13
Familie und andere Knackpunkte
W
enn ich geglaubt hatte, meinen Vater zu sehen wäre weniger aufwühlend als der Marsch durch die Highlands an Padraigs Seite, wurde ich eines Besseren belehrt.
Jetzt stand ich tatsächlich vor ihm im Clachnaharry Inn
und wurde überraschend begrüßt.
»Hailey!« Eine dralle Rothaarige winkte mir frenetisch von ihrem Standort hinter der Bar zu. »Na komm!«
Verdutzt folgte ich der Aufforderung, Padraig immer noch im Schlepptau, und wühlte mich durch das Meer von besetzten Stühlen. Erneut hatte ich das Gefühl, dass sich die Augen eines jeden Gastes auf mich richteten, aber ich versicherte mir, dass es eben nur ein Gefühl war. Am Tresen angekommen, hinter dem mich die Unbekannte breit angrinste, stützte ich mich ab. Sie hatte etwas entfernt Vertrautes, das mich zunehmend verunsicherte.
»Fraiser wurde noch zu einem Notfall gerufen, aber wir werden dir schon die Zeit vertreiben.«
»Oh.« Das lief mal wieder nicht so wie geplant und ich hatte nicht einmal meine Kamera dabei.
»Natürlich«, murmelte ich, mit mir hadernd. Nun saß ich in einem Pub mit Padraig fest, was absolut zu vermeiden gewesen wäre.
»Lass uns einen Tisch finden«, schlug der nun vor und berührte dabei leicht meinen Ellbogen.
»Dein Verlobter?« Die Augen der Bardame fuhren konzentriert über meine Begleitung hinweg, nicht unähnlich zu Fraisers erster Musterung vom Vortag. Sie verzog tatsächlich ebenso die Nase und ihre hellen, grünen Augen verengten sich. »Dein Vater hielt sich bedeckt, was ihn angeht, allerdings sehe ich keinen Grund dazu.«
»Der erste Blick kann täuschen«, murrte ich, wobei ich mich tatsächlich auf Hafidh bezog und nicht, wie die Barfrau, offenbar auf Padraig.
»Tatsache?« Erneut musterte sie ihn. »Kommst aus der Gegend, nicht?«
Padraig hob die Achseln. »Aye.«
»Einer der McTiernan Jungs.«
Irritiert sah ich zwischen den beiden hin und her.
»Ich werfe nun nicht mehr mit getrocknetem Schafdung nach vorbeifahrenden Autos, Mrs Drake.« Wieder hoben sich seine Schultern, wobei sich dieses Mal ein reuiges Grinsen auf seinen Lippen breitmachte.
»Mir machen eher die anderen Geschichten Sorgen.« Mrs Drake unterbrach ihre Musterung, um mir einen schnellen Blick zuzuwerfen. »Du kommst also heim?«
Mir klappte der Mund auf. Mischte sich in diesem Land jeder x-beliebige Fremde in die Angelegenheiten anderer?
»Dein Gesicht würde ich gerne sehen, wenn du dein Zimmer betrittst!« Sie lachte auf. »Hab Nachsicht mit deinem Vater, er hat sicher nicht bemerkt, wie schnell die Zeit verflogen ist, nachdem Maria ihre Sachen gepackt hat und mit dir verschwunden ist.«
»Wie wäre es mit einem Whisky?«, schlug Padraig vor, was von Mrs Drake direkt aufgegriffen wurde, denn sie zog drei bauchige Gläser hervor und füllte sie randvoll. Eines landete vor mir und obwohl ich sicherlich nicht in Padraigs Gesellschaft trinken sollte, schüttete ich die brennende Flüssigkeit in einem Zug hinunter.
Mrs Drake pfiff. »Ganz unser Mädchen.«
»Wann wird Fraiser …«, keuchte ich, da sich der Alkohol durch meine Speiseröhre brannte.
Sie zuckte die Achseln. »Wohl nicht einschätzbar. Setzt euch, ich bringe euch eine gute Portion Haggis!«
»Nein!«, stoppte ich sie ungewollt. Hitze schoss in meine Wangen. »Ich warte auf Fraiser«, versuchte ich die Situation zu retten, denn Padraig brach in schallendes Gelächter aus.
»Naw, kein Haggis für dieses Lassie!«
»Ich …«
Mrs Drake schürzte die Lippen. »Na, das hat sich dann nicht geändert.« Sie schüttelte den Kopf. »Fish and Chips«, bot sie an. »Oder hast du Marias Unsitte angenommen und rümpfst über unser Speisenangebot die Nase?«
Da war er wieder, der Vergleich mit meiner Mutter. Schwer durchatmend schüttelte ich den Kopf.
»Der Kartoffelstampf war toll, aber ich versuche auch gerne etwas Neues.«
Sollte ich fragen? Die Vertrautheit der Barfrau mit meinen Familienangehörigen verunsicherte mich, zumal sie, rothaarig wie sie war, meinem Vater nicht unähnlich sah. Natürlich war sie rundlich, wo Fraiser kantig erschien, aber darüber sollte sie sich glücklich schätzen. Eine Frau wirkte mit einem kantigen Gesicht bereits wenig weiblich. Nahm man dann noch den Körperumfang meines Erzeugers dazu, gewann man keinen Blumentopf mehr mit seinem Aussehen. Wäre ich ähnlich erfolgreich, wenn ich mehr von ihm geerbt hätte? Oder sähen meine Zukunftspläne dann ganz anders aus? Befände ich mich in meiner derzeitigen Situation als untreue Verlobte eines reichen Scheichs oder …
Ich warf Padraig einen prüfenden Blick zu. Als Einheimische wäre ich ihm sicher auch begegnet, vielleicht sogar mit ihm aufgewachsen. Es prickelte in meinem Nacken und ich bewegte die Schulterblätter, um das Gefühl zu vertreiben. Allerdings wurde es nur noch schlimmer.
»Setz dich, Lassie. Ich schicke dir Fiona zur Unterhaltung. Sie vergeht vor Neugierde, aber setz ihr keine Flausen in den Kopf, sonst ziehe ich dir die Ohren lang!« Sie drohte mit einem ausgestreckten Finger, der in Richtung meiner Nase schwang. »Dieses Poussieren im Netz ist …« Mit einem Schnalzen brach sie ab. »Setzt euch.«
Padraig ergriff meinen Ellbogen, beugte sich vor und flüsterte mir ins Ohr, den Mund wieder zu schließen. Da erst bemerkte ich, dass er schon wieder offen stand. Allerdings war ich völlig verblüfft, dass mir zu dem Namen Fiona direkt ein grinsendes, mit Sommersprossen übersätes Gesicht eingefallen war, umrahmt von feuerroten Zöpfen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte ich fest geglaubt, sie sei meine Zwillingsschwester, dann war sie, wie alles andere, was meine Herkunft betraf, in Vergessenheit geraten.
Padraig stupste mich an. »Hailey?«
»Hm?« Schnell nahm ich mich zusammen. »Was ist denn?«
»Komm.«
Ich folgte ihm abwesend, nahm Platz und bemerkte nicht einmal, dass er mir den Stuhl heranschob.
Ein Pfiff schreckte mich auf. Als ich mich umsah, begegneten mir ähnlich grüne Augen wie meinen eigenen. Das war sie, da war ich mir sicher. »Ein Gentleman!«
Padraig feixte und deutete auf den Stuhl neben mir, um auch meiner Cousine einen heranzuschieben.
»Vielen Dank der Herr!«, flötete sie, bevor sie ihre glitzernden Augen auf mich richtete und mir zuzwinkerte. »Weiß dein Verlobter, dass du mit Einheimischen fraternisierst?«
»Wie bitte?«
»Nachdem er die halbe Belegschaft nach Hause schickte und selbst seinen Koch hat einfliegen lassen …« Fiona schürzte verächtlich die Lippen. »Na ja, bezahlte Freistellung hat auch was.« Sie zuckte die Achseln, wobei ihr Blick an mir herabglitt und sie die Augen verengte. »Alles in Ordnung bei dir? Du bist so blass.«
Ohne es zu wollen, legte ich die Hand an die Wange. »Ich bin immer blass.« So in die Defensive gedrängt, fühlte ich mich gar nicht wohl, also schoss ich zurück. »Wie du übrigens auch.«
Sie lachte auf. »Aye, aber nicht sterbensbleich«, wiederholte sie ihre Einschätzung. »Aber sicherlich lässt dich dein arabischer Prinz nicht schlafen.« Mit einem weiteren Zwinkern wandte sie sich wieder unserer stummen Begleitung zu. »Oder hast du dafür gesorgt, dass wir gehen mussten?«
Überrascht sah ich von meiner Cousine zu Padraig, der die Achseln zuckte. »Wie man es nimmt. Ich habe Farquhar vorgeschlagen und hätte voraussehen sollen, dass die gute schottische Gastlichkeit für den erlauchten Scheich Hafidh bin Hadschi Quasem bin Hadschi Malek Alabdil nicht genug wäre.«
Ich biss mir auf die Lippe, um eine Verteidigung abzuwürgen. Hafidh übertrieb es tatsächlich, wenn es um die Qualität der Unterbringung ging. Mein Blick senkte sich langsam auf den Tisch herab und landete auf meinen Fingerspitzen. Die French Nails hatten gelitten, der Lack an den Seiten war abgesplittert und das zuvor strahlende Weiß ergraut. Merkwürdig, dass ich dies zuvor nicht bemerkt hatte. Um mich herum drehte sich die Welt munter weiter.
»Was meinst du?« Fiona legte den Kopf schräg, als ich ihr die Antwort schuldig blieb und musterte mich erneut. »Bist du sicher, dass du in Ordnung bist?«
»Sie sollte im Bett bleiben, aber du kennst ja den typischen schottischen Dickschädel«, lenkte Padraig sie ab. Sein breites Grinsen lullte meine Cousine ebenso mühelos ein wie mich.
»Aye.« Sie dehnte das Wort ins Unendliche, ohne ihren Blick von mir zu nehmen. »Leg dich hin, bis Fraiser kommt. Keine Sorge, ich unterhalte Padraig.«
Da hatte ich tatsächlich keine Sorge, dennoch verkehrten sich meine Innereien.
»Wenn du eine Schmerztablette hättest, würde es ausreichen«, behauptete ich, obwohl ich mir nicht verkneifen konnte, mir über die Stirn zu reiben. Auf ein Bett angesprochen wurde ich plötzlich unglaublich müde.
Padraig zuckte die Achseln. »Sie hat sogar ihre Aufnahmen abgebrochen, um sich auszuruhen und springt wenige Stunden später schon wieder durch die Highlands.«
»Ich wollte meinen Vater sehen, was ist falsch daran?«, verteidigte ich mich angespannt. »Deswegen verzichte ich auch darauf, mich erneut hinzulegen. Es hilft ohnehin nicht.« Ich streckte die verspannten Schultern und stöhnte auf. Es wurde nicht besser.
»Hm«, brummte Fiona. »Vielleicht hilft eine gute Mahlzeit.«
»Bitte kein Haggis!«, stöhnte ich verzweifelt. Padraig lag absolut richtig, ich hätte das Bett nicht verlassen dürfen. Allerdings zog mich nichts zurück. Absolut gar nichts.
Meine Cousine erhob sich bereits. »Naw, bin ja kein Idiot.« Ihr Lachen war melodisch und brachte meinen Kopf doch beinahe zum Platzen.
»Und Schmerztabletten?«, wiederholte ich drängend. »Bitte.«
Fiona lachte immer noch, deutete aber mit einem Nicken an, verstanden zu haben. Ich sah ihr nach, wie sie behände durch die Menschenmassen in dem engen, urigen Lokal verschwand.
»Was musst du so dringend mit deinem Vater besprechen?« Padraig lockerte über den Tisch hinweg meine Hand, die den Ballen Papier, der einmal die Kopie meines Vertrages mit der GAE über die Sendungsrechte meiner Verlobung gewesen war, fest umklammerte. »Und warum konnte er nicht einfach nach Farquhar kommen? Dann hättest du einige Zeit in der Wellnessoase entspannen können.«
Aus dem Stöhnen sollte ich an diesem Abend wohl nicht mehr herauskommen, dennoch war es eher ein kleines Seufzen. In seinen Augen stand seine Besorgnis, was seine Einmischung verzeihlich machte.
»Ich …« Meine Stimme brach und mit ihr meine Haltung. Ich sackte etwas zusammen, wobei auch mein Kopf nach vorn rollte. Stuhlbeine schabten über den Boden und binnen Wimpernschlägen legte sich sein Arm um meine Schultern. Padraig drückte mich an sich, als befürchtete er, ich könnte vom Stuhl rutschen. Albern, wenn es nicht an diesem Morgen erst ebenso passiert wäre. Ergeben lehnte ich mich an seine Brust. Worte schossen mir in den Kopf, die nur unausgesprochen blieben, weil meine Zunge zu schwer war, um die filigrane Arbeit des Sprechens zu verrichten. Aber es fühlte sich auch nicht so an, als müsste ich etwas sagen.
»Wenn du mich fragst«, murmelte er in mein Haar, »gehörst du ins Bett. Lass mich mit Fraiser alles Weitere besprechen. Du brauchst einen Anwalt für internationale mediale Rechte. Zufällig kenne ich da jemanden …«
»Wie bitte?«, hauchte ich verwirrt. Wie kam er nur darauf?
»Hast du noch andere Kontrakte unterzeichnet? Privatere?«
Es war nicht der passende Moment, um über knifflige Themen mit mir zu diskutieren, das sollte er eigentlich merken.
»Entschuldige, aber wenn du einen Verlobungsvertrag unterschrieben hast, brauchst du auch einen Familienanwalt und im Hinblick auf den straffen Zeitplan solltest du dich sputen.«
»Ich kann nicht folgen«, gab ich zerschlagen zu.
»Es gibt Erfüllungsklauseln.« Padraig schob mich von sich, um mir in die Augen sehen zu können. »Hafidh hat sich sehr ausführlich über deinen Aufnahmeleiter ausgelassen und über die vermeintliche Frechheit, ihm mit Klauseln zu kommen.« Er zuckte die Achseln. »Ich gehe davon aus, dass dein Vertrag mit ähnlichen Verpflichtungen ausgestattet ist und durch den Zeitdruck bleibt kein Verhandlungsspielraum.«
Ich starrte ihn immer noch sprachlos an, als Fiona mit dampfenden Schüsseln zurückkam.
»Ooya, Hailey, was wird aus deinem überheblichen Scheich?«
Ich riss mich los. »Wie bitte?«
»Na!« Fiona deutete mit einer Schüssel auf uns, bevor sie diese abstellte. Hinter ihr folgte die junge Frau, die mich auch am Vortag bedient hatte und legte Teller und Besteck bereit. »Das hier.«
Padraig rutschte von mir fort und übertünchte seinen Widerwillen mit einem breiten Grinsen. Ich hatte diese Reaktion schon einige Male beobachtet, bemerkte aber nun erst, welch hervorragender Schauspieler er war. Er konnte sich blitzschnell auf die neue Situation einstellen und wirkte dann völlig zufrieden damit.
»Also keine Hochzeit?« Fiona schnalzte mit einem ähnlich breiten Grinsen. »Kann nicht sagen, dass ich es bedaure.«
»Wie bitte?« Offenbar konnte ich mich nicht halb so gut verstellen oder auch nur mitkommen, denn einmal mehr wusste ich nicht, wovon die Sprache war.
»Ich war nicht eingeladen!« Fiona zuckte lapidar die Achseln. »Also zum Teufel mit der Trauung!« Porzellan schepperte, als sie die vollen Schüsseln vor uns abstellte und sich dann auf ihren Stuhl setzte, wobei sie gegen den Tisch stieß.
»Wer war schon eingeladen«, murrte ich eher für mich.
»Ein Großteil von Hafidhs Familie ist angereist«, mischte Padraig sich ein. »Aber von Haileys ansässiger Familie weiß er auch nichts.«
»Oh, danke!« Mein tödlich gedachter Blick wurde abgeschüttelt, als sei er nichts weiter als eine lästige Fliege. »Zur Information: Es wurden nur meine Eltern eingeladen! Niemand sonst und ich wurde auch nicht gefragt, wen ich gerne dabeigehabt hätte!«
Meine Wut feuerte meine Lebensgeister an. Endlich konnte ich auch meine Faust öffnen und die Seiten loslassen. Mehr als ein zerknüllter Haufen war von meinem Vertrag nicht übrig geblieben, dabei hatte Padraig wohl in diesem Punkt recht. Wenn ich die Verlobung endgültig lösen wollte, brauchte ich einen Ansatzpunkt und Hilfe.
Meine Kopfschmerzen meldeten sich aus ihrer Pause zurück und mein Schädel begann erneut zu brummen. So ungefähr musste sich Mutter Erde fühlen, wenn die Bohrer ihre Kruste durchbrachen, um auf das ach so kostbare Erdöl zu stoßen. Obwohl ich mich bemühte, mir nichts anmerken zu lassen, tätschelte Fiona mir die Schulter.
»Hier.« Ein Blister schob sich in mein Blickfeld. Die lang ersehnten Schmerztabletten. Warum hatte ich auch keine in mein Täschchen gestopft? Ich streckte die Hand nach ihnen aus und zog sie zu mir.
»Auf Alkohol solltest du keine Medikamente nehmen«, riet Padraig leise.
»Nimm sie mit Wasser«, beschied Fiona und winkte Mrs Drake zu.
»Vermutlich sollte ich tatsächlich verzichten.«
Aber ich befand, ich sei schließlich jung und meine Organe in Schuss, daher konnte eine Einnahme von leichten Schmerzmitteln auf Alkohol da doch nicht schaden, oder?
»Ich bringe dich auch gern zurück nach Farquhar«, bot Padraig betont neutral an.
Auch mein erneuter Versuch, ihn mit meinem giftigen Blick ins Jenseits zu befördern, half nicht.
»Dann komme ich zurück und spreche mit deinem Vater über dein Problem.« Seine Hand, die bisher locker vor ihm auf dem Tisch gelegen hatte, rutschte in Richtung meines zerknüllten Papiers.
Fiona haschte danach.
»Hey!« Schnell entriss ich ihr den Kontrakt und stopfte ihn unter mein Gesäß. »Das ist privat.« Sie zuckte die Achseln. »Und ich bin deine Cousine.«
»Mit der ich in den letzten fünfzehn Jahren nicht ein Wort gewechselt habe.«
»Ooya, als wäre das mein Fehler!« Sie verdrehte die Augen und schob mir die Schüssel mit den dampfenden Bratkartoffeln zu. »Bedien dich, Prinzessin.«
Mein Schädel platzte. Die Augen zu schließen half nicht. Ich hatte deutlich das Gefühl zu schwanken.
»Lassie«, brummte jemand in mein Ohr, wobei ich an seiner Brust zu liegen kam und mich auch gleich an ihn kuschelte. Die Vertrautheit und Behaglichkeit übermannte mich schier und es fehlte nicht viel, um einfach wegzusacken. Es erinnerte mich sehr an mein erstes amerikanisches Kindermädchen, das mich Nacht für Nacht in den Schlaf gewogen hatte, während ich vor Kummer weinte. Irgendwann hatte ihre Gegenwart gereicht, um mich schlummern zu lassen und dann war sie auch schon ersetzt worden. »Komm.«
Der Rückschluss ließ mich erschrocken blinzeln. Rote Schlieren zogen sich durch mein Sichtfeld, aber meine Aufmerksamkeit war ohnehin nach innen gerichtet.
»Es sind nur …«, wisperte ich, damit meine Bestürzung niemandem auffiel. Wenn Padraig mir nach wenigen Tagen so vertraut war, dass eine simple Umarmung meine Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit stillte, musste ich mich noch dringender von ihm fernhalten. Keinesfalls wollte ich wieder den Verlust eines Menschen verkraften, der mir die Welt bedeutete. Erneut stockte ich mitten im Gedanken, wobei ich keuchte.
»Aye. Nimm die Tabletten und leg dich etwas hin. Deine Cousine wird dir Bescheid geben, sobald dein Vater eintrifft.« Er drückte mir etwas in die Hand und führte sie dann an meinen Mund. »Bitte, Hailey.«
Meine Glieder bebten, aber ich konnte es nicht eindämmen. Wie konnte er mir überhaupt etwas bedeuten?
»Bitte!«, wisperte er mir drängend ins Ohr. Ich öffnete den Mund, ließ mir die Pillen auf die Zunge legen und mit Wasser herunterspülen. Sein gedehntes Seufzen spürte ich durch das Heben und Senken seiner Brust. »Schaffst du es auf eigenen Füßen?«
Ich musste! Mein Nicken blieb ebenso zittrig wie meine Knie, als ich versuchte aufzustehen.
»Naw, Lassie«, grummelte Padraig an meiner Seite. »Das ist nicht überzeugend.« Mit Schwung nahm er mich auf und drückte mich fest gegen seinen Oberkörper. »Wo muss ich lang?«
Die Frage war nicht an mich gerichtet, also schloss ich die Augen. Obwohl ein Feuersturm innerhalb meines Schädels tobte, waren meine Gedanken klar herauszuhören. Sie brüllten regelrecht in meine Ohren. Ich brauchte Abstand. Auf keinem Fall sollte ich mich auf einen Mann einlassen, der solche Emotionen in mir freisetzte. Das war zum Scheitern verurteilt und führte nur zu Schmerzen, die ich nicht ertrug. Besser ich schaffte absolut klare Verhältnisse zwischen uns, damit auch er aufhörte, so verdammt anziehend zu sein.
Holz knarzte unter uns, als es in die Höhe ging, dann verschluckte ein Teppich seine schweren Schritte. Die Angeln der Tür knarrten und ich konnte meine Neugierde nicht länger bezähmen. Obwohl das Licht in den Augen stach, erkannte ich ein enges, mit wuchtigen Möbeln ausgestattetes Zimmer. Fiona eilte an uns vorbei und schlug die Decke auf.
»Mein Vertrag«, krächzte ich undeutlich, als Padraig mich ablegte.
»Den brauchst du nicht.«
»Doch, ich …« Ich klammerte mich an ihn, als er sich aufrichten wollte und stockte, als sich unsere Blicke trafen.
»Du sollst dich ausruhen und dir nicht weitere Sorgen machen, indem du durch die Vereinbarungen stolperst. Gönn dir etwas Abstand.«
»Aber …«
Er hob die Brauen, was meine Wortflut eindämmte. Selbst mein Hirn schaltete auf Aus. Mehr als zu nicken blieb mir nicht, damit es nicht auffiel.
»Ich lasse dir Bescheid geben, wenn dein Vater eintrifft, bis dahin bleibe bitte liegen.«
Die Gardinen gingen mit einem Ruck zu und hüllten uns in angenehmes Halbdunkel. Padraig lächelte mir zu, während er meine Finger von seinem Jackett löste. »Ruh dich aus.«
Es lag mir auf der Zunge, ihn zu bitten, bei mir zu bleiben, aber ich verbiss es mir. Zumindest den Teil, den ich zufügen wollte.
»Padraig …«
Noch über mich gebeugt hielt er inne. Eine Spur Erwartung in den hellen Augen, aber die herabgeneigten Mundwinkel deuteten gleichzeitig darauf hin, dass er nicht erwartete, was ich so dringend aussprechen wollte. Bleib. Lass mich nie wieder allein. Bring mich einfach weg von hier und all den Problemen, die ich mir aufgehalst habe, indem ich, stur wie ich war, nur meinen Ambitionen hinterhergelaufen bin, anstatt auf mein Herz zu hören.
»… ich habe mich entschieden.« Mein Hals kratzte und meine Augen brannten lichterloh, weil sich mein Herz protestierend zusammenzog. »Ich werde Hafidh heiraten.«