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Von der Panik zum Protest

Konsens und Konsum: Anpassungszwänge in der Vorstadtgesellschaft der Fünfzigerjahre

Während die amerikanischen Bürger*innen in den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren gebannt vor den Fernsehgeräten saßen, um die Mafia-Anhörungen zu verfolgen, war auf den Straßen jenseits der Wohnzimmerfenster so gut wie nichts von einem Drogenproblem zu spüren. Nicht Rausch und Ausschweifung, sondern Stabilität und Anpassung an vorgegebene Lebensentwürfe prägten den Alltag einer Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung. Besonders die wachsende Mittelschicht einigte sich auf einen beschaulichen gemeinsamen Lebensstil, von dem nur wenige abwichen.

Ein immer größerer Teil der arbeitenden Bevölkerung ging morgens nicht mehr in die Fabrik, sondern ins Büro; 1955 gab es in den USA zum ersten Mal mehr Angestellte als Arbeiter*innen. Die Firmen und Organisationen, für die diese Angestellten arbeiteten, wurden immer größer, und die Zahl der kleineren Läden und Betriebe ging zurück. Nur zwischen drei und sechs Prozent der US-amerikanischen Männer im erwerbsfähigen Alter waren in den 1950er-Jahren arbeitslos gemeldet, verglichen mit den zweistelligen Arbeitslosenquoten in den krisengebeutelten Dreißigerjahren wirkte diese Quote beruhigend niedrig.

Wer 1945 noch nicht verheiratet war, holte das nach Kriegsende bald nach. 95 Prozent der Amerikaner*innen, die während der Vierzigerjahre volljährig wurden, heirateten und bildeten damit die heiratsfreudigste Generation der US-amerikanischen Geschichte. Das durchschnittliche Heiratsalter sank bei Frauen auf 20, bei Männern auf 22 Jahre. Nur etwa jedes zehnte Paar ließ sich wieder scheiden. Sofern sie weiß waren, zogen die frisch getrauten Ehepaare nach der Hochzeit nun in Scharen in die segregierten Vorstädte, die seit dem Krieg immer schneller wuchsen. Nicht Haus für Haus, sondern häufig gleich Vorstadt für Vorstadt wurden die neuen Lebensräume auf die Felder rings um die Städte gestellt. 1950 bauten hoffnungsvolle Unternehmer in den USA auf diese Weise knapp 1,7 Millionen Häuser, so viele wie nie zuvor und nie danach in einem Jahr. In langen Reihen standen die häufig baugleichen Holzhäuser an frisch asphaltierten Straßen und erwarteten den Babyboom.

Denn auf den Umzug der jungen Nachkriegspaare folgten die Geburten. Waren im Krieg die Geburtenraten etwas zurückgegangen, wurde nun die Familiengründung mit Eifer nachgeholt. Frauen, die in den Dreißigern volljährig geworden waren, bekamen durchschnittlich 2,4 Kinder, bei den jungen Erwachsenen der Fünfziger waren es 3,2. (Zum Vergleich: In Deutschland bekam 2020 jede Frau statistisch 1,5 Kinder.) Nachdem die amerikanische Geburtenrate seit Beginn des 19. Jahrhunderts stetig gefallen war, stieg sie damit zum ersten Mal wieder deutlich an. Familien mit zwei bis vier Kindern wurden die Regel, kinderlose Paare oder gar Singles die auffällige Ausnahme. Zwischen 1954 und 1964 wurden in den USA jedes Jahr ungefähr vier Millionen Kinder geboren. Selten hatte eine Gesellschaft in Friedenszeiten eine so tiefgreifende demografische Verschiebung erlebt.

Für den Nachwuchs und um sich außerdem ein Auto in die Garage, eine elektrische Waschmaschine in die Waschküche und ein möglichst pompöses Fernsehset in die Wohnzimmerschrankwand stellen zu können, fuhren die Mehrheit der Männer und auch manche wenige Frauen mit den Pendlerzügen ins Büro. Die Wirtschaft boomte, der Wohlstand wuchs mit dem Bruttoinlandsprodukt, und Konsum wurde zu einer Art neuer Bürgerpflicht, wenn nicht zum Ziel und Fluchtpunkt des bürgerlichen Lebensentwurfs. Anders als während der Zeit der Wirtschaftskrise, in der die jungen Eltern der Fünfziger aufgewachsen waren, gingen viele optimistisch mit ihrem Geld um. Wo Gehalt und Erspartes nicht ausreichten, um mit dem Lebensstandard der vorstädtischen Nachbarschaft gleichzuziehen, waren die jungen Familien so bereit wie nie zuvor, Konsumkredite aufzunehmen. 1955 erreichte die Höhe der Konsumschulden in sechs aufeinanderfolgenden Monaten jeweils einen neuen Höchststand. Ein Ende der Stabilität schien den Kreditnehmern nicht in Sicht zu sein.

Wo für politische Aktivität Zeit übrig war, fand diese meist im Rahmen dessen statt, was man für sagbar und unkommunistisch hielt. Abweichende Meinungen konnten während der McCarthy-Ära in den frühen Fünfzigerjahren schnell zum persönlichen Verhängnis werden. Auch Verstöße gegen die geltende Sexualmoral waren die große Ausnahme. Homosexualität war gesetzlich verboten, wer sich scheiden ließ, musste mit Verachtung rechnen, die Anti-Baby-Pille war noch nicht auf dem Markt, und Sex außerhalb einer stabilen Partnerschaft war damit vor allem für Frauen ein großes Wagnis. So war für eine große Mehrheit des Mittelstandes der Alltag in den Fünfzigerjahren geprägt von den monotonen Rhythmen von Arbeit, Haushalt und Kinderversorgung. Die Rollen waren dabei innerhalb der allermeisten Familien streng traditionell verteilt: Er verdiente Geld mit seinem Job und machte möglicherweise Karriere, sie arbeitete unbezahlt und unentwegt im Haushalt. Er traf die Entscheidungen und verwaltete das Geld, sie folgte gehorsam.

Auch wenn noch keine Kinder da waren, spielte sich das Leben der Mittelklassefamilien zunehmend im Wohnzimmer ab. Hatten 1950 erst ca. 10 Prozent der US-Haushalte einen Fernseher, waren es 1955 bereits 64,5 Prozent und 1960 schon 86 Prozent. Hunderte von Kinos mussten in der Folge schließen, und Hollywood schraubte die Produktion in den Traumfabriken zwischen 1949 und 1962 um 62 Prozent zurück. Von den knapp 31 Millionen Haushalten mit Fernseher schalteten 1956 jeden Mittwochabend 19 Millionen den Sender NBC ein. Dort lief Father Knows Best, eine Comedy-Serie, die durch ihren Titel eigentlich schon hinreichend charakterisiert ist: Fast zwei Drittel der US-amerikanischen Familien verfolgten hier wöchentlich, wie eine idyllische Mittelstandsfamilie mit drei Kindern unter ständigem Publikumsgelächter ihre äußerst harmlosen Probleme löste.

Ein Blick in diese schwarz-weiße Fernsehwelt mit dem liebevollen und doch paternalistischen Vater, der sorgenden perfekten Hausfrau und Mutter und den braven Kindern, die gern alles richtig machen wollen, füllt die Sozialstatistiken mit Leben. Er zeigt: Die wichtigsten Ideale eines American Way of Life waren in den Fünfzigerjahren nicht Aufbruch und Freiheit, sondern Sicherheit, Wohlstand und Stabilität – besonders für die Alterskohorte, deren Jugend durch die Wirtschaftskrise geprägt war und die im jungen Erwachsenenalter den Zweiten Weltkrieg erlebt hatte. Der Sehnsuchtsort dieser Generation war im Zeitalter der nuklearen Bedrohung die nuclear family, die Kernfamilie, in der Frieden und materielle Sicherheit den Alltag bestimmten.

Von familiärer Idylle und dem Streben nach Stabilität in Suburbia erzählt auch der erfolgreiche Bestseller Der Mann im grauen Flanell von Sloan Wilson, der 1955 zeitgleich mit den ersten Fernsehfolgen von Father Knows Best erschien. Der Ich-Erzähler im Flanellanzug beschreibt darin jedoch vor allem die gefühlte Enge und die Machtlosigkeit, die er in dieser Welt empfindet. Er erzählt von seinem Rennen im Hamsterrad des Angestellten, von den Sorgen um seine Frau und die drei Kinder und von seiner ängstlichen Sehnsucht nach einem größeren Haus, mehr Wohlstand und einem Ende der ökonomischen Abhängigkeit. Die dominierenden Gefühle seiner Erzählung sind nicht Gemütlichkeit und Zuversicht, sondern Angst, Enttäuschung und Klaustrophobie. Der Roman ist Ausdruck der unangenehmeren Seiten der idyllischen Vorstadtgesellschaft. Dass er so begeistert in großer Zahl gelesen wurde, lässt vermuten, dass Konformitätsdruck, Unzufriedenheit trotz materieller Sicherheit und nicht zuletzt Langeweile nicht nur die Romanfiguren quälten, sondern wohl auch einige der Leser*innen. Sie waren Produkte einer gesellschaftlichen Norm, die zugunsten einer gemeinsamen Festlegung auf bestimmte breit akzeptierte Lebensentwürfe die Handlungsspielräume jedes und besonders jeder Einzelnen stark begrenzte.

Vermutlich waren es diese Gefühle des Eingesperrtseins und der gleichzeitigen Überforderung durch die Anforderungen in Job und Haushalt, die in den Fünfzigerjahren immer mehr Menschen in den Vorstädten ihre Badezimmerschränkchen mit Schlaftabletten und Aufputschmitteln füllen ließen. Der Griff zur chemischen Unterstützung lag nahe, wurde doch in Popkultur und Werbung fortwährend suggeriert, Konsum sei die Lösung aller Probleme. So gewöhnten sich überarbeitete Väter und ausgelaugte, gelangweilte Mütter und Hausfrauen scharenweise an, morgens neben ihrer Tasse Kaffee auch Amphetamine zu schlucken, um wach und leistungsfähig zu werden. Die Speed-Pillen fielen nicht unter den Harrison Act und waren daher rezeptfrei im drug store erhältlich. Um nach einem langen Tag wieder runterzukommen und einschlafen zu können, warfen viele dann abends ein ebenfalls rezeptfreies Schlafmittel hinterher. Sie gerieten so in eine mehrfache Medikamentenabhängigkeit, die jedoch ihre Leistungsfähigkeit nur dann einschränkte, wenn eine versehentliche oder depressionsbedingte Überdosis der Schlafmittel zum Tode führte. So dauerte es verhältnismäßig lange, nämlich bis in die späten Sechziger hinein, bis dieser gewohnheitsmäßige und massenhafte Drogenkonsum auffiel und als solcher problematisiert wurde.

Bis dahin half der Drogenkonsum der Vorstadtbevölkerung dabei, ihre Anpassungsleistungen auszuhalten und nebenbei den Nachkriegsboom zu erarbeiten. Denn wie die Sozialstatistiken zeigen, waren die strengen Verhaltensnormen der Fünfzigerjahre keineswegs leere Forderungen. Für eine große Mehrheit der Gesellschaft lieferten sie Orientierung und prägten den Alltag. Zwischen den Polen der gemütlichen Idylle des allwissenden Fernsehvaters und der klaustrophobischen Beklemmung des Mannes im grauen Flanell entstand der Druck, der die einen in den Kreislauf aus Amphetaminen und Barbituraten führte und die anderen zum Ausbrechen animierte: Hier lag der Nährboden für die Revolten der Sechzigerjahre. Denn nicht alle waren bereit, sich den Konformitätsansprüchen der Vorstadtgesellschaft zu beugen.

Beat: Rauschhafte Rebellion der Poeten

In einer Zeit, in der die Mehrheit der weißen amerikanischen Gesellschaft an ihren Vater-Mutter-Kind-Träumen strickte, verweigerten ein paar literarische Rebell*innen in New York City den Gehorsam. Kennengelernt hatten sich die drei bekanntesten unter ihnen, nämlich Allen Ginsberg, Jack Kerouac und William S. Burroughs, 1943 an der Columbia University. Ein Leben zwischen Job und Familie in Suburbia war für sie keine Option, stattdessen lebten sie gemeinsam mit einigen anderen jungen Künstler*innen wild und selbstzerstörerisch, immer auf der Suche nach überschreitbaren Grenzen, nach unverbrauchten künstlerischen Ausdrucksweisen und sensationellen neuen Empfindungen. Kerouac bezeichnete sich selbst und seine Freunde später als verrückte, erleuchtete Hipster, die plötzlich aufstanden und über Amerika herfielen, ernsthaft, neugierig, überallhin trampend, zerlumpt, glückselig (»beatific«) und schön auf eine hässliche, anmutige Weise.[18] Die Gruppe, die sich weniger über einen gemeinsamen literarischen als über einen gemeinsamen Lebensstil definierte, bezeichnete sich selbst als Beat Generation. Sie richtete sich explizit gegen den grauen Mainstream, der ihr mit seiner Konformität, seiner Stabilität und seiner Ausrichtung auf Materialismus und Konsum sinnentleert vorkam. Für die Männer in den grauen Flanellanzügen hatten die Beats vor allem Verachtung übrig.

Auf der Suche nach neuen Lebensentwürfen revolutionierte diese kleine Gruppe junger Leute in Zusammenarbeit mit ein paar weiteren befreundeten Schriftsteller*innen die Literatur. Ginsbergs Gedicht »Howl«, Kerouacs wilder Highwayroman On the Road, Burroughs’ surreale, pornografische Romancollage Naked Lunch und ähnliche Werke wirkten auf das Publikum so verstörend wie faszinierend und zogen immer wieder Verbotsverfahren nach sich, die das Interesse an ihnen nur noch weiter steigerten. Die Beatniks ließen sich inspirieren von Rhythmen und Improvisationstechniken aus Jazz und Bebop und testeten neue literarische Ausdrucksformen jenseits der geltenden Konventionen aus. So experimentierte Kerouac mit improvisierter Literatur, schrieb in einem kaum unterbrochenen Fluss alles auf, was ihm in den Sinn kam, und nannte das Ergebnis spontane Prosa. Seinen Roman On the Road tippte er mithilfe von Amphetaminen an 20 Tagen auf eine über 35 Meter lange Papierrolle, die dafür sorgte, dass er seinen chemisch unterstützten Schreibflow nicht für das Einspannen neuer Papierbögen in die Schreibmaschine unterbrechen musste. Ginsberg las seine Gedichte öffentlich und machte Lyrik zu einer Kunst der Performance, sie sollte nicht auf dem Papier stattfinden, sondern im flüchtigen Moment, nicht als Schrift, sondern als Klang, als Ausdruck, als Erlebnis. Als Burroughs 1959 von seinem Verlag gedrängt wurde, nun endlich seinen neuen Roman einzureichen, öffnete er der Legende nach einen großen Koffer voller loser, unsortierter Manuskriptfetzen und montierte sie aneinander – überwiegend in der Reihenfolge, in der er sie aus dem Koffer zog. Das Ergebnis hieß Naked Lunch, die literarische Methode entwickelte er später gemeinsam mit Brion Gysin weiter und nannte sie Cut-up.

Eine zentrale Bedeutung kam in diesem rebellischen und trotzigen Aufbruch den Drogen zu. Auf der Suche nach Rausch und Entgrenzung konsumierten die Beats eine wild wechselnde Mischung von Alkohol, Benzedrin (ein Amphetamin aus der Apotheke), Marihuana, Haschisch, Peyote (ein meskalinhaltiger, psychoaktiver Kaktus aus der mexikanischen Wüste), Ayahuasca (eine psychedelische Liane aus dem Amazonasdschungel), Morphium, Heroin und allen möglichen anderen Stoffen.

Rausch und Drogenexperimente waren für die Beat Generation eine Methode, neue Ausdrucksweisen zu erfinden, aber auch ein Feld, auf dem sie ihre literarischen Stoffe entwickelten, und ein Erfahrungsraum, in dem sie Sinn, Erfüllung, Erleuchtung, Transzendenz und all die Qualitäten zu finden hofften, die sie im gewöhnlichen amerikanischen Alltag vermissten. Als »Kosmonauten des inneren Raums« waren sie Suchende, die in Grenzbereiche des Bewusstseins vordrangen.[19] Die Idee, dass Drogen vielleicht doch nicht nur fehlerhafte Wahrnehmungen produzierten, sondern dass die im Rausch erlebten Welten und Erfahrungen einen eigenen Wirklichkeitsstatus haben könnten und dass das Erleben dieser alternativen Wirklichkeiten für den oder die Berauschte*n wertvoll sein könnte, war nicht ganz neu, aber seit der Romantik doch sehr stark in den Hintergrund geraten. Die Beat Generation belebte diese Denkrichtung neu und stürzte sich in den Rausch, der so zum ästhetischen Experimentierfeld wurde.

Von Anfang an sollten ihre Drogenexperimente die Beats jedoch nicht nur zu etwas hinführen, nämlich in neue, unbekannte Erlebnisräume und kreative Sphären, sondern auch immer von etwas weg: Sie waren der Versuch, sich von den Konformitätszwängen zu befreien, die ansozialisierten Pflicht- und Schamgefühle hinter sich zu lassen und damit alle zu provozieren, die sich den geltenden Normen verpflichtet fühlten. Provokation, Protest und Revolte waren immer Teil der trotzigen Pose, mit der die Beat Generation sich dem Mainstream entgegenstellte.

Die Folgen dieses exzessiven Lebensstils waren zum Teil verheerend. Substanzabhängigkeiten und Krankheit, Kontrollverlust, Depression, körperlicher Verfall und ökonomischer Ruin prägten in unterschiedlichen Graden das Leben der Beat-Literaten – wobei der Effekt der Drogen letztlich schwer von den Effekten anderer Gewohnheiten und den Folgen von allerlei persönlichen Traumata zu unterscheiden ist.

Besonders hart traf es William S. Burroughs, der am 6. September 1951 im Alkoholrausch seine Frau Joan aufforderte, für ein Wilhelm-Tell-Spiel ein Glas auf ihren Kopf zu stellen. Er nahm seine Pistole, zielte – und schoss Joan versehentlich in den Kopf, was sie nicht überlebte. Von diesem Abend sollte sich Burroughs nie mehr ganz erholen. Das Leid, das der berauschte Lebensstil der Beat Generation bereitete, lasteten sie jedoch nicht den Drogen an, die sie in ihrer Kunst immer wieder positiv beschrieben, als integralen Bestandteil eines leichten, schnellen, euphorischen Lebens voller mystischer Bedeutung.

Sehr konkret wurde Burroughs in der Beschreibung seiner persönlichen Drogenwelt, als er 1953 unter dem Titel Junky. Confessions of an Unredeemed Drug Addict ein zeitgenössisches Pendent zu De Quinceys Opiumbeichten veröffentlichte – wobei der Titel nicht von ihm selbst stammte, sondern von seinem Verlag Abe Books. In dem weitgehend autobiografischen Roman beschreibt er die Entwicklung seiner Morphium- und Heroinabhängigkeit sowie das Milieu, in dem sie stattfand: die New Yorker Unterwelt mit allerhand zwielichtigen Gestalten, Dealern, Prostituierten, Schnorrern, Gangstern und Junkies, die in der U-Bahn Betrunkene ausrauben und auf der Suche nach dem nächsten Schuss durch die Straßen irren.

Anders als De Quincey warnte Burroughs kaum vor den Gefahren der Opiate. Vielmehr beschrieb er die Warnungen der Ärzte und Behörden als Propaganda und erklärte, dass Heroin erst nach mehreren Hundert Injektionen abhängig mache und nicht schon beim ersten Konsum. Vorsichtshalber merkte der Verlag an solchen Stellen in Fußnoten an, dass die anerkannte Lehrmeinung den Aussagen von Burroughs widerspreche. (Diese alte Lehrmeinung hält sich bis heute als verbreitetes Vorurteil, obwohl die psychopharmakologische Forschung inzwischen gezeigt hat, dass nur zwischen 10 und 30 Prozent der Heroinkonsument*innen überhaupt eine Abhängigkeit entwickeln.[20])

Dass die Beat-Poeten ihren Drogenvorlieben nicht im Verborgenen nachgingen, sondern sie in ihrer Literatur beschrieben, bescherte dem Thema zunächst vor allem Aufmerksamkeit. Burroughs’ Junky verkaufte sich über 100 000 Mal, »Howl« wurde zum bekanntesten Gedicht der Beat Generation, ja zum »Urtext der Gegenkulturen«, wie der Kulturwissenschaftler Diedrich Diederichsen später urteilen sollte,[21] und Naked Lunch, das von expliziten wie impliziten Verweisen auf Drogenerfahrungen ebenso wimmelt wie von sehr anschaulichen Darstellungen von (Homo-)Sexualität, erzeugte große Aufmerksamkeit, als 1959 das Postamt die Auslieferung von Zeitschriften mit Auszügen aus dem Roman wegen »obszöner« Inhalte verweigerte und die Stadt Boston den Roman 1962 auf den Index setzte.

Diese literarischen Erfolge und die damit verbundenen Skandale der Beat-Literatur bedeuteten zwar nicht, dass nun plötzlich die gesamte US-amerikanische Gesellschaft von einem rauschhaften Leben auf den Straßen der Großstädte träumte oder dass die jungen Paare in Suburbia plötzlich ihre Häuser und Fernsehgeräte wieder verkauft hätten. Die Wirkung der Beats war subtiler. Durch den provokanten, halböffentlichen und literarisch reflektierten Drogenkonsum dieser urbanen Rebellen begannen sich neue Assoziationen mit der allgemeinen Vorstellung von Drogen zu verknüpfen.

Durch den provokativen Umgang der Beats mit Drogen wurden Drogen hip. Dabei war es Teil des Konzeptes, hipness nicht zu definieren. In seinem Slangglossar im Anhang zu Junky erklärte Burroughs: hip sei eben jemand, der Bescheid wisse und dem man nicht zu erklären brauche, was hip bedeute. (»The expression is not subject to definition because, if you don’t ›dig‹ what it means, no one can ever tell you.«[22]) Wer nicht wusste, was hip bedeutet, war dieser Logik zufolge ein Spießer, dem die Welt der Hipster verschlossen blieb. Damit hatten die Beats den Spieß umgedreht und ihr eigenes Out-Sein, ihr eigenes Außen-vor-Bleiben zum neuen In erklärt.

Eines der wenigen eindeutigen Signale, mit dem jemand in diesem System beweisen konnte, dass er oder sie hip war, war der Konsum von Drogen. Beides, also das Konzept des hippen Außenseiters und dessen Distinktion über Drogenkonsum, war keine Erfindung der Beats, sondern eine Aneignung aus einer anderen Untergrundkultur: der afroamerikanischen Jazzszene der Dreißiger- und Vierzigerjahre.

Es waren Legenden wie Charlie Parker und Bilie Holliday, die in dieser Zeit in New York das mit der Musik taten, was die Beats in den Fünfzigerjahren mit der Literatur versuchen würden: Sie brachen die Konventionen, experimentierten und entwickelten radikal Neues. Auch sie waren Außenseiter*innen: Die Segregationsgesetze beraubten sie vieler Freiheiten und Möglichkeiten und bedrohten oder beschädigten damit permanent ihre Würde und ihr Selbstwertgefühl. Anstatt sich dem zu ergeben, schufen sie ein eigenes Referenzsystem, in dem oben und unten, innen und außen vertauscht wurden und sich die Musiker*innen per Proklamation in einem Akt der trotzigen Selbstermächtigung eigenständig für wertvoll erklärten, wenn das die Gesellschaft um sie herum nicht tun wollte.

Um diesen Umbau der geltenden Bewertungssysteme nach außen wie nach innen zu markieren, benutzten manche dieser Jazzmusiker*innen Heroin. Es eignete sich zu diesem Zweck ihrer Ansicht nach hervorragend, denn erstens wurde es von der Mehrheit abgelehnt, zweitens aber verschaffte es den Konsument*innen einen intensiven Rausch, den sie als eine Art geheimes Wissen zu deuten begannen: Durch ihren Grenzübertritt hatten sie etwas erlebt, das denen da draußen, denen da oben unbekannt war. Charlie Parker formulierte, Heroin sei eine Art Erkennungszeichen geworden, eine Marke (»badge«). »Es bedeutete: ›Wir wissen Bescheid. Du nicht.‹ Es war das, was uns Mitgliedschaft in einem einzigartigen Club sicherte, und für diese Mitgliedschaft gaben wir alles andere auf der Welt auf. Jeden Ehrgeiz. Jeden Wunsch. Alles. Die meisten Leute hat das ruiniert.«[23]

Es war dieser Trotz, den sich die Beat-Poeten abschauten. Obwohl sie weiß waren, hatten auch sie kaum Chancen, sich ohne Verleugnung ihrer Identität in die Gesellschaft zu integrieren – mit dem feinen Unterschied, dass ihnen die äußerst schmerzhafte Wahl blieb, sich anzupassen, wie es andere queere Zeitgenoss*innen gleichzeitig millionenfach taten. Diese Option blieb ihren Vorgänger*innen in den Jazzkellern aufgrund des Rassismus verwehrt, denn dieser Rassismus richtete sich gegen äußere Merkmale, die sich nicht unterdrücken oder verstecken ließen. Dass die Beats diese Anpassung verweigerten, dass sie also ihre Homosexualität, ihren Hedonismus und ihren Freiheitsdrang auslebten, obwohl sie damit freiwillig ihren Status gefährdeten, war gerade das Irritierende und Provokante an ihnen. Für all die queeren Menschen, für die es damals diese Bezeichnung noch nicht gab und die ihr Anderssein tagtäglich versteckten, um in Ehe, Beruf und Familie ihre Aufgaben zu erfüllen, war diese Selbstbefreiung der Beat-Rebellen vermutlich gleichzeitig inspirierend und besonders schmerzhaft.

Ende der 1950er-Jahre waren Drogen mithilfe der Konsumkulturen von ein paar Jazzmusiker*innen und Literat*innen zu einer trotzigen Geste geworden – und zu einem Instrument der kreativen Sinnsuche. Die Beats stellten sich mit ihrer drogenunterstützten Suche nach Transzendenz gegen den Konformitätsdruck und explizit auch gegen die materialistischen Antworten auf die Sinnfrage, die in den Vorstädten vorherrschten – also gegen die Vorstellung, Glück könne man kaufen. Sie legten damit eine wichtige Grundlage für den protestorientierten Drogenkonsum, der in den 1960er-Jahren zu einem Massenphänomen werden sollte. Der trotzige Drogenkonsum der Beats ist dabei nicht denkbar ohne die konformen Kulissen von Suburbia, vor deren Hintergrund er für die urbanen Rebellen seinen Sinn entfaltete.

Dabei passte ironischerweise der hedonistische Drogenkonsum der Beats hervorragend zu der Konsumgesellschaft, die sie umgab: Die Vorstellung, etwas zu kaufen und zu sich zu nehmen, das aus der grauen Realität hinausführen, die eigenen Fähigkeiten verbessern und ein neues Leben hervorbringen würde, hatte auch etwas zutiefst Kapitalistisches an sich. Vielleicht sollte sich dieser Aspekt der Beat-Kultur später deswegen als so anschlussfähig erweisen.