Die vorliegende Edition ist die erste Rekonstruktion von Edgar Allan Poes Tales of the Folio Club in deutscher Übersetzung. Grundlage sind – neben den noch erhaltenen Manuskriptresten – die Erstveröffentlichungen von Poes frühen Erzählungen. Diese unterscheiden sich teilweise erheblich von jenen Fassungen, die Poe für spätere Wiederveröffentlichungen erstellte und auf denen alle bislang erfolgten Poe-Übersetzungen ins Deutsche basieren. Bestrebt, alle Bezüge der Geschichten zum ursprünglich satirischen Kontext der Erzählungen des Folio Club zu tilgen, hat Poe in den späteren Fassungen oftmals nicht nur Namen und Begriffe verändert, sondern mitunter auch gravierende Kürzungen oder Erweiterungen am Text vorgenommen. Weil somit bisher vorliegende deutsche Übertragungen ausschieden, wurden für die Rekonstruktion der elf Folio-Club-Erzählungen deren Erstfassungen erstmals ins Deutsche übersetzt.
Mit seiner Erzählsammlung wollte Poe die literarischen Strömungen seiner Zeit satirisch auf die Schippe nehmen. Demzufolge bedient er sich bei seinen Erzählungen der damals beliebten Genres, ahmt bekannte Vorbilder nach, zieht sie ins Lächerliche. Verbunden werden sollten diese Erzählungen durch eine Rahmenhandlung. Sie präsentiert eine fiktive literarische Vereinigung mit elf Mitgliedern, deren jedes einzelne eine besondere Facette der englischsprachigen Erzählliteratur um 1830 verkörpert. Reihum tragen die Teilnehmer selbst verfasste Kurzgeschichten vor, worauf jeweils eine kurze Diskussionsrunde folgen sollte. Die geplanten Passagen zu den Diskussionsrunden sind, mit Ausnahme des einleitenden Rahmenfragments «The Folio Club», allerdings entweder alle verloren gegangen oder nie geschrieben worden.
Bei der ersten Ankündigung einer Veröffentlichung der Folio-Club-Erzählungen Ende Oktober 1833 (im Baltimore Saturday Visiter) hatte Poe zwölf Erzählungen abgeschlossen. «Metzengerstein», «The Duke de l’Omelette», «A Tale of Jerusalem», «A Decided Loss» und «The Bargain Lost» hatte er bereits im Sommer 1831 beim Philadelphia Saturday Courier eingereicht, die sechste, «Epimanes», im Mai 1833 dem New England Magazine und sechs weitere, darunter «MS. Found in a Bottle», im Oktober 1833 dem Baltimore Saturday Visiter angeboten. Bei fünf der Letzteren ist man wegen nicht genannter Titel auf Vermutungen angewiesen. Mit Sicherheit wird man dazu die Erzählung «Siope – A Fable» zählen können, von der ein handschriftliches Manuskriptfragment existiert, verfasst zur gleichen Zeit wie das Manuskript «The Folio Club» mit dem Beginn der Rahmenhandlung. Da Poe den Titel Tales of the Folio Club erst nach Mai 1833 verwendet, kann man die Fertigstellung beider Manuskripte auf die Monate Mai bis September 1833 datieren. Bei den noch offenen drei Erzählungen dürfte es sich um «Lionizing», «The Visionary» und «Raising the Wind» handeln. «Lionizing», zuerst im Mai 1835 im Southern Literary Messenger veröffentlicht, hat Poe später einmal als den Tales of the Folio Club zugehörig bezeichnet; «The Visionary», im Januar 1834 in der Frauenzeitschrift Godey’s Lady’s Book erschienen, war zweifellos schon ein halbes Jahr vorher fertiggestellt. Dies dürfte auch auf «Raising the Wind» zutreffen, obwohl die Veröffentlichung erst zehn Jahre später im Saturday Courier erfolgte.
Das seitdem an dem verschwundenen Projekt erwachte Interesse der Poe-Forschung hatte ab Mitte der 1960er-Jahre geradezu einen Wettstreit der Wissenschaftler um die Lösung aller Rätsel bei diesem Werk zur Folge – bei vielen, wenn auch nicht allen, sieht man inzwischen klarer. Das gilt auch für Versuche, das verloren gegangene Werk zu rekonstruieren. Neben theoretischen Abhandlungen, in denen diskutiert wird, welche Erzählungen Poe aufnehmen wollte, welchen Erzählerfiguren diese zugeordnet werden sollten und welchen Vorbildern Erzähler und Erzählungen folgten, gab es auch konkrete Textwiederherstellungen in Buchform. Diese wenigen Unternehmungen – darunter auch eine 1978 an der Tübinger Universität entstandene – blieben bislang auf Fassungen in englischer Sprache beschränkt.