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Meine Seite brannte wie die Hölle, als wir weiter durch den Wald marschierten. Anthony und William gingen schweigend hinter mir, immer noch geschockt von der verbalen Attacke, die Peter nach unserem Kampf auf sie losgelassen hatte. Ich ließ sie in ihrem Selbstmitleid schmoren. Diese beiden Weicheier hatten einfach dabei zugesehen, wie ich beinahe gestorben wäre, während sie sich einpissten. Erbärmlich.

Peter hatte mir einen Verband aus seinem Rucksack gegeben, den ich mir um meine malträtierten Rippen gewickelt hatte. Zum Glück war die Haut trotz der üblen Blutergüsse kaum versehrt.

Ich drückte meine Hand gegen den Verband und atmete durch die Zähne. Es machte das Gehen zu einer schmerzhaften Tortur.

Während wir uns durch den kilometerlangen, stillen Wald bewegten, kehrten meine Gedanken zu dem zurück, was ich soeben getan hatte. Oder vielmehr zu der Stimme, die in meinem Hinterkopf zu mir gesprochen hatte. Diese kalte, gewalttätige Stimme. Nachdem das Blut getrocknet war, hatte sie sich dorthin zurückgezogen, wo sie hergekommen war, und ließ mich fassungslos über die Leichtigkeit zurück, mit der ich die Selbstmörder abgeschlachtet hatte.

Du versuchst nur zu überleben. Dafür hast du getan, was du tun musstest, dachte ich. Bist du es nicht leid, ein Opfer zu sein? Nicht nur von anderen, sondern auch von den Beschränkungen, die die Moral dir auferlegt? Dieser Ort hier ist anders. Die Regeln sind anders. Hier gibt es keine Konsequenzen für das, was du getan hast.

Mord, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Der Gedanke war erschreckend … und verstörend schön. Ich war an einem Ort, an dem der Stärkste auf dem Thron saß. Ich war in einer Welt, in der rohe Gewalt die einzige Regel war. Wenn mir etwas nicht passte, hatte ich die Freiheit, es aus dem Weg zu räumen.

Und nichts anderes hatte ich getan.

Da wurde mir klar, dass ich lächelte.

Wer immer du bist, du kannst gern zurückkommen, wünschte ich mir und schickte den Gedanken in die Tiefen meines Geistes.

Ich war nie weg, Nick.

Ich rückte die Axt auf meiner Schulter zurecht und eilte Peter hinterher, der jetzt ein paar Dutzend Schritte vor uns lief und auf Tempo drängte. Wir waren kurz davor, den Wald zu verlassen.

Und dann würden wir zur Scheune kommen. Mir wurde klar, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, was mich erwartete, wenn wir dort ankamen. Was von mir erwartet wurde. Der Gedanke, im selben Raum wie Das Schwein zu sein, verursachte ein unangenehmes Kribbeln in meinem Magen. Das Schwein: der Schöpfer all des Leids und der Gewalt, das Oberhaupt dieses verseuchten, verrottenden Leichnams einer Welt. Das Maul, das den Schweingeborenen ihr abscheuliches Leben einhauchte und sie freiließ, um uns Selbstmörder zu quälen.

Und du wirst ihm deine Treue schwören.

Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich tat nur, was ich tun musste, um Jess zu retten. Das hieß, die Hufe des Schweins davon überzeugen, dass ich einer von ihnen war, mir Zugang zum Keller verschaffen und beten, dass ich sie da rausholen konnte … falls sie wirklich dort war.

Und was, wenn nicht?

Ich schüttelte den Gedanken ab wie giftige Tropfen, die an mir klebten. Warum sollten Trent und Kevin lügen? Ich musste ihnen glauben. Immerhin hatte ich keine andere Wahl. Ich fragte mich, ob sie mit dem Floß Fortschritte machten. Glaubten sie wirklich, dass die Schwarze Farm jenseits des Ozeans endete? Und was, wenn es so wäre? Könnten sie es tatsächlich an den Hütern vorbei schaffen?

Sie sagten, du sollst zurückkehren und dich ihnen anschließen, sobald du Jess gefunden hast.

Ich stolperte über einen Baumstamm, und das gab mir zu denken. Ich war so darauf fokussiert, Jess zu retten, dass ich mir keine Gedanken darüber gemacht hatte, was ich danach tun würde. Hatten Trent und Kevin recht? War das der Ausweg? Über den schwarzen Ozean bis zum Ende des Horizonts segeln? Was würden wir dort finden?

Es ist keine schlechte Option. Ist ja nicht so, dass du einen anderen Plan hättest.

In der Tat, den hatte ich nicht. Wir konnten fliehen, uns im Wald verstecken und hoffen, dass die Schweingeborenen uns in Ruhe ließen. Ich schnaubte. Die Chancen dafür waren mehr als gering. Es schien egal, was wir taten, am Ende würden sie uns doch finden. Begierig darauf, unser Dasein in pure Qual zu verwandeln. Wie lange würden wir im Wald überleben? Stunden? Tage? Irgendwann würden wir gefasst und entweder verschleppt oder gleich ermordet werden.

Wenn du sie gefunden hast, darfst du nicht mehr sterben.

Der Gedanke ließ mich fast anhalten. Wenn ich sterben würde, würde ich aus den Wolken irgendwo anders wiedergeboren werden, möglicherweise meilenweit von ihr entfernt. Und was, wenn sie in dieser Zeit entführt wurde? Ich durfte sie nicht wieder verlieren. Ich musste am Leben bleiben.

Ich umklammerte die Axt fester.

Von jetzt an ist alles ein Hindernis. Tu, was du tun musst. Zur Hölle verdammt wurdest du bereits.

Einer der alten Männer stolperte hinter mir. Fluchend rappelte er sich aus dem Laub auf und klopfte seine schmutzige Robe ab. Peter blieb stehen und drehte sich um. Seufzend kam er zu uns zurück und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Wir sind fast durch. Anthony, reiß dich zusammen. Du repräsentierst jetzt die Hufe des Schweins.«

»Tut mir leid«, murmelte Anthony und zog den Stoff seines Umhangs zurecht.

Peter schüttelte den Kopf. »Einfach Kinn hoch und Mund zu. Wenn wir dort ankommen, überlasst ihr mir das Reden, es sei denn, ihr erhaltet andere Anweisungen. Und nicht in Panik geraten, wir werden dort von Schweingeborenen umzingelt sein. Sie wissen, wer wir sind, sie kennen die Roben, die ihr tragt. Sie werden euch nichts tun, es sei denn, ihr gebt ihnen einen Grund dazu. Also verhaltet euch klug.«

Wir nickten alle. Zufrieden drehte Peter sich um und wir gingen weiter. Es dauerte nicht lange, bis wir den Waldrand durchbrachen und aus der dichten Dunkelheit in den Regen traten. Ich zog meine Kapuze hoch und zwang mich, ruhig zu bleiben.

Die Scheune erhob sich vor uns wie ein industrielles Ungetüm. Die Schornsteine, die vom Dach aufragten, stachen in den Himmel und spuckten schwere Atemzüge dichten schwarzen Qualms aus. Stahlplatten flickten die riesigen, mit Schmutz und Rost befleckten Wände. Die beiden monströsen Kreaturen, die sich um die Essen schlängelten, reckten sich wie haarlose, schlangenartige Würmer gen Himmel.

Als wir über das tote Gras auf die Scheune zustapften, sah ich mit angewiderter Faszination zu, wie eine der Kreaturen ihren kahlen, unmenschlich langen Kopf senkte und einen neuen Schweingeborenen herauswürgte.

Als Knäuel aus Schleim und Sabber kullerte das frische Leben aus den widerwärtigen Kiefern. Die Kreatur rappelte sich auf die Füße und stieß ein Freudengeheul aus.

Ein weiteres Monster, um uns zu jagen, dachte ich grimmig.

Als ich näher kam, sah ich zu meiner Rechten das lange Betongebäude, in dem ich am Anfang eingesperrt gewesen war. Der Ort, an dem man mich vor die Wahl gestellt hatte. Bleiben oder Das Schwein füttern. Wie viele waren in diesem Augenblick wohl dadrin und wurden gezwungen, dieselbe Entscheidung zu treffen?

Als wir an dem fensterlosen Gebäude vorbeikamen, sah ich, wie eine Frau aus dem Ausgang stolperte, ihre Augen vor Fassungslosigkeit weit aufgerissen. Sie war in ihren Vierzigern, ihr ausgemergeltes Gesicht verzerrt von Angst. Peter ignorierte sie und führte uns näher an die Scheune heran.

Während wir weitergingen, drehte ich meinen Kopf und beobachtete, wie die Frau in den Wald rannte. Ein Brüllen ertönte, und ich sah, wie die neu geschaffene Schweinsbrut ihr hinterherstürzte. Die Frau kreischte vor Angst, rief um Hilfe und hielt verzweifelt auf den Waldrand zu. Sie würde es nicht schaffen.

Plötzlich verspürte ich den Drang, ihr zu helfen. Ich wusste, was sie gerade durchmachte … was ihr bevorstand. Qualen. Leiden. Tod. Endlose Hilflosigkeit.

Nicht dein Problem, Nick. Sie hat ihre Wahl getroffen, genau wie du.

»Dumme Schlampe«, murmelte ich und drehte ihren Schreien den Rücken zu, als ihr Verfolger über sie herfiel. Die Worte brannten bitter auf meiner Zunge und ich erschauderte über meine eigene Kälte.

Deine Menschlichkeit hindert dich nur daran, zu kriegen, was du willst. Das musstest du auf die harte Tour lernen. Keiner hat dich vor Dung gerettet. Niemand kam dir zu Hilfe, als er langsam jeden Anstand aus deinem Geist und deinem Körper herausschälte. Warum solltest du sie vor den Entscheidungen retten, die sie hierhergeführt haben? Lass sie bluten. Jess ist das Einzige, worum du dich kümmern kannst. Zerstör alles andere.

Die Schreie der Frau schraubten sich hoch zu einem Kreischen bebender Qualen, aber ich ließ sie vom Regen wegspülen. Warum sollte man sich an einem Ort wie diesem die Mühe machen, ein guter Mensch zu sein? Warum an Moral und Mitgefühl festhalten? Was würde mir das hier nützen? Was hatte es mir gebracht, als ich noch lebte?

Wenn du mehr Mitgefühl für das gezeigt hättest, was Jess nach dem Tod deines Sohnes durchmachen musste, wärst du vielleicht nicht hier. Und wenn du dich so sehr um andere gekümmert hättest wie um dich selbst, wärst du vielleicht noch am Leben.

Ich knirschte mit den Zähnen.

»Himmel, entscheide dich endlich«, murmelte ich.

Vor mir drehte sich Peter um und zog eine Augenbraue hoch. Ich schüttelte nur den Kopf und rückte meine Kapuze zurecht, um mein Gesicht besser zu verbergen.

Wir trotteten zu den gigantischen Zwillingstüren, dem Eingang zur Scheune. Peter führte unsere klägliche Gruppe zur Seite, wo ein kleinerer Eingang auf uns wartete, der unter einer Schicht aus Rost und Dreck versteckt war. Er stieß die Tür auf, und sofort schlug mir ein Schwall aus Hitze entgegen. Ich hörte, wie die beiden Alten hinter mir keuchten, und konnte es ihnen nicht verdenken. Es war brütend heiß. Zögernd zog ich meine Kapuze herunter und sah mich um, während Peter uns ins Innere führte.

Wir befanden uns in einem kleinen Vorraum voll mit Schweingeborenen, die sich nach uns umdrehten und uns mit hungrigen Augen anstarrten. Der Boden war mit einer Dreckschicht überzogen, die nach der schlimmsten Art von Verwesung stank. Niedrig hängende Glühbirnen, die an nackten Schnüren ein paar Meter über uns baumelten, erhellten den Raum. Ein weiteres Paar Türen versperrte uns den Weg, und Peter schlurfte darauf zu. Ich hielt mich dicht bei den zwei anderen unserer Gruppe und hörte, wie meine Fingerknöchel am Stiel der Axt knackten. Die Schweinsbrut grinste uns an und stieß widerwärtige gurgelnde Geräusche aus. Fette Zungen fuhren dabei über abgebrochene Zähne und Speichel rann ungehindert über die entstellten Gesichter.

»Sie werden uns töten«, zischte einer der alten Männer ängstlich.

»Sei still«, befahl ich, während sich die Angst in meinem Bauch verklumpte. »Seht sie nicht an, würdigt sie keines Blickes. Denkt daran, was Peter sagte. Wir tragen die Roben, sie werden uns nichts tun.« Die Worte fühlten sich wie eine Lüge an, ich schluckte unwillkürlich, um sie von der Zunge zu vertreiben.

»Es sind so viele«, flüsterte der andere Kapuzenmann. »O Gott, das war ein Fehler.«

Ich drehte mich um und warf ihm einen strengen Blick zu: »Bleib ruhig. Wenn du jetzt Panik kriegst, kann uns nicht mal mehr Peter retten.«

Wie gerufen stand Peter plötzlich vor uns, und die Schweingeborenen verzogen sich in die Ecken des Raumes. Sofort hatte ich das Gefühl, wieder etwas leichter atmen zu können.

»Okay, wir sind die Nächsten«, meinte Peter mit gerötetem Gesicht. »Seid einfach still und verhaltet euch ruhig, bis man uns Einlass gewährt.«

»Was ist hinter diesen Türen?«, fragte ich und kannte die Antwort bereits.

Peters Augen wurden kalt. »Das Schwein.«

Die beiden älteren Männer tauschten einen Blick aus purer Angst. Peter legte ihnen beruhigend eine Hand auf die Schulter und lehnte sich vor, um seinen zukünftigen Brüdern bestärkende Worte zuzuflüstern. Ich löste mich aus ihrem Kreis und lehnte mich gegen eine Wand, um mich zu beruhigen.

Plötzlich spürte ich, wie mir jemand auf die Schulter tippte.

Ich drehte mich um und starrte Danny an.

»Ich hab’s so satt, dein Gesicht zu sehen«, begrüßte er mich und streckte eine Hand aus.

Ich sah auf sie runter. »Was denn? Willst du jetzt mein Kumpel sein?«

Er rollte mit den Augen. »Die Axt, du Idiot. Gib mir deine Axt. Keiner geht bewaffnet zum Schwein. Nicht einmal ich. Gib sie her.«

Ich behielt sie schützend in der Hand.

Er seufzte. »Du bekommst sie zurück, wenn du fertig bist, Arschloch.«

Widerstrebend übergab ich sie ihm. Er drehte sich um und sammelte den Rest unserer Waffen ein, das Grinsen über die Angst in ihren Gesichtern kaum verbergend. Als er alle an sich genommen hatte, warf er sie in eine Kiste neben der Tür. Ich achtete darauf, mir den Ort zu merken.

»Und du willst heute den Kniefall machen?«, fragte Danny, als er zu mir zurückkam. Peter und die anderen beiden hatten noch immer die Köpfe zusammengesteckt, was ich nur als Gebet deuten konnte.

Ich konzentrierte mich wieder auf Danny. »Ich habe kein Problem damit, dem Schwein meine Treue zu schwören.«

Danny warf den Kopf zurück und gackerte. »Ja, na klar! Was glaubst du, wie lange sie dir deinen Schwachsinn noch abkaufen? Hm?«

Ich warf einen raschen Blick auf Peter, um mich zu vergewissern, dass er nicht in Hörweite war, dann wandte ich mich wieder Danny zu. »O Gott, nicht das schon wieder. Warum hast du so ein Problem damit, dass ich das durchziehe?«

»Weil du etwas an dir hast, das ich verdammt noch mal verabscheue, Nick.«

Unbeeindruckt verschränkte ich die Arme. »Das hatten wir ja schon. Ich will dir mal was sagen, Danny, denn mir hängt dein Gelaber langsam echt zum Hals raus.«

Danny trat näher, bis sich unsere Nasen fast berührten. »Ach ja? Und das wäre, du taffer Mistkerl?«

»Irgendwas macht dir ’ne Scheißangst«, flüsterte ich.

Danny rührte sich nicht. »Wovor sollte ich mich bitte fürchten? Mir gehört dieses verdammte Drecksloch.«

Meine Augen verengten sich. »Wirklich? Auch die Augen der Welt?«

Die Reaktion kam augenblicklich. Danny wich vor mir zurück, das Gesicht von Schock verzogen.

Er blinzelte. Schnell schüttelte er den Kopf, zwang ein Lächeln auf seine Lippen und versuchte zu überspielen, dass ich ihn kalt erwischt hatte.

»Du hast keine Ahnung, wovon du da redest.«

Ich fuhr fort. »Na, dann klär mich doch auf. Du scheinst nämlich genau zu wissen, wovon ich rede. So wie du eben fast über dich selbst gestolpert wärst.«

Danny richtete einen Finger auf mein Gesicht und zischte feindselig: »Lass es. Rede weder mit mir noch mit irgendwem sonst hier über diesen Scheiß. Hast du verstanden? Scheiß drauf, worüber mache ich mir Sorgen? Du weißt ja selbst nicht mal, wovon du da redest.«

Ich grinste. »Ich weiß, dass es von dem Berg kommt. Ich habe die Lichter gesehen. Was sind sie?«

Bevor Danny antworten konnte, ertönte ein Schrei von der anderen Seite der Tür. Er hörte sich männlich an, aber war so hoch, dass es schwer zu sagen war. Ich spürte, wie mein Mund trocken wurde, als der Schrei anhielt. Ein gellendes Heulen vollkommener Qualen.

Die Wut schmolz aus Dannys Gesicht, und seine Lippen krümmten sich zu einem kalten, schmierigen Lächeln. »Oooooh … Klingt, als würde jemand Das Schwein füttern.«

Eisige Schweißperlen bildeten sich auf meiner Wirbelsäule. »Was zum Teufel …«

Die Schreie gingen weiter, leicht gedämpft, aber in unverminderter Pein. Peter und die anderen beiden hatten die Augen geschlossen, während ihre Lippen im stummen Gebet flatterten. Sie waren sichtlich erschüttert, und ich spürte, wie derselbe Schrecken auch mich durchfuhr.

Noch nie hatte ich einen Menschen solch furchtbare Laute von sich geben hören.

Und es ging immer weiter … und weiter …

Danny sah mich einfach nur an, das giftige Lächeln immer noch im Gesicht.

»Ziemlich beunruhigend, was? Glaub mir, wenn du es ein paarmal gehört hast, verliert es an Wirkung.«

Ich sagte nichts und versuchte mein Bestes, das Kreischen zu verdrängen. Doch es zerrte weiter an meinen Nerven und bohrte sich tief in meinen Kopf. Es erinnerte mich daran, wie ich geschrien hatte, als Dung mich vergewaltigt hatte.

Gnädigerweise erstarben die Schreie plötzlich. Ich zitterte vor Erleichterung und atmete so heftig aus, als würde Luft aus einem Ballon entweichen. Da erst wurde mir klar, dass ich die ganze Zeit den Atem angehalten hatte.

Danny legte mir eine Hand auf die Schulter. »Geht’s dir gut?«

Ich schüttelte ihn ab, angewidert von seiner Berührung. »Bringen wir’s einfach hinter uns, ja?«

Danny grinste nur und wies auf die Schweingeborenen in den Ecken des Raumes. All ihre Blicke waren auf ihn gerichtet. Mit einem Winken bedeutete er ihnen hineinzugehen. Grunzend gehorchten sie, stießen die Zwillingstüren auf und verschwanden dahinter.

»Reinigungsdienst«, erklärte Danny beiläufig. »Manchmal veranstaltet Das Schwein eine ziemliche Sauerei. Und das mag es gar nicht.«

Peter kam auf uns zu, den Kopf gesenkt und die Hände gefaltet. »Hallo, Danny. Sind wir bald dran?«

Danny verdrehte die Augen. »Heute sind alle so verflucht ungeduldig. Ja, gib ihnen noch eine Minute.«

Ich ballte meine Hände zu Fäusten und entspannte sie wieder. Die Übung sollte meine nervöse Energie kanalisieren. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich einließ, was diese Zeremonie der Treue bedeutete. Ich wollte es einfach nur hinter mich bringen und zum Tempel zurück, wo Jess hoffentlich auf Rettung wartete. Einem kleinen Teil von mir juckte es jedoch in den Fingern, meine Axt zu holen und zu sehen, wie viele von diesen Bastarden ich umbringen konnte, bis ich niedergestreckt wurde. Ich schüttelte den Gedanken ab und erinnerte mich daran, dass ich einen Plan hatte, an den ich mich halten musste. Trotzdem hasste ich das Warten. Erneut ballte ich die Fäuste, löste sie wieder und verwandte meine ganze Konzentration darauf, um all die möglichen Szenarien und Schreckensbilder auszublenden, die unkontrolliert durch meinen Kopf zuckten.

Danny bemerkte es und schnaubte: »Mensch, entspann dich.«

»Das erste Mal, dass ich ein göttliches Wesen treffe«, erwiderte ich und versuchte, ihn zu ignorieren. Da hörte ich, wie sich etwas Massives hinter den Türen bewegte. Wie Donner schlug es auf den Beton und schickte Schockwellen durch meine Beine.

Die beiden alten Männer waren ins Gebet vertieft, Perlen aus Angstschweiß kullerten ihnen über das Gesicht, als ein dumpfes Quieken hinter den Wänden widerhallte. Etwas Animalisches und unbestreitbar nicht Menschliches.

»Klingt nicht sehr glücklich«, überlegte Danny. »Hat wohl nicht seinen Geschmack getroffen.«

»Was meinst du?«, fragte ich wider besseres Wissen.

»Ich vermute, Das Schwein hat gerade einen armen Bastard in die Hölle geschickt«, grinste Danny mit blitzenden Zähnen.

Ich atmete langsam aus, ballte meine Finger wieder zu Fäusten und konzentrierte mich auf den leichten Schmerz, mit dem sich meine Nägel in die Handflächen bohrten.

»Wer ist da bei dem Schwein drin?«, brach ich das Schweigen. »Du bist doch für die neuen Selbstmörder zuständig, oder?«

Danny nickte. »Das bin ich. Aber es gibt eine Menge von euch Wichsern. Glaubst du wirklich, ich mache das allein? Scheiße, ich sehe eine Menge von euch Arschlöchern, aber ich kann nicht zu jedem kommen. Ich habe Hilfe.«

»Wen?«

Danny warf einen Blick auf Peter, der zu Boden sah. »Mitglieder der Sekte, der du beitreten wirst. Hochrangige Mitglieder, die ihre Loyalität gegenüber dem Schwein bewiesen haben. Wahre Loyalität.«

Wie er den letzten Teil sagte, gefiel mir nicht. Schnell schielte ich zu Peter, der noch immer den Boden anstarrte. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, dass er dahinterkam, wie ich jeden in dieser Sache verarschte. Selbst der kleinste Zweifel konnte die Dinge für mich unglaublich erschweren, und ich riss Danny im Geiste die Zunge aus dem Mund.

Plötzlich schreckte ich zusammen, als die Türen mit einem lauten Knarren geöffnet wurden. Die Schweingeborenen trotteten in gespenstischem Schweigen heraus. Sie rotteten sich wieder in den Ecken des Raumes zusammen, sahen nirgends hin und blieben seltsam still.

Sie sind verängstigt, wurde mir klar. Sie haben eine Scheißangst vor ihrem Schöpfer.

Danny winkte uns zu den offenen Türen. »Wollen wir?«

Zitternd reichten sich die beiden alten Männer die Hand und boten auch mir eine an, die ich jedoch ignorierte. Peter nickte uns dreien zu und wandte sich an Danny.

»Wir sind bereit.«

Danny führte uns durch die Türen. Sobald wir den Raum betreten hatten, hörte ich, wie sie sich hinter uns schlossen. Sofort wurde mir der Atem aus der Lunge gerissen und durch eine erstickende Hitze ersetzt, die mir die Kehle von innen zu verbrennen schien. Ich hustete, starrte blinzelnd durch den Dunst und richtete meine Augen auf die Szenerie vor uns.

Ich spürte, wie meine Blase sich zusammenzog, als der Raum in der drückenden Schwüle Gestalt annahm. Zwillingsöfen loderten in den hinteren Ecken, brüllende Infernos, die durch kohlschwarze Roste leckten. Schwerer Rauch quoll aus den großen, eisernen Vorrichtungen und stieg zur Decke empor, die eine Schicht aus wirbelnder Dunkelheit verbarg.

Aber meine Augen registrierten das kaum, sie klebten an dem Anblick, der sich uns bot.

Das Schwein.

Es war von titanischer Größe, eine riesige Masse aus bebendem Fleisch, die vor uns aufragte wie ein lebender, atmender Albtraum. Sein Kopf war so breit wie ein Bus, sein Maul klapperte mit Zähnen, lang und scharf wie Steakmesser. Seine Augen begegneten uns wie zwei schwarze Gruben aus Ebenholztinte. Frisches Blut tropfte von seinem Kinn auf den Boden und wurde von einer langen, blutverschmierten Zunge aufgeleckt, die wie eine gehäutete Schlange aus seinem Maul schoss.

Es stampfte auf der Stelle. Eine Geste der Ungeduld, die wie ein Erdbeben meine Füße und Beine durchrüttelte.

Ich untersuchte seinen Körper mit tränenden Augen und sah, dass ihm etwas aus den Rippen wuchs.

Auf beiden Seiten des Brustkorbs streckten sich fleischige Röhren den Scheunenwänden entgegen. Sie pulsierten und zitterten vor Leben, und ich erschauderte, als sich im Inneren einer der langen Windungen etwas bewegte und sich langsam auf die Wände zuschob.

Der schiere Ekel vor dem, was ich sah, lähmte mich, und ich brauchte eine Sekunde, um zu erkennen, dass die Hautschläuche in den Wänden verschwanden und außerhalb meines Blickfeldes weitergingen. Während ich sie anstarrte, setzten sich die Puzzleteile in meinem Kopf zusammen.

Mein Gott, die beiden schlangenähnlichen Kreaturen, die sich draußen um die Schornsteine wickeln, sind Teile vom Schwein!

Obwohl ein Nebel aus Angst meinen Verstand weiterhin verschleierte, bemerkte ich plötzlich, dass sich auf beiden Seiten des kolossalen Kopfes etwas bewegte. Ich unterdrückte einen Schrei, als ich erkannte, dass zwei riesige Schweingeborene neben der Gottheit standen. Sie waren mindestens fünf Meter hoch, Schorf und suppende Narben übersäten ihre verkohlte Haut. Ihre Köpfe waren mit Säcken aus blutiger Haut verhüllt, die wie ein schrecklicher Schleier die Gesichter verbargen. Verdrehte, knotige Muskeln zuckten um ihre deformierten Schultern, und ich sah, dass jeder von ihnen eine grobe Eisenstange in der Hand hielt, die so groß war wie sie selbst und am Ende zu einer tödlichen Spitze geschärft war.

Da trat Danny vor. Den Kopf ehrfurchtsvoll gesenkt verkündete er mit dröhnender, aber respektvoller Stimme: »Ich habe eine weitere Gruppe mitgebracht, die sich Eurer Herde anschließen will. Werdet Ihr ihnen die Gunst erweisen, dass sie Euch mit ihrem Leben die Treue schwören dürfen? Werdet Ihr ihnen die Ehre zuteilwerden lassen, ihr Dasein der Erfüllung Eurer perfekten Vision zu widmen?«

Das Schwein starrte uns einen Moment lang an, seine Augen bohrten sich in jeden Einzelnen von uns. Als es mich begutachtete, spürte ich, wie sich ein Knoten in meinem Magen bildete und mich eine so tiefe Angst erfasste, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun musste, um auf den Füßen zu bleiben. Unter seinem Blick wurde mir plötzlich jede Unvollkommenheit an mir bewusst. Wie ein messerscharfes Brennglas durchbohrte er jeden Makel: den Geschmack von schalem Schweiß auf meiner Zunge, die Schmutzschicht auf meiner Haut, das Fett in meinen Haaren, den Dreck unter meinen Fingernägeln, alles, was mich in diesem Moment ekelhaft machte.

Langsam senkte Das Schwein den Kopf.

Mit grimmigem Gesicht verbeugte sich Danny noch einmal und gab Peter und uns Rekruten das Zeichen, dass wir uns mit ihm vor Das Schwein stellen sollten. Die Knie aneinandergepresst trat ich näher, meine Gefährten an meiner Seite. Dem Geruch nach zu urteilen hatte sich einer von ihnen eingepisst.

Danny ging hinter uns, legte jedem von uns sanft eine Hand auf die Schulter und bedeutete uns niederzuknien. Als seine Hand meinen Nacken berührte, kniete auch ich mich neben die anderen. Schweiß tropfte aus meinem Haar, das mir in Strähnen über die Augen hing. Die Hitze in der Kammer drohte mich zu ersticken. Die Schnauze des Schweins war nur ein paar Meter vor uns, und ich kämpfte gegen meinen Würgereflex an, als es uns sengende Hitze entgegenblies und sein Atem sich wie brennender Müll über unsere Haut wälzte.

»Seid ihr drei bereit, eure Existenz dem Willen des Schweins zu unterwerfen?«, fragte Danny leise hinter meiner Schulter. Die beiden alten Männer schluchzten vor Angst, und Peter brachte sie mit einem eindringlichen Zischen zum Schweigen. Ich konzentrierte mich darauf, durch den Mund zu atmen, während die triefende Schnauze des Schweins vor uns schwebte.

»Das bin ich«, sagte ich so laut wie möglich und richtete meinen Blick auf den schmutzigen Boden.

»Das bin ich«, sagten die beiden anderen unisono mit krächzenden Stimmen.

»Dann sprecht mir nach«, forderte Danny. »Ich komme aus dem Nichts und ersuche um Läuterung.«

»Ich komme aus dem Nichts und ersuche um Läuterung«, wiederholten wir. Mein Herz schlug gegen meine Rippen, Schweiß rann mir über das schmutzige Gesicht. Jetzt war es also so weit.

»Mein Körper und mein Geist sind gebrochen und missgebildet, und ich erflehe auf Knien, in jene Form gebracht zu werden, in der ich bestmöglich dienen kann«, fuhr Danny fort. Wir wiederholten seine Worte, während Das Schwein uns schweigend beobachtete.

»Ich möchte eine Säule werden, auf der diese Welt ruht. Zeichne mich, salbe mich mit den Wünschen meines Gottes und akzeptiere meinen zerbrechlichen Zustand, damit ich ein Huf des Schweins werden kann.«

Während wir die Worte wiederholten, bewegte sich einer der Schweinsriesen auf uns zu, wobei der Fleischsack über seinem Gesicht schwankte.

Ich hörte, wie Danny einen Schritt zurücktrat. »Erkennt den Willen des Schweins an und lasst seine ewige Macht alle Zweifel und Ängste wegspülen, die ihr hegt.«

»Wir akzeptieren«, sagten wir drei schwach.

Der Schweingeborene hob seine eiserne Waffe, während Das Schwein langsam sein Maul öffnete. Unfähig, mich zurückzuhalten, blickte ich auf, die Angst pochte schwer in meiner Brust. Der Schweingeborene steckte den speergleichen Pfahl in das Maul des Schweins und schob ihn tief in dessen Rachen.

Das Schwein stampfte mit den Hufen, und Donner wie Kanonenfeuer beutelte meine Ohren, während sich seine finsteren Augen aufblähten.

Plötzlich zuckte Das Schwein mit einem entsetzlichen Quieken zusammen, und sein Körper ruckte, als es von diesem Krampf durchzuckt wurde. Ich konnte mir gerade noch den Mund zuhalten, als eine Welle von heißem Erbrochenem aus dem offenen Maul des Schweins schoss und uns alle vier überspülte.

Sofort schaltete mein Würgereflex auf Hochtouren, als die warme Galle über mein Gesicht und meine Brust rann. Der Geruch übertraf alles, was ich je erlebt hatte, eine säuerliche Fäulnis, die nach Tod und Verwesung stank. Ich öffnete die Augen und starrte an mir hinunter, den braunen Schlamm sprenkelten Reste von Eingeweiden, die von seiner vorherigen Mahlzeit stammten. Ein abgetrennter Finger glitt an meiner Schulter hinunter und landete mit einem ekelhaften Platschen auf dem Boden.

Mein Magen rebellierte, und ich musste mir auf die Zunge beißen, um ihn im Zaum zu halten. Das Erbrochene strahlte Hitzewellen ab, die meine Haut wie eine heiße Dusche aus Eingeweiden erwärmten. Neben mir schrie einer der alten Männer und fiel nach vorn auf seine Hände.

Er würgte einmal, zweimal, dann schleuderte er sein Innerstes auf den Boden, während sein Körper von Krämpfen geschüttelt wurde.

Ohne Erklärung oder Vorwarnung trat der große Schweingeborene vor und rammte ihm den Speer in den Hinterkopf. Der alte Mann war auf der Stelle tot.

Ein Blitz des Entsetzens durchfuhr mich, als ich das Blut aus seinem Kopf fließen sah. Der Speer wurde mit einem ekelhaften Ruck herausgezerrt. Die Rückseite des Schädels war vollkommen zerstört, und sein Gehirn schwappte in einem Schwall aus klebrigem Blut und Knochenstückchen auf den Boden.

»Er war nicht fähig, das Geschenk anzunehmen«, erklärte Danny leise hinter uns. »Also wurde er verstoßen, zurück in die Herde.«

Das Schwein hatte sein Maul geschlossen und beobachtete den Rest von uns, während es laut durch seine monströsen Nasenlöcher atmete. Es kostete mich jedes Quäntchen Willenskraft, um nicht literweise Galle aus meinem Mund zu katapultieren, als ich in dem Gestank seines Atems und dem Erbrochenen auf meinem Körper ausharrte. Mit fest zugepressten Augen, mein Körper trotz der Hitze zitternd, konzentrierte ich mich einzig darauf, meinen rebellierenden Magen zu beruhigen.

Der alte Mann neben mir weinte, hatte sich aber nach ein paar Sekunden wieder unter Kontrolle, während sein ermordeter Kamerad regungslos neben uns lag. Ich warf einen Seitenblick auf Peter und sah, dass sein Gesicht blass war und sein Mund einen grimmigen Ausdruck hatte. Er hatte so etwas schon einmal durchgemacht. Er wusste, was passieren würde. Warum hatte er uns nicht gewarnt?

Du wirst getestet.

Ich wandte mich ab, als der zweite Schweingeborene vortrat und den Leichnam mit seinem Speer durchbohrte. Mühelos hob er den toten Körper hoch und trug ihn zu einem der glühenden Öfen, in den er ihn wie einen Klumpen Fleisch hineinwarf. Die Flammen brüllten auf und umarmten gierig den neuen Brennstoff.

Ich blickte hoch, in Erwartung dessen, was als Nächstes passieren würde, und sah, dass ich direkt in die Augen des Schweins blickte.

Das Blut wich aus meinem Gesicht und ich hatte das Gefühl, als würde sich etwas Scharfes in meine Augen bohren, aber ich konnte mich nicht abwenden. Das Schwein hielt meinen Blick fest, seine tintenschwarzen Augen waren zwei Quellen aus ewiger Finsternis.

Und darin erkannte ich eine bösartige Intelligenz.

In diesem Moment wurde mir etwas klar.

Dies war nicht im Mindesten ein Tier, trotz seines Aussehens.

»Steh auf«, befahl Danny. Ich spürte eine Hand unter meinem Arm, die mich hochzog. Meine Beine gaben fast nach, als ich sie ausstreckte, die Muskeln fühlten sich an, als hätten sie sich verflüssigt. Ich legte die Hände auf meine Oberschenkel und versuchte etwas Leben in sie zu reiben.

»Ihr habt die Gabe angenommen und seid gesalbt worden mit den Wünschen eures Gottes. Lasst uns nun hinausgehen und unser Leben nach seinem Willen gestalten«, sagte Danny. »Willigt ihr ein?«

»Das tue ich«, murmelten wir, während Blut und Kotze von unseren Körpern kleckerte.

»Dann ist es vollbracht«, verkündete Danny. »Lasst uns gehen.«

Ohne nachzudenken, senkte ich meinen Kopf und verneigte mich vor dem Schwein. Es schnaubte laut, und dann verließen wir den Raum. Eine taube Stille erfüllte unsere Köpfe.

Wortlos verließen wir die Kammer, und während wir durch die Türen zurück nach draußen in den Regen drängten, stahl sich ein einsamer Gedanke in meinen Geist.

Du kommst hier nie wieder raus.