Kapitel 10

Die Rollen einer Lehrkraft

IN DIESEM KAPITEL

  • Lehrerhandeln braucht unterschiedliche Rollen
  • Rollen ermöglichen Funktionen
  • Das eigene Rollenverständnis reflektieren

Im Wörterbuch (Oxford Languages) finden Sie für den Begriff Rolle unter anderem folgende Synonyme: Amt, Aufgabe, Auftrag, Funktion, Pflicht. Darin spiegeln sich die vielfältigen Anforderungen an Sie als Lehrkraft. Mit dem Wörtchen Pflicht kommt ein Müssen zum Ausdruck. Viele Anforderungen an eine Lehrkraft gehören zur professionellen Pflicht. Die Art und Weise, WIE Sie diese Anforderungen und Rollen »bespielen«, unterliegt jedoch auch Ihrer Haltung und Ihrem persönlichen Wollen.

Während ihrer pädagogischen Arbeit übernehmen Lehrkräfte vielfältige Funktionen und Verantwortlichkeiten. Diese unterschiedlichen Tätigkeiten erfordern bestimmte Aufgaben, die sich als »Rollen« repräsentieren lassen:

  • Beobachter
  • Berater
  • Bewerter
  • Disziplinierer
  • Ermutiger
  • Erzieher
  • Evaluierer
  • Fehlerverbesserer
  • Lernbegleiter
  • Motivator
  • Organisator
  • Pädagoge
  • Vertrauensperson
  • Vorbild
  • Wissensvermittler

Die Liste ließe sich noch lange weiterschreiben.

Das Bewusstsein um die vielfältigen Rollen soll Sie entlasten. Wer nur in einer Rolle unterwegs ist, reduziert sich und kann den vielfältigen Aufgaben und Anforderungen, die Schule und Unterricht mit sich bringen, nur bedingt gerecht werden.

Im Classroom Management agieren Sie aus diesen unterschiedlichen Rollen heraus. Ziel ist dabei, eine förderliche Lernumgebung zu schaffen und zu erhalten, in der die Schüler bestmöglich unterstützt werden.

Die Aufzählung macht deutlich, dass Sie als Lehrkraft mehr als reine Wissensvermittlerin sind. Ihr Arbeitskontext findet im Rahmen der sekundären Sozialisierung Ihrer Schüler statt. Sozialisierung bedeutet, Sie begleiten junge Menschen, Heranwachsende, auch in deren sozial-emotionalem Lernen. Sekundär meint, Sie bauen dabei auf die primäre Sozialisierung (erste Prägung durch Familie oder Bezugspersonen) auf.

Die erste Sozialisierung durchlaufen Kinder in ihrem familialen Kontext. Als Beziehungswesen saugt das Kind jede Lernerfahrung auf wie ein Schwamm. Und jede Lernerfahrung wird im Gehirn abgelegt und bei regelmäßiger Wiederholung fest gespeichert (verinnerlicht). Da ein Baby auf andere angewiesen ist, um zu überleben, passt es sich seiner Umgebung an, um die Beziehung (und damit die Aufmerksamkeit) zu erhalten. Es lernt also verlässlich, welches Verhalten erfolgreich ist für diesen Erhalt der Beziehung.

Diese primäre Prägung trägt das Kind später in andere Beziehungskontexte. In der Schule macht es dann häufig die Erfahrung, dass das bisherige erlernte Verhalten an seine Grenzen kommt. Jetzt muss es umlernen. Und genau hierzu braucht es eine verständnisvolle Unterstützung. Und manche Kinder benötigen hier mehr Unterstützung und damit auch mehr Geduld der Lehrkräfte als andere.

Als Lehrkraft sind Sie im Einsatz für die personale Bildung und Ich-Stärke Ihrer Schüler. Dies gelingt Ihnen umso besser, wenn Sie in Ihrer eigenen Kraft sind. Ein wichtiger Teil Ihrer professionellen Aufgabe besteht daher darin, die eigene Ich-Stärke zu erhalten. Dazu sollten die vielfältigen Rollen förderlich beitragen.

Welche Rollen bespielen Sie in Ihrem aktuellen beruflichen Kontext? In Ihrem privaten Kontext haben Sie ebenso unterschiedliche Rollen inne (Partnerin, Vater, Vereinsvorstand, Schwester, Nachbarin, Opa …). Manche davon sind gewählt, andere wiederum auferlegt. Und nicht jede Rolle wird mit gleicher Leidenschaft gefüllt und gefühlt. Aber zurück zu Ihren beruflichen Rollen: Wenn Sie eine eigene Liste anlegen und alle Rollen untereinander schreiben, beantworten Sie einmal folgende Fragen:

  • Welche Ihrer Rollen waren Ihnen mit der Berufswahl klar? Und von welchen wurden Sie überrascht?
  • Welche Erwartungen werden von außen an Sie herangetragen und welche Rollen bringt das auf den Plan?
  • Welche Rollen liegen Ihnen?
  • Welche erschweren Ihnen den beruflichen (und vielleicht damit auch den privaten) Alltag?
  • Welche Rollen erleichtern Ihnen den beruflichen Alltag? Welche brauchen Sie?
  • Welche Rolle wollen Sie behalten?
  • Und welche Rolle hat vielleicht ausgedient oder darf verändert werden?

Zum generellen Rollenverständnis als Lehrkraft: Wer erwartet, dass Schüler wissen, wie sie sich zu verhalten haben, wird dem Blick auf die Schüler nur teilweise gerecht. Verhalten muss gelernt werden. Schüler bringen ihr bisher erlerntes Verhalten mit in die Schule. In ihrem bisherigen Kontext und System (Familie, Kindergarten) war das erlernte Verhalten vermutlich sinnhaft und erfolgreich.

Erwünschtes Verhalten von Schülern ist nicht einfach gegeben und fertig. Dieses sozial-emotionale Lernen ist über den Erziehungsauftrag Aufgabe von Schule und findet, wie jedes andere Lernen auch, über Irrtümer statt. Irrtümer weisen den Weg. Ermöglichen Sie in den entsprechenden Rollen daher hilfreiche Korrekturerfahrungen. Die Währungen Drohung (»Wenn du nicht …, dann …«) und Erpressung (»Wenn du …, dann …«) kosten Sie womöglich den Preis der Arbeitsbeziehung. Die Rollen, die Erziehung und Beziehung ermöglichen und gestalten, gehören daher unverzichtbar zum Rollenverständnis einer Lehrkraft.