Kapitel 23

Supervision und Kollegiale Beratung

IN DIESEM KAPITEL

  • Das Freiburger Modell für die Stärkung der Lehrergesundheit
  • Professionelle Reflexion durch Supervision
  • Innovative Lösungen durch Kollegiale Beratung

Supervision und Kollegiale Beratung sind zwei zentrale Maßnahmen zur beruflichen Entwicklung von Lehrkräften, die darauf abzielen, ihre pädagogischen Fähigkeiten zu stärken, professionelle Reflexion zu fördern und die Qualität des Unterrichts zu verbessern. In einer Zeit, in der Lehrkräfte mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert sind, tragen diese Maßnahmen entscheidend dazu bei, sie professionell zu unterstützen und zu stärken. Diese Ansätze bieten Lehrkräften einen strukturierten Rahmen, um ihre berufliche Praxis zu reflektieren, konstruktives Feedback zu erhalten und innovative Lösungen für pädagogische Herausforderungen zu entwickeln.

Supervision

Supervision ist ein professionelles Beratungs- und Unterstützungsformat. (Der Begriff wird insbesondere in psycho-sozialen Bereichen und in der Pädagogik eingesetzt, während im Bereich von Wirtschaft und Management eher von Coaching gesprochen wird.)

Ein erfahrener Supervisor oder eine erfahrene Supervisorin unterstützt Einzelpersonen oder Teams bei der Reflexion ihrer beruflichen Praxis, der Bewältigung von Herausforderungen und der Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten. Ziel ist es, die Qualität der Arbeit zu verbessern, persönliches Wachstum zu fördern und professionelle Standards einzuhalten (Tietze, 2003).

Der Begriff Supervision kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Überblick oder Draufsicht. Eine erfahrene Fachperson unterstützt eine Einzelperson oder auch eine Gruppe von Personen in ihrer professionellen Entwicklung. Supervision ist ein wichtiges Instrument der Qualitätssicherung, sowohl auf Organisationsebene als auch auf Personalebene.

Supervision wird häufig über die Schulpsychologen angeboten. Auf Anfrage können Sie auch als Teil eines Kollegiums eine schulinterne Supervision beantragen. Sie können aber auch jederzeit eine eigene Supervisorin außerhalb des Systems suchen.

Lehrer-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell

In Baden-Württemberg haben sich die Lehrer-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell etabliert. Prof. Dr. Joachim Bauer (Arzt und Neurowissenschaftler) war es, der es als präventive Maßnahme für die Lehrergesundheit und als professionelle Fortbildung für Lehrkräfte initiiert und konzipiert hat. In Kooperation mit der Abteilung für psychosomatische Medizin der Uniklinik Freiburg und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wurden die Lehrer-Coachinggruppen von Anfang an wissenschaftlich begleitet. Sie sind in ihrer Wirksamkeit evaluiert und bestätigt.

In Baden-Württemberg wird diese Maßnahme vom Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) aktiv unterstützt. So ist es jeder Lehrkraft einer staatlichen Schule möglich, sich kostenfrei anzumelden. Über die Website können Sie sich in Ihrer Region einer Coaching-Gruppe mit maximal zwölf Teilnehmenden anschließen.

Die Inhalte des Freiburger Modells sind klar definiert und entweder auf sechs Termine à 130 Minuten oder 1,5 Kompakttage verteilt. Im Zentrum der Coaching-Gruppen steht die Balintarbeit, das heißt die Arbeit an eingebrachten Fällen der Teilnehmenden als supervisorische Methode. Die Coachinggruppen treffen sich außerhalb der Unterrichtszeit. Die Gruppe wird von sogenannten Moderatoren geleitet. Das sind Ärzte oder anerkannte Psychotherapeuten mit eigener Praxis. Auch ich bin Moderatorin einer solchen Gruppe. Das Angebot findet, je nach Moderator, auch online statt.

Hier können Sie sich näher informieren und ein kurzes Erklärvideo ansehen: www.lehrer-coachinggruppen.de

»Da fortgesetzt gestörte Beziehungsabläufe den Menschen krank werden lassen, kommt in Berufen, in denen das Beziehungsgeschehen eine herausgehobene Rolle spielt, vorbeugenden Maßnahmen gegen psychosomatische Erkrankungen eine besondere Rolle zu. Dies betrifft in besonderem Maße den Lehrerberuf. Den Hintergrund für die seit Jahren belastete Lehrergesundheit bildet u.a. eine für Lehrkräfte zunehmend anstrengende Unterrichtssituation. Studien einschließlich eigener Untersuchungen der Autoren des hier vorliegenden Manuals haben gezeigt, dass Lehrkräfte – neben zu großen Klassen – destruktives Schülerverhalten als Hauptbelastungsfaktor erleben.« (Aus dem Manual für Lehrer-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell.)

Das Freiburger Modell ist ein Kursprogramm, das zum Ziel hat, die Lehrergesundheit zu schützen und Lehrkräfte für die Beziehungsaspekte ihres Berufs zu sensibilisieren und in ihrer Beziehungsgestaltung und Beziehungskompetenz zu stärken. Erfolgreiche Arbeitsbeziehungen zwischen Lehrkraft und Schülerinnen und Schüler sind wesentlich von der Art und Weise der Beziehungsgestaltung aufseiten der Lehrkraft beeinflussbar. Die eigene Fähigkeit der Beziehungsgestaltung können Lehrkräfte im Freiburger Modell reflektieren und professionell erweitern.

Drei wesentliche Themen finden im Freiburger Modell ihren Raum:

  1. Gesundheitsförderliche innere Einstellungen und Haltungen mit dem Blick auf Risiko- und Schutzfaktoren reflektieren und wirksam ausrichten
  2. Die Beziehungsgestaltung mit allen beruflich relevanten Gruppierungen, mit Schülern, Eltern, Kollegen und Vorgesetzten
  3. Das Erlernen einer Entspannungsmethode, um den mentalen, emotionalen und körperlichen Stressreaktionen wirksam zu begegnen

Die Module richten sich inhaltlich wie folgt aus:

  • Auswirkungen von Beziehungserfahrungen auf die Gesundheit, Entspannungsübung
  • Persönliche Einstellung: Identität und Identifikation
  • Beziehungsgestaltung zu Schülerinnen und Schülern
  • Beziehungsgestaltung mit Eltern
  • Spaltungstendenzen versus kollegialer Zusammenhalt

Was machen Sie nun, wenn Sie in einem anderen Bundesland als Lehrkraft tätig sind? Unterstützungsangebote gibt es bundesweit in unterschiedlichen Formen.

Meine Recherchen haben mich zum Beispiel nach Hessen geführt. Dort bietet die hessische Lehrkräfteakademie Führungskräften unterschiedliche Coachingformate (Rollenwechselcoaching, Unterstützungscoaching) an, die von externen Experten durchgeführt werden. (Auch dieses Angebot ist im Internet zu finden: https://lehrkraefteakademie.hessen.de/fuehrungskraefteentwicklung/coachings.)

In Nordrhein-Westfalen wurde 2011 die Personenorientierte Beratung mit Coachingelementen verpflichtender Bestandteil des Vorbereitungsdienstes und damit der Lehrerausbildung. Dafür wurden die Lehrbeauftragten extern für systemisches Coaching qualifiziert. Sie sehen, der systemische Ansatz findet zunehmend seinen Weg in die Schule.

Jedes Bundesland bietet an den schulpsychologischen Beratungsstellen unterschiedliche Unterstützungsangebote für Lehrkräfte. Auch hier können Sie sich Unterstützung holen.

Der Bedarf an Unterstützung wächst kontinuierlich und so ist Supervision und Coaching als Maßnahme der Personalentwicklung und Stärkung der Selbstwirksamkeit und Resilienz inzwischen in vielen Bundesländern fest etabliert.

Kollegiale Beratung

Die Kollegiale Beratung eignet sich als Methode zur Förderung der Lehrergesundheit. Sie ist eng mit den Intentionen von Supervision verknüpft, wird jedoch nicht von einem Supervisor begleitet und moderiert, sondern von einer Gruppe von Lehrkräften eigenständig durchgeführt. Damit dies gelingt, führt ein Supervisor in den ersten zwei bis drei Sitzungen in das Konzept ein, um die Gruppe mit der Struktur vertraut zu machen. Auch stellt er unterschiedliche Methoden zur Beratung und Lösungsfindung vor. Ab dann organisiert sich die Gruppe selbst und trifft sich zum Beispiel alle vier Wochen.

Die Kollegiale Beratung folgt einer festgelegten Struktur in sechs Phasen. In einer Gruppe von mehreren Lehrkräften (oft auch unterschiedlicher Schularten) werden konkrete Anliegen und Situationen aus dem schulischen Alltag thematisiert. Oft betreffen die Anliegen und Situationen Fragen zur Klassenführung, zum Umgang mit einzelnen Schülern, zur Kommunikation und Interaktion mit Eltern oder zur Selbstführung. Wird ein Anliegen in der Gruppe thematisiert, wird dieses Anliegen zum »Fall«.

Die Kollegiale Beratung nutzt die kollektive Intelligenz (das Schwarmwissen) einer geschützten Gruppe. Alle Beteiligte bringen ihre Sichtweisen und damit verbundene Hypothesen (wertschätzende Vorannahmen) zu einem konkreten Fall ein. Aus den geliehenen Sichtweisen der anderen wählt die fallgebende Lehrkraft diejenigen aus, die ihr helfen, stimmige Lösungsideen für die Situation oder die Herausforderung zu entwickeln. So erweitert die Lehrkraft ihre Perspektiven und die eigenen Handlungsmöglichkeiten situativ und konkret. Dadurch wird die Selbstwirksamkeit gestärkt. Die Fallberatung erfolgt nach festem Protokoll. Die Gruppe wählt ihre Leitung und Moderation der Beratung von Mal zu Mal oder auch von Fall zu Fall. Die Arbeit am Fall, die eigentliche Lösungsentwicklung, kann durch stimmige Coaching-Methoden ergänzt werden.

Anforderungen an einen »Fall«:

Jeder Fall für eine Kollegiale Beratung muss diesen Anforderungen entsprechen (Tietze, 2003, Seite 31):

  • Der Fall bezieht sich aus aktuellem, konkretem Anlass auf eine konkrete soziale Situation mit einem oder mehreren konkreten Interaktionspartnern.
  • Die Interaktionspartner und das Problemfeld liegen außerhalb der Beratungsgruppe. Außer dem Fallerzähler ist niemand aus der Gruppe direkt in den Fall involviert.
  • Den Fallerzähler beschäftigt die Frage derzeit noch. Er wünscht sich die Reflexion einer offenen Frage, auf die er noch keine befriedigende Antwort gefunden hat.

Ablauf und Struktur

Ein typischer Ablauf eines Treffens umfasst sechs Phasen (Tietze, 2003):

Alle Beteiligten machen ihr momentanes Befinden transparent und geben an, ob sie ein aktuelles Thema haben. Anschließend werden die Anliegen nach Dringlichkeit priorisiert. Und die Gruppe entscheidet sich für einen (ersten) Fall.

  • Phase 1: Casting, Rollen besetzen (etwa 5 Minuten)

    (Leitfrage: Welche Fälle sind da, wer übernimmt welche Rolle?)

    Die Rollen in der Fallberatung sind klar definiert: Fallgebende, Moderierende und Beratende (eventuell noch jemand, der die Zeit für die jeweiligen Schritte im Auge behält).

  • Phase 2: Spontanbericht des Fallerzählers (etwa 5 bis 10 Minuten)

    (Leitfragen: Worum geht es? Wie stellt sich die Situation für den Fallerzähler dar?)

    Zu Beginn beschreibt die Fallgeberin ihre Situation, ihre Herausforderung. Alle hören aufmerksam hin. Wie erzählt die Person ihre Geschichte? Welche Sprache wählt sie? Wie beschreibt die Person die Herausforderung? Welche Fragestellung hat sie?

    Der Moderator unterstützt diesen Prozess durch gezielte Fragen. Die Berater aus der Gruppe stellen anschließend ihre Verständnisfragen.

  • Phase 3: Schlüsselfrage (etwa 5 Minuten)

    (Leitfrage: Welchen Klärungswunsch hat die Fallerzählerin in Bezug auf ihre Situation?)

    Die Fallgeberin schärft durch die Beantwortung der Verständnisfragen unter Umständen noch mal ihr Anliegen und gibt der Gruppe jetzt den eigentlichen Auftrag, indem sie ihre Schlüsselfrage zur Situation oder Herausforderung stellt.

  • Phase 4: Methodenwahl (etwa 5 Minuten)

    (Leitfrage: Welche Beratungsmethode wählen wir aus?)

    Nun erfolgt die Methodenwahl. Die Fallerzählerin kann sich eine bestimmte Methode für ihr Anliegen wünschen. Die Gruppe kennt aus den supervidierten Einführungssitzungen Methoden der Beratung. So können sich die Berater auf eine passende Beratungsmethode einigen. Diese Phase wird wesentlich vom Moderator mitgestaltet.

  • Phase 5: Beratung (etwa 10 Minuten)

    (Leitfrage: Was geben wir der Fallerzählerin in Bezug auf ihre Schlüsselfrage mit?)

    Danach verlässt die Fallgeberin die Gruppe und setzt sich außerhalb des Gesprächskreises und hört nun den Kollegen zu, wie diese über den Fall beraten. Sie hört vermutlich Sichtweisen, die ihren Blick erweitern. Manchmal ist man im eigenen Problem »betriebsblind« gefangen. Manches wird vielleicht irritieren und manches als abwegig erscheinen. Sie hört aufmerksam hin und macht nebenbei Notizen.

    Die Beratung der Kollegen wird durch Hypothesen gestützt. Die Haltung ist hier wichtig. Niemand weiß es besser, jeder bietet sein Wissen und seine Vermutungen für den Fall an. Die Moderation muss aufmerksam darauf achten, dass keine vorschnellen Lösungen präsentiert werden.

  • Phase 6: Abschluss (etwa 5 Minuten)

    (Leitfrage: Was nimmt die Fallerzählerin aus der Kollegialen Beratung mit?)

    Nach der festgelegten Zeit kommt die Fallgeberin zurück in den Kreis der Gruppe und teilt mit, was für sie aufschlussreich, aber auch irritierend war. Gemeinsam mit der Moderation entwickelt sie Lösungsideen für die ursprüngliche Schlüsselfrage. Auch zweitbeste Lösungen können hilfreich sein.

    Zum Abschluss legt die Fallgeberin konkret fest, wie ihre nächsten Schritte in Richtung Lösung aussehen. Das hat oft eine befreiende Wirkung, denn hier wird Selbstwirksamkeit durch neue Möglichkeiten aktiviert. Diese Möglichkeiten umfassen das Denken, Fühlen und Handeln der Lehrkraft.

    Zum Abschluss erfolgt eine Reflexionsrunde.

Die Erfahrung zeigt, dass alle Beteiligten der Gruppe von der Fallarbeit profitieren. Dadurch, dass sich die Gruppe in regelmäßigen Abständen trifft, haben die Kollegen Anteil an der gegenseitigen Entwicklung. Das Erleben, nicht allein mit einem Problem zu sein, wirkt stärkend. Die Beratungs- und Lösungskompetenz wird von Termin zu Termin gefördert und wirkt sich im schulischen Alltag positiv aus.