Kapitel 26
IN DIESEM KAPITEL
Als Lehrkraft üben Sie einen Beziehungsberuf auf. Sie sind ständig in unterschiedlichen Beziehungsgefügen unterwegs, sei es mit Schülern, sei es mit Eltern, mit Ihren Kollegen, mit Ihren Vorgesetzten und anderen am Schulleben direkt oder indirekt Beteiligten. Auch die Beziehung zu Ihrem Fach und dem damit verbundenen Lehrauftrag wird sich in Ihrem Unterricht spiegeln.
Ihre Rolle als Lehrkraft variiert situativ. Jede Ihrer beruflichen Beziehungen wird wesentlich davon beeinflusst, wie Sie im jeweiligen Kontext interagieren. Die Kommunikation dient als eine Schlüsselkompetenz für Austausch und Verstehen. Sie ermöglicht Kontakt und Begegnung, mit der Sache, mit sich selbst und miteinander.
Die folgende Top-Ten-Liste führt zehn kommunikative Stattdessen auf. Sie lenkt damit den Blick auf das Erwünschte und auf Gelingensfaktoren von Kommunikation.
Wer sich in andere einfühlen kann, nimmt Anteil an deren mentalen und emotionalen Perspektiven. Das setzt ein ehrliches Interesse und eine offene Neugier am Gegenüber voraus. Einfühlungsvermögen als Form und Folge von Resonanz und Empathie bedeutet, verstehend wahrzunehmen und dabei in der eigenen Kraft zu bleiben. Wer sich in dieser Weise verstehend wahrgenommen fühlt, kann sich für Kontakt und Kommunikation öffnen.
Seien Sie interessiert an Ihrem Gegenüber. Lehrkräften sagt man oft nach, sie seien so »lehrerhaft«. Das klingt nicht nach einem Kompliment. Austauschen bedeutet, zwei Seiten sind in gleicher Weise beteiligt, etwas miteinander zu teilen. Hören Sie hin und nehmen Sie auf, über welche Erfahrungen beispielsweise Eltern mit ihrem Kind verfügen. Erfahrungen ermöglichen das Auffinden wunderbarer Ressourcen.
Auch wenn Sie vermutlich nicht immer einer Meinung sind mit Ihren Schülern, Eltern, Kollegen und Vorgesetzten, hat jede und jeder vermutlich subjektiv gute Gründe für die eigene Meinung. Bilden Sie wertschätzende Hypothesen: In welchem Kontext könnte diese Meinung von Vorteil sein? Welchen Sinn sieht die Person vermutlich in ihrer Haltung? Bemühen Sie sich um eine gemeinsame Ebene, wo gibt es verbindende Eigenschaften, die Sie sich zum gemeinsamen Bündnis zunutze machen könnten? Im Elterngespräch können Sie anerkennen, dass Sie beide in Sorge sind und unterschiedliche Zugänge haben. Der gemeinsame Nenner ist die Sorge ums Kind. Das gemeinsame Bündnis hat das Wohl des Kindes im Blick. So entlasten Sie Konkurrenzsituationen.
Fragen fokussieren Aufmerksamkeit und Fragen erzeugen Informationen. Wer Vorwürfe macht, greift oft Informationen voraus. Wissen Sie wirklich, warum Ihre Schülerin schon wieder zu spät kommt? Oder warum Ihre Schülerin die Hausaufgabe nicht gemacht hat? Was, wenn es ganz anders wäre? Vorwürfe klagen an. Das löst oft Rechtfertigungen und Abwehrreaktionen aus. Schnell sind Sie dann in einer Sackgasse und wissen nicht wirklich mehr, noch dazu ist das nicht beziehungsstärkend.
Fragen stellen heißt, präsent sein. Welche Fragen sind sinnstiftend? Gespräche mit Schülern und Eltern bewusst lösungsorientiert zu gestalten, bedeutet, den Blick vom Problem wegzuwenden. Die Gefahr einer sogenannten »Problemtrance« wird gemindert. Fragen sollen Erkenntnisse ermöglichen und nach Ressourcen Ausschau halten. Wer das Gefühl hat, ausgefragt zu werden oder gar verhört, wird sich nicht verstanden fühlen. Unter Stress liefert unser Gedächtnis unter Umständen auch Fehlinformationen. So weiß man aus der Forschung, dass Zeugenaussagen nur bedingt der Wahrheit entsprechen, da unser Gehirn Erinnerungslücken einfach ausfüllt, und das ohne böse Absicht.
Ich-Botschaften sind Türöffner in Gesprächen. Sie nehmen die Spannung und emotionale Ladung heraus. Du-Botschaften hingegen klingen anklagend und tragen im Unterton häufig ein »Du bist falsch« oder »Du machst das falsch«. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich ein Gespräch schnell in ein Ping-Pong-ähnliches Spiel, mit dem Ziel zu gewinnen. Kommunikation bedeutet, sich mitteilen, und somit auch ein Sich-mit-jemand-Teilen im Sinne einer Selbstaussage. Machen Sie transparent, was Sie bewegt, was Sie sich vorstellen, wie Sie zu Ihrer Meinung kommen. Das ermöglicht Ihrem Gegenüber ein tieferes Verständnis und ebnet kooperativen Lösungen den Weg.
Kennen Sie das? Sie erzählen etwas und schon haben Sie einen Ratschlag von Ihrem Gegenüber, was Sie da tun können (sollen oder müssen). Ratschläge sind im besten Fall gut gemeint, im schlimmsten Fall entspringen sie schlicht der Unfähigkeit zuzuhören. Wer vorschnell Ratschläge erteilt, ignoriert die momentane Wirklichkeit der erzählenden Person. Er entmündigt außerdem die andere Person, denn es wird eine Entscheidung über den anderen getroffen, was hilfreich ist. Finden Sie stattdessen heraus: Aus welchem Grund erzählt mir mein Gegenüber gerade etwas (oder gerade das)? Was ist das Bedürfnis dahinter? Stellen Sie doch das nächste Mal, wenn Ihnen ein Ratschlag auf den Lippen liegt, diese Frage: »Was würde dir jetzt guttun?« Und wenn Ihr Gegenüber dann sagt: »Ein Ratschlag«, dann haben Sie grünes Licht.
In Gesprächen und vor allem in schwierigen Gesprächen ist es hilfreich, sich auf konkret beobachtbares Verhalten zu konzentrieren. Was tut eine Person? Was kann ich wie durch eine Kamera beobachten? Wer bestätigt diese Beobachtung? Und wer sieht es anders? Mit dieser einfachen Methode bleiben auch Hilfswörter wie »immer«, »oft« oder »nie« außen vor, denn sie sind nicht konkret genug. Die Trennung von Verhalten und Person bleibt durch das beobachtende Beschreiben gewährt. So wird aus »Schülerin X ist schlampig« »Schülerin X lässt ihre Sachen liegen und es stört sie nicht«.
Lehrkräfte neigen dazu, sehr schnell anzunehmen, wie etwas oder jemand ist. Solche Interpretationen verstellen oft die Sicht auf das, was sonst noch da ist. Sie gaukeln auch irgendwie vor, es gäbe so etwas wie DIE Wahrheit oder DIE EINE Wirklichkeit. Wirklichkeit ist subjektiv, sie wird konstruiert vom Beobachter und dessen inneren Filtern. Gleichen Sie Wirklichkeiten ab. Wenn Ihre Schüler nach der Schule nach Hause gehen, wird es keine identische Erzählung über Ihren Unterricht geben. Jede und jeder filtert und konstruiert das eigene Erleben und trägt es weiter. Und wenn eine Schülerin der Meinung ist, Sie könnten nicht gut erklären, ist das eine wichtige Botschaft einer subjektiven Wirklichkeit, aber nicht DIE Wahrheit.
Untersuchungen zufolge hört ein Schüler im Laufe eines Vormittags mehrere Hundert Appelle. Appelle greifen oft auf, was zu unterlassen ist. Eine Schülerin, die dazwischenredet, hört dann: »Sprich nicht mit deinem Nachbarn«, oder metaphorisch formuliert: »Hier spielt die Musik.« (Offensichtlich scheint die momentane Unterrichtsmelodie bei der Schülerin keine Schwingung zu erzeugen, denn sie tut etwas anderes. Worüber sie sich übrigens unterhält, können Sie meist nur vermuten. Was, wenn es unterrichtsnah ist? Aber zurück zum Thema …)
Appelle in dieser Taktung ermüden den Geist. Hinzu kommt, dass die Appelle in der Regel mit der Wiederholung im Ton rauer werden. Sprechen Sie Impulse aus, die das erwünschte Verhalten betonen. Es ist auch erlaubt, »bitte« zu sagen: »Bitte hör zu.«
Es macht übrigens keinen Sinn zu sagen: »Du brauchst vor der Prüfung keine Angst zu haben.« Jetzt muss das Gehirn nämlich erst einmal überlegen, was war das noch mal mit der Angst? Und dann muss es dieses bereits angefixte Gefühl wieder unterdrücken. Ermutigen Sie lieber in der Weise: »Du kannst dich auf deine gute Vorbereitung besinnen. Wir haben alles Wichtige thematisiert.«