Magdalenas Nachricht hatte Clara beunruhigt. Aber ihre Nerven waren gereizt, sagte sie sich. Noch schien alles ruhig. Am Ostermontag, während alle in der Kirche waren, rief sie Magdalena an. Dann stahl sie sich in Thomas’ Zimmer. Niemand sonst kam herein, keiner von ihnen hielt es aus, nicht einmal Marei. Alles war unverändert: das Bett mit dem dunkelblauen Leinenhimmel, der Schreibtisch, die Regale mit seinen Büchern und den bauchigen Gläsern, in denen sie die verrücktesten Dinge versucht hatten: Parfüm aus toten Fliegen oder Fliederbier. Clara kämpfte gegen die Tränen, als sie die dünne Staubschicht sah. Sogar seine römische Münze lag noch auf dem Schreibtisch. Er hatte sie im Garten gefunden und dann immer bei sich getragen. Clara steckte sie ein. Es war tröstlich, etwas von ihm bei sich zu haben. Sie atmete durch, dann suchte sie die Semesterpläne für das Fach Chemie aus seinem Regal und schlich sich wieder hinaus. Sie würde ihrem Vater zeigen, dass er sich irrte. Schon allein, weil er sie an die Braukessel gestellt hatte.
Als sie sich eine halbe Stunde später mit Magdalena in ihrem Zimmer durch die Pläne blätterte, fand sie Gefallen daran. Naturgemäß bot die Universität einiges zum Thema Hefegärung an, aber es gab auch Kurse zu organischer Chemie im Pflanzenreich. Selbst wenn der Plan nicht auf dem neuesten Stand war, bekam sie doch Lust, sich damit zu befassen. Sie hatten sich aufs Bett gesetzt. Dorian Gray lag, ungerührt von ihrer Aufregung, mit dem Kopf auf den Pfoten zwischen ihnen, und sein Schnurren ging immer wieder in Schnarchen über. Magdalena hatte in Erfahrung gebracht, dass die Technische Universität Gasthörer zuließ. Der Betrieb war zurzeit eingeschränkt, aber sie konnten teilnehmen! Atemlos schmiedeten sie Pläne, nahmen kaum Notiz von Mareis Kindern, die unten im Garten spielten. Als Clara endlich auf die Uhr sah, waren zwei Stunden vergangen, und sie hörten Marei schon in der Küche das Mittagessen vorbereiten.
Magdalena musste zum Essen nach Hause, und Clara gab Marei Bescheid, sie möge sie entschuldigen. Jetzt am späten Vormittag würde sie die Brauknechte beim Frühschoppen antreffen. Die Ablehnung im Sudhaus hatte sie erschreckt. Trotzdem war sie entschlossen, es mit einem eigenen Malzbier zu versuchen. Womöglich waren sie nach einer Maß etwas zugänglicher als bei der Arbeit. Sie würde ihrem Vater zeigen, dass er sie unterschätzte.
Der morgendliche Nieselregen hatte aufgehört, als sie sich auf den Weg machte. Über den Himmel zogen vom leichten Föhn vertriebene dunkle Wolken. Noch fröstelte sie in ihrem dünnen Umhang, aber schon brach die Sonne wärmend hervor. Mit etwas Herzklopfen erreichte Clara die Gaststätte und betrat den niedrigen Raum.
Einen Moment fühlte sie sich in ihre Kindheit zurückversetzt. Grobgeschnitzte Tische, die Stühle mit den nach außen gestellten Beinen. Die getrockneten Hopfendolden, die von der Decke hingen, hinten die Theke, das Fenster zur Küche. Der Geruch nach Bier, Hopfen und Kraut. Es war alles wie früher.
Vor dem Herrgottswinkel kniete eine junge Frau. Dünnes hellblondes Haar fiel ihr in Wellen bis auf die Hüften. Ihr ungeschminktes Gesicht hatte etwas Ätherisches, und der hagere Körper erweckte den Anschein madonnenhafter Askese, allem Irdischen entrückt. Auch dem Streit der beiden Männer an einem der Tische.
«Wieso sonst streikst du ned? Du hast es mit die Weißen!», giftete der eine, just als Clara hereinkam, und ging auf den anderen los. Und schlagartig kam Leben in das Madonnenbild.
«Zefixhalleluja, Himmelherrschaftsakrament! A so a Sauerei, as Watschn anfangen, ja samma bei die Evangelischen?!» Einer holte Luft zu einer Erwiderung, aber sie packte drei leere Krüge auf einmal und hielt sie drohend erhoben wie der Erzengel Michael sein Feuerschwert. Trotz ihrer asketischen Figur war sie zäh, und ihre spinnenartigen Hände konnten problemlos mehrere Bierkrüge heben oder einen Brauknecht im Fingerhakeln besiegen. «A Ruh is, sonst schmeiß i euch alle zwoa außi! Heiden, deiflische, G’sindl, grausligs, is der Antichrist in euch gefahren?»
Clara lachte verstohlen. Wie zwei begossene Pudel standen die beiden riesigen Brauknechte vor der winzigen, wie ein bissiger Dackel kläffenden Kellnerin. Wie hieß sie gleich – Angelika? Die Hemden der Streithähne hingen aus den Hosen, die Hosenträger waren verrutscht, und unter dem Auge des einen rötete sich die Haut von einem herzhaften Schlag.
Die Kellnerin spürte den Luftzug der offenen Tür, fuhr kampfbereit herum – und verwandelte sich umgehend wieder in die Madonna. «Ja mei, die Clara Bruckner!» Sie stellte die Bierkrüge ab, wobei sie die Finger eines schmächtigen Lehrbuben am Tisch um ein Haar verfehlte. «Mei o mei! Sie san wieder da! Ich hab die schlimmsten Sachen g’hört! Bei die Heiden sollen S’g’wesen sein, in Wien bei die Nackerten!» Sie bekreuzigte sich. «Ich hab ein Votivtaferl aufg’stellt, bei der Schwarzen Madonna in Altötting! Hig’laufen bin i, auf meine zwoa Haxn! Bet’ hab i, dass Sie in Eana heiligen Unschuld rein bleiben vom Schmutz der Sünd’! Mei, was hab ich gelitten unterwegs! Die Stoana in meine Schuh! Die Blasen! Gestürzt bin ich wie Jesus auf dem Kreuzweg und hab mir mein Haxn aufg’schlagn und mein Zeh ang’stoßen! Aber die Schwarze Madonna hat mich erhört!»
Nun, wohl eher mein Vater, dachte Clara. Aber da die Kellnerin zu denen gehörte, die diesen für den Satan in anziehender Gestalt hielten, sagte sie nichts.
«Hocken S’ Eana her da, Fräulein Bruckner. Warten S’!» Sie rannte, aber Clara wusste, schon bevor sie zurückkam, dass sie sicher nichts zu essen bringen würde. Und tatsächlich: Die Kellnerin hielt ein Weihwasserschälchen in der Hand. «Bitt schön, Fräulein Bruckner!»
Clara blieb nichts anderes übrig, als sich damit zu bekreuzigen. Sie hatte das Ding am Eingang übersehen, und Angelika passte auf wie ein Schießhund, dass jeder es benutzte. Unerschütterlich hoffte sie darauf, heiliggesprochen zu werden.
«Was brauchen’S, Fräulein Bruckner?»
«Eigentlich suche ich einen oder zwei Brauknechte, die mir helfen können, ein alkoholfreies Malzbier zu entwickeln», erwiderte Clara.
Zwei Männer hinten im Eck blickten auf, zogen hastig die Köpfe ein und unterhielten sich angestrengt weiter. Clara war sich nicht sicher, ob sie zu ihrem Personal gehörten. In jedem Fall sahen sie nicht so aus, als hätten sie Lust, für sie zu arbeiten. Im Gegenteil, der eine warf ihr sogar einen bitterbösen Blick zu. Nur einer der Streithähne, der sich das zerzauste braune Haar wieder glatt strich und das Hemd in die Hose stopfte, meinte: «Fräulein, mit Verlaub, des is a Schmarrn. Für a Malzbier braucht man kein Rezept. Des ist bloß für Kranke.»
«Nun, Ihnen täte es ganz gut. Es brächte Sie vom Alkohol weg, dann würden Sie sich nicht prügeln.»
Er warf ihr einen finsteren Blick zu, traute sich aber nicht, dagegenzuhalten. Angelika hingegen fand sofort Gefallen an der Idee, und sie fegte ihm mit ihrer Spinnenhand über die Haare.
«Recht hat’s, das Fräulein Bruckner! Nacha tatst vielleicht auch mehra beten in der Kirch und net allweil während der Mess’ in Sankt Außenrum umananderlungern!» Sie wandte sich an Clara. «Also, Fräulein, ich bin kein Brauknecht – aber ich wär dabei!»
Clara musterte sie und dachte: Was für eine Verbündete! Laut sagte sie: «Ich muss mir ein paar Bücher besorgen und in der Brauerei lernen, ehe ich anfange. Aber kannst du mir nach Feierabend den kleinen Raum hinten freiräumen? Ich werde den Probekessel hineinstellen lassen, den Vater für die neuen Rezepte verwendet. Und noch eines: Ihr haltet ihm und Peter gegenüber den Mund!»
Wird das mein Leben sein?, dachte Clara. Nach Malz riechende Knechte und eine Kellnerin auf dem Weg zur Heiligkeit? Werde ich wie die Großmutter als einsame alte Frau sterben? Sie versuchte, nicht daran zu denken. Lass deine Träume nicht immer zu hoch steigen, sagte sie sich. Du musst endlich lernen, auf dem Boden zu bleiben.
«Oh ja!!», johlte René und zog den hölzernen Steuergriff an.
Die Nase des Flugzeugs hob sich, und sein Körpergewicht drückte ihn nach hinten in den Sitz. Der Motor surrte aufgeregt, und die Propeller schleuderten ihm Zugluft, Sand und Abgase entgegen, dann war er in der Luft. Er stellte die Tragflächen in die richtige Position. Eine Welle des vertrauten Glücksgefühls überschwemmte ihn, als er unter sich die Menschen kleiner werden sah. Einige schwenkten die Hüte. Er liebte den Fahrtwind, der sein Gesicht um die Brille herumpeitschte und an seiner Lederjacke und der Haube zerrte. Noch war er eiskalt, aber das störte ihn nicht. Um nichts in der Welt hätte er das Gefühl der Freiheit aufgeben wollen, das ihn hoch über die Köpfe der Menschen trug, hoch über ihre alltäglichen Streitereien, hoch über Krieg und Zerstörung.
Von hier oben hatte er einen Blick auf den gesamten Flugplatz und bis hinunter zum Mariendom. Das Oberwiesenfeld nördlich von Schwabing war heute ungewohnt belebt. Trotz oder gerade wegen der politischen Wirren hatte man die Vorführung nicht abgesagt. Schon in aller Früh hatten sie die Maschinen vom Hangar in Oberschleißheim hergeflogen. In einiger Entfernung standen die Remisen der Artillerie, deren Exerzierplatz das Gelände offiziell war. Manchmal musste man bei Start und Landung auf marschierende Soldaten, Automobile oder Karren mit Mörserkanonen achten. An der Moosacher Straße erkannte man die beiden mehrstöckigen, durch eine Brückenkonstruktion verbundenen Gebäude der Süddeutschen Bremsen AG. Doch inoffiziell war das Gelände längst ein Flugplatz und an Tagen wie diesem auch offiziell. Handwerker, Bauern, reiche Bürger und Aristokraten, in den letzten zehn Jahren war das Fliegen zum Sport all jener geworden, denen es nichts ausmachte, dass jeder Sturz den Tod bedeuten konnte und dass Stürze an der Tagesordnung waren. Im Verein für Aviatik trafen sie sich, experimentierten, diskutierten Fehlschläge und feierten Erfolge. Mit oft selbst konstruierten Geräten, die mehr als waghalsig aus Holz und gewachster Baumwolle zusammengebaut waren, stellten sie sich dem großen Abenteuer, das mit Otto Lilienthal vor knapp dreißig Jahren endlich Wirklichkeit geworden war: Fliegen.
Heute waren fast nur leichte Maschinen unterwegs. Sieben oder acht standen auf dem Platz verteilt: Einfache Konstruktionen aus Metallstreben mit Rädern, einem offenen Sitz und Motor, Tragflächen aus Holz – weiter nichts. Die Rumpfbespannung war meist aus gewachstem Stoff, wie er auch für Ballons verwendet wurde – böse Zungen behaupteten, dass der eine oder andere hier seine alten Unterhosen verwertete.
René überzeugte sich mit einem Seitenblick, dass die Tragflächen stabil im Wind lagen. Er hatte die Fokker D.VII während des Krieges nie geflogen und wusste noch nicht, wie sie sich in der Luft verhielt. Das Jagdflugzeug war unter Piloten ein Mythos, das aus jedem Anfänger ein Fliegerass machte, und er verstand jetzt auch, warum. Sie war nicht nur unglaublich schnell mit ihrem starken Motor, der gut 180 Stundenkilometer erreichte, sondern auch wendig. Er hätte Lust gehabt, herauszufinden, was die Maschine konnte. Dennoch, trotz des guten Wetters konnten jederzeit unvorhersehbare Luftwirbel auftreten. Und der Flugleiter, dachte er mit einem sarkastischen Grinsen, wäre wohl nicht allzu erbaut, seine zerschmetterte Leiche aus den Trümmern des Jägers ziehen zu müssen.
Am Rand der improvisierten Startbahn applaudierten die Menschen: Die nächste Maschine wurde von acht kräftigen Männern an Seilen auf die Startbahn gezogen. Sie schoben den Propeller an und sprangen dann zur Seite. Das Flugzeug rollte über die holprige Piste, dann hob es ab. René lächelte. Allein dieses Gefühl war es wert, dafür draufzugehen.
Er flog einen weiten Bogen und kehrte zurück. Die Menschen jubelten, als er über sie hinwegsauste, und er ging etwas tiefer, um ihnen zuzuwinken. Die Maschine lag wie ein Vogel auf der Luftströmung.
Er zog einen weiteren Bogen und hielt erneut auf das Flugfeld zu. Schon erkannte er die Bauten der Artilleriekaserne. Die Fahne zeigte unverändert einen leichten, stetigen Föhnwind von Süden an. Jemand brachte die schweren Böller für den Salut in Stellung.
Der Schuss erschütterte die Stadt.
Renés Hand klammerte sich um das Steuer. Urplötzlich brach die Erinnerung über ihn herein.
Erde, Blut und Fleisch spritzten auf, als die Granate explodierte. Schreie. Eine Druckwelle, die ihn von den Füßen riss und meterweit über den Boden schleuderte. Als er wieder aufsah, schmerzte sein ganzer Körper. Seine Ohren sausten, er hörte nichts außer dem lauten Summen. Einen Moment fühlte sich alles taub an. Schwindel. Er spürte aufgeweichten Boden unter Nase und Mund. Blut überall, auf seinem Gesicht. Sein eigenes? Wärme und Kälte zugleich. Stöhnend rollte er sich zur Seite. Wo er gestanden hatte, war ein Loch im Boden …
René schüttelte den Kopf, um die Bilder loszuwerden. Konzentration half, und nur über den Platz zu fliegen, forderte keine Konzentration. Er brauchte einen stärkeren Anreiz.
René beschleunigte und jagte die Maschine steil nach oben. Dann richtete er sie gerade und versetzte den Motor in Leerlauf. Er stieß das Seitenruder nach links, zog das Höhenruder ruckartig durch und ließ die Maschine nach unten trudeln.
Er wurde zur Seite gedrückt, als der Auftrieb wegbrach und die Tragfläche nach unten kippte. Die Fokker stürzte in einer Spirale herab und riss ihn ruckartig in die Gurte. Sein Atem beschleunigte sich so sehr, dass er seinen Puls in den Schläfen jagen spürte. Ruhig zählte er die Atemzüge. Die Schwerelosigkeit auf dem hinabwirbelnden Sitz war ein Rausch. Der Anblick des heranrasenden, sich drehenden Bodens faszinierte ihn. Er könnte jetzt einfach alles loslassen.
Plötzlich wurde die unebene Startbahn ganz klar. Obwohl er noch zu weit oben war, hatte er das Gefühl, jeden Grashalm, jeden Maulwurfshügel zu sehen, in erschreckender Schärfe. Jeden Hut der Zuschauer, die atemlos und entsetzt nach oben starrten, jedes geweitete Auge. Die Wirklichkeit. Er war wieder in der Wirklichkeit.
René riss die Tragflächen in die neutrale Position und stemmte sich mit aller Kraft entgegen der Drehrichtung in das Seitenruder. Er wartete einen Augenblick, dann zog er die Nase hoch. Die Maschine schwankte einige Meter über der Startbahn. Langsam stieg sie wieder.
Er atmete tief durch und schloss die Augen.
«Ich hatte Ihnen gesagt, kein Trudeln!», schrie der Flugleiter ihn an, als die Fokker fünf Minuten später auf der Landebahn ausrollte und René den Gurt löste. Leutnant Wildt war ein Militärpilot der ersten Stunde und sicher kein Angsthase. Aber jetzt wurde sein schmales Gesicht mit dem ergrauenden braunen Schnurrbart abwechselnd leichenblass und puterrot. «Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Die dachten, Sie bringen sich um, und einen Moment lang dachte ich das auch.»
«Ach, dramatisieren Sie es nicht», winkte René ab. Er schob die Brille hoch und sprang vom Sitz auf den Boden. Er spürte die Stabilität des Untergrunds unter den schweren Artilleriestiefeln, den leichten, aber festen Stoff der Rumpfbespannung unter seinen Handschuhen. Die Wirklichkeit war wieder da, präsenter als zuvor, floss prickelnd durch seine Adern, gab ihm Sicherheit und versetzte ihn in eine überschäumende Euphorie. «Ich habe sie ein bisschen tiefer stürzen lassen als sonst, na und? Wenn wir immer auf Nummer sicher gehen, wo bleibt der Spaß?»
«Weil Sie sich umbringen wollten?»
«Weil ich es kann!», erwiderte René scharf. «Ich dachte, Sie wollten Eindruck schinden?»
«Das ist keine Flugschau, nur eine Demonstration für ein paar Interessierte. Für was halten Sie sich, für die bayerische Version des Roten Barons? Ich will die Republik überzeugen, dass unsere Piloten auch im Frieden Verkehrsflugzeuge steuern können. Nicht, dass sie verrückte Manöver fliegen und mit zerschmettertem Schädel im Acker landen!»
«Meinem Schädel geht es aber bestens.» René hatte keine Lust auf Diskussionen. Er bückte sich unter der Tragfläche hindurch und drehte die Propeller, um zu überprüfen, ob sie noch fest in ihrer Verschraubung saßen und ob sie geölt werden mussten. Danach kontrollierte er die Räder und die Bespannung.
«Sie sind ein verdammter Spieler», erwiderte Wildt, der ihm wütend folgte. «Was, wenn Sie so knapp über dem Boden in einen Spiralsturz geraten wären? Den hätten Sie nicht mehr ausleiten können!»
«Das bin ich aber nicht», erwiderte René und wollte zu der Bretterbude des Vereins, um das Schmieröl zu holen. Wildt hielt ihn fest.
«Sie fordern das Schicksal heraus», sagte er ernst. «Sie wollen wissen, was Sie noch alles tun müssen, damit es Sie erwischt. Aber sehen Sie sich vor. Es könnte Sie einmal beim Wort nehmen.»
Damit ließ er ihn stehen. René nahm die Lederhaube ab, fuhr sich durch das schweißfeuchte schwarze Haar und blickte ihm nach.
Abseits der Landebahn kümmerte er sich um das Fahrgestell. Die Räder mussten tatsächlich geölt werden. René hockte mit dem Rücken zur Sonne unter der Tragfläche, als jemand in den Lichtstrahl trat. Er blickte auf. Ein gutaussehender blonder Mann mit Strohhut und in einem eleganten Anzug war herübergekommen, vermutlich einer der Zuschauer.
«Das war sehr beeindruckend.»
René zog eine Grimasse, kam unter dem Flugzeug hervor und wischte sich mit einem Lappen das stark riechende Schmieröl von den Händen. «Sagen Sie das dem Flugleiter. Er meint, es geschieht mir recht, wenn ich mir den Hals breche.»
Der junge blonde Mann lachte. Er wollte ihm die Hand reichen, aber René wies auf das Öl, und er zog sie zurück. «Ferdinand Schwabinger. Ich bin kein Mitarbeiter der Regierung, sondern als Geschäftsmann hier. Ich überlege derzeit, ob ich in das Oktoberfest investieren soll, aber ohne König scheint es mir wenig spektakulär.»
René war bei der Arbeit wieder warm geworden, er zog den Ledermantel aus und warf ihn über den Sitz seines Flugzeugs. «Und was habe ich damit zu tun?», fragte er, sich unter die linke Tragfläche bückend.
«Nun, ein Flug über die Theresienwiese zur Eröffnung wäre eine angemessene Attraktion, die vielleicht die Anwesenheit eines Königs aufwiegen könnte.»
René zog die Brauen zusammen. «Lindpaintner ist bereits 1910 über die Festwiese geflogen. Das war noch zu Zeiten der Monarchie.»
Schwabinger schenkte ihm ein undurchsichtiges Lächeln. «Nun, wer kann schon in die Zukunft sehen? In jedem Fall wäre es ein Spektakel, ob mit oder ohne Monarchie. Was sagen Sie?»
René kam unter der Tragfläche hervor und lehnte sich an den Rumpf der Maschine. «Ich kann darüber nachdenken. Was genau schwebt Ihnen denn vor?»