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Am nächsten Morgen wurde die Bühne der Sporthalle von einem leichten Beben erschüttert, als die Schüler zur Vollversammlung hereindrängten. Ich versuchte, ein paar Gesichter auszumachen, sah jedoch nur verschwommene Umrisse mit Sommersprossen. Ich bemühte mich, nicht herumzuzappeln, sondern eine inexistente innere Ruhe auszustrahlen. Ich schlug die Beine übereinander, doch als mein Rock dabei hochrutschte, stellte ich sie schnell wieder zurück. So unauffällig wie möglich zog ich den Stoff hinunter. Als ich den Rock anprobiert hatte, war er mir nicht so kurz vorgekommen. Andererseits war es Sheila gewesen, die mich überredet hatte, ihn zu kaufen, und die war nicht gerade eine Expertin für züchtige Kleidungsstücke.

Judy Doyle, die stellvertretende Rektorin, saß zu meiner Rechten; sie trug eine Hose und eine Bluse mit riesigen Schulterpolstern. Ich hatte sie vor der Versammlung kurz kennengelernt. Sie war selbstsicher und zurückhaltend, im Gegensatz zu der gewissen Offenherzigkeit, die ich auszustrahlen schien. Ein Blick zu meiner Linken bestätigte meine Befürchtungen. Eine Nonne beäugte, die Lippen verächtlich zusammengepresst, meine Oberschenkel. Das Verhältnis von Rock und nackter Haut schien ihr ganz klar zu missfallen. Wie stellte es sich ungefähr dar? Zwei Drittel Schenkel zu einem Drittel Rock? Verhältnisrechnung war noch nie meine Stärke gewesen.

Patrick begab sich zum Mikrofon – er hatte den gestrigen Freizeitlook gegen Anzug und Krawatte ausgetauscht. Die Schüler sollten sich doch bitte setzen, sagte er; schnell folgten sie der Aufforderung und hockten sich im Schneidersitz in ordentlichen Reihen hin. Ein paar ältere Jungen fläzten sich weiter hinten auf den Boden, aber als Patrick rief: »Ein bisschen mehr Haltung, Jungs, wenn ich bitten darf«, richteten sie sich auf. Dann hieß Patrick alle willkommen, insbesondere die Siebtklässler, die Neulinge an der Highschool. Er war der geborene Redner, selbstbewusst und witzig.

»Es gibt ein paar kleine Personalveränderungen im Kollegium«, sagte er. »Mr Bishop kennt ihr ja alle. Er wird unsere Sportmannschaft in null Komma nichts auf Hochform trimmen.«

Ich war verwirrt. Doug hatte gesagt, er sei neu, genau wie ich. Aber Patrick machte bereits weiter. Er fing meinen Blick auf, ehe er sich wieder an die Schüler wandte. »Und dieses Jahr haben wir zum ersten Mal eine Kollegin vom Festland. Jaja … Miss O’Brine kommt von weit her«, sagte Patrick. »In Toronto wächst man nicht gerade in die Höhe, was?«

Meine Wangen fingen an zu glühen, woraufhin er hinzufügte: »Sie ist erst gestern hier angekommen, also weiß ich noch nicht allzu viel über unsere junge Kollegin, nur dass sie leicht rot wird.«

Woraufhin mir erst recht das Blut in die Wangen schoss. Judy drehte sich zu mir und rollte mit den Augen. Die Nonne umklammerte den Rosenkranz, der an ihrem Gürtel befestigt war; mein erster Tag hier, und schon betete sie für mich.

Patrick erwähnte nebenbei, dass ich beide Hauptfächer, Französisch und Pädagogik, als auch mein Referendariat mit Auszeichnung abgeschlossen hätte, sprach dann kurz das eine Jahr an, das ich in Québec verbracht hatte, und schließlich die begeisterten Empfehlungsschreiben meiner Universität. Ich ließ den Blick über die Schülerinnen und Schüler schweifen. Fragten sie sich, wie ich in Little Cove gelandet war, wo ich doch so viel mehr draufhatte? Oder ging es nur mir so?

Nachdem er der Reihe nach das restliche Kollegium vorgestellt und zum Ende gekommen war, verließen wir Lehrer vor den Schülern die Halle. Judy berührte mich im Vorbeigehen am Arm. »In der Mittagspause plaudern wir ein bisschen«, sagte sie. »Viel Glück, Rachel.«

Ich wusste, dass ich das bestimmt gut gebrauchen könnte. Meine allererste Unterrichtsstunde war Französisch in der neunten Klasse, genau die, vor der Patrick mich gewarnt hatte. Es gab nur zehn Schüler in dieser Klasse, aber dem Lärm nach zu urteilen, den sie auf dem Weg zum Klassenzimmer veranstalteten, hätten es auch hundert sein können. Mit einem tapferen Lächeln stand ich an der Tafel, während sie hereinkamen, sich setzten und einfach weiterredeten.

Das Klassenbuch in meiner Hand zitterte. Vergeblich versuchte ich, Blickkontakt mit jemandem herzustellen.

»Peter Cahill«, sagte ich.

Niemand antwortete.

»Peter Ca…« Ich unterbrach mich. Niemand passte auf. Die meisten saßen grüppchenweise zusammen, flüsterten, ein paar blickten verstohlen über die Schulter zu mir. Von Sekunde zu Sekunde stieg der Lärmpegel analog zu meinem sich beschleunigenden Herzschlag.

Ich beschloss, es nochmal zu versuchen. »Peter!«, rief ich. Im selben Moment schoss von links ein Papierflieger heran und landete auf dem Klassenbuch.

»Wer war das?«, fragte ich und wünschte sofort, ich hätte es nicht getan. Natürlich übernahm niemand die Verantwortung. Ich warf den Flieger in den Papierkorb, ging zur Tür und machte sie zu.

»Ruhe bitte!«, rief ich laut, dann: »Silence, s’il vous plaît.« Meine Ermahnung entsprach der kanadischen Richtlinie für die Einhaltung der Zweisprachigkeit, doch die Reaktion meiner Schüler schien widerzuspiegeln, was viele Kanadier von dieser Richtlinie hielten: gar nichts.

Schließlich stieg ich auf meinen Stuhl. »Hey!«, schrie ich und pfiff dabei nicht nur auf die Zweisprachigkeit, sondern wahrscheinlich auch auf den letzten Rest meiner Selbstkontrolle. »Haltet endlich die Klappe, und zwar sofort! Oder ihr sitzt alle nach!«

War ich überhaupt dazu berechtigt, sie zum Nachsitzen zu verdonnern? Und hatte ich tatsächlich in meiner allerersten Unterrichtsstunde »Haltet die Klappe« zu meinen Schülern gesagt? Sheilas Prophezeiung hatte sich erfüllt: Ich war die fiese neue Lehrerin. Aber es funktionierte. Sie setzten sich alle ordentlich hin, drehten sich zu mir um und öffneten Mäppchen und Hefte. »Lächeln Sie nicht vor Weihnachten«, pflegte einer meiner Pädagogikprofessoren zu sagen. Das würde mir angesichts dieser Klasse auch gar nicht schwerfallen.

»Peter Cahill.«

»Hier, Miss.« Ein magerer Junge mit Zahnlücken.

»Trudy Johnson.«

»Jo.« Die Mundwinkel bogen sich nach oben, als wollten sie die Aknenarben auf ihren Wangen erreichen. Sie hatte einen Schal um ihr Haar geschlungen, trug Leggings aus Spitze und unzählige Armreifen um die Handgelenke, ganz offensichtlich eine Huldigung an Madonna. Kurz fragte ich mich, wo sie in dieser Gegend solche Klamotten herbekommen hatte.

»Calvin Piercey.«

Niemand antwortete, aber ein großer Junge reckte die Hand in die Luft, den Mittelfinger ausgestreckt. Schockiert schaute ich zur Seite. Als ich wieder hinsah, war die Hand wieder nach unten gewandert, genau wie er – er fläzte sich so tief auf seinen Stuhl, dass er sich praktisch in der Horizontalen befand.

»Würdest du dich bitte aufsetzen!«

Er murmelte etwas Unverständliches, woraufhin ein paar Schüler kicherten. Hatte er mich gerade beleidigt? Aber wie sollte ich das herausfinden – bei seinem Akzent? Ich ließ es dabei bewenden. Wenn ich Calvin helfen wollte, die neunte Klasse zu schaffen, würde ich ein paar pädagogische Prinzipien über Bord werfen müssen.

»Miss«, sagte der Junge hinter ihm. »Darf ich Sie fragen, wie man etwas auf Französisch sagt?«

»Oui!«, rief ich aus.

Meine erste Gelegenheit, Wissen zu vermitteln und zu zeigen, wie wichtig es war, eine Fremdsprache zu lernen! Wer sagte, dass die Neuntklässler schwierig waren?

»Wie heißt Robbe auf Französisch, Miss? Wie in Robbenjagd

Sofort hatte ich Bilder von lauter kleinen Robbenbabys im Kopf, die flehend in die Kamera blickten. In den Wochen, in denen ich mich auf meine Stelle in Neufundland vorbereitet hatte, war ich immer wieder mit dem Thema Robbenjagd konfrontiert worden. Einige meiner Freunde fanden sie barbarisch, andere verteidigten sie, weil es für die Neufundländer nun einmal ein wichtiger regionaler Wirtschaftszweig sei. Doch wie auch immer, ich kannte das französische Wort für Robbe nicht. Ich war in Französisch immer gut gewesen, weswegen ich mich auch zum Französischstudium entschlossen hatte, aber in all den Jahren war mir diese Vokabel nie begegnet.

Einen Moment lang wusste ich nicht weiter. Dann erinnerte ich mich, dass Dad gesagt hatte, man solle als Lehrer keine Angst davor haben, eine Wissenslücke zuzugeben. Niemand könne immer eine Antwort parat haben, auch das sei eine wichtige Lektion fürs Leben.

»Ehrlich gesagt bin ich mir nicht ganz sicher«, sagte ich. »Aber wir können es ganz einfach nachschlagen.« Ich nahm mein Collins-Robert French Dictionary zur Hand und blätterte darin, bis ich den betreffenden Eintrag fand: seal 1. n. phoque m.

In anderen Worten, ein männliches Nomen, das auf Englisch wie fuck ausgesprochen wurde.

Der kleine Mistkerl hatte das ganz offensichtlich gewusst, als er die Frage stellte, aber nicht mit mir. Etwas weiter oben auf der Seite entdeckte ich den Eintrag für Seelöwe und ergriff die Gelegenheit.

»Lion de mer«, sagte ich und schrieb es sicherheitshalber an die Tafel, während ich die höhnischen Einwände hinter mir ignorierte. »Das stimmt nicht, Miss«, riefen ein paar der Schüler.

Irgendwie gelang es mir, die restliche Stunde zu überstehen. Über ihr Geplapper hinweg stellte ich den Plan für das kommende Schuljahr vor und sagte ihnen, was ich von ihnen erwartete. Gleich im Anschluss hatte ich eine Stunde in der siebten und danach in der achten Klasse – und die machten es mir zum Glück nicht ganz so schwer.

Zur Mittagszeit war ich trotzdem geschafft und ausgehungert. Beim Frühstück hatte Lucille erwähnt, dass Patrick das Kollegium am ersten Schultag immer auf einen Mittagsimbiss aus dem Takeaway einlade. Und tatsächlich, aus dem Lehrerzimmer wehte mir der Geruch von Backfisch entgegen. Was hätte ich nicht für einen Burger gegeben!

Meine Kolleginnen und Kollegen saßen bereits um den Tisch herum, griffen nach den viereckigen Pappkartons und reichten Ketchup- und Essigbeutel herum. Doug deutete energisch auf den Stuhl neben sich und schob mir einen Karton hin. Musste ich mich neben ihn setzen?

»Richtig guter Schnellfraß, was?«, sagte er.

Ich legte den Kopf schief, ein wenig schockiert von Dougs Ausdrucksweise. Judy, die auf der anderen Seite des Tischs saß, sagte: »Sie werden sich schon noch an die vornehme Neufundland-Sprechweise gewöhnen.«

»Ach ja, das ist also der berühmte Newfoundland-Dialekt«, sagte ich.

»Es wird Newfundland ausgesprochen«, berichtigte mich Doug. »Wie ›understand‹. ›Understand Newfundland.‹«

Ich nickte, öffnete dann meinen Karton und stach mit einer Plastikgabel in den Fisch. Er war weich und zartblättrig und, wie ich sogleich entdeckte, der beste Fisch, den ich je gegessen hatte.

Judy beobachtete mich. »Schmeckt es?«

Da ich einen vollen Mund hatte, konnte ich nur mit einer zustimmenden Geste antworten.

»So gut, dass es Ihnen die Sprache verschlagen hat?« Als sie lächelte, blitzte ein Goldzahn auf.

Ich schluckte meinen Bissen hinunter und sagte: »Ich habe das Gefühl, im Fischhimmel gelandet zu sein.«

Von rechts hörte ich nur ein tsss. Es war die Nonne von der Vollversammlung. Ihr schwarzer Schleier rahmte ein strenges Gesicht mit einer eckigen Brille ein. Schon der zweite Rüffel von ihr an diesem Tag, dabei war es gerade einmal Mittag. Gut, dass meine provokanten Oberschenkel unter dem Tisch verborgen waren. Ich legte mein braves katholisches Schulmädchenlächeln auf und stellte mich ihr vor.

»Also, es ist ja offensichtlich, wer Sie sind«, sagte sie.

Ich hatte ausnahmslos schlechte Erfahrungen mit Nonnen gemacht, und diese reihte sich offenbar nahtlos ein. Warum schienen so viele Bräute Christi unglücklich in ihrer Ehe zu sein?

Judy griff über den Tisch nach einem Ketchupbeutel. »Schwester Mary Catherine ist Klassenlehrerin der Siebten und unterrichtet natürlich Religion in allen Klassen«, erklärte sie.

Die Tür des Lehrerzimmers ging auf, und Patrick kam, sich die Hände reibend, herein. »Ich bin so hungrig, dass ich glatt einen Schenkel vom Lamm Gottes verspeisen könnte.«

Mein Lachen erstarb, als ich von rechts wieder ein tss hörte.

»Ermuntern Sie ihn bloß nicht, Rachel«, sagte Judy. »Vor allem nicht zu Fisch-Wortspielen, da ist er nicht mehr zu bremsen.«

Dad war ebenfalls ein großer Wortspieler gewesen, und ich war mir sicher, dass ich alle Fisch-Wortspiele kannte.

»Normalerweise lasse ich mich ungern ködern«, sagte ich, »aber bei einem Wortspiel muss ich einfach anbeißen.«

Patrick langte nach einem Backfisch-Karton, hielt aber mitten in der Bewegung inne. »Sie haben den Rochen gebraten.«

»Meine liebe Scholle««, erwiderte ich.

Judy gab Patrick einen Klaps auf den Arm. »Pass auf, sie hat wahrscheinlich mehr lustige Fisch-Sprüche auf Lager als du, Pat.«

»Da kannst du Hecht haben«, sagte er.

»Apropos Hecht«, warf Doug ein, »du bist wohl schon wieder auf dem Sprung, oder was?«

»So isses.« Patrick schob eine braune Tüte zu Doug hin. »Der Fisch ist so frisch, der ist wohl zum Takeaway geschwommen, was?«

Ich hatte Doug immer wieder verstohlen von der Seite gemustert, und plötzlich fing er meinen Blick auf. Dann sagte er: »Eins würde mich interessieren, Rachel.«

Vielleicht lag es daran, dass die Nonne neben mir saß, jedenfalls hoffte ich inständig, er würde die Spiderman-Episode nicht erwähnen. Er tat es nicht. Stattdessen fragte er: »Was verschlägt eine Festlandbewohnerin wie dich in diese Gegend?«

Seine Frage war mitten in eine Gesprächspause hineingeplatzt; nun sahen mich alle erwartungsvoll an. Als wäre ihnen in diesem Moment aufgefallen, dass ich nicht so recht in die Runde passte. Ich nahm einen großen Schluck von meinem Getränk.

»Ach, ich liebe die Herausforderung: Aaler Anfang ist bekanntlich schwer.«

Ich machte mir die allgemeine Heiterkeit zunutze, stand auf und ging auf die Tür zu. Während ich den Pappteller in den Papierkorb warf, nahm ich mir vor, eine bessere Antwort parat zu haben, sollte wieder jemand diese Frage stellen. Dieser Job war meine einzige Option gewesen, aber das musste ich den Leuten ja nicht auf die Nase binden.

Auf dem Nachhauseweg von der Schule machte ich an der Tankstelle halt. Am Morgen hatte ich kurz mit dem Gedanken gespielt, zu Fuß zur Schule zu gehen, aber der Regen hatte mich umgestimmt. Nun war ich froh, meinen eigenen kleinen abgeschiedenen Raum in meinem Auto zu haben, sei es nur für ein paar Minuten.

Ich war hinter einem riesigen Pick-up hergefahren, der jetzt vor mir die Zapfsäule blockierte. Dessen Schmutzlappen hatten offenbar kapituliert. Ich war erst vor vierundzwanzig Stunden angekommen, aber schon war mein Auto von einer dicken Schmutzkruste überzogen, wie die meisten Fahrzeuge in Little Cove.

Durch das Fenster des Tankstellenhäuschens sah ich, wie sich der Fahrer des Pick-ups, ein untersetzter Mann in Jeansjacke und mit Baseball-Cap, über den Tresen beugte, sodass sein Gesicht nur wenige Zentimeter von dem der Kassiererin entfernt war. Als ich die Tür aufschob, kam das Bimmeln der Glocke über mir kaum gegen seine dröhnende Stimme an.

»Gestern Abend hat die Kasse nicht gestimmt«, sagte er. »Du schuldest mir drei Dollar.«

Die Frau hinter dem Tresen, die Hände in die Hüften gestemmt, wich vor ihm zurück. »Hat nix mit mir zu tun, Junge«, sagte sie. »Hab gestern gar nicht gearbeitet.«

Ich räusperte mich, woraufhin der Mann schnell den Kopf in meine Richtung drehte. »Was zum Teufel wollen Sie?«

»Benzin«, sagte ich. »Aber Ihr Pick-up blockiert die Tanksäule. Würden Sie ihn bitte wegfahren?«

»Was erlauben Sie sich, in diesem Ton mit mir zu reden?«

»Wie bitte?«

»Wie bitte?«, äffte er mich nach. »Miss Trägt-die-Nase-hoch, die von weit her kommt und uns die Jobs wegnimmt.«

»Oh, sind Sie etwa Französischlehrer?«, stieß ich hervor, bevor ich es mir anders überlegen konnte.

Die Frau hinter dem Tresen hielt sich die Hand vor den Mund, um ihr Grinsen zu verbergen.

Mindestens eine Minute lang starrte er mich an, dann wandte er sich wieder der Kassiererin zu. Schließlich rauschte er viel zu nah an mir vorbei und knurrte: »Kommt vom Festland hierher und hält sich für was Besseres.«

Er schlug die Tür so heftig zu, dass die Glöckchen aufgeregt bimmelten. »Puh«, sagte ich, »da hat aber jemand schlechte Laune.«

Draußen heulte ein Motor auf, dann sah ich, wie der Pick-up auf die Straße hinausbog und eine Staubwolke hinter sich herzog.

Die Frau zuckte die Schultern. »Das war Roy Sullivan, nur damit Sie den Namen schon mal gehört haben«, sagte sie. »Ein trotzigerer Kerl als der ist Ihnen bestimmt noch nie über den Weg gelaufen.«

Sie machte sich daran, Schokoriegel aus einem großen Karton in das Gestell vor der Kasse zu räumen. »Dann sind Sie also Miss O’Brine«, sagte sie. »Haben Sie meine Cynthia schon kennengelernt? Sie ist ganz begeistert von Französisch.«

Von den Schülerinnen und Schülern, die ich an diesem Tag unterrichtet hatte, schien das auf niemanden zuzutreffen, andererseits hatte ich einen Großteil des Unterrichts für Organisatorisches aufwenden müssen. Ich sagte ihr, ich würde meine Schüler noch nicht wirklich kennen, würde aber nächstes Mal nach Cynthia Ausschau halten.

»Pumpen Sie selbst?«, fragte sie.

Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was sie meinte. Ich bejahte, ging hinaus, steckte den Zapfhahn in die Tanköffnung und fragte mich dabei, ob auch Roy Sullivan schulpflichtige Kinder hatte. Dann bemerkte ich ein Stück Papier, das unter den Scheibenwischer geklemmt war und das im Wind flatterte. Ich zog es hervor. In großen schwarzen Lettern stand darauf: »Sie sind hier nicht willkommen. Gehen Sie wieder nach Hause.«

Ich ließ mich gegen den Wagen sinken. Hier war jetzt mein Zuhause. Jedenfalls für dieses eine Jahr. Und wer hatte mir diese Nachricht hinterlassen? Roy Sullivan war sofort weggefahren. Er hatte nicht die Zeit dafür gehabt. Außer mir war niemand im Tankstellenbereich zu sehen. In den dunklen Fenstern der Häuserreihe auf der anderen Straßenseite war ebenfalls niemand zu erkennen. Ich knüllte das Stück Papier zusammen, steckte es in die Jackentasche und ging in das Tankhäuschen, um zu bezahlen.