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Facebook-Seite Porthmellow Streetfood-Festival

Faye P: Steht das Programm schon fest? Wann tritt Gabe Mathias auf?

Joe Bloggs: Ich hoffe, gar nicht. Scheiß Festival. Die Veranstalter wollen sich doch nur die Taschen füllen. Scheiß Gabe Mathias verdient da bestimmt ein Vermögen.

Faye P: Klappe halten, Hater!!!!!

Sam fluchte vor sich hin, als sie die neuesten Kommentare auf der Facebook-Seite des Festivals las. Während sie vor der Komiteesitzung darauf wartete, dass das Teewasser kochte, hatte sie rasch die Social Media gecheckt, bereute es aber jetzt. Drei Wochen vor dem Event waren die meisten Kommentare und Posts zwar positiv und begeistert, aber ein paar Quertreiber gab es eben immer. Ob Bryony hinter »Joe Bloggs« steckte? Über die Jahre hatte sich Sam gegenüber solchen Äußerungen ein dickes Fell zugelegt, aber dieser fiese Angriff verdarb ihr trotzdem die Laune.

Troy erschien in der Tür, den Arm noch in der Schlinge. Sam steckte hastig ihr Handy weg und strahlte Troy an. Es war schön, ihn wieder dabeizuhaben.

»Schönen Abend, Mädchen«, sagte er.

»Wie geht’s dir?«

Er bewegte sich noch immer sehr vorsichtig.

»Tut noch weh, aber ich beklag mich nicht. Konnte Schmerzen schon immer ganz gut aushalten. So muss ich jedenfalls den Tee nicht kochen. Lass den bloß anständig ziehen, so ein Waschwasser kann ich nicht vertragen.«

»Aye, aye, Sir«, antwortete Sam.

Kurz darauf brachte sie das Tablett mit dem Tee in den Sitzungsraum, wo inzwischen auch Drew eingetroffen war, der Troy gerade fragte, wie er denn mit der Schlinge klarkäme. Sam warf Drew ein vielsagendes Lächeln zu. Sie hatte nämlich Evie am Vortag im Postamt getroffen, und sie hatte berichtet, dass Troy sie zum Irrsinn treibe. Er wollte offenbar ständig versorgt und verhätschelt werden, obwohl es längst nicht mehr nötig war. Evie hatte angekündigt, ihm eine Glocke zu kaufen, damit er nach dem Personal läuten konnte.

Chloe traf ein, makellos wie immer, wirkte aber recht angespannt. Die anderen sprachen sie auf ihre Geburtstagsparty an, aber darauf schien Chloe keine Lust zu haben, denn sie sagte: »Ich würde ja auch gern den ganzen Tag über meine Feier reden, aber wollen wir mal mit der Arbeit loslegen?« Ihr Lächeln konnte nicht verhehlen, dass sie keine gute Laune hatte.

»Unbedingt«, sagte Sam. »Aber vorher muss ich euch leider sagen, dass es auf der Facebook-Seite einige negative Kommentare gab.«

Zennor verdrehte die Augen. »Hab gerade den letzten von diesem Joe Bloggs gelesen. So ein Vollpfosten, der Typ.«

»Haben die Leute denn nichts Besseres zu tun?«, grummelte Troy.

»Offenbar nicht«, bemerkte Chloe.

»Gegen die Twitter-Kommentare können wir nichts tun, außer die Leute zu blockieren«, sagte Zennor. »Negative Äußerungen auf Facebook löschen Ben und ich, sobald wir sie sehen. Hat irgendwer eine Ahnung, wer dieser Joe Bloggs sein könnte?«

Alle schüttelten den Kopf, bis auf Troy, der verkündete, der neue Pfarrer der methodistischen Kirche, ein schüchterner junger Mann, hieße Rupert Hartley-Bloggs. Nach dem Gelächter, das daraufhin ausbrach, erklärte Sam, er sei wohl eher nicht der Übeltäter, und man solle jetzt mit der erschreckend langen Liste von Tagesordnungspunkten loslegen.

Mit dem rasch näher rückenden Termin machte sich bei allen auch der Stress bemerkbar, denn noch nie zuvor war das Festival so umfangreich gewesen. Und Sam war klar, dass das ohne Chloes Einsatz niemals möglich gewesen wäre.

Zuerst berichteten Zennor und Ben von den neuesten Werbemaßnahmen in kornischen Lifestyle-Magazinen.

Troy war dafür zuständig, die Gemeinde über Straßensperrungen und Umleitungen zu informieren, und seine lädierte Schulter hatte ihn nicht davon abgehalten, das vorbildlich zu erledigen.

Drew informierte alle über neue Sicherheitsvorschriften; das war sein Bereich, da er mit den Leuten vom Festzelt verhandelte. Es sollte zwei Tage vor Festivalbeginn aufgebaut werden; Bühne, Strom, Licht und die Bar würde man am nächsten Vormittag einrichten.

Nach den Berichten teilte Sam die endgültige Liste mit allen Teilnehmern und Künstlern aus. Angesichts der vielen Seiten rief Troy »Heiliger Strohsack!«, und auch Zennor staunte. Die Teilnehmer kamen aus ganz Cornwall und anderen Landesteilen, die Buden würden in allen Seitenstraßen und auf dem Fußballplatz hinterm Hafen stehen. Das Angebot reichte von einheimischen und »fremdländischen« – wie Troy sagte – kulinarischen Spezialitäten über Öle und Kochbücher bis zu Töpfen und Küchenschürzen.

Das wetterfeste Festzelt würde auf einer Fläche etwas oberhalb des Hafens errichtet werden, wo es auch Parkplätze gab. Bis spätabends würde man dort Musik, Comedy und Lesungen erleben können.

Zuletzt wurde in der Sitzung der Höhepunkt des Festivals erörtert: der Live-Auftritt von Gabe Mathias und Chefköchen aus Cornwall, die vor den Augen des Publikums aus regionalen Produkten Köstlichkeiten zaubern würden.

Chloe hatte sich bereits mit den drei Köchen aus der Region getroffen, um zu organisieren, was sie für ihren Auftritt brauchten. Weil Gabe für ein paar Tage in London war, hatte sich Chloe mit ihm für den nächsten Abend im Pub verabredet. Doch auf Sam wartete eine Überraschung.

»Tut mir total leid, aber ich schaffe das Treffen mit Gabe morgen nicht«, verkündete Chloe. »Hab dummerweise einen Termin übersehen, hatte eine Geburtstagsfeier bei einer Zumba-Freundin zugesagt. Könntest du das übernehmen, Sam?«

Die Antwort blieb erst mal aus, weshalb Chloe hinzufügte: »Du hast furchtbar viel um die Ohren, ich weiß. Ich kann natürlich versuchen, einen anderen Termin mit Gabe zu finden, aber das könnte schwierig werden.«

»Nein, geht schon.« Sams Lächeln erreichte ihre Augen nicht. »Es wird ja sicher nicht so lange dauern.«

»Ja, du kannst es bestimmt schnell hinter dich bringen. Ich meine«, fügte Chloe hastig hinzu, »ihr habt ja beide nicht viel Zeit.«

»Hört mal, wollen wir uns jetzt endlich ein Bier genehmigen, bevor alles zumacht?«, warf Troy ein.

Sam war froh, dass er ihr so eine Erwiderung ersparte; sie hatte nämlich keine Ahnung, was sie von diesem Zweiertreffen mit Gabe halten sollte.

Für acht Uhr an einem Donnerstagabend war es erstaunlich still im Pub, als Gabe und sie hereinkamen, aber auch von den wenigen Gästen wurden sie neugierig beäugt. Sam legte sofort ihr iPad und ihren Notizblock auf den Tisch, um zu demonstrieren, dass sie geschäftlich hier war.

»Ich würde gerne die Details für deinen Auftritt beim Festival besprechen«, sagte sie betont laut, als sie beide ihre Drinks am Tresen bezahlten.

Der Wirt grinste vieldeutig, als er ihnen die Gläser reichte. Und zwei Männer am Tresen machten keinen Hehl aus ihrer Unterhaltung. »Echt nett von dem, hier wieder aufzukreuzen, nachdem er ihren Bruder der Polizei ausgeliefert hat«, murmelte der Jüngere der beiden und wischte sich Bierschaum vom Mund. »Hat Ryans Leben ruiniert.«

Der Wirt warf den beiden einen vernichtenden Blick zu und raunzte »Klappe, Robbo«, worauf natürlich sämtliche Gäste interessiert glotzten. Der Typ namens Robbo grinste schief und verzog sich mit seinem Bier an einen Tisch.

Sam war innerlich zusammengezuckt, Gabe lächelte angespannt. Sie suchten sich einen Eckplatz, möglichst weit vom Tresen entfernt.

»Ich wusste, dass das keine gute Idee war«, murmelte Sam, als sie sich setzten.

Gabe ließ sich ihr gegenüber nieder. »Was denn, mich zu treffen oder hierherzukommen?«

»Beides.« Sam spielte mit ihrem Kugelschreiber.

»Du wirst dich doch nicht von ein paar Rüpeln ins Bockshorn jagen lassen. Das ist aber gar nicht die Sam von früher.«

»Und das ist genau der Punkt, Gabe. Ich bin nicht die Sam von früher.«

»Ich bin auch nicht mehr derselbe, Sam. Das gilt für uns beide.«

Sam holte tief Luft und verpasste Robbo ihren besten Killerblick, worauf der Kerl sofort eingehend sein Bierglas betrachtete.

»Okay, legen wir los«, sagte sie dann, öffnete einen Aktenordner und reichte Gabe ein Blatt Papier. »Das ist der Zeitplan für die Kochauftritte. Ich hab ihn dir auch gemailt, aber lass uns am besten mal gemeinsam drauf gucken.«

Als Gabe die Liste entgegennahm, streiften seine Finger Sams Handgelenk. »Danke. Ich hatte leider noch keine Zeit, es mir anzuschauen.«

Er studierte den Zeitplan, während Sam versuchte, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Gabe duftete wieder so wunderbar, und schon bei der kleinsten Berührung überlief sie ein köstlicher Schauer. Seine körperliche Nähe wirkte auf sie wie ein verlockendes Festmahl: Wenn sie auch nur den kleinsten Bissen nahm, würde sie sich garantiert nicht mehr beherrschen können …

»Hast du genug Zeit, um … na ja, dein Programm durchzuziehen?«, fragte sie, angestrengt bemüht, einen klaren Gedanken zu fassen.

»Ich denke schon. Aber wäre es möglich, danach noch eine Viertelstunde zusätzlich zu kriegen?« Er sah sie fragend an. »Ich bitte gerne ein paar Zuschauer auf die Bühne, um das Gericht zu kosten. Es kommt immer gut an beim Publikum, wenn es einbezogen wird.«

Er schob den Plan über den Tisch, und Sam machte eine Notiz. »Klingt prima«, sagte sie. »Ja, das wird gehen, denke ich.«

Gabe warf ihr ein Lächeln zu, das ihr fast den Atem raubte.

»Super. Ist es okay, wenn wir rasch ein paar Ideen für meinen Auftritt besprechen? Ich würde gern deine Meinung hören.«

»Ach ja?« Sam war aufrichtig erstaunt, dass der berühmte Spitzenkoch sich mit ihr über Details unterhalten wollte.

»Ja, weil ich das Publikum nicht einschätzen kann. Du hast doch bestimmt ein Gefühl dafür, was die Leute hier gern mögen.«

Wieder dieses Lächeln, das irgendetwas in ihr zum Schmelzen brachte. Sam war inzwischen so heiß, dass sie sich am liebsten Luft zugefächelt hätte.

»Ja, klar, schieß los.«

Nachdem es ihr halbwegs konzentriert gelungen war, sich Gabes Vorschläge anzuhören, erstattete Sam ihm Bericht über die Shows der letzten Jahre. Aber sie war ohnehin sicher, dass das Publikum ihm förmlich aus der Hand fressen würde.

Das band sie Gabe aber nicht auf die Nase, sondern versuchte, das Gespräch knapp und sachlich zu halten. Was nicht so recht gelingen wollte, denn er brachte sie immer wieder mit witzigen Anekdoten aus seinen Shows zum Lachen. Außerdem tauchten irgendwie neue Drinks auf, und Sam entspannte sich und lächelte immer öfter, während es zugleich im Pub voller und lauter wurde. Deshalb hätte sie den Anruf auf ihrem Handy fast überhört. Sie spürte nur das Vibrieren in ihrer Tasche, die neben ihr am Boden stand.

»Entschuldige, ich muss kurz schauen, wer das ist«, sagte sie und kramte das Telefon heraus, aber es rutschte ihr aus der Hand und schlitterte zu Gabe hinüber.

»Mist«, murmelte Sam.

Das Handy verstummte, und sie bückte sich und tastete unter dem Tisch herum – im gleichen Moment wie Gabe, der es auch aufheben wollte. Ihre Hände streiften sich, aber dabei blieb es nicht. Gabes Finger verflochten sich einen kurzen Moment lang mit den ihren, und beide verharrten in der Berührung, ließen ein paar Sekunden nicht los … bis sie sich langsam aufrichteten.

Sam fühlte sich, als stünde sie unter Strom.

Gabe reichte ihr lächelnd das Handy. »Hier. Nichts passiert.«

»W-weiß nicht …« Sie hatte Mühe zu atmen.

»Wirklich, Sam, es ist okay.«

Sie starrte aufs Display, das tatsächlich unversehrt war. Stefan hatte sich gemeldet, und sie rief ihn zurück. »Hi, Stefan.« Während sie seinem aufgeregten Bericht lauschte, wurde ihr flau im Magen. »Was? Oh Gott, das kann doch nicht wahr sein. Hast du die Polizei schon angerufen?«

»Probleme?«, fragte Gabe besorgt, als sie den Anruf beendete.

»Jemand hat Farbe über den Stargazey-Wagen geschüttet. Er sieht wohl furchtbar aus.«

»Was?«, fragte Gabe entsetzt. »Wer macht denn so was, um Himmels willen?«

»Keine Ahnung, aber ich muss los. Tut mir leid.« Sam stopfte Tablet und Notizbuch in die Tasche. Das hatte jetzt wirklich gerade noch gefehlt.

Gabe sprang auf. »Ich komme mit.«

Sam beschloss, dass sie ein bisschen moralische Unterstützung gerade gut gebrauchen konnte. »Okay.«

Wortlos brachen sie auf, redeten auch unterwegs kaum. Als sie um die Ecke bogen und Stefan vor dem Gebäude von Stargazey sahen, lief es Sam kalt den Rücken hinunter. Zwei Polizisten standen bei Stefan, der ihnen zuwinkte, als er sie sah.

Sam kannte die beiden Polizisten, weil sie gelegentlich bei Stargazey einkauften.

»Was ist passiert?«, fragte sie atemlos.

Stefan sah aus, als sei er den Tränen nahe. »Irgendwelche Schweine haben den Wagen vandalisiert. Schau.«

Sie gingen zur Rückseite, und bei dem grauenhaften Anblick schlug Sam die Hände vors Gesicht. Der Stargazey-Wagen – ihr Stolz, ihre Freude und der Mittelpunkt ihres Berufslebens – war mit scharlachroter Farbe so bespritzt worden, dass er aussah wie etwas aus einem Horrorfilm. Ihr wurde ganz übel. »Oh nein«, flüsterte sie.

»Wer zum Teufel macht so was?«, knurrte Gabe aufgebracht.

»Es muss jemand sein, der uns hasst«, sagte Sam und sah Stefan an. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaute zum Himmel auf, kämpfte sichtlich mit den Tränen.

»Und die Reifen von dem Pick-up sind alle aufgeschlitzt worden«, sagte der ältere Polizist, der auch schon bei der Sache mit Ryan im Dienst gewesen war.

»Oh, Scheiße«, fluchte Sam. »Wir müssen morgen zu einem Musikfestival in St Just.«

»Das klappt nur, wenn die Reifen schnell ausgewechselt werden«, sagte Stefan. »Ich hab schon in der Werkstatt angerufen, die kommen und holen den Pick-up. Aber wer kauft denn bitte Pies an einem Wagen, der nach Kettensägenmassaker aussieht?«

»Nur Vampire«, sagte der Polizist, blickte aber sofort verlegen. »’Tschuldigung.«

»Nee, stimmt ja«, sagte Sam. »Aber neu lackiert werden kann er bis morgen auf keinen Fall.«

»Ich hätte das nicht mal mitgekriegt, wenn ich mein Tablet nicht im Wagen gelassen hätte«, sagte Stefan. »Wäre ich nur früher hier gewesen, dann hätte ich die Täter vielleicht auf frischer Tat ertappt.«

»Nicht zu fassen, dass hier solche Dreckskerle unterwegs sind«, sagte Gabe kopfschüttelnd.

Sam war selbst nach Weinen zumute, aber sie beherrschte sich wegen Stefan, der ohnehin den Schock zu verkraften hatte. Sie umarmte ihren Kollegen. »Das ist übel, aber wir kriegen es wieder hin«, sagte sie. »Ich bin froh, dass du die Täter nicht gestört hast, Stef, sonst hätten sie womöglich dir was angetan.«

Die Polizisten stellten noch einige Fragen und versprachen dann, sich mit den Ermittlungen zu beeilen. Es gab keine Videokameras am Wagen, und Stefan und Sam hatten vorher nichts Verdächtiges bemerkt. Aber wer hier am Werk gewesen war, musste Farbspuren an der Kleidung haben, denn auch der Parkplatz hatte jede Menge Spritzer abbekommen.

Sam schickte Stefan nach Hause, damit er sich von dem schlimmen Erlebnis erholen konnte. Gabe blieb bei ihr, während sie mit der Werkstatt und dem Autolackierer telefonierte, und Sam war dankbar dafür, nicht alleine zu sein. Als sie alle Anrufe erledigt hatte, steckte sie mit einem Seufzer ihr Handy weg und merkte erst jetzt, wie zittrig sie war.

»Das tut mir so leid für dich«, sagte Gabe. »So was Übles. Die Polizisten glauben anscheinend, es könnte mit dem Fußballspiel zu tun haben, das heute Abend stattgefunden hat. Aber da waren natürlich Hunderte von Leuten.«

Sam blickte zu dem Freizeitgelände hinüber. Das Flutlicht am Fußballplatz war noch eingeschaltet, aber sie hielt diese Theorie nicht für plausibel. »Ich glaube nicht, dass das willkürlicher Vandalismus war. Es sieht eher gezielt aus. Jemand hat was gegen uns.«

»Gegen das Festival?«, fragte Gabe.

»Das vermute ich, ja.« Erst der Anschlag auf die Plakate, dann die Hasskommentare im Internet und jetzt diese Verwüstung ihres liebevoll gestalteten Wagens … Um ein Haar hätte sie Gabe von den Troll-Kommentaren erzählt, ließ es dann aber bleiben. Sonst glaubte er womöglich, sie müsse beschützt werden. Aber Sam war wild entschlossen, auf sich selbst aufzupassen.

»Kann ich irgendwie helfen?«, fragte Gabe. »Die Kosten für die neue Lackierung übernehmen zum Beispiel?«

»Nein«, fauchte Sam. Sie wollte keine Almosen.

Gabe hielt die Hände hoch. »Okay, okay.«

Sam bereute ihre Reaktion sofort. »Entschuldige. Danke für das Angebot, aber wir sind gut versichert. Und schneller geht es ohnehin nicht. Karim von der Lackiererei sagt, er tut, was er kann, aber ein paar Tage wird es dauern, bis er dazu kommt.«

»Gehen dir Einnahmen verloren?«

»Wir werden St Just absagen müssen und einen Abend am Hafen auch. Aber ich hoffe, dass wir nächstes Wochenende beim Folk-Music-Fest in Helston dabei sein können. Die Werkstatt ersetzt morgen die Reifen und checkt auch alles komplett durch, Motor und Bremsen und so …«

»Ja, lieber auf Nummer sicher gehen«, sagte Gabe und stieß noch einen Fluch aus.

Sam hatte die Arme um sich geschlungen und starrte noch immer fassungslos auf den verwüsteten Stargazey-Wagen. Warum hasste jemand das Festival so sehr, dass er eine derart abscheuliche Tat begehen würde? Andererseits durfte sie keine voreiligen Schlüsse ziehen, sagte sie sich. Vielleicht gab es zwischen dem Trolling und dem Vandalismus gar keinen Zusammenhang. Nichts war bewiesen.

Gabe berührte sie leicht an der Schulter. »Alles okay so weit?«, fragte er behutsam.

»Ja … wird schon wieder. Ich frag mich nur …«, sie seufzte tief, »wer grausam genug ist, so was zu machen.«

»Vandalismus gibt es leider sehr häufig«, erwiderte Gabe. »Und ich weiß, dass du bestens alleine klarkommst. Trotzdem: Wenn du irgendwas brauchst, sag es bitte.«

Sam schaute zu ihm auf. Sie wusste, dass er das aufrichtig meinte, wollte aber auf keinen Fall in seiner Schuld stehen, so verlockend sein Angebot auch war.

»Sascha! Hierher!«

Bryonys Stimme zerriss die Luft, und Sascha kam angepest und beschnüffelte erstaunt die zerstochenen Reifen des Pick-ups.

»Sorry, jetzt gibt’s erst mal eine Weile keine Pies«, sagte Sam zu dem großen Hund.

Als Bryony den Zustand des Wagens sah, blieb sie abrupt stehen. In einer Hand hielt sie eine Plastiktüte, die schwer zu sein schien. Sascha lief ausnahmsweise sofort zu seinem Frauchen. »Wer hat das denn gemacht?«

»Wissen wir nicht«, antwortete Sam. »Hast du zufällig jemanden beobachtet?«

Sie versuchte einen Blick in die Tüte zu erhaschen. Aber wenn die eine große Dose roter Farbe enthielt, würde Bryony sie jetzt wohl kaum mit sich herumschleppen. Und es war auch nicht ganz fair: Meckern über das Festival war eine Sache, mutwillige Sachbeschädigung aber eine ganz andere.

Sascha beschnüffelte und besabberte jetzt Gabes Timberland-Stiefel und wurde von deren Besitzer argwöhnisch beäugt. Unter anderen Umständen hätte Sam das ziemlich lustig gefunden.

»Wir dachten nur, du hättest vielleicht was Auffälliges bemerkt, während du mit dem Hund unterwegs warst«, sagte Gabe.

»Nee, hab ich nicht. Ich war im Supermarkt, brauchte Waschpulver«, erwiderte Bryony schroff und hielt den beiden die Tüte hin. »Keine rote Farbe drin.«

»Das hatte ich auch nicht vermutet«, sagte Sam rasch und versuchte ihren Fuß außer Reichweite von Saschas Sabber zu bringen.

»Ach nein?«, erwiderte Bryony sarkastisch.

»Ich beschuldige dich nicht«, sagte Sam. »Wir möchten nur rauskriegen, wer das getan hat. Ist nämlich nicht die erste Aktion dieser Art. Jemand hat an der Stippy Stappy Lane Plakate abgerissen.«

»Ach, echt?« Bryony betrachtete ihren Hund.

»Hast du davon vielleicht irgendwas mitbekommen? Während du mit Sascha draußen warst?«

Bryony schürzte die Lippen. Ihr Gesicht war so rot geworden wie der beschmierte Wagen. Sie richtete sich auf und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. »Also gut, ich hab ein paar von diesen blöden Plakaten abgerissen. Das ist doch keine große Sache.«

Sam verschlug es die Sprache. Sie hätte nie damit gerechnet, dass Bryony mit der Wahrheit herausrücken würde.

»Mann, das ist doch echt fies«, sagte Sam. »Was um alles in der Welt hast du denn gegen das Festival?«

Bryony lief noch röter an. »Hab ich doch schon gesagt. Die Leute und die Musik und das Chaos im Dorf. Aber mit dem da«, sie wies mit dem Kopf auf den Wagen, »hab ich nichts zu tun. Du kannst mich fies nennen, aber ich verstoße nicht gegen die Gesetze.« Sie sah Gabe an. »Und du hättest dich in Porthmellow gar nicht mehr blicken lassen sollen. Anstatt hier rumzustolzieren und dich als Retter aufzuführen.«

»Hast du auch Hater-Kommentare auf der Facebook-Seite vom Festival geschrieben?«, fragte Sam.

»Facebook? Ich hab nicht mal ’n Account. Hab Besseres zu tun. Komm, Sascha.« Und damit stapfte Bryony davon und zerrte so heftig an der Leine, dass Sascha sich schleunigst in Bewegung setzen musste.

Sam sank auf die Stufen des Wagens. »Im Ernst, dieser Frau möchte ich am liebsten Dinge antun, für die ich selbst verhaftet werden könnte. Was stimmt nicht mit der?«

Und warum war Bryony so wütend auf Gabe?, fragte sich Sam insgeheim.

Gabe ging neben ihr in die Hocke. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Glaubst du ihr, dass sie das hier nicht angerichtet hat? Und was ist das mit diesen Kommentaren?«

»Ach, wir kriegen immer wieder gemeine Äußerungen auf Facebook und bei Twitter … Nee, ich glaube wirklich, dass Vandalismus nicht Bryonys Art ist.«

»Aber Trolling sollte man auch nicht auf die leichte Schulter nehmen.« Gabe betrachtete sie besorgt. »Ich als Person des öffentlichen Lebens bin das gewöhnt. Aber du brauchst so was doch echt nicht.«

Sam sah ihn an, und einen Moment lang dachte sie, er würde sie in die Arme nehmen. Und es wäre wirklich tröstlich gewesen, seine Arme zu spüren, seine Wärme …

»Ah, da kommt der Abschleppwagen«, sagte er. »Lass uns einfach nicht mehr an Bryony denken. Die ist immer wegen irgendwas wütend, das war doch schon früher so.«

In Sam herrschte das reinste Gefühlschaos. Der Schock über den verwüsteten Wagen, der Streit mit Bryony, Gabe, der ihr in der Krise zur Seite stand … Plötzlich fragte sie sich, ob sie damals in der Situation mit Ryan etwas übersehen hatte. War es vielleicht doch richtig gewesen, Ryan der Polizei auszuliefern? Sie war hin- und hergerissen zwischen Wut und Liebesgefühlen. So verletzlich und aufgewühlt, wie sie sich heute Abend fühlte, hätte sie für nichts garantieren können, wenn Gabe sie an sich gezogen hätte. Die Waage senkte sich gerade in Richtung Liebe – und das war das erschreckendste Gefühl überhaupt.