Der Morgen war klar und strahlend. Die Sonne warf ein bernsteinfarbenes Licht durch die Vorhänge. Ich machte Kaffee, den wir auf der Veranda tranken. Es war noch nicht mal halb sieben. Ich ging duschen. Nach dem Ankleiden kam ich in die Küche, wo Danbury wie gebannt die braune Kiste auf meinem Tisch anstarrte.
»Carson, ist das ...«
»Ja«, sagte ich. »Die letzte Maske von Trey Forrier.«
Sie zögerte einen Moment lang. »Kann ich sie sehen?«
Ich nahm die Maske heraus und hielt sie hoch. Sonnenlicht reflektierte von den Glaszähnen, spiegelte sich in der schwarzen Oberfläche. Vorsichtig nahm sie sie in die Hand, betrachtete sie aus einem gewissen Abstand, spürte ihre dunkle Macht.
»Würde sich wahrscheinlich gut in deinem Filmbeitrag über Serienmörder und Sammler machen«, sagte ich. »Eine Art Visitenkarte.«
Sie erschauderte und gab mir die Maske zurück. »Scheiß auf die Story. Wirf das verdammte Ding weg oder – besser noch – verbrenn es.«
Ich legte die Maske weg, drückte Danbury an mich, lauschte auf das leise Rauschen der Brandung. Ich war nicht der Ansicht, dass Feuer der richtige Weg war, sich der Maske zu entledigen. Vielmehr schien sie ein Kind des Feuers zu sein, ihr Rauch durchaus in der Lage, die Luft zu verpesten.
»Im Feuer geboren, im Wasser gestorben«, beschloss ich und richtete den Blick auf die Sonne, die dicht über dem Horizont stand. »Finden Hinrichtungen nicht traditionell bei Sonnenaufgang statt?«
Ein letztes Mal betrachtete ich dieses schreckliche Werk und fragte mich, welches Grauen Forriers Verstand ersonnen hatte, während er diese Maske schuf. War er, während er Streifen auf Streifen legte, einem Muster gefolgt, hatte er im Geist die Maske gesehen, ehe seine Hände sie geschaffen hatten? Oder war sie Ergebnis von Zufälligkeiten und die Gestaltung willkürlich? Orientierte sich ihr Aussehen an echtem Grauen oder nur an der Einbildung?
Ich steckte die Maske in einen verschließbaren Plastikbeutel und versprach Danbury, dass ich gleich wieder zurück sein würde. Dann ging ich unter mein Haus, schulterte den Kajak und marschierte zum Ufer vor. Es war ein lieblicher Morgen, windstill, der Golf fast ein glattes Tuch. Ich hatte vor, die Maske im tiefen Wasser hinter den Sandbänken zu versenken. Der Schmutz hatte ihre Hässlichkeit, ihre Intensität nicht ausgelöscht, doch vielleicht würde dies dem Wasser gelingen.
Ich befestigte den Beutel an einer Querleiste und paddelte ungefähr eine Viertelmeile aufs Meer hinaus. Dort steckte ich das Paddel in die Halterung und band den Beutel von der Leiste. Erst dort fiel mir auf, wie leicht die Maske war.
Idiot.
Ich hatte vergessen, etwas Schweres mitzunehmen, damit der Plastikbeutel samt Maske auch unterging. Wie eine Qualle würde das Pappmaché ans Ufer treiben. Mich über meine eigene Dummheit wundernd, knotete ich das Seil auf, mit dem der kleine, pilzförmige Anker des Kajaks am Boot fixiert war. Ich nahm die Maske aus dem Beutel und legte den Anker hinein. Die Maske saugte sich langsam mit Wasser voll, das nun den alten Kleber aus Mehl und Wasser auflöste. Hinten hingen Papier- und Stoffstreifen herunter. Die Maske zerfiel allmählich. Ich steckte sie wieder in die Tüte, zählte stumm bis drei – un, deux, trois – und warf sie über Bord.
Sie sank, eine dunkle Form, vom Meer verschluckt – der Untergang von Trey Forriers letzter Maske.
Komischerweise überkam mich ein Gefühl der Erleichterung. Meine Schultern wurden locker, meine Rückenmuskeln entspannten sich. Mit dem Kajak war ich zum letzten Mal rausgepaddelt, bevor man Marie Gilbeaux’ Leichnam gefunden hatte. Vom Festland getrennt zu sein, jede gewünschte Richtung einschlagen zu können, fühlte sich großartig an. Mit dem Ufer im Rücken paddelte ich los. Hundert Meter weiter vorn sprangen ein paar schwarz glänzende Delphine aus dem Wasser. Ich nahm ihre Verfolgung auf. Mein Herz pochte laut, bis ich den richtigen Rhythmus fand. Alle Gedanken, die mir im Kopf herumgegeistert waren, lösten sich in Luft auf, während ich den Delphinen auf den Golf hinausfolgte.
Zwei, drei Minuten jagte ich ihnen hinterher. Schweiß strömte aus jeder Pore, Muskeln ächzten unter der Strapaze. Ich legte einen Gang zu, tauchte die Paddel tiefer ins Wasser, hörte, wie ich vor lauter Anstrengung ächzte. Wieder tauchten die Delphine auf, doch dieses Mal waren sie weiter weg als zuvor. Ich gab auf, kreuzte die Paddel auf dem Schoß, beugte mich nach vorn, holte tief Luft. Ich tauchte die Hände ins Wasser, benetzte mein Gesicht, meine Brust.
Und dann stieß ich einen Seufzer aus und paddelte zurück zum Ufer.
Zuerst schien es nur glitzerndes Wasser zu sein, möglicherweise eine optische Täuschung oder ein dahintreibendes Unterwassergewächs, dessen Farbe die aufsteigende Sonne veränderte. Auf der Wasseroberfläche entdeckte ich Kleckser in allen Regenbogenfarben, flache Streifen, die sich wie Aale wanden. Und dann tauchte ich in ein Feld greller Farben ein, in Rot-, Blau-, Orange- und Goldtöne. Ich streckte die Hand aus und erwischte einen Streifen grell bemaltes Leinen. Etwas Weißes tropfte in die Wellen – der selbst gemachte Kleber, der sich auflöste.
Mit pochendem Herzen sprang ich über Bord, tauchte durch die Stofffetzen, die wie ein Schwarm Fische dahintrieben und mich zu dem Beutel führten, der reglos auf dem Meeresboden lag. Aus seiner Öffnung stiegen Farbkleckse. Ich schnappte mir die Tüte, schnürte sie zu und tauchte nach oben. Der zwanzig Pfund schwere Anker kam mir auf einmal hundert Pfund schwerer vor. Mit schmerzenden Lungen stieß ich durchs Wasser, warf den Plastikbeutel in den Kajak, schwamm herum und sammelte alle Streifen ein, die ich finden konnte.
Ich paddelte ans Ufer, rannte in mein Haus, rief in der Anstalt an. Kurz darauf sprach ich mit meinem Bruder persönlich und sagte ihm, dass ich Trey Forrier sehen musste.
Anschließend verkündete ich Danbury, sie könnte sich auf einen heißen Ritt gefasst machen.