Der Funke, von dem Magdalena gesprochen hatte, hatte sich entzündet. Und in der Nacht zum ersten Mai loderte der bis dahin nur schwelende Brand des Krieges zwischen Arm und Reich, zwischen Nationalen und Internationalen wieder auf.

Die Nachmittagszeitung unterm Arm kam Melchior von seinem Spaziergang zurück. «Schließt die Türen!», rief er noch unten in der Halle. Er warf Marei ein paar hastige Sätze zu, und die Köchin rannte hinaus, um die Läden zu schließen. Irgendwo in einiger Entfernung war ein kurzer, trockener Knall zu hören.

«Ich helfe ihr», rief er seiner Frau zu, die überrascht aus dem Speisezimmer gelaufen kam. «Bleibt alle im Haus, besonders die Kinder!»

«Was ist denn los?», fragte Antonia überrascht. Sie trug ihr schlichtes zartgrünes Hängekleid, das ihr bis auf die Waden fiel. Ihr Mann schien gerannt zu sein, Hut und Spazierstock hatte er achtlos in die Ecke geworfen.

Melchior blieb an der Haustür stehen und warf ihr einen scharfen Blick aus seinen hellblauen Augen zu. «Im Luitpoldgymnasium wurden gestern Gefangene erschossen.»

Antonia starrte ihn an. «Mein Gott, das ist gar nicht weit von hier auf der anderen Seite der Isar!»

«Und Wasser auf die Mühlen der Weißen.» Er wies auf die Zeitung, die er auf die Truhe geworfen hatte – eine bürgerliche, die erst seit wenigen Tagen wieder erlaubt war. «Die

«Thule … dieser alberne völkische Club?»

«Offenbar mehr als das. Es heißt jetzt, sie hätten die Rote Armee infiltriert, vielleicht auch die Polizei. Und sie haben viele Freunde, im Adel, bei den Nationalisten. Den Weißen kommt das wie gerufen.»

«So provoziert eine Vergeltung die nächste», ergänzte Antonia ernst.

«Man hat zu schießen begonnen. Epp soll die Regierungstruppen anführen. In Südwestafrika hat er sich als Schlächter einen Namen gemacht. Sie wollen einen Mann fürs Grobe.» Er unterbrach sich, als ein weiterer Knall zu hören war. Sie sahen sich an, dann presste Melchior hervor: «Sag Clara, sie soll auf ihrem Zimmer bleiben! Es heißt, sie sind am Hauptbahnhof und am Stachus, angeblich auch schon hier. Das ist keine Polizeitruppe – das ist Krieg.»

«Hier? Aber Clara ist gar nicht da», flüsterte Antonia tonlos. «Sie ist hinüber in die Gaststube gegangen!»

***

Da die Kessel wegen des Streiks noch immer weitgehend stillstanden und nur wenige Brauknechte zur Arbeit kamen, musste Peter die Ausfälle kompensieren. So hatte er weniger Zeit für Clara. Auch gut, dachte sie, als sie mit Angelika vor ihrem Versuchskübel stand. Das gibt mir Zeit für mein Experiment.

Sie dachte an Magdalenas Anruf heute Morgen. Offenbar

Magdalena hatte einen trockenen Laut ausgestoßen, aber nichts erwidert.

«Derf ma probiern?», riss Angelika sie aus ihren Gedanken. Die Kellnerin bekreuzigte sich andächtig, als stünden sie vor einem Kessel Weihwasser.

«Ich denke schon.» Clara schöpfte vorsichtig eine Probe aus dem Kessel und füllte sie in ein Reagenzglas. Sie runzelte die Stirn.

Irgendwie sah es nicht aus wie Bier. Sie hielt sich das Glas unter die Nase und wedelte sich vorsichtig den Duft zu. Es roch auch nicht wie Bier. Eher sauer, fast wie Essig.

Angelika trat von einem Bein aufs andere. Ungeduldig nahm sie Clara das Glas aus der Hand und schüttete es sich in einem Zug in die Kehle.

«Und?»

Angelikas Augen waren weit aufgerissen. Der Mund öffnete sich ebenfalls, und das ganze Heiligengesicht schnappte nach Luft.

«Pfui Deifi!», krakeelte sie dann entsetzt. «Ja Zefixhalleluja, des is ja des reinste Höllenwasser!» Sie presste beide Hände vors Gesicht und rannte davon, vermutlich um sich den Mund auszuspülen. Das Reagenzglas fiel zu Boden. Eine der halbwilden Katzen, die in den Gastwirtschaften auf Abfälle hofften, schnüffelte daran. Sie blickte anklagend zu Clara auf und verschwand.

Clara seufzte. Vielleicht hatte ihr Vater recht, und sie war wirklich nur ein ahnungsloses Mädchen, das besser auf ihn hörte.

Enttäuscht ließ sie sich auf einen Stuhl sinken. Ja, sie war

 

Draußen in der Gaststube schlug eine Tür. Clara sprang auf. Hastige Schritte ertönten, dann drückte sich ein junger Mann in Uniform und mit roter Armbinde herein. «Fräulein Clara! Gott sei Dank!»

Hans.

«Die Reichswehr … die Weißen … Sie sind da! Sie rücken Straße für Straße vor.» Der arme Junge zitterte von Kopf bis Fuß. «Es ist keiner mehr da, der Befehle geben würde. Alle tot, oder verschwunden. Ich war drüben in der Nussbaumstraße, da wo das große Krankenhaus ist …» Er unterbrach sich, seine Lippen zitterten zu sehr, die Stimme versagte. «Es war furchtbar. Auf den Straßen flogen die Kugeln, überall rieselte der Putz aus den Mauern. Tote lagen auf den Straßen, Verwundete. Ich hab gesehen, wie Leute erschossen wurden, die versucht haben, die Verwundeten ins Krankenhaus zu bringen. Dadrin war die Hölle los. Überall rannten Menschen durcheinander, versuchten, Verletzte zu versorgen oder sich einfach nur in Sicherheit zu bringen. Sie haben die Patienten von den Fenstern weggebracht und unten im Eingang Betten aufgestellt. Einer von uns, der Erich Katzenstein, hat Medizin studiert. Der Professor Sauerbruch kennt ihn, hat er gesagt. Was wenn er verrät, dass er für die Roten kämpft? Aber der Professor hat ihn nur angeschrien, er soll sich endlich einen Kittel anziehen und helfen. Ich glaube, er hat ihm damit das Leben gerettet. Es war alles verloren, da

Hans redete und redete weiter, immer in derselben tonlosen, hastigen Art, als müsse die ganze Flut erst aus ihm herausbrechen. Er hielt Clara mit beiden Händen am Ärmel fest, krallte sich förmlich in ihren Arm und sah zu ihr auf. «Es heißt, am Stachus kämpfen sie noch. Die rücken immer weiter nach Giesing und in die anderen Viertel vor. Hier wohnen viele Arbeiter, da wird Widerstand geleistet. Gehen Sie bloß nicht raus!»

Das ist nicht das München, in dem ich aufgewachsen bin, dachte Clara. «Keine Sorge», versicherte sie. «Ich muss nur meine Eltern warnen.»

«Die schießen auf alles, was sich bewegt», rief der Junge, und der Speichel lief über seine kindlichen Lippen. «Alte Frauen. Kinder.»

Clara atmete tief durch. Sie machte sich Sorgen, aber er hatte vermutlich recht. «Sie sollten die Uniform loswerden.»

Er öffnete die Knöpfe auf der Brust und zog etwas heraus, das feucht roch. «Da waren Kleider auf einer Wäscheleine …»

Dumm war er nicht. Clara nickte. «Ziehen Sie sich um», sagte sie. «Ich warte in der Gaststube. Und nehmen Sie endlich die rote Binde ab!»

Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Hans in einem schlichten Hemd und einer Hose aus dem Nebenraum kam. Beides war noch feucht und roch muffig, aber besser als die verräterische Uniform war es allemal. Er hielt sie an sich gepresst. «Können Sie die loswerden? Irgendwie. Die erschießen mich.»

Besorgt blickte sie ihm nach, während er sich durch den Hinterausgang über den Hof verdrückte. Er ging mit eingezogenem Kopf, hastig wie ein aufgescheuchtes Kind. Sie würde den Brauknechten drohen müssen, dass sie jeden hinauswerfen würde, der einen anderen verriet, sonst würde sie bestimmt die Hälfte ihrer Arbeiter verlieren. Schüsse in Giesing? Der Bahnhof war ein viel wichtigeres Ziel, die Kasernen oder die Schulen, in denen die Rotgardisten sich einquartiert hatten.

Draußen war ein trockener Knall zu hören. Dann ein zweiter, dieses Mal etwas näher. Clara ging zur Tür und öffnete sie vorsichtig einen Spalt.

Die Straße lag ruhig in der Nachmittagssonne. Bis vor zur Kreuzung säumten sie einige neue mehrstöckige Mietshäuser. Immer mehr davon ersetzten allmählich die niedrigen Häuschen der Handwerker und den einen oder anderen Stadtbauernhof. Je mehr Tagelöhner in die Stadt strömten und Wohnraum brauchten, desto mehr dieser großen Blöcke wurden von Grundbesitzern oder Spekulanten hochgezogen. Wieder kam es ihr so unwirklich vor, dass hier geschossen werden sollte. Ein paar Häuser hatte ihr Onkel Vinzenz gebaut, der Architekt war. Einfache, praktische Bauten, zwischen denen sie sich früher so sicher gefühlt hatte. Alles wirkte ruhig. Sie wollte wieder hineingehen, als alles plötzlich ganz schnell ging.

Der scharfe Knall war dicht über ihr und so laut, dass sie zusammenfuhr. Sie sah den Mann mit der roten Armbinde im Fenster der Mietskaserne auf der rechten Straßenseite. Er hatte sich zum Schießen aus dem Fenster gebeugt und verschwand sofort wieder.

Am Ende der Straße tauchten wie aus dem Nichts plötzlich

Wie gelähmt starrte Clara sie an. Während sie noch versuchte, ihren Schrecken zu überwinden, knallte der nächste Schuss aus dem Haus schräg gegenüber. Und auf einmal donnerte das Gewehrfeuer überall. Das Echo brach sich an den Wänden und hallte in der Gasse wider. Putz bröckelte ab, platzte auf das Kopfsteinpflaster. Schreie irgendwo. Dann eine neue Salve. Und auf einmal schlug etwas direkt neben ihr in den Türrahmen. Es war kein großes Geschoss, doch es genügte, das Holz splittern zu lassen. Panik floss lähmend und bleischwer durch sie hindurch.

«Gehen Sie ins Haus!» Jemand kam mit eingezogenem Kopf auf sie zu gerannt, geduckt an der Hauswand entlang. Wie in einzeln aufblitzenden Bildern sah Clara, wie der Rotgardist oben im Fenster den Lauf nach unten richtete.

Das ließ die Erstarrung von ihr abfallen. «Vorsicht!», schrie sie. Der Mann duckte sich unter einen Türsturz, und die Kugel pfiff über ihn hinweg. Er nutzte den Moment und stürzte über die Straße. Clara schlug die Tür hinter ihm zu und zog ihn vom Eingang weg.

Sofort begann draußen wieder das harte Knallen der Gewehre. Der Schuss des Rotgardisten hatte seine Position verraten, und die Weißen begannen nun ihrerseits, auf ihn zu feuern.

Clara begann zu zittern. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie um ein Haar hätte tot im Eingang liegen können. Sie sog scharf die Luft ein und sah sich nach dem Mann um. «Gehören Sie zu den Weißen?»

Er hatte sich auf einen Stuhl fallen lassen, doch er kam schnell wieder zu Atem. Erleichtert bemerkte sie, dass er weder Waffe noch Armbinde trug. «Ach wo, weder noch. Hatte nur Lust auf ein Bier.»

«Nennen Sie mich einen Kriegsberichterstatter, wenn Ihnen das besser gefällt», erwiderte er. Er sprang auf, um noch einen Blick hinauszuwerfen, vielleicht auch nur, weil er nicht ruhig sitzen bleiben wollte. «Ich studiere noch, aber hin und wieder schreibe ich für eine Zeitung. Ich wollte wissen, was hier los ist. Man hört die wildesten Gerüchte.»

Er war wirklich noch jung, fiel Clara auf, jetzt, da er zurückkam und sie ihn aus der Nähe betrachten konnte. Anfang, Mitte zwanzig? Und ziemlich gutaussehend: groß und schlank, dunkles Haar, das sonst wohl modisch nach hinten gekämmt war. Jetzt fiel es ihm wild in die Stirn und bildete, vielleicht weil es feucht war, leichte Locken. Die dunklen Augen darunter blitzten, als würde er sich permanent ein ironisches Lachen verkneifen. Er trug schlichte, aber gute Kleider, Flanellweste mit Hemd. Die Ärmel hatte er hochgekrempelt, weshalb Clara unwillkürlich an eine Piratengeschichte denken musste. Allerdings war er für einen Piraten zu gut rasiert.

«Und für ein Bier riskieren Sie Ihr Leben?», fragte sie kopfschüttelnd, während sie zur Theke ging und einen Krug füllte. Der Schrecken saß ihr noch in den Knochen. Dieser junge Mann musste verrückt sein.

«Braucht man einen Anlass, um sein Leben zu riskieren?»

Er war verrückt. «Kommt darauf an. Wäre es denn schade um Sie?»

«Sagen Sie es mir.»

Er versuchte tatsächlich, mit ihr zu flirten, während draußen die Gewehrsalven knatterten. Eigentlich kein Argument, allzu viel Zeit in seiner Nähe zu verbringen. Dennoch fühlte Clara sich plötzlich sicherer, als wäre der Krieg etwas weiter weg als vorhin. Die Leichtigkeit, mit der er die Brutalität draußen auf der Straße einfach zu ignorieren schien, tat ihr seltsam gut. Sie

«Oh.» Er blickte durch das wirre schwarze Haar zu ihr auf und pfiff leise durch die Zähne. «Das könnte sich auf Ihr Trinkgeld auswirken.»

Sie zog sich den Stuhl gegenüber heran. Irgendwie machte er sie neugierig. «Ich glaube, das kann ich verkraften. Aber sagen Sie, wenn Sie so ein Haudegen sind, warum sind Sie dann nicht mit einem Gewehr da draußen?»

Er trank einen Schluck und lehnte sich aufatmend zurück. «Weil es uninteressant ist, andere Leute umzubringen.»

«Aber es ist interessant, darüber zu berichten, wie andere Leute sich gegenseitig umbringen?»

«Sagen wir: Das kann man in einprägsamen Worten tun.»

«Halten sich die Kriegsberichterstatter jetzt schon für Literaten?» Clara zuckte mit einem Mundwinkel. «Ich hoffe, Sie erwarten nicht, dass der Alkohol Sie dazu inspiriert. Ich bin hier aufgewachsen, und ich kann Ihnen versichern, dass die Männer mit zunehmender Trunkenheit nicht gerade eloquenter werden.»

Die vorrückenden Regierungstruppen enthoben ihn einer Antwort. Ehe er etwas erwidern konnte, schlug eine neue Salve hinter dem Haus ein, so laut, dass beide zusammenfuhren. Clara duckte sich. Der junge Mann drehte seinen Stuhl so, dass er die Tür im Auge hatte. Obwohl er keine Waffe trug, zuckte seine Hand unwillkürlich zum Gürtel.

«O mei, o mei!», kreischte es schrill aus der Küche. Wie ein aufgescheuchtes Huhn kam Angelika in die Gaststube gerannt. «Die schießen da draußen! Ich hab scho denkt, i kumm nimmer lebendig vom Heisl z’ruck!»

Clara versuchte, die hysterisch kreischende Kellnerin zu beruhigen, aber das war gar nicht so einfach. Offenbar hatte die

«Daschießen wollt er mich, der Hund, der nackerte! Kruzifixhalleluja, gleich neben mei Heisl haben’s g’schossen! Ja Herrschaftszeiten, bist’ denn jetzt net amal mehr auf’m Abort sicher? Eine heiligmäßige Jungfrau auf dem Heisl daschießen, a so a Hammel, a so a g’scherter! Der Deifi soll eam holen, brennen soll er in der tiefsten Hölle, der damische Sprattakist, der weiße! Himmel, Herrgott, Sakrament, is dene Heiden gar nix heilig? Wenn sie sich scho daschießen müssen, dann solln s’ wenigstens andere Leut net beim Scheißen stören!»

Clara setzte die aufgeregt gackernde Kellnerin auf einen Stuhl und drückte ihr ein Glas Wasser in die Hand, und dann fand sie sogar noch eine Breze. Angelika schnatterte und krakeelte noch ein wenig, doch sie schien sich etwas zu beruhigen. Endlich bemerkte sie den Gast und wollte aufspringen. «Oh mei, Fräulein Bruckner. ’tschuldigen S’ vielmals …»

«Schon gut. Bleib nur sitzen, ich mache das schon.»

«Bruckner?» Der junge Mann blickte auf seinen Bierkrug, auf dem groß und breit der Schriftzug «Brucknerbräu» stand. Ein amüsiertes Lächeln spielte um seine elegant geschnittenen Lippen. «Bemerkenswert. Würden Sie mir erklären, warum Sie nichts von Alkohol halten?» Er bemerkte ihr Zögern und lächelte erneut. «René Kurowsky.»

«Nicht gerade der häufigste Name hier. Sie sind nicht aus München, nehme ich an.» Wo hatte sie den Namen nur schon einmal gehört?

Er lehnte sich zurück und strich sich mit beiden Händen langsam das dunkle Haar aus dem Gesicht. Er hatte schön geschwungene, starke schwarze Brauen und schlanke, gebräunte Hände. «Sie sind neugierig.» Die Art, wie er sie dabei ansah, war

Sie räusperte sich. «Entschuldigung.»

«Nein, keine Sorge. Ich stehe unter Drogen und bin gesprächig.»

Jetzt musste Clara doch lachen. «Kurowsky … Oh!» Jetzt fiel es ihr ein. Das bierschmähende Schandmaul, dessen Name jeder Münchner Braumeister nur mit Schaum vor dem Mund aussprach! «Sie sind R. Kurowsky, der die Provinzialität der Münchner Braumeister anprangert?»

«Sie erinnern sich an meinen Namen. Wie schmeichelhaft.»

Der Antichrist des Brauereiwesens. Wie hatte sie den vergessen können! Diesem schwarzhaarigen jungen Mann mit den lebhaften Augen traute man das gar nicht zu. «Jede andere würde Sie hinauswerfen und draußen im Kugelhagel umkommen lassen, das wissen Sie. Woher die plötzliche Liebe zum Bier?»

«Ich prangerte die Provinzialität der Brauer an. Nicht die des Biers.»

Den sollte ich auf die nächste Sitzung des Oktoberfestvereins mitnehmen, dachte Clara. Er schaffte es, sie mitten im Kugelhagel zum Lachen bringen. Allerdings war ihr genau das auch ein wenig unheimlich. Wenn jemand Gefahr und Brutalität nur als Herausforderung betrachtete, gab es zwei Möglichkeiten, und keine davon gefiel ihr besonders: Entweder er war vollkommen herzlos, oder aber er hatte etwas so Furchtbares erlebt, dass ihm selbst die größte Gefahr besser erschien als der bloße Gedanke daran. «Dann hat man Sie wohl in Ketten nach München gebracht?», spöttelte sie. «Was hält Sie?»

René Kurowsky schien sich einen Spaß daraus zu machen, sie zu provozieren, denn er erwiderte mit einem Augenzwinkern: «Abgesehen von Max Weber, dem brillantesten Kopf dieser Universität? Nun, Scotch, Rainer Maria Rilke und natürlich

«… und über die er, wenn er unter seinesgleichen ist, scheußliche Dinge sagt, wie zum Beispiel, dass Frauen kleinere Gehirne und deshalb weniger Verstand hätten. Ich habe nie verstanden, wieso man sich für derart hirnlose Kreaturen schlagen sollte, Don Quijote.»

«Wo ist Ihre poetische Vorstellungskraft?» Aber ernst meinte er das sicher nicht, denn seine Lippen zuckten verräterisch.

Clara ließ sich auf das Spiel ein. Es reizte sie, und sie wusste selbst nicht so genau, warum.

«Wo ist Ihre?», fragte sie zurück und setzte sich wieder zu ihm. «‹Elegante Frauen›? Wenn Sie für eine Frau nur deshalb alles tun, weil sie sich etwas Hübsches angezogen und eine Perlenkette umgelegt hat, tun Sie es dann für die Frau oder für die Perlenkette?»

«Um Ihr Gehirn müssen Sie sich jedenfalls keine Sorgen machen», lachte er. «Sie gefallen mir!»

Clara stand auf. Es war ihr fremd, dass jemand so etwas einfach gerade heraus zugab. Und natürlich gehörte es sich nicht. Sie gefallen mir auch, dachte sie, als sie ihn sitzen ließ. Aber natürlich hätte sie sich eher die Zunge abgebissen, als das laut zu sagen.