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Ein wahnsinnig romantischer Antrag
I
ch drehte mein Gesicht, um mich eingehend im Spiegel mustern zu können. Mein Make-up unterstrich meine ätherische Schönheit, meine Frisur saß perfekt. Obwohl ich zufrieden mit mir sein konnte, runzelte ich die Stirn und ging erneut über mögliche Schwachstellen hinweg. Die falschen Wimpern schlossen ohne Lücke an meine natürlichen an? Ich hatte meine Lippen nicht überschminkt? Und der Kajal? War ich da abgerutscht?
Irgendwo in mir mahnte mich eine Stimme, dass ich es übertrieb. Was machte es schon, wenn ich nicht perfekt aussah? Schön, die Kameracrew begleitete mich auf diesem unerwarteten Kurztrip, aber weder Paul noch Lex oder Jason waren der Grund, warum ich mich kaum vom Spiegel fortreißen konnte, sondern Hafidh. Eigentlich eher ein Kommentar seinerseits, als wir am Morgen das Flugzeug verlassen hatten. Ich war bei dem Überseeflug eingenickt und er hatte moniert, dass sich eine Wimper gelöst hatte. Ein Spaß? Womöglich. Wie auch immer er es gemeint hatte, es sollte mich eigentlich nicht so unsicher machen, dass ich mich nicht vom Spiegel losreißen konnte. Hadernd starrte ich meine Reflexion an. Es war wichtig, dass alles gut lief, hielt ich mir unnötigerweise vor. Meiner Karriere tat meine Beziehung mit Hafidh verflixt gut und mit diesem Anschub konnte ich auf eine zweite Saison meiner Show hoffen.
Es klopfte an der Zimmertür. Ich starrte mir in die Augen, nicht bereit, mich der Kritik bereits zu stellen. Allerdings knurrte mein Magen. Kaum waren wir nach der Landung direkt zum Hotel in die Pariser Innenstadt weitergefahren und hier angekommen, führte mich mein Weg auch direkt ins Bett. Die Suite hatte seinen Reiz mit den verspielten, weißen Möbeln und den weichen Vorhängen. Alles wirkte urromantisch, was mich zudem nervös machte. Unsere Beziehung war so oberflächlich, dass ich nie wusste, was mich beim nächsten Treffen erwarten würde. Für den Dreh mochte es aufregend sein und allem etwas Mysteriöses geben, für mich selbst wurde es zunehmend anstrengend. Ich war es leid, immer überrascht und erfreut zu spielen, wenn ich eigentlich lieber vorher gewusst hätte, worauf ich mich einließ.
Wieder hämmerte es gegen die Zimmertür.
»Hailey? Können wir reinkommen?«, rief Paul ungeduldig.
Ich konnte mir meinen Verdruss selbst von der Miene ablesen.
»Yeah!«, gab ich dennoch meine Zustimmung. Viel Zeit blieb mir nicht, bevor der unsensible Klotz von Aufnahmeleiter in das Badezimmer stürmte.
»Das werden Mordsbilder!«
Wenn es als Kompliment gedacht war, musste er sich nicht wundern, warum er immer noch Single war.
»Na komm schon! Alle warten auf dich.« Er stemmte die Hände in die Hüften und sah erneut an mir herab. Sein Ausdruck wandelte sich, allerdings machte ihn das eher noch abstoßender. Paul war Anfang vierzig und benahm sich wie ein Neandertaler. Er starrte ungeniert in Ausschnitte oder auf nackte Schenkel und konnte zudem seine Mimik nicht unter Kontrolle halten. In meinen Augen war es kein Kompliment, von einem Mann gierig angeglotzt zu werden, als sei ich das letzte Stück Pizza während einer Hungersnot.
»Ich bin soweit.«
Es lag mir auf der Zunge, ihn auf sein widerwärtiges Verhalten anzusprechen. Nur sollte ich? Brachte es etwas? Wollte ich mir meinen Europatrip von ihm ruinieren lassen?
Ich atmete tief ein und stieß mich nach einem letzten Blick in den Spiegel vom Waschbecken ab, das in eine dicke Marmorplatte eingelassen war. »Du weißt, dass ich dich beobachtet habe?«
Sein Blick zuckte hinauf zu meinem Gesicht. »Ach ja?«
»Ich habe in den Spiegel gesehen, Paul.« Ich kniff die Lippen zusammen. Wollte er nicht verstehen, worauf ich hinauswollte? »Du hast mich angegafft.«
Paul schnaubte. »Träum weiter, Kleine.« Er wandte sich ab und ich musste ihm folgen, wenn ich das Thema nicht beilegen wollte.
»Ich verzichte!«, zischte ich, als ich über die Schwelle in mein Schlafzimmer trat. Lex und Jason warfen mir schnelle Blicke zu. »Lass es einfach.«
»Meint ihr, man müsste sie länger als nötig ansehen?«, höhnte Paul, was mir zwei Musterungen und zwei Schulterzucken einbrachte.
Das hätte ich mir also sparen können. Verärgert stapfte ich zur Kommode, auf der meine Clutch lag und griff nach ihr. Es machte mich rasend, dass ich nichts tun konnte, damit er sich benahm. Verlangte ich zu viel, wenn ich einen respektvollen Umgang forderte?
Mit knirschenden Zähnen drehte ich mich wieder zu den Männern um. »Also schön. Am liebsten wäre es mir, wenn ihr direkt zurück in die USA flöget.«
Jason fing meinen Blick auf, aber es war Paul, der auflachte.
»Wenn es diese Klausel nicht gäbe …« Mit der er mir bereits vor dem Abflug gekommen war. »Wir brauchen einen Abschluss für die Saison.«
Und den sollte ich hier in Paris liefern, bevor die Sendepause begann.
»Richtig«, räumte ich ein. »Allerdings …«
»Die Quoten sind dir doch auch wichtig«, mischte sich Jason ein. Sein Blick bat darum, dass ich das Thema fallenließ. »Wenn wir die Saison zu einem bombastischen Abschluss führen, steht einer Vertragsverlängerung doch nichts mehr im Wege.«
»Außer dem Fakt, dass ich Paul kein weiteres halbes Jahr ertrage!« Zwar fassten sich die Drehtermine meist zu wenigen Tagen im Monat zusammen, dennoch hatten die es stets in sich. »Abgesehen davon, dass ich Hafidh von vornherein raushaben wollte!«
»Das Interesse des Scheichs war aber der Grund, warum die Show sich überhaupt erst gut platzierte!«, blaffte Paul. Er gab den Männern ein Zeichen. »Und jetzt hör auf mit deinem Geunke und mach dich auf dem Weg, bevor Alabdil die Geduld mit dir verliert und dich abschießt!«
Er marschierte los. »Wir machen den ersten Take, wie du den Flur hinunterkommst. Versuch nicht, ordinär den Hintern zu schwingen.«
»Arschloch«, formten meine Lippen.
»Dann, wie du das Zimmer betrittst. Heuchle freudige Überraschung!«
Also erwartete mich wieder etwas Unerwartetes. Mein Magen verknotete sich unangenehm.
»Wie wäre es, wenn ich entscheide, wie ich reagiere?«
Ich bemerkte Lex’ Schmunzeln, als er an mir vorbeikam. Jason schüttelte den Kopf, aber er versuchte auch immer, die Wogen zu glätten und Pauls Ausraster zu rechtfertigen.
Ich blieb in der Tür stehen und sah den gut beleuchteten Gang hinunter. Es waren nur wenige Schritte bis zur nächsten Tür, hinter der sich der Wohnbereich verbarg. Die Tür war dabei überflüssig, schließlich befand sich nichts dazwischen. Jason schulterte die Kamera und zählte mich mit erhobener Hand an. Mir blieb gerade noch Zeit, um tief durchzuatmen, bevor der letzte Finger fiel. Ich biss mir übertrieben erwartungsvoll auf die Lippe und legte mir die Hand aufs Herz, dann straffte ich mich und setzte mich in Bewegung. Meinen Blick richtete ich dabei an dem Team vorbei auf die weiße Tür.
»Cut!«
Paul stieß die Tür auf. Leise Musik drang zu mir und brachte mein Herz dazu, fester zu klopfen. Was erwartete mich nun? Musik. Ein romantisches Dinner?
Mein Verharren bekam niemand mit, denn hinter Lex hatte Paul die Tür wieder geschlossen und ich stand allein im Flur. Schnell wischte ich meine Hände an meinem Kleid ab und straffte die Schultern. Es war sicherlich ein Dinner, obwohl ich viel lieber ausgegangen wäre. Wir waren in Paris, verflixt!
Eisern brachte ich meine Gefühle unter Kontrolle. Es war in Ordnung, es war sogar ganz süß und passte hervorragend zu dem Liebesurlaub, den ich mir vorgestellt hatte, als Hafidh mir seine Reisepläne unterbreitet hatte. Erneut atmete ich tief durch, setzte mein Lächeln auf und fasste nach der Klinke, um sie langsam herabzudrücken.
Jason fiel mir mit seiner Kamera direkt ins Auge, alles dahinter brauchte einen zweiten Blick. Auch der Aufenthaltsraum war romantisch eingerichtet. Florale Bezüge, leichte Vorhänge und viele Glaselemente waren vorhanden. Eine Vitrine mit feinem Porzellan, Silber und Kristallglas auf der Anrichte, auf der auch Getränke aufgereiht standen. Meine Wange zuckte. Vom zu vielem falschen Lächeln bekam ich gelegentlich Krämpfe und leider stets, wenn sie absolut unpassend waren.
»Habibati«, grüßte mich Hafidh, wobei er quer durch den Raum auf mich zukam.
»Cut!«, brüllte Paul. »Scheich Alabdil, ich bat Sie, die Eingangssequenz nicht zu unterbrechen!«
Hafidhs warmes Lächeln schwand direkt, als er sich auf halbem Weg umwandte und Paul ins Auge fasste. »Hailey ist eingetreten, damit ist die Sequenz abgeschlossen. Wenn Sie sich weiterhin in den Abend einmischen, werden Sie gehen. Haben wir uns verstanden?«
Das Zucken in meiner Wange ließ nach und ich konnte ungehindert grinsen. Das hatte Paul verdient, auch wenn Hafidh übertrieb.
»Können wir die Begrüßung am Tisch wiederholen?«, fragte Paul gespielt ehrerbietig. »Die offene Tür wird Miss McGregors Schönheit doch nicht gerecht.«
Ich verdrehte die Augen. Gerade hatte er noch behauptet, es gäbe keinen Grund, mich unnötig lange anzusehen und nun titulierte er mich als Schönheit.
Hafidh verengte die Augen. Er ließ Paul zappeln, bevor er seine Zustimmung gab und zurück zum Tisch trat, wo er stehen blieb und sein Jackett richtete.
»Also gut, Hailey, komm langsam auf uns zu und zeige uns, wie hingerissen du von deinem Galan bist.« Paul verzog bei Galan die Lippen, was ich als Abscheu deutete. Es war nicht das erste Mal, dass ich dies bei ihm sah und auch Hafidh konnte Paul nichts abgewinnen, deswegen hatte mich dessen Zustimmung, die Dreharbeiten auf dem Trip auszuweiten, massiv überrascht.
»Okay.« Ich wartete, dass Paul mich erneut anzählte, setzte mein Lächeln wieder auf und schwebte dann auf Hafidh zu, der mir im letzten Moment noch entgegenkam. Er legte die Hände an meine Oberarme und beugte sich vor, um mir einen Kuss auf die Lippen zu geben. Einen harmlosen Begrüßungskuss. Als er sich von mir löste, blinzelte ich enttäuscht, zwang meinen Mund aber dazu, die Winkel oben zu belassen.
»Habibati, mein Augenstern, du siehst wie immer umwerfend aus.«
»Danke, Hafidh.«
Seine Hand ergriff meine. Er drückte sie, wobei er mich näher zum überladen gedeckten Tisch zog. Goldteller und Besteck glitzerten in der Abendsonne.
»Oh!«, tat ich entzückt. »Ein romantisches Abendessen?«
»Ich hoffe, es erfüllt deine Erwartungen«, raunte er mir zu. »Setz dich.«
Er selbst nahm auf dem Stuhl Platz, von dem er aufgestanden war, als ich das Zimmer betreten hatte. Sofort huschte ein Diener herbei, um ihm eine Stoffserviette zu reichen. Ein Zweiter zog mir den Stuhl heraus.
»Danke.«
Hafidh sah mit gerunzelter Stirn zu mir. »Bitte. Nur das Beste für eine wundervolle Frau wie dich.«
Ich stockte, irritiert, dass er meine Worte auf sich bezog und wiederholte dann unsicher: »Danke?«
»Hast du gut geruht?«
Der Diener hielt ihm eine Flasche unter die Nase, während der andere mir meine Serviette reichte. »Wir nehmen den Dom Pérignon Jahrgang 98. Dieser Cristal Brut schmeckt wie Spülwasser.«
Ich hielt inne, wodurch ich sicherlich ein recht dämliches Bild abgab, schließlich war ich dabei gewesen, meine Serviette zu entfalten und auf meinen Knien abzulegen. Mein Stiefvater schwor auf Methuselah Christal Brut und hütete seine Champagnervorräte wie einen teuren Schatz. Natürlich hinterfragte ich generell alles, was Sean gut fand, dennoch konnte ich über Hafidhs Bemerkung, was er von der Millennium Cuvée hielt, nicht spielend leicht hinweggehen. Mein Lächeln wackelte und ich musste mich auf meine Mimik konzentrieren, um mich in die Gewalt zu bekommen.
»Wir werden zwei Flaschen benötigen.« Hafidh scheuchte den Bediensteten davon und warf mir ein Lächeln zu. »Erwähnte ich, wie hinreißend du aussiehst?«
»Ja, danke.«
Sollte ich auf meine Hoffnung zu sprechen kommen, wie sich der Kurzurlaub entwickeln würde? Vor laufender Kamera? Besser nicht. Hafidhs Braue hob sich und erinnerte mich daran, dass ich etwas vergessen hatte.
»Du bist heute Abend auch erlesen angezogen.«
Sein Grinsen wurde wärmer. »Ich habe mir erlaubt, Musiker zu engagieren. Hast du einen bestimmten Wunsch, was sie spielen sollen?«
»Nein. Lass ihnen doch die Wahl.«
Hafidh lachte auf. »Habibati, manchmal hast du merkwürdige Vorstellungen. Ich habe ihnen bereits ein Set gegeben. Du wirst französische Klassik genießen.« Er machte einen Wink und die drei Musiker, die sich noch hinter dem Kamerateam in der hintersten Ecke verbargen, begannen zu spielen. Die Fiedel gehörte nicht zu meinen bevorzugten Instrumenten, aber sie passte hervorragend in das hiesige Ambiente.
»Ich bin so gespannt, was wir alles sehen werden«, hielt ich das Gespräch am Laufen. »Notre Dame?« Zwar wusste ich kaum etwas von möglichen Sehenswürdigkeiten in Europa, aber einige Brocken waren aus meinem Französischunterricht hängengeblieben. »Den Eiffelturm?« Mir stockte der Atem, als mir eine weitere Idee kam. »Den Louvre?« Zwar war ich eher ein Kunstmuffel, aber in dem Museum im Herzen von Paris waren uralte Kunstwerke ausgestellt. Einen Nachmittag könnte ich damit durchaus vertrödeln.
Hafidhs dunkler Blick legte sich auf mich, aber er gab mir keine Antwort. Daher bekam ich das Gefühl, dass seine Pläne andersgeartet waren.
»Besuchen wir eine Modenschau?« Womit sonst wurde Paris in Verbindung gebracht, wenn nicht mit Mode und Kultur? Ich war ratlos.
»Die Fashion Week ist Ende September.«
Mein Lächeln wurde zunehmend anstrengend. »Oh.«
»Wir haben leider nur einen kurzen Aufenthalt in Paris, Habibati. Ich habe die letzten Stunden mit den Geschäften zugebracht und werde mich ihnen später wieder zuwenden müssen.«
Erneut stockte ich vor Überraschung. Natürlich wusste ich, dass Hafidh für das Familiengeschäft, sie handelten mit Erdöl, um die Welt reiste, aber dass er die Pflicht mit meiner Gesellschaft nur versüßte, war irgendwie enttäuschend.
Der Bedienstete trat an Hafidh heran und zeigte ihm die Flasche. Nach einer intensiven Musterung nickte der und legte seinen eindringlichen Blick wieder auf mich. »Wir werden uns all deine Sehenswürdigkeiten ein andermal anschauen.«
Hieß dies nun, dass ich gar nichts sehen sollte?
»Das einzig Sehenswerte ist ohnehin die abgebrannte Kathedrale.« Er zuckte die Achseln. »Wenn du möchtest, fahren wir daran vorbei, wenn wir morgen auf dem Weg zum Flughafen sind.«
»Oh.« Da auch mein Glas gefüllt worden war, nahm ich es auf, um an dem Champagner zu nippen. »Nein. Ich wollte die Fresken sehen.«
Einen Tag? Wir bleiben nur einen Tag in der Stadt der Liebe und den ließ er mich verschlafen? Wenn ich das gewusst hätte …
»Habibati?«
»Hm? Ja?«
»Ich wollte anstoßen.« Verdruss zeigte sich in seinem hängenden Mundwinkel.
»Entschuldige.« Ich ließ mir den Kelch wieder auffüllen und bemühte mich um ein aufmerksames Gesicht. Welchen tollen Grund mochte er haben, anstoßen zu wollen? Sicherlich nicht auf einen aufregenden Tag in Paris!
»Hailey, dir kann nicht entgangen sein, wie immens ich unsere Zweisamkeit genieße.«
Beinahe hätte ich das Glas erneut geleert. Schnell ging ich gedanklich unsere bisherigen Treffen durch und fragte mich, wie er Zweisamkeit definierte.
»Ich genieße auch jeden Moment mit dir, Hafidh.« Meine Wange protestierte.
»Ich weiß.« Er beugte sich vor, ergriff meine Finger und drückte sie. »Ich habe einen Speiseplan zusammengestellt, der dir sicherlich munden wird.« Damit zog er sich wieder zurück.
Irritiert nippte ich an meinem Glas.
»Trink nicht so viel.«
Ich verschluckte mich und hustete verstohlen. »Ich habe schottische Wurzeln, wir haben Alkohol im Blut.« Eigentlich erwähnte ich meine Herkunft nicht, denn ich war stolze Wahlamerikanerin, aber seinen Hinweis fand ich ziemlich daneben und das regte meine spitze Zunge meist zu Widerworten an.
»So?« Hafidh wirkte steif. »Du bist Schottin? Sagtest du nicht, dass Sean Johnston dein Vater ist?«
Sicherlich war Sean niemals Thema gewesen, schließlich sprach ich noch weniger gerne über meine Familie als über meine Herkunft. Vorsichtig stellte ich das Glas ab und legte die Finger daneben ab. »Nein. Sean Johnston ist mein Stiefvater.«
»Und dein Vater? Wer ist das?«
Selbst mit Gewalt ließ sich mein Mund nicht öffnen, da war ich mir sicher. Selbst einen Finger zu rühren schien unmöglich, so eingefroren fühlte sich mein Körper an. Mein Vater … nein, der war kein Thema, weder für mich noch für sonst jemanden. Ich bezwang mich eisern.
»Tot«, quetschte ich hervor, wodurch der Bann brach. »Schon lange.«
Auch Hafidh verlor seine Anspannung und grinste mich fröhlich an. »Sehr gut!«
Ja, es war gut so, trotzdem drückte sich ein Gewicht auf meine Brust. Am liebsten hätte ich den Abend abgebrochen, so elendig fühlte ich mich plötzlich. Ich schlotterte innerlich, meine Lungen gehorchten nicht und mein Puls wusste nicht, ob er rasen oder aussetzen wollte.
»Hast du Geschwister?«
Mühsam richtete ich meine Gedanken auf den Moment und ließ die Vergangenheit zurück. »Nein. Du?«
Hafidh schmunzelte. »Ein Dutzend. Du wirst sie kennenlernen.«
»Schön.«
»Ich kenne Schottland.« Hafidh winkte nach der Servicekraft, der die Haube von dessen Teller nahm. Ein Zweiter vollführte selbiges bei mir. Auf dem Teller lag ein winziges Horsd’oeuvre. Allerdings wirkte es eher wie die Hinterlassenschaft eines Hundes. Schnell schloss ich die Augen, um meine Reaktion unter Kontrolle zu halten. Es war dabei nicht vorrangig die Speise, die meinen Magen rebellieren ließ, sondern sein Gesprächsthema.
»Tatsächlich?«
»Ich habe in Cambridge studiert und natürlich meisterlich abgeschlossen.« Hafidh hob eine Braue und ich beglückwünschte ihn. »Und einige Freundschaften geschlossen. Kennst du Padraig McTiernan?«
Die Stille dehnte sich, allerdings wusste ich nicht, worauf er hinauswollte. Ich lebte seit meinem fünften Lebensjahr in Texas und konnte mich an die Zeit in Schottland nicht einmal mehr erinnern.
»Nein«, sagte ich schließlich. »Ich war ein Kleinkind, als meine Mutter Sean heiratete und wir nach Austin auswanderten. Ich kenne niemanden dort.«
»Wie schön.« Sein Lächeln wurde fester. »Wir haben noch ein paar Tage, vielleicht …« Er brach ab, zuckte die Achseln und schien sehr mit sich zufrieden, als er seinen Appetithappen aufgabelte und in den Mund schob. Er kaute enthusiastisch und schluckte ohne das geringste Zeichen von Missfallen, also wagte ich, das schwarze Würstchen ebenfalls zu probieren. Es entpuppte sich als Dattel in Seetang. Mir fehlte die würzige Speckmantelnote und ich musste den Happen mit Champagner herunterspülen.
Die Teller wurden abgeräumt und frische aufgetischt. Ein handtellergroßes, blutiges Steak begrüßte mich mit Garnelendekoration.
Schon wieder. Ich war beileibe keine Vegetarierin, aber es gab Speisen, die bekam ich nicht hinunter. Und blutiges, halb rohes Fleisch gehörte nun mal dazu. Langsam ließ ich die Hände vom Tisch rutschen. »Können Sie das bitte wieder abräumen?«
»Es ist ein Kobe Steak, Habibati, es wird deine Geschmacksknospen zum Explodieren bringen. Probiere es!« Hafidh bedeutete dem Bediensteten, meinen Teller wieder abzustellen.
»Nein, danke.«
»Habibati …« Hafidh wedelte mit der Gabel herum. »Probiere es!«
Ich beließ es bei einem Kopfschütteln. »Warum haben wir nur einen Tag in Paris?«
»Weil es keinen Grund gibt, länger zu bleiben.« Hafidh zuckte die Achseln und beendete seinen zweiten Gang. »Du solltest mir vertrauen, Habibati.«
»Ich verstehe nur nicht, warum wir quer über den Atlantik fliegen, um nur eine Nacht in Paris zu bleiben.«
»Natürlich nicht, aber sei gewiss, ich habe alles sehr gut durchdacht. Vertraue meiner Führung.«
Sollte ich mich damit begnügen?
»Gefällt dir die Musik?«
Ich lauschte einen Moment aufmerksam. »Ja. Ich kann es nur nicht zuordnen.«
»Ich habe den bekanntesten europäischen Violinisten engagiert.«
Hafidh sah zu ihm herüber, was auch mich dazu brachte, dem Mann mehr Beachtung zu schenken. Er trug sein blondiertes Haar zu einem Dutt und brauchte dringend eine Belehrung, wie man einen Anzug mit Würde trug. Sein Hemd war nur zur Hälfte in den Bund der Hose gesteckt und nicht einmal akkurat geschlossen. Auf Krawatte, Weste und Kummerbund hatte er ganz verzichtet, wodurch er sich von seinen beiden Kollegen, einem Bassisten und einem Klarinettenspieler, abhob. Er ging auch völlig in seiner Interpretation auf, spielte mit unübersehbarer Leidenschaft, was übertrieben und fehl am Platz wirkte.
»Und bereue es.« Hafidh schüttelte den Kopf. »Verzeih mir meine Fehleinschätzung.«
»Er ist gut«, beruhigte ich ihn. »Ich mag seine Leidenschaft.« Wann sah man schon jemanden, der in seiner Tätigkeit aufging?
Hafidh murmelte etwas, was ich nicht verstand. Hinter ihm löste sich sein Schatten Hassan und schritt hastig davon. Der nächste Gang lenkte mich ab, bis die Violine einen schiefen Ton von sich gab, der mir durch Mark und Bein ging. Hassan schleifte ihn hinaus.
»Was …«
»Der Nachtisch.« Hafidhs Augen glänzten voller Erwartung. »Probier.«
Ich nahm widerwillig meinen Löffel auf. Schon wieder Crème brulée.
»Du gehörst zu den Frauen, die ein Mann einfach anbeten muss.«
Ich stockte und sah auf.
»Ich war mir gleich sicher, als ich dich traf, Habibati.«
»Oh.« Es setzte mich irgendwie unter Zugzwang. »Das Gleiche könnte ich über dich sagen, Hafidh. Durch dich fühle ich mich wie in einem Märchen.«
»Das hoffe ich.« Er grinste begeistert. »Bitte, lass dich nicht weiter stören.« Er deutete auf meine Crème brulée. »Ich weiß, wie sehr du Crème brulée schätzt.«
Mit angestrengtem Lächeln klopfte ich auf die karamellisierte Oberfläche, bis sie brach und löffelte das abgetrennte Stück heraus. Hafidhs Blick spürte ich dabei die ganze Zeit auf mir.
»Hm«, machte ich, weil ich dachte, dass er darauf wartete, aber er beobachtete mich einfach weiter. Gezwungenermaßen nahm ich einen weiteren Löffel, dieses Mal von dem gestockten Pudding darunter, und verharrte. Etwas schimmerte mich an. Durch das Loch, das ich in den Pudding gegraben hatte, war der hohle Innenraum vergrößert worden, in dem offenbar etwas versteckt worden war.
Zittrig legte ich das Besteck zur Seite und neigte die Schale, um das glitzernde Gebilde besser ergreifen zu können. Ein Ring.
»Habibati.« Hafidhs dunkle Stimme nahm einen einschmeichelnden Klang an. »Ich habe in dir die Frau meines Lebens gefunden und habe seither nur einen Wunsch.«
Ich konnte den Blick nicht heben. In mir spielte einfach alles verrückt. Mir wurde heiß und kalt zugleich, mein Puls tanzte ein wildes Stakkato, während mein Magen Achterbahn fuhr. Oh mein Gott! Das war ein Verlobungsring! Der unanständig große Brillant war von einem Ring kleinerer Smaragde umkränzt. Verlobt mit einem Scheich! Eine Stimme kreischte in meinem Kopf und übertönte alle anderen. Die Einschaltquoten schossen hundertprozentig ins Nirwana! Der Sender konnte gar nicht anders, als mir eine Verlängerung anzubieten!
Meine Lippen zogen sich zu einem Grinsen, das so breit war, dass es schon wieder schmerzte. Hafidh war aufgestanden und hielt mir die Hand entgegen. Ich ergriff sie und ließ mir auf die Füße helfen. Er hob mein Kinn an.
»Sag ja.«
»Ja!«
Hafidhs triumphaler Blick irritierte mich nicht einmal und als er sich herabbeugte, um mich zu küssen, schlang ich voller übersprudelnder Begeisterung die Arme um seinen Hals. Endlich bekam ich mehr als ein lauwarmes Küsschen. Endlich flatterte mein Herz in seiner Gegenwart. Endlich war alles so, wie es sein musste! Das war der beste Tag meines Lebens!