßt und in die Zentrale geführt. Schon als er eintrat, fiel ihm auf, dass auch bei den Cloreonen etwas anders geworden war. Er stand nicht mehr Admiral Tarcicar von Ciclaun gegenüber, sondern einem Offizier, der deutlich größer war als Tarcicar, stark abfallende Schultern hatte, und dessen Augen eine eigentümlich gelbe Färbung aufwiesen. Der Cloreone trug die Uniform eines Admirals.
Auch die anderen Admirale waren ausgetauscht worden. Reginald Bull stand unter höchster Anspannung und eruierte jede Kleinigkeit.
»Was ist vorgefallen?«, fragte er. Sein Tonfall und jede seiner Gesten unterstrichen, dass er der Ewige Krieger war, der einzig und allein den Befehl über die Flotte beanspruchte. Er machte deutlich, dass er keinen Widerstand dulden würde.
Der Admiral beugte den Oberkörper und drückte die Arme demütig nach hinten. »Vergib unsere Eigenmächtigkeit«, sagte er. »Wir sahen uns gezwungen, Tarcicar als Oberbefehlshaber der Flotte zu entfernen. Er ließ erkennen, dass er nicht konsequent handeln würde, weil er mit denen da unten reden wollte.«
Der neue Admiral von Ciclaun zeigte auf den Boden. Es war klar, dass er die Organzellen-Kultur der Mutterwelt meinte. Die Flotte war gekommen, um ihr Ursprungsvolk in der Letzten Schlacht auszulöschen.
»Ausgezeichnet«, lobte Bull. »Ich will deinen Namen und den der anderen Offiziere wissen.«
Der Ciclauner stellte sich als Admiral Quarskigar vor. Danach ließ er die anderen Offiziere einzeln antreten und stellte sie vor.
»Ich übernehme das Kommando über die Flotte!« Reginald Bull war entschlossen, seine neu gewonnene Macht im Sinn des Kriegers Kalmer einzusetzen.
Das Permit wies ihn als Krieger aus, also war er der Krieger, zumal jeder ihn ohnehin so sehen wollte. Ob Kalmer oder Bull, was spielte das schon für eine Rolle? Er wusste nicht einmal, ob Kalmer tatsächlich noch lebte.
»Wir müssen die Dschungelinsel verlassen!«, drängte Doran Meinster. »Andernfalls erfahren wir nie, was in diesem Sonnensystem eigentlich vorgeht. Volcayr ist zweifellos bestens über alles informiert.«
Ein bedrohliches Rauschen hing plötzlich in der Luft, dann explodierte grelle Helligkeit. Eine Druckwelle erfasste Meinster und seine Gefährten und schleuderte sie in den Pilzwald zurück. Ein ohrenbetäubendes Dröhnen rollte über sie hinweg; es regnete Glut, Asche und Pflanzenreste.
Doran Meinster stürzte in einen der Pilzkelche, in dem meterhoch eine klare Flüssigkeit stand. Vergeblich bemühte er sich, freizukommen. Erst als er dem Antigrav höchste Leistung abverlangte, konnte er sich langsam aus der klebrigen Masse herausheben.
Mirandola Cainz landete in einem der Netze und sah sich Dutzenden der großen Spinnen ausgesetzt. Colophon Bytargeau prallte gegen den Stamm eines Riesengrases und klammerte sich daran fest. Faustgroße Samenkörner prasselten auf ihn herab, als wollten sie ihn verschütten.
»Was war das?«, fragte Mirandola Cainz, während sie mühsam versuchte, die Spinnen loszuwerden. »Ist ein Raumschiff in der Nähe abgestürzt?«
»Ein Meteorit ...«, antwortete Bytargeau. »Er hat einen der Berge erwischt und dessen Flanke aufgerissen. Seht euch die Staubwolke an. Der Wind treibt sie glücklicherweise von uns weg aufs Meer hinaus.«
In der Ferne zogen weitere Glutspuren über den Himmel. Es schienen nur kleine Brocken zu sein, die Dutzende Kilometer entfernt ins Meer schlugen. Neuer Donner rollte heran, Dampfwolken stiegen in die Atmosphäre auf.
Agid Vendor beschaffte sich bereits einige besonders große und fleischige Blätter, flog mit ihnen zu Meinster und schabte die
zähklebrige Flüssigkeit von seinem SERUN.
Er zeigte zu dem Berg hinüber, den der Meteorit getroffen hatte. »Mein Instinkt behauptet, dass wir dorthin müssen«, sagte er.
»Seltsam, mir geht es genauso«, bestätigte Mirandola Cainz. »Ich habe nur keine Ahnung, warum.«
Sie aktivierten die Flugaggregate und flogen über die Kelchpilze hinweg. In etlichen waren Tiere gefangen, die vergeblich versuchten, der tödlichen Falle zu entkommen.
»Wenn ich das sehe, wird mir nachträglich übel. Eine verdammt miese Insel«, schimpfte Meinster.
Das Gelände stieg zu den Bergen hin an, der Pilzwald wich schachtelhalmartigen Gewächsen. Von den riesenhaften Halmen hingen Ranken herab, die alle zur Einschlagstelle des Meteoriten wiesen. Es schien, als übte der Berg eine besondere Wirkung aus. Der Meteorit hatte jedenfalls ein beachtliches Loch aus der Flanke herausgerissen und noch ein ziemliches Stück entfernt einen Krater aufgeworfen. Dort brannte es an mehreren Stellen.
Doran Meinster tastete über den türkisfarbenen Überzug an seinem Unterarm.
»Da ist ein Gleiter!«, rief Mirandola Cainz. »Zwei sogar!«
Aus einer Schlucht stiegen dunkle Maschinen empor. Sie hoben sich kaum vom Hintergrund der überwucherten Felsen ab. Auffällig war lediglich der lang gestreckte, helle Gegenstand zwischen ihnen. Mit ihm verschwanden die beiden Gleiter dicht unter dem Gipfel in einer Felsspalte.
»Ein Raumschiff!«, warnte Bytargeau gleichzeitig. Er zeigte nach Norden.
»Ein Schiff der Kolonisten«, erkannte Agid Vendor. »Sieht aus, als meinten sie es ernst.«
Kaum lagen alle vier Vironauten hinter größeren Felsen in Deckung, da flog das Raumschiff schon über die Insel hinweg. Aus seinen Geschützen stachen gleißend helle Energieschüsse zu dem Berggipfel, in dem die Gleiter verschwunden waren. Es gab mehrere heftige Explosionen. Fragmente großer Antennenanlagen wirbelten durch die Luft, dann war das Raumschiff vorbei.
»Versteht ihr das?«, fragte Mirandola.
»Vielleicht hat die Letzte Schlacht begonnen«, antwortete
Bytargeau.
»Und wir stecken mitten drin!«, rief Meinster. »Los, zu dem Berg! Wenn da oben Antennen waren, gibt es wohl auch einen Zugang zu den Anlagen. Vielleicht finden wir genau das, was uns hier festhält.«
Sie lösten sich aus der Deckung und flogen zu dem Gipfel und den glühenden Trümmern der Antennen. Die Anlage schien wesentlich größer gewesen zu sein, als es zunächst den Anschein gehabt hatte.
»Da ist ein Cloreone!« Doran Meinster beschleunigte. Er erreichte die Gestalt aber nicht mehr, die jäh zwischen den Trümmern aufgetaucht war und ebenso schnell wieder verschwand. Ein Schott schlug unmittelbar vor ihm zu.
»Was jetzt?«, fragte Bytargeau. »Warten, bis erneut geöffnet wird?«
»Ausgeschlossen«, wehrte Meinster ab. »Die Letzte Schlacht kann längst geschlagen sein, bis die hier auf den Gedanken kommen, den nächsten Blick nach draußen zu werfen. Und dann ist wohl nichts übrig, was sich anzusehen lohnt. Es gibt nur eine Möglichkeit ...«
Er justierte seinen Kombistrahler auf Desintegration und richtete die Waffe gegen den Stahl. Eineinhalb Minuten vergingen, dann kippte der Schottflügel nach innen und schlug dröhnend auf. Ein breiter Stollen führte schräg abwärts.
»Mir wäre wohler, wenn unsere Schutzschirme noch wirksam wären«, sagte Agid Vendor. »Wenn die Cloreonen auf uns schießen, helfen uns die SERUNS allein nicht viel.«
Weiß leuchtende Deckenelemente erhellten den Gang. Er war an die 20 Meter hoch und doppelt so breit. Schon nach 30 Metern endete er an einem senkrecht in die Tiefe führenden, sehr breiten Schacht. Offensichtlich war er für große Transporte gedacht.
»Es geht verdammt weit runter«, stellte Agid fest. »Wie tief?« Sie zuckte mit den Schultern.
»Wir wissen es spätestens, sobald wir unten sind.« Doran Meinster schwebte über den Schacht hinaus und ließ sich langsam absinken. Die anderen folgten ihm. Nach einigen Hundert Metern erkannten sie, dass sie sich dem Ende des Schachtes näherten. Unter ihnen standen zwei Gleiter.
Jäh öffneten sich einzelne Abschnitte in der Schachtwand. Bevor einer der vier Hanse-Spezialisten reagieren konnte, wurden sie von
Paralyseschüssen erfasst und gelähmt.
Zu keiner Regung fähig, sanken sie dem Grund des Schachtes entgegen. Dort erschienen mehrere Cloreonen. Sie trugen türkisfarbene Kutten, und breite Riemen umspannten ihre Arme.
Die Cloreonen nahmen den Paralysierten die Waffen ab. Kastenförmige Roboter kamen und trugen die vier durch einen langen Gang bis in einen unscheinbaren Raum. Sie zogen ihren Opfern die SERUNS aus und verschwanden damit. Während die vier Hanse-Spezialisten noch fürchteten, giftige Gase einzuatmen, ohne etwas dagegen tun zu können, erschien ein rot gekleideter Cloreone zusammen mit weiteren seines Volkes und richtete ein stabförmiges Gerät auf sie.
Die Lähmung wich schnell. Doran Meinster richtete sich ächzend auf.
»Wir brauchen unsere Schutzanzüge!«, rief er. »Die Luft ist giftig für uns.«
Aus dem Hintergrund kam ein korpulenter Cloreone heran. Seine Augen lagen nicht wie gewöhnlich tief in den Höhlen, sondern quollen weit hervor. Der Mann trug einen pilzförmigen, leuchtend gelben Hut, der etwa einen Meter hoch war und so stark auf seinem Kopf schwankte, als fiele er im nächsten Moment herunter. Erstaunlicherweise war gerade das aber nicht der Fall.
»Was sucht ihr bei uns?«, fragte der Mann dröhnend.
»Bitte«, presste Meinster hervor, weil er möglichst flach zu atmen versuchte. »Wir brauchen Schutzmasken, oder wir werden vergiftet.«
»Hier nicht«, entgegnete der Korpulente. »Deshalb haben wir euch in diesen Raum bringen lassen. Die für euch schädlichen Anteile sind bereits herausgefiltert. Ich frage noch einmal, was ihr hier wollt.«
Doran Meinster atmete etwas schneller. »Wir sind nicht freiwillig hier«, erwiderte er von oben herab. »Unser Raumschiff wurde zur Landung gezwungen. Es konnte sich nicht von dem Einfluss lösen.«
»Ihr habt das Feuer auf uns eröffnet und die Antennen zerstört.«
»Nicht wir, sondern ein Raumschiff der Kolonial-Cloreonen. Wir haben es gesehen und dachten, die Letzte Schlacht hätte begonnen.«
»Noch nicht.« Der Korpulente musterte die vier Spezialisten
eindringlich. Nach einer Weile redete er weiter: »Mein Name ist Arxanxer. Cloe-Trax-Whuo steht unter meinem Kommando.«
»Cloe-Trax-Whuo?«, fragte Mirandola Cainz. »Nie davon gehört.«
»Ihr befindet euch in Cloe-Trax-Whuo.«
»Sieh da, wer hätte das gedacht«, spöttelte Agid in ihrer hochmütig wirkenden Art. »Und was ist Cloe-Trax-Whuo?«
Arxanxers Augen bewegten sich unruhig. Agid Vendor blickte zur Seite, sie meinte, beim Anblick der vielen Augen schwindlig zu werden.
»Cloe-Trax-Whuo ist der Versuch, die Kultur unseres Volkes vor dem Untergang zu bewahren«, erläuterte Arxanxer. »Es wurde vor über fünftausend Jahren von einem Geheimbund gegründet, dem nur Wissenschaftler und Künstler unseres Volkes angehören durften. Seit dieser Zeit registrieren wir jedes Kunstwerk, jedes Zeugnis unserer hochstehenden Kultur, das es wert ist, gerettet zu werden. Sobald eines von diesen Dingen in Gefahr gerät vernichtet zu werden, bringen wir es an uns. Manchmal mit finanziellen Mitteln, hin und wieder mit Gewalt. Wir bringen es hierher, restaurieren es, falls dies notwendig ist, und konservieren es.«
»Das heißt, dass in diesem Berg so ziemlich alle Kunstschätze von Cloreon lagern?«, fragte Bytargeau staunend. »Die beiden Gleiter, die wir beobachtet haben, brachten ein neues Werk?«
»So ist es«, bestätigte Arxanxer. »Da die fünftausendjährige Frist in diesen Tagen abläuft, haben wir seit Monaten alle registrierten Artefakte eingesammelt und hier versteckt. Wenn die Letzte Schlacht ausbricht und möglicherweise mit der völligen Verwüstung unseres Planeten endet, werden unsere Kunstschätze dennoch überdauern. – Ihr werdet bald Atemmasken erhalten, damit ihr alle Räume betreten könnt. Ihr dürft die Schätze sehen, damit ihr versteht, weshalb wir euch hier im Berg festhalten müssen.«
»Wir sind Gefangene?«, fragte Meinster entsetzt. »Ihr wollt uns nicht mehr weglassen?«
»So ist es«, bestätigte der korpulente Cloreone. »Niemand darf erfahren, was sich hier im Berg befindet. Ihr werdet bis zu eurem Tod unsere Gäste sein.«