Die Ehefrau
Seit ein paar Tagen leuchtete die Wiese gelb vom Löwenzahn. In weniger als zwei Monaten würde es hier noch intensiver leuchten, wenn der Raps zu blühen begann, und die Felder wogten. Sie sollte sich eigentlich freuen, sollte zuversichtlich in die Zukunft blicken, dem Frühling und vor allem dem Sommer entgegen, der vor ihnen lag. Doch es gelang ihr nicht.
Je mehr Zeit verstrich, desto mehr hatte sie das Gefühl, der Mann an ihrer Seite würde ihr fremd. Gestern, als er auf der Arbeit noch etwas erledigt hatte, was noch vor Ostern fertig werden musste, hatte sie sich mit dem Laptop hingesetzt. Ihre verschiedenen Geräte waren alle mit demselben Passwort versehen, so war es schon immer gewesen, es war nichts Seltsames daran.
Sie hatte nicht vor, nach irgendwelchen Geheimnissen zu stöbern, und hatte selbst auch nichts, wovon er nicht wissen durfte. Als sie diesmal jedoch die Dateien auf der Festplatte betrachtete, entdeckte sie einen Ordner, der ihre Neugier weckte. Ihr Mann hatte ihn erstellt, ihn mit drei Kreuzen benannt, und als sie ihn öffnete, fand sie etwa zwanzig Bilder. Alle von ihm. Ein paar Kinderfotos, unscharf, verblichen und mit düsterem Gesichtsausdruck. Auf einigen war auch sein älterer Bruder zu sehen. Sie hatten keinen engeren Kontakt, er war von zu Hause ausgezogen, sobald er konnte. Sie selbst hatte ihn nur ein einziges Mal gesehen, als er vor zwei
Jahren im Sommer mit seiner Freundin vorbeigekommen war. Die Stimmung war steif und angespannt gewesen und völlig anders, als wenn sie sich mit ihrer Schwester traf.
Andere Fotos zeigten ihren Mann als Jugendlichen, sie wirkten etwas gelöster, und noch andere stammten aus seiner Zeit an der Folkhögskola Skurup, wo er seine Zulassung zum Studium erwerben wollte. Eine Party, alle hatten Bierdosen in der Hand, vor ihnen Tische voller Flaschen und Gläser.
Ein paar Gesichter erkannte sie wieder, Max Lund natürlich, und ein paar weitere. Die letzten Bilder waren ein paar Jahre später aufgenommen worden. Da waren diese tiefliegenden, geheimnisvollen Augen, in die sie sich damals verliebt hatte, als sie zusammen in einer Bar in Malmö standen. Die eine Neugier und Zärtlichkeit in ihr geweckt hatten, wie sie es nie zuvor erlebt hatte.
Sie hatte sich die Fotos angeschaut und versucht herauszufinden, was er darin gesucht haben konnte. Die Kindheit, wieder einmal, vermutete sie. Diese ständige Suche nach sich selbst.
Nachdem sie den Ordner geschlossen und den Laptop heruntergefahren hatte, fühlte sie sich unsicher und verwirrt. Mit wem lebte sie eigentlich zusammen?
Sie öffnete das Tor zum Garten hinterm Haus. Am Morgen, noch bevor sie mit dem Packen begonnen hatte, hatte sie die Maulwurfshügel auf dem Grundstück platt getreten, die aufpoppten, sobald man ihnen den Rücken zukehrte.
Die Wiese hatte jetzt lauter dunkle Flecken. Sie ging zwischen ihnen hindurch zur Terrassentür, die sie offengelassen hatte. Die Gummistiefel ihres Mannes standen davor, sie hob sie auf und stellte sie in den Flur.
In etwas mehr als einer Stunde wollten sie zu ihren Eltern nach Dalarna fahren, um bei ihnen Ostern zu feiern. Da
sie selbst kein Interesse am Kunstfestival hatten, flohen sie gern Richtung Norden, sobald die Touristen die Orte und Straßen in Österlen überschwemmten.
Sie ging in den Flur, um die letzten Sachen zusammenzusuchen. Sie wünschte sich nichts mehr als ein friedliches Osterfest ohne Konflikte. Sie hoffte, sowohl ihr Mann als auch ihre Eltern würden sich Mühe geben.
Die Kellertür stand offen, und sie blieb stehen und schaute die Treppe hinunter. Sie war sich sicher, dass sie sie am Morgen geschlossen hatte, nachdem sie die Wäsche hochgetragen hatte. Seltsam, dachte sie, schloss sie erneut und ging in die Küche.
Als sie gerade eingetreten war, fiel ihr ein, dass sie ihr Handy noch in der Handtasche hatte. Sie drehte sich um, um es zu holen. Als direkt vor ihr die Tür aufsprang, schrie sie erschrocken auf.
»Was machst du denn hier? Warum bist du zu Hause?«
Ihr Mann stand in der Tür. Er wirkte gestresst und ausgebrannt.
Er streckte die Hand aus, um das Licht auszuschalten.
»Ich habe was vergessen.«
»Ist etwas passiert?«
»Nein. Ich muss mich beeilen, damit ich rechtzeitig zurück bin.«
»Aber du bist doch früh genug wieder hier, damit wir pünktlich loskommen? Ich würde gerne möglichst weit kommen, bevor es dunkel wird.«
Er nickte und setzte sich auf die Bank, um seine grünen Stiefel anzuziehen.
Aus dem Keller hörte sie ein Geräusch.
»Ist das die Waschmaschine?«
»Ja, ich war sowieso gerade unten und habe gleich eine Ladung reingetan.« Er lächelte
.
»Aber ich habe doch heute früh schon mehrere Maschinen gewaschen.«
Er stand auf, fasste sie um die Taille und schob sie von der Haustür weg.
»Ich hatte vergessen, ein paar Sachen herauszulegen, die ich brauche. Entschuldige.«
Sie wand sich aus seinem Griff.
»Okay. Hauptsache, wir kommen nachher rechtzeitig los.«
Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, stand sie noch eine Weile im Flur und lauschte dem monotonen Geräusch der Waschmaschine.