MILO
»Wie geht es dir?«
Ich weiß, dass mein Vater es lieb meint, wenn er mir diese Frage stellt. Aber sie ist auf eine Weise aufgeladen, mit der ich nur schwer umgehen kann. Er will bestimmt wirklich wissen, wie es mir geht. Dass es mir aber so schlecht geht, dass ich ihm nicht mehr helfen kann, ist auch keine Option. Deswegen verkrampfe ich mich beim Klang dieser Worte immer ein bisschen. Und wünschte, er hätte sie nicht ausgesprochen.
»Gut«, sage ich knapp und bestimmt. Wie immer. Warum hat er es nicht längst aufgegeben, mich das zu fragen?
Ich warte darauf, dass er – auch wie immer – mit Gut reagiert. Doch ich warte vergebens.
»Bist du dir sicher?«
Er hat dieses Muster noch nie gebrochen.
»Ja«, antworte ich, aber es klingt mehr wie eine weitere Frage. Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich mir mit nichts sicher bin. Schon eine ganze Weile nicht mehr. Falls ich es jemals war.
»Sicher?«
»Wieso hakst du ständig nach?« Ich klinge ungehaltener, als ich wollte. Sofort senke ich meine Stimme. Vor dem Abendessen haben wir meine Geschwister hoch in ihre Zimmer geschickt, um ihre Hausaufgaben zu machen. Vermutlich machen sie alles, nur nicht ihre Hausaufgaben. Aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie diese tatsächlich erledigen, will ich sie nicht mit meiner erhobenen Stimme ablenken. Und sie sollen nicht erfahren, dass es mir nicht so gut geht. Mit meinen Problemen sollen sie sich niemals auseinandersetzen müssen.
»Wenn ich dir sage, dass es mir gut geht, dann glaub mir auch«, sage ich leiser, aber mit Nachdruck.
»Warum sollte ich?«, gibt mein Vater zurück. So intensiv hat er mich in meinem ganzen Leben noch nicht angesehen. »Diese Ausbildung war dein Traum. Und wegen mir hast du sie wieder verloren.«
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen, ohne dass ich verstehe, was es mir damit mitteilen will. »Ich werde immer kommen, wenn meine Geschwister mich brauchen«, erwidere ich. »Ich mache jetzt das Essen warm. Du kannst sie gleich rufen.« Ich erhebe mich vom Küchentisch, bevor Papa noch mal auf die Idee kommt, mich auf irgendwas anzusprechen, worüber ich nicht reden will. Ich warte darauf, dass er etwas einwendet. Aber er tut es nicht. Und kehrt damit zu den alten Mustern zurück, die mir vielleicht nicht immer guttun, mir aber vertraut sind, worin ich einen seltsamen Trost finden kann.
Ich wärme eine Nudelsoße auf, die ich vor ein paar Tagen vorbereitet habe, und stelle den Topf, in dem Emma vor einigen Jahren fast noch sitzen konnte, auf den Herd, um genug Nudeln für meine Familie zu kochen.
Während der Wasserdampf in mein Gesicht steigt und meine Haut aufwärmt, werde ich wieder ruhiger und mein Atem gleichmäßiger. In einer Küche, egal, wie alt oder klein sie auch ist, ergibt auf einmal alles viel mehr Sinn.
»Das riecht gut!« Papa musste sie gar nicht rufen. Emil hat die Witterung aufgenommen wie ein Tier, das seine Beute jagt, und schleicht zu mir herüber. Er will die Soße probieren. Er hat sie zwar schon oft gegessen, aber er will immer der Erste sein, der von ihr kostet. Und diese Freude kann ich ihm nie vorenthalten. Ich reiche ihm einen kleinen Löffel, und er verzieht genüsslich den Mund, als würde er einen Werbespot für diese Soße drehen.
»Was sagen Sie? Werden Sie dem Chefkoch gute Bewertungen geben?«, frage ich.
»Sicherlich. Sicherlich«, meint Emil, der dieses Wort ständig sagt, seitdem er es mal bei irgendeinem Charakter in einem Film aufgeschnappt hat. »Selbstredend.« Das gehört auch zu seinem Wortschatz, den er Filmen und Serien zu verdanken hat.
»Selbstverfreilich«, füge ich hinzu.
Ich kann Emil genau zusehen, wie er sich eine mentale Notiz macht, um das Wort nicht wieder zu vergessen.
»Kümmern Sie sich darum, dass all Ihre lieblichen Geschwister an der Tafel Platz nehmen?«, frage ich.
»Selbstverfreilich«, sagt er und poltert dann die Treppe ins erste Stockwerk hinauf.
Emil schafft es tatsächlich, dass fünf Minuten später meine ganze Familie am Tisch sitzt. Ich tue jedem auf, und sofort fallen sie über das Essen her, als hätten sie mindestens zwei Tage hungern müssen.
Ich will gerade auch die erste Gabel in meinen Mund schieben, als es an der Tür klingelt.
»Erwartet irgendwer von euch Freunde?«, frage ich.
»Emil und Daniel haben keine Freunde«, sagt Emma und erntet vernichtende Blicke von ihren Brüdern. »Und ich habe keine Freunde eingeladen.« Emma zuckt mit den Schultern. »Ich gucke nach.«
Sie verschwindet im Flur, und einen Moment später knarzt die Eingangstür. Die Stimmen sind zu leise, um genaue Worte zu verstehen. Aber Emma besteht auf irgendetwas, das mache ich an ihrer Tonlage aus.
»Ach Quatsch«, höre ich sie deutlicher, als sie wieder in unsere Richtung läuft. »Du störst nicht. Du kannst sehr gern mitessen.«
Dann betritt meine Schwester wieder die Essküche und zieht ausgerechnet Lorena hinter sich her.
Mir fällt die Gabel klirrend auf den Teller. Ein bisschen Soße spritzt über den Tisch, und ein großzügiger Fleck landet bestimmt auch auf meinem Shirt, aber ich gucke nicht nach.
»Das ist Lorena«, stellt Emma sie eifrig vor. »Eine Freundin von Milo.« Das hätte sie nicht so seltsam betonen müssen, aber sie hat es sich natürlich nicht nehmen lassen.
Seit ich am ersten Januar Lorenas Wohnung verlassen habe, haben wir kaum zwei Worte miteinander gewechselt. Wir sind uns bei der Arbeit begegnet, was unvermeidbar ist. Aber ich bin ihr sonst großflächig ausgewichen, weil ich keine Ahnung habe, wie ich mit ihr umgehen soll.
Ich will sie in meinem Leben haben. Daran hat sich nichts geändert. Aber zu wissen, dass ich sie nicht mehr küssen darf, obwohl der Geschmack ihrer Lippen das Einzige ist, woran ich denken kann, ist hart. Ich muss einen Weg finden, damit klarzukommen. Aber noch habe ich den Weg eben nicht gefunden.
»Hey«, sage ich ein bisschen verspätet.
»Hey«, gibt sie zurück. Dann räuspert sie sich. Das tut sie immer, wenn sie sich noch ein bisschen Zeit verschaffen will, um die richtigen Worte zu finden. »Ich wollte gar nicht stören. Es tut mir leid, dass ich so unangekündigt reinplatze. Ich sollte wieder gehen.«
»Quatsch«, sagt Emma. »Wir haben genug Nudeln für eine ganze Fußballmannschaft. Iss mit uns.« Ihre Augen funkeln richtig, während sie zwischen Lorena und mir hin und her schaut.
»Emma hat recht«, pflichtet mein Vater ihr bei. »Setz dich zu uns. Es würde uns freuen.«
Lorena ringt mit sich, aber niemand kommt gegen den Hundeblick meiner kleinen Schwester an. Also gibt sie schließlich doch nach. Meine Schwester holt sogar ungefragt Besteck und einen Teller aus der Küche, was wohl noch nie passiert ist. Natürlich platziert sie Lorena zwischen ihr und mir. Als Lorena wieder kurz zögert, wirkt Emma, als würde sie Lorena am liebsten an den Schultern packen und auf den Stuhl drücken. Doch sie wartet ab, bis Lorena sich dann doch von allein hinsetzt.
Sie tut ihr sehr viele Nudeln und noch mehr Soße auf, bis der Teller fast überquillt. Dabei grinst sie so breit, dass es eigentlich schmerzen sollte. Kann man auch Muskelkater im Gesicht bekommen? Meine Schwester scheint es sich zum Ziel gesetzt zu haben, das herauszufinden.
»Ich bin übrigens Emma«, sagt meine kleine Schwester, als sonst niemand Anstalten macht, etwas zu sagen.
»Lorena«, erwidert diese, obwohl sie ja schon offiziell vorgestellt wurde, und ergreift die Hand, die Emma ihr auffordernd hinhält.
»Das ist mein Zwillingsbruder Emil, sehr einfallsreiche Namen, ich weiß. Und Daniel, aber erwarte nicht, dass er viel sagt, er schweigt lieber. Das ist mein Vater Kuno. Und Milo kennst du ja.« Im letzten Satz schwingt sehr viel mit, was Lorena aber alles übergeht.
»Es freut mich sehr, euch alle kennenzulernen«, sagt sie und klingt auf eine Weise förmlich, die so gar nicht in diesen heruntergekommenen Raum mit den zusammengewürfelten Möbeln passen will.
»Uns freut es auch«, sagt mein Papa und strahlt sie an. Immer wenn er so strahlt, erinnere ich mich daran, dass er auch mal so jung war wie ich. Es ist ein bisschen seltsam, sich die eigenen Eltern als Menschen mit einer Vergangenheit vorzustellen, deren Existenz nicht erst mit der eigenen Geburt begonnen hat. Doch wenn er so richtig lächelt, erkenne ich darin auch die Liebe zu meiner Mutter und die Gründe, warum sie sich in ihn verliebt hat.
»Woher kennt ihr beide euch?«, fragt mein Vater freundlich.
»Über Juli«, sagt sie.
»Über die Arbeit«, sage ich gleichzeitig.
Kurz treffen sich unsere Blicke, und wir lächeln uns an. Ein bisschen vorsichtiger als sonst. Aber auch nicht mehr so, als würden wir uns diese Geste im Beisein des anderen nicht mehr zutrauen.
»Also beides stimmt«, meint Lorena. »Wir kennen uns über Juli, aber wir arbeiten schon seit einem Jahr zusammen.«
»Zusammen«, wiederhole ich grinsend. »Das ist großzügig ausgedrückt. Lorena ist meine Chefin.«
»Das ist cool«, sagt Emma sofort. Ich kann ihr ansehen, dass sie sich an unser Gespräch erinnert, das wir auf dem Fußboden vor ihrem Kinderzimmer geführt haben. Aber sie erwähnt es nicht. »Kannst du Milo rumkommandieren?«
»Natürlich kann sie das«, antworte ich.
Lorena verdreht die Augen. Und auf einmal fühlt es sich so an, als wäre zwischen uns alles wie immer.
»Das ist wirklich cool«, meint Emma. »Ich versuche immer, ihn rumzukommandieren, aber er hört nie auf mich.«
»Das stimmt überhaupt nicht. Du kannst mich problemlos herumkommandieren«, erwidere ich.
»Stimmt. Hast recht.«
Lorena lacht auf.
»Und woher kennst du Juli?«, fragt mein Vater.
»Sie ist meine Schwester.«
Kurz wird es still im Raum.
»Du bist eine Kronenberger«, stellt Papa fest.
»Richtig«, erwidert Lorena. »Bitte verwendet das nicht gegen mich.«
»Natürlich nicht«, sagt mein Vater auf diese Weise, die so aufrichtig ist, dass man an ihr nicht mal zweifeln könnte, wenn man es darauf anlegen würde.
Emma fragt Lorena tausendundeine Frage über ihr Leben und über das Kaufhaus und ihre Familie. Lorena scheint das nichts auszumachen. Sie beantwortet alle Fragen, auch wenn sie die heiklen Punkte, wie ihr angeschlagenes Verhältnis zu ihren Eltern, natürlich ausspart. Während meine kleine Schwester ihre volle Aufmerksamkeit beansprucht, kann ich sie ungestört betrachten. Sie trägt eine schlichte schwarze Hose mit einem hellen Pulli. Wie immer sind ihre Augen mit schwarzem Eyeliner umrahmt, was das Grün zum Leuchten bringt, und ihre Lippen sind rot. Ich verliere mich in ihren sanften Zügen und will mich auch nie wieder finden.
Lorena ist schön. Das wusste ich schon immer. Aber nun weiß ich noch so viel mehr. Ich weiß, dass sie voller Wärme und Weichheit ist, obwohl ihr beigebracht wurde, dass Kälte und Härte sie im Leben weiterbringen. Sie ist ehrgeizig und fleißig, aber sie ist auch hilfsbereit und verständnisvoll. Zumindest wenn es um andere Menschen geht. Ihnen kann sie vergeben, sich selbst nicht. Sie trinkt ihren Kaffee immer mit Milch und am liebsten bei Joe, weil es ihr gute Laune macht, wenn er der erste Mensch ist, mit dem sie an einem neuen Tag redet. Sie kommt allein gut zurecht, aber seitdem Stella ausgezogen ist, fühlt sie sich einsam. Sie liebt Juli, und der Gedanke, so viele Jahre als große Schwester versäumt zu haben, tut ihr weh. Sie war immer ein Papakind, doch den Verrat ihres Vaters kann sie nicht ganz überwinden. Sie hat Mitgefühl für ihre Mutter, und deswegen fällt es ihr schwerer, deren Angriffe zu ertragen. Sie weiß, dass sie ihrem großen Bruder nicht mehr helfen sollte. Aber sie kann einfach nicht anders. Das Kaufhaus ist für sie der schönste Ort auf der Welt, weil in jeder Abteilung Erinnerungen auf sie warten.
Ich weiß viel über sie, aber es ist nicht genug. Es kann nie genug sein.
Früher, vor einem Jahr, bevor ich sie kannte, hätte ich darauf gewartet, dass sie die Nase rümpfen würde, während sie das Haus betrachtet, in dem ich aufgewachsen bin. Aber heute weiß ich, dass sie das niemals tun würde, und ich fühle mich schlecht, weil ich das jemals von ihr denken konnte.
Damals wäre es mir unangenehm gewesen, dass sie das Chaos in diesem Haus sieht. Nun freue ich mich, dass sie endlich meine Familie trifft.
Sie isst die Monsterportion tatsächlich auf, weshalb mein Vater sie wohl direkt ins Herz schließt.
»Wer hilft beim Abwasch?«, frage ich und erwarte schon, dass sich meine Geschwister mal wieder in Luft auflösen. Aber Emmas Neugier ist wohl noch nicht gestillt, also meldet sie sich sogar freiwillig.
»Aber ich wähle die Musik aus.« Sie holt eine kleine Box und sucht auf ihrem Handy die richtigen Songs. Dann ertönt auch schon das erste Lied ihrer Disney-Playlist. »In Sekunden auf hundert« von Hercules.
»Sing mit«, fordert sie, während sie den Wasserhahn aufdreht. »Bitte!«
Ich zögere eine Sekunde, während ich zu Lorena hinüberschiele, doch dann setze ich an, und Emma stimmt ein. Sie greift nach meinen Händen und lässt sich von mir durch den Raum drehen. Sie steigt beim Tanzen auf meine Füße, obwohl sie dafür inzwischen fast schon zu groß ist.
Lorena lacht auf, und während wir tanzen, fängt sie schon an, abzuspülen.
»Ich wusste gar nicht, dass du weißt, wie das geht«, ziehe ich sie auf. Emma kneift mir in den Arm, weil ich es gewagt habe, eine Sekunde aufzuhören, zu singen.
»Haha«, macht Lorena. Daniel und Emil räumen den Tisch ab und bringen ihr alles.
Mein Vater lächelt zu uns herüber.
»Als Nächstes Mulan!«, ruft Emma aus. Und natürlich lässt sie es nicht zu, dass ich auch nur eine Strophe von »Spiegelbild« nicht mitsinge, bis wir mit Abspülen fertig sind.
»Ab ins Bett«, fordert mein Vater und scheucht meine Geschwister ins erste Stockwerk.
»Jaja«, sagt Emma genervt und sieht noch mal zu Lorena hinüber. »Komm gern öfter.«
»Gern«, erwidert Lorena und trocknet sich die Hände ab.
Emma grinst zufrieden und verschwindet im Bad, aus dem wenige Sekunden später Beschwerden dringen, weil natürlich nicht alle drei gleichzeitig das Waschbecken benutzen können.
»Wollen wir in mein Zimmer gehen?«, schlage ich vor und klinge sofort befangener, sobald wir allein sind.
Lorena nickt nur und folgt mir schweigend die Treppe hinauf. Als ich meinen Raum betrete, kicke ich schmutzige Wäsche unter mein Bett, aber mir bleibt leider keine Zeit, mehr aufzuräumen.
Lorena scheint es nichts auszumachen.
Ich schließe die Tür hinter uns. Und dann stehen wir voreinander und wissen nicht weiter.
»Ich mag deine Familie«, sagt Lorena in die Stille hinein. »Emma wird viele Herzen brechen.«
»Oh ja.« Ich klinge ein bisschen stolz.
Lorena scheint es zu hören und lächelt.
»Wieso bist du hergekommen?«, frage ich, weil ich inzwischen eingesehen habe, dass wir uns nicht für immer aus dem Weg gehen können. Und ich das auch gar nicht will. Ich will sie nicht nur aus der Ferne betrachten, sondern aus der Nähe.
»Ich wollte mit dir reden«, sagt sie und verschränkt die Arme vor der Brust, als würde ihr das Sicherheit geben. »Ich habe dich vermisst.«
»Ich dich auch«, erwidere ich ehrlich. »Sorry, dass ich nicht mit dir geredet habe.«
»Du musst dich nicht entschuldigen. Ich weiß, warum du es getan hast. Dass ich das Kaufhaus über dich stelle, ist scheiße.«
»Das mag sein. Aber es ist deine Entscheidung.«
»Du musst ja nicht jede meiner Entscheidungen gut finden.«
»Tue ich nicht, keine Sorge.«
Lorena nickt und lässt sich auf meinen Schreibtischstuhl sinken. Sie wollte wohl auch nicht mehr seltsam im Raum rumstehen. Ich lasse mich so umständlich auf meinem Bett nieder, als wäre es gar nicht meins.
»Also willst du weiterhin standesgemäß daten?« Ich wollte nicht so herablassend klingen, aber ich konnte es nicht ganz verhindern.
Lorena bringt es zum Grinsen. »Den Tonfall habe ich wohl verdient.« Sie räuspert sich. »Ja, das werde ich. Bis ich Geschäftsführerin bin.«
Sie würde mich niemals darum bitten, darauf zu warten. Und ich sollte es nicht tun. Aber es ist schwer, sich nicht an der Hoffnung, die ein Irgendwann verspricht, festzuklammern, wenn es sonst nichts gibt, an dem man sich festhalten kann.
»Wirst du Magnus Frederick Friedrich Wilhelm Robert Justus Maximilian Ludwig von und zu Arschkriecher wieder daten?«
Lorena entfährt ein Geräusch, das irgendwas zwischen Schnauben und Lachen ist. »Vermutlich.« Sofort klingt sie wieder ernst. »Aber nicht richtig. Nur, damit meine Mutter mich in Ruhe lässt.«
Mein Magen wird hart. Dass diese Vorstellung mir missfällt, ist die Untertreibung des Jahrhunderts. »Pass auf«, versuche ich scherzend zu sagen, was mir nur so halb gelingt. »Sonst wachst du eines Morgens auf und hast ihn aus Versehen geheiratet und vier Kinder mit ihm bekommen, nur, um deine Mutter zufriedenzustellen.«
»Keine Sorge«, erwidert Lorena. »Spätestens nach dem zweiten Kind werde ich es beenden.«
»Dann bin ich aber beruhigt.«
Wir grinsen uns an, aber es wirkt auch traurig.
»Wir sind also wieder Freunde?«, fragt Lorena zögerlich.
»Natürlich«, erwidere ich ohne Zögern.
»Okay, gut.« Wenn man Lorenas schlichte Worte hört, könnte man manchmal meinen, sie würde kaum etwas fühlen. Ich weiß es besser.
Mit steifen Bewegungen erhebt sie sich von meinem Stuhl und wendet sich zur Tür. »Ich sollte wohl mal gehen. Wir sehen uns ja morgen bei der Arbeit.«
Sie hat die Hand schon an der Klinke liegen, als ich sie mit meinen Worten noch mal zurückhalte.
»Aber wäre ich die Person …« Ich breche ab und muss mich räuspern, weil ich auf einmal so heiser bin.
Lorena hält inne und dreht sich noch mal zu mir um. Wenn sie mich so intensiv betrachtet, fühlt sich sprechen kurz unmöglich an. Doch nur kurz.
»Aber wäre ich die Person, zu der du gehen würdest, wenn du wüsstest, dass morgen die Welt untergeht?«
Lorenas Augen schwimmen kurz in Wasser. Natürlich entkommt ihr keine Träne.
»Ja.«
Eine sehr schlichte Antwort, aber es kommt mir so vor, als enthielte sie alles, was ich jemals hören wollte.
»Das reicht mir«, sage ich, obwohl das wohl nur die halbe Wahrheit ist.
Lorena lächelt mich auf eine Weise an, als wüsste sie das. Doch sie kommentiert es nicht. Sie wendet sich einfach ab und geht. Und ich mache keine Anstalten, sie zurückzuhalten.