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Während der nächsten Tage schleppte ich mich durch meine Unterrichtsstunden. Jedes Mal, wenn jemand an die Tür klopfte oder eine Notiz auf meinem Schreibtisch lag, wurde mir schlecht. Das unerträgliche Warten endete, als Judy eines Tages ganz geschäftsmäßig in meinem Klassenzimmer erschien und mir mitteilte, Mr Donovan wolle mich sprechen und sie würde derweil meinen Unterricht übernehmen. Gut, dann war es das jetzt. Ich würde gefeuert werden.

Ich nahm meine Handtasche von der Rückenlehne meines Stuhls, für den Fall, dass man mich aufforderte, die Schule unverzüglich zu verlassen. Durch die offen stehenden Türen der anderen Klassenzimmer konnte ich sehen, dass meine Kollegen mit ihrem Unterricht fortfuhren, als ob nichts wäre. Doug saß auf der Kante seines Schreibtischs und redete. Als er innehielt, lachten die Schüler. Was er ihnen wohl erzählt hatte?, fragte ich mich. Im Klassenzimmer von Schwester Mary Catherine war es still. Die Schüler schrieben fleißig in ihre Hefte, während die Nonne lesend an ihrem Pult saß.

Ich klopfte an die Tür von Patricks Büro und steckte dann den Kopf hinein.

Eine Frau, vermutlich ein paar Jahre älter als ich, saß Patrick gegenüber. Sie hatte welliges blondes Haar und violette Augen. Ihre Haut war so blass, dass die Venen blau hindurchschimmerten.

»Oh, tut mir leid«, sagte ich, »dann komme ich etwas später wieder.«

»Nein, bleiben Sie da, Rachel«, erwiderte Patrick. Auf seinem bärtigen Gesicht zeichneten sich rote Flecken ab. »Darf ich Ihnen Brigid vorstellen, sie war vor Ihnen Französischlehrerin an unserer Schule.«

»Hallo«, sagte sie freundlich.

»Ich habe schon so viel von Ihnen gehört«, sagte ich. Und wir erröteten beide.

»So habe ich es nicht gemeint.«

Sie neigte leicht den Kopf zur Seite. »Ist schon gut.«

Dann sagte sie zu Patrick: »Okay, dann geh ich mal. Sie geben mir dann Bescheid, Patrick, nicht wahr?«

Patrick kam hinter seinem Schreibtisch hervor. »Ich begleite Sie hinaus, Brigid.« An der Tür sagte er über die Schulter: »Nehmen Sie doch schon mal Platz, Rachel, ich bin gleich wieder da.«

Eine Minute später sah ich beide durch das Fenster auf dem Parkplatz. Patrick begleitete Brigid zu ihrem Wagen. Er beugte sich zu ihr hinein und redete noch ein paar Minuten mit ihr. Als sie weggefahren war, blieb er noch kurz stehen und blickte in den Himmel hinauf, ehe er langsam zum Eingang zurückging.

»Heiliger Strohsack«, sagte er und ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen. »Tut mir leid. Taucht einfach hier auf und fragt, ob sie ihre alte Stelle zurückhaben kann. Meinte, sie hat gehört, Sie hätten nur einen Einjahresvertrag.«

»Und worüber wollten Sie mit mir sprechen?«

Patrick griff nach dem großen Schlüsselbund, der auf dem Schreibtisch lag, und wog ihn in der Hand. »Ich weiß nicht genau. Ich hatte gehofft, mit irgendeinem Plan aufwarten zu können, aber jetzt ist Brigid dazwischengeplatzt und hat alles noch verkompliziert. Ich habe ihr gesagt, ich müsste erst abwarten, was Ihre Absichten sind, da Sie die gegenwärtige Stelleninhaberin seien.«

»Aber was ist mit Father Frank?«, fragte ich, während ein Hoffnungsschimmer in mir aufkeimte.

»Das weiß ich auch nicht. Ich muss mit ihm sprechen, auch über die veränderte Situation. Ich glaube nicht, dass er Brigid zurückhaben will, aber ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte. Ich konnte ihr ja nicht sagen, ich warte auf die Entscheidung, ob Sie nun entlassen werden oder nicht.«

Ich rieb mir die Augen. »Also wollen Sie weiter abwarten?« Er nickte.

Eine Weile saßen wir in vollkommenem Schweigen da, während im durchs Fenster hereinströmenden Sonnenlicht Staubpartikel tanzten. In der Mittagspause waren zwanzig Schüler beim Französischtreff erschienen, ein paar davon zum ersten Mal. Am Schwarzen Brett hinter Patrick hing die Plakatskizze für das Sommerfest. Die drei Bandmitglieder aus meiner Klasse hatten zwar noch nicht endgültig zugesagt, dass sie spielen würden, aber ich glaubte, sie fast so weit zu haben. Vor ein paar Wochen hatte ich nochmal mit ihnen im Pub in Mardy musiziert. Und was würde aus Calvin werden? Wie würde es ihm auf der Berufsschule ergehen, wo er im September beginnen würde? Würde Cynthia wieder in die Spur kommen? All diese Menschen, die ich vor einem Jahr noch nicht gekannt hatte, bedeuteten mir inzwischen so viel. Gerade als meine Gedanken zu Doug weiterwanderten, ertönte der Pausengong so laut in Patricks Büro, dass ich erschrak.

»Patrick«, sagte ich. »Ich weiß, ich habe Mist gebaut, aber ich würde sehr gern bleiben.«

Er wirkte niedergeschlagen. »Das liegt nun nicht mehr in meiner Hand, Rachel.«

Ich nickte und ging dann hinaus.

Am Abend rief mich Patrick zu Hause an. »Father Frank möchte nicht, dass Sie nächstes Jahr weiter an unserer Schule unterrichten. Mir sind leider die Hände gebunden. Sie können Ihre Stelle bis zum Ende dieses Schuljahrs behalten. Das war alles, was ich für Sie aushandeln konnte – dass man, statt Ihnen zu kündigen, lediglich Ihren Vertrag nicht verlängert. Mehr habe ich nicht erreicht.«

»Danke«, sagte ich. »Dann zieht der Verwaltungsrat wirklich Brigid mir gegenüber vor?«

»Das ist noch nicht entschieden. Ich möchte Sie bitten, niemandem etwas von unserem Gespräch zu erzählen, okay?«

Nachdem ich aufgelegt hatte, warf ich mich auf eines der Sofas und fragte mich, ob es sein konnte, dass meine angeblichen Sünden mehr wogen als die Tatsache, dass meine Vorgängerin mit einem Priester durchgebrannt war.